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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 15 Sa 83/04
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 2 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 3
BetrVG § 102 Abs. 3 Nr. 1
BetrVG § 102 Abs. 3 Nr. 3
BetrVG § 102 Abs. 3 Nr. 4
BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 64 Abs. 6
ZPO § 222 Abs. 2
ZPO § 519
ZPO § 520
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 15 Sa 83/04

verkündet am 17.01.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 15. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Braasch, den ehrenamtlichen Richter Bechtel und den ehrenamtlichen Richter Brecht auf die mündliche Verhandlung vom 17.01.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kn. Aalen - vom 11. August 2004 - Az.: 8 Ga 6/04 - abgeändert:

Die Berufungsbeklagte/Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Berufungskläger/Verfügungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Arbeitsgericht Stuttgart - Kn. Aalen - Az.: 8 Ca 753/03 - anhängigen Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Optikentwickler weiterzubeschäftigen.

2. Die Berufungsbeklagte/Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Berechtigung des vom Kläger erhobenen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs.

Der am 12. Juli 1954 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Verfügungskläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 16. September 1986 mit Wirkung vom 01. Januar 1987 in die Dienste der Verfügungsbeklagten getreten. Er ist ursprünglich eingestellt worden als Entwurfs- und Berechnungsingenieur. Seit dem 01. April 1996 wird er als Optikentwickler eingesetzt. Einen entsprechenden Vertrag haben die Parteien unter dem Datum des 27. März 1996 unterzeichnet. Mit Wirkung vom 01. März 2001 ist der Kläger in der Abteilung Entwicklung Fotoobjektive PH-E in der Arbeitsgruppe Optik Design eingesetzt gewesen. Dieser Bereich ist seit dem 01. September 2002 als eigenständige Abteilung mit der Bezeichnung PH-OD eingerichtet.

Die Verfügungsbeklagte hat mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat am 02. Juni 2003 einen Interessenausgleich abgeschlossen. Unter § 5.4 war bestimmt, dass Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen aus den von der Änderung oder der Einschränkung betroffenen Abteilungen bevorzugt in andere Betriebsteile vermittelt werden. Darüber hinaus werden den betroffenen Mitarbeiter/innen auch ggf. freie Stelle anderer Standorte der C. angeboten.

Der Betriebsrat ist mit dem am 25. September 2003 ihm zugegangenen Schreiben zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört worden. Er hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2003 Widerspruch eingelegt, wobei die Betriebsparteien sich darüber einig sind, dass dieser Widerspruch nicht verfristet ist. Der Widerspruch hatte nachfolgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr von P. ,

der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 10.10.2003 über die beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses beraten und folgendes beschlossen:

Der Betriebsrat erhebt aus folgenden Gründen Widerspruch gegen die Kündigung von Herrn S. :

1. gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG

Begründung:

Eine Sozialauswahl wurde vom Arbeitgeber nicht durchgeführt. Ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren hat somit nicht stattgefunden.

Recherchen des Betriebsrates haben ergeben, dass es eine Vielzahl von Tätigkeiten im Betrieb gibt, die mit denen von Herrn S. vergleichbar sind. Der Betriebsrat hat zum Beispiel in folgenden Abteilungen Stellen mit vergleichbaren Tätigkeiten ermittelt: PH-OD (Herr S. arbeitet selbst dort), PH-MD, PH-LA und FT-OD.

In den vorher genannten Abteilungen gibt es Arbeitnehmer/innen, die eine Kündigung sozial nicht so hart treffen würde, die wesentlich jünger sind und eine wesentlich kürzere Betriebszugehörigkeit als Herr S. haben. Darunter gibt es nur eine Person, die ein Kind hat. Herr S. hat drei Kinder!

2. gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 BetrVG

Begründung:

Herr S. hat sich auf die ausgeschriebene Stelle "Entwicklungs-/Fertigungsprojektleiter" (Geschäftsfeld Sensorik/GSI/4020) in der CZ Tochterfirma Z. beworben, für die er durch seine Ausbildung, lange Erfahrung und Fortbildungen sehr geeignet ist. Er kann die Stelle sofort besetzen und innerhalb einer angemessenen Einarbeitungszeit ausführen.

Ein Vermittlungsversuch der Arbeitgeberseite hat gemäß Interessenausgleich § 5.4 nicht stattgefunden.

Der Betriebsrat erhebt außerdem starke Bedenken gegen eine evtl. Kündigung. Herr S. ist Alleinverdiener einer Familie mit 3 Kindern. Außerdem ist er extern als fast 50jähriger schwer vermittelbar."

In der Abteilung PH-OD, in welcher die Konstruktion von Linsen als Tätigkeit anfällt, sind insgesamt fünf Arbeitsplätze vorhanden. Neben dem Abteilungsleiter und einem Arbeitnehmer, der seinen tatsächlichen Arbeitsplatz in K. hat, werden dort die Arbeitnehmer W. und B. als Optikentwickler eingesetzt, beide sind kinderlos und etwa 20 Jahre jünger als der Kläger. Der Arbeitnehmer W. befand sich zum Kündigungszeitpunkt noch in der Probezeit. In der Abeilung PH-MD, in welcher es um die Konstruktionen von Gehäuseobjektiven geht, werden insgesamt sechs Mitarbeiter beschäftigt. Neben dem Abteilungsleiter und zwei technischen Zeichnerinnen werden dort drei Arbeitnehmer als Konstrukteure beschäftigt, die 20 Jahre jünger, unverheiratet und jeweils kinderlos sind. Ein jetzt dort beschäftigter Arbeitnehmer ist erst nach der Kündigung des Klägers eingestellt worden, ein anderer befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung noch in der Probezeit.

In den drei Abteilungen PH-OD, PH-MD und PH-LA sind insgesamt 20 Arbeitnehmer tätig. In der weiteren Abteilung FT-OD, welche ebenfalls von dem Betriebsrat in seinem Widerspruch erwähnt worden ist, werden 26 Arbeitnehmer eingesetzt. Der Betriebsrat hat in weiteren Kündigungsfällen vergleichbare Widersprüche erhoben. Die Verfügungsbeklagte hat mit Schreiben vom 16. Juni 2003 das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2004 gekündigt. Dagegen hat sich der Verfügungskläger mit seiner zum Arbeitsgericht Stuttgart - Kn. Aalen - erhobenen Klage gewandt. Mit Schreiben vom 11. Juni 2004 hat er seine Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist begehrt. Dies ist von der Arbeitgeberin abgelehnt worden. Mit dem am 20. Juli 2004 eingereichten Schriftsatz hat der Kläger um den Erlass einer einstweiligen Verfügung nachgesucht.

Der Verfügungskläger hat geltend gemacht, im Hinblick auf die Stellungnahme des Betriebsrates stehe ihm ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu. Der Widerspruch sei sowohl frist- als auch ordnungsgemäß erfolgt. Der Betriebsrat habe aufgezeigt, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen. Er hat des weiteren geltend gemacht, im Frühjahr/Sommer 2004 sei es zu einer Vielzahl betriebsinterner Stellenausschreibungen gekommen. Einen Verfügungsgrund sieht er darin, dass er in einem sehr innovativen Bereich mit immer kürzeren Entwicklungszeiten tätig sei.

Der Verfügungskläger hat beantragt:

Im Wege der einstweiligen Verfügung wegen der Dringlichkeit des Falles ohne mündliche Verhandlung, ggf. unter Verkürzung der Ladungsfristen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - AZ: 8 Ca 753/03, anhängigen Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Optik-Entwickler, hilfsweise als Entwurf- und Berechnungsingenieur weiterzubeschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte hat zur Abwehr des Antrages geltend gemacht, der Widerspruch des Betriebsrats entspreche nicht den durch die Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen. Sie meint, die weniger schutzwürdigen Arbeitnehmen müssten zumindest hinreichend identifizierbar sein. Der Betriebsrat müsse plausibel darlegen, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sein soll. Vorliegend genüge der Widerspruch des Betriebsrats diesen Anforderungen nicht. Wenn ein Arbeitgeber seine Auswahlüberlegungen wie vorliegend durch das Bewertungsschema dezidiert mitgeteilt habe, sei eine konkrete Stellungnahme des Betriebsrats erforderlich, warum die Auswahlüberlegung des Arbeitgebers nicht ausreichend sein soll. Dem Betriebrat seien die Auswahlkriterien bekannt gewesen. Ein ordnungsgemäßer Widerspruch verlange auch, dass der Betriebsrat schlüssig angebe, welche Arbeitnehmer aus welchen Gründen sozial besser gestellt und daher anstelle des vom Arbeitgeber zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer auszuwählen seien. Der Betriebsrat beschränke sich in seinem Widerspruch auf einen Vergleich allein im Hinblick auf funktionelle Gesichtspunkte, ohne jedoch die tatsächlichen stellenspezifischen Anforderungen zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Verfügungsklägers durch das Urteil vom 11. August 2004 zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Antrag sei unbegründet. Es fehle an einem Verfügungsanspruch. Ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrates liege nicht vor. In den im Widerspruchsschreiben aufgeführten Bereichen seien 46 Arbeitnehmer beschäftigt. Damit ergebe sich aus der Mitteilung des Betriebsrats nicht, welche konkreten in den Bereichen beschäftigten Arbeitnehmer weniger schutzwürdig als der Verfügungskläger seien. Es werde zwar keine konkrete namentliche Benennung der vergleichbaren Arbeitnehmer durch den Betriebsrat gefordert. Jedoch müsse der Betriebsrat für die Identifizierung der weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer konkret angeben, in welchen Bereichen genau die sich aus der Sicht des Betriebsrats sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer befinden sollen. Der im Widerspruch des Betriebsrats in Bezug genommene Arbeitsplatz bei der Tochterfirma sei kein Arbeitsplatz im selben Betrieb oder im anderen Betrieb des Unternehmens.

Gegen diese am 16. August 2004 zugestellte Entscheidung wendet sich der Verfügungskläger mit seiner am 16. September 2004 beim Landesarbeitsgericht eingereichten Berufung, die er mit dem am 18. Oktober 2004 eingereichten Schriftsatz ausgeführt hat, nachdem der 16. Oktober 2004 auf einen Sonnabend fiel.

Der Verfügungskläger meint, das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchsbegründung zu hoch angesetzt. Es sei fehlerhaft davon ausgegangen, in den im Widerspruchsschreiben angesprochenen Abteilungen seien ca. 46 Arbeitnehmer beschäftigt. Aus dem Wortlaut der Mitteilung des Betriebsrats ergebe sich ohne weiteres, dass in den Abteilungen lediglich Stellen mit vergleichbaren Tätigkeiten ermittelt worden seien. Es sei keine Rede davon, dass sämtliche Stellen vergleichbare Tätigkeiten umfassten. Bei den Abteilungen PH-OD und PH-MD handele es sich um Kleinstabteilungen. Er vertritt außerdem die Auffassung, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft die Ordnungsmäßigkeit des Widerspruchs aufgrund der Begründung nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BetrVG verneint.

Der Verfügungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kn. Aalen - vom 11. August 2004 - Az.: 8 Ga 6/04 - abzuändern und die Verfügungsbeklagte/Berufungsbeklagte zu verurteilen, den Verfügungskläger/Berufungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Arbeitsgericht Stuttgart - Kn. Aalen unter dem Aktenzeichen 8 Ca 753/03 anhängigen Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Optikentwickler weiterzubeschäftigen. Die Verfügungsbeklagte macht geltend, der Widerspruch enthalte keinen Hinweis, um welche Arbeitnehmer es sich konkret handeln solle. Vielmehr sei davon auszugehen, dass alle Mitarbeiter in den genannten Abteilungen oder Bereichen vergleichbar sein sollen. Vom Betriebsrat sei nicht einmal die Tätigkeit oder Tätigkeiten benannt worden, unter welchen der Verfügungskläger eingeordnet worden sei. Es sei schlichtweg falsch, dass der Verfügungskläger als Optikentwickler tätig gewesen sei.

Mit den nach Ablauf der Berufungsbeantwortungsfrist eingereichten Schriftsätzen lässt die Berufungsbeklagte ausführen, die Berufungsinstanz sei nicht ohne hinreichenden Grund zum weiteren Sachvortrag geeignet. Sie führt weiter aus, der Anstellungs- sowie der Versetzungsvertrag gäben nur darüber Auskunft, für welche Tätigkeit der Verfügungskläger eingestellt bzw. mit welchen Zielen er versetzt worden sei. Tatsächlich sei der angestrebte Einsatz des Verfügungsklägers als Optikentwickler nicht möglich gewesen, da er nicht die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse mitgebracht habe. Der Kläger sei zuletzt als Technologe für Falschlichtberechnungen und für finite Elemente Berechnungen tätig gewesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers gegen das seinen Antrag zurückweisende Urteil ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b ArbGG). Bei einer Klage bzw. dem im einstweiligen Verfügungsverfahren verfolgten Anspruch auf Beschäftigung bzw. Weiterbeschäftigung geht es um die Vornahme einer Handlung, die mit einem Leistungsantrag verfolgt wird. Das Arbeitsgericht hat den Wert des Streitgegenstandes in einer den gesetzlichen Grenzwert übersteigenden Höhe festgesetzt. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig und ordnungsgemäß ausgeführt worden. Da der letzte Tag der zweimonatigen Frist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf einen Sonnabend fiel, endete die Frist nach § 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktags. Die somit gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufungskammer vermag der Auffassung des Arbeitsgerichts, es fehle an einem Verfügungsanspruch, weil ein ordnungsgemäßer Widerspruch nicht vorliege, nicht zu folgen. Mit dem erst nach Ablauf der Berufungsbeantwortungsfrist vorgebrachten Einwand, der erst unmittelbar vor der Berufungsverhandlung konkretisiert worden ist, kann die Verfügungsbeklagte nicht gehört werden. Nach der Feststellung im unstreitigen Teil des angefochtenen Urteils ist der Verfügungskläger "zuletzt als Optikentwickler ... beschäftigt" worden. Der pauschale Hinweis in dem am 10. Januar 2005 per Telefax übermittelten Schriftsatz, der Verfügungskläger sei als Technologe tätig gewesen, ist ohne jeglichen Erkenntniswert. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist Technologe ein wissenschaftlich ausgebildeter Fachmann auf dem Gebiet der Technik. Soweit die Verfügungsbeklagte mit dem am letzten Werktag vor der Berufungsverhandlung um 17:40 Uhr per Telefax übermittelten Schriftsatz hat vortragen lassen, der Verfügungskläger sei zuletzt als Technologe für Falschlichtberechnungen und finite Elemente Berechnungen tätig gewesen, handelt es sich um verspätetes Vorbringen, welches die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte (§ 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG), so dass er nicht zugelassen werden konnte. Zudem weisen die Inhalte der Schriftsätze vom 10. und 14. Januar 2005 widersprüchliches Vorbringen auf. Während einerseits ausgeführt worden ist, "eine Korrektur auch in vertraglicher Hinsicht scheiterte letztlich an der fehlenden Zustimmung des Verfügungsklägers", wird in dem weiteren Schriftsatz vom 14. Januar 2005 geltend gemacht, "da der Kläger mit dem Einsatzspektrum einverstanden war, unterblieb einvernehmlich die nochmalige Änderung des Arbeitsvertrages". Schließlich hätte die Frage, für welche Tätigkeit der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung eingesetzt war, nur Relevanz erlangen können, wenn dem Betriebsrat im Rahmen seiner Anhörung dies anders als vom Verfügungskläger geltend gemacht, mitgeteilt worden wäre. Die Verfügungsbeklagte hat jedoch weder im ersten noch rechtzeitig im zweiten Rechtszug dem Vorbringen des Verfügungsklägers widersprochen, er sei als Optik-Entwickler tätig gewesen.

II.

Der vom Verfügungskläger verfolgte Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Optik-Entwickler bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Arbeitsgericht anhängigen Kündigungsschutzverfahrens scheitert nicht daran, dass es an einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats mangelt.

1. Nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung nach § 102 Abs. 3 BetrVG frist- und ordnungsgemäß widersprochen und der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht aufgelöst worden.

Nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG kann der Betriebsrat der Kündigung widersprechen, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Ein ordnungsgemäßer Widerspruch setzt voraus, dass der Betriebsrat aufzeigt, welcher vom Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl nicht berücksichtigte Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sein soll.

Dies gilt unabhängig vom Umfang der Mitteilung des Arbeitgebers nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Auch wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine Sozialdaten anderer Arbeitnehmer mitteilt, weil er der Meinung ist, es gebe keine vergleichbaren Arbeitnehmer, hat der Betriebsrat im Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG darzulegen, warum die vom Arbeitgeber getroffene Sozialauswahl fehlerhaft sei.

Macht der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssen die vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein. Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang von § 102 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Das Arbeitsgericht kann den Arbeitgeber nur dann im Wege der einstweiligen Verfügung von der Weiterbeschäftigungspflicht im Sinne eines offensichtlich unwirksamen Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG entbinden, wenn sich aus dem Widerspruch des Betriebsrats hinreichend deutlich ergibt, welche Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre soziale Schutzwürdigkeit aus seiner Sicht zu vergleichen sein sollen. Den für die Widerlegung der Widerspruchsbegründung erforderlichen Sachvortrag kann der Arbeitgeber nur leisten, wenn der oder die nach Auffassung des Betriebsrats weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer jedenfalls identifizierbar sind.

Zur Begründung des Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG ist weiter erforderlich, dass der Betriebsrat plausibel darlegt, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sei. Hierzu sind zwar nicht die einzelnen Sozialdaten i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auszuführen. Der Betriebsrat hat aber aufzuzeigen, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen (vgl. BAG, Urteil vom 09. Juli 2003 - 5 AZR 305/02, AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung; auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

2. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch bezüglich der Erhebung einer Kündigungsschutzklage und eines Verlangens des Klägers auf Weiterbeschäftigung sind unstreitig erfüllt. Das Verlangen ist von ihm mit Anwaltsschriftsatz vom 11. Juni 2004, also vor Ablauf der Kündigungsfrist, gestellt worden. Zwar ist darin die Weiterbeschäftigung als Entwurfs- und Berechnungsingenieur angeführt worden. Aus diesem Grund ist das Verlangen jedoch nicht zurückgewiesen worden. Mit der Antragsschrift im vorliegenden Verfahren hat der Berufungskläger die Art der verlangten Weiterbeschäftigung mit Optik-Entwickler bezeichnet und nur noch hilfsweise die eines Entwurfs- und Berechnungsingenieurs.

3. Hinsichtlich der formalen Ordnungsmäßigkeit des Widerspruchs hat die Verfügungsbeklagte keine Einwände erhoben. In der Sitzung des Arbeitsgerichts hat sie unstreitig gestellt, der Widerspruch des Betriebsrats sei am 10. Oktober 2003 fristgerecht erfolgt. Der Betriebsrat ist mit dem am 25. September 2003 ihm zugegangenen Schreiben zu der beabsichtigten Kündigung des Verfügungsklägers angehört worden, so dass die Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG an sich mit Ablauf des 02. Oktober 2003 geendet hat. Arbeitgeber und Betriebsrat können jedoch rechtswirksam eine Verlängerung der Frist vereinbaren (vgl. BAG, Urteil vom 14. August 1986 - 2 AZR 561/85, AP Nr. 43 zu § 102 BetrVG 1972). Daraus, dass die Verfügungsbeklagte die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs des Betriebsrats unstreitig gestellt hat, folgt ihr Einverständnis mit der Verlängerung.

4. Das Arbeitsgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 09. Juli 2003, a.a.O.) ausgegangen, nach welcher die Arbeitnehmer vom Betriebsrat konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein müssen, wenn der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend macht, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen. Es hat jedoch die Anforderungen überspannt, zumal es nicht darum geht, dass Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen worden sind, sondern nach Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit sozial weniger schutzwürdige Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden. Soweit das Arbeitsgericht darauf abgestellt hat, in den im Widerspruchsschreiben angesprochenen Bereichen seien ca. 46 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass sich aus der Mitteilung des Betriebsrats nicht ergeben habe, welche konkret in den angeführten Bereichen beschäftigten Arbeitnehmer weniger schutzwürdig seien, kann nicht auf die Summe aller Arbeitnehmer abgestellt werden. Abgesehen davon, dass die Verfügungsbeklagte in dem erst am 14. Januar 2005 eingereichten Schriftsatz erstmals anführt, in den angeführten Bereichen seien insgesamt 48 Arbeitnehmer beschäftigt, hat der Verfügungskläger unbestritten bereits im ersten Rechtszug zu der Anzahl und den Sozialdaten der neben ihm im Bereich PH-OD beschäftigten Arbeitnehmer vorgetragen. Da es sich bei den vom Betriebsrat angeführten Abteilungen um solche mit einer sehr geringen Anzahl von Arbeitnehmern handelt, konnte die Verfügungsbeklagte auch ohne namentliche Benennung vergleichbarer weniger schutzwürdiger Arbeitnehmer unschwer erkennen, welche Personen der Betriebsrat für weniger schutzwürdig erachtete.

Angesichts der Größe der jeweiligen Abteilung, deren unstreitiger personeller Zusammensetzung sowie des erheblich geringeren Lebensalters, der erheblich kürzeren Betriebszugehörigkeitszeiten und nicht vorhandener Unterhaltspflichten von zwei nicht von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer, waren die Personen unschwer identifizierbar.

Da sich somit aus dem Widerspruch des Betriebsrats unter Berücksichtigung des Vortrags im Rechtsstreit bezogen auf den Kläger hinreichend deutlich ergab, welche Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre soziale Schutzwürdigkeit zu vergleichen seien, und auch nachvollziehbar dargelegt worden ist, warum andere Arbeitnehmer nach Auffassung des Betriebsrats sozial weniger schutzwürdig seien, genügte der Inhalt des Widerspruchs den zu stellenden Anforderungen. Darauf, dass der Betriebsrat in weiteren Kündigungsfällen vergleichbare Widersprüche erhoben hat, kommt es nicht an. Vorliegend geht es bezogen auf den Kläger darum, ob für die Verfügungsbeklagte weniger schutzwürdige Arbeitnehmer in einer der genannten Abteilungen hinreichend identifizierbar waren. Dies ist auf Grund der besonderen Umstände des Falles zu bejahen.

4. Ein Verfügungsgrund ist schon deshalb gegeben, weil der Verfügungskläger unwidersprochen geltend gemacht hat, er sei in einem sehr innovativen Bereich mit immer kürzeren Entwicklungszeiten tätig.

III.

1. Da somit auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und nach dem von ihm zuletzt zur Entscheidung gestellten Antrag zu erkennen war, hat die Verfügungsbeklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.

2. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 72 Abs. 4 ArbGG), da gegen Urteile, durch die über eine einstweilige Verfügung entschieden wird, die Revision nicht zulässig ist. Selbst wenn die Berufungskammer, wie vom Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten zunächst angeregt, die Revision zugelassen hätte, wäre diese unzulässig gewesen (vgl. BAG, Beschluss vom 22. Januar 2003 - 9 AZB 7/03, BAGE 104, 302 = AP Nr. 12 zu § 78 ArbGG 1979).

Ende der Entscheidung

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