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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 16.09.2009
Aktenzeichen: 17 Sa 44/08
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
1. Die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG endet nicht mit der ersten Kündigungsmöglichkeit nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Tarifträgerverband.

2. Allein die Möglichkeit der ERA-Einführung (§ 2 ETV-ERA) führt ebenfalls nicht zur Beendigung der bisher geltenden Tarifverträge (§ 3 Abs. 3 TVG).

3. Eine andere Abmachung i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG liegt nicht vor, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Nachwirkung eines Tarifvertrags nicht absehbar war.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.09.2008 - Az.: 21 Ca 7628/07 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 1/8 und die Beklagte zu 7/8.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für die Beklagte zugelasen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch um die Gutschrift von 325 Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin sowie um die Gutschrift eines Urlaubstags für das Urlaubsjahr 2007 auf dem Urlaubskonto der Klägerin. Hintergrund des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Tarifverträge für die Beschäftigten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 15.09.1975 beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie wendete auf sämtliche Arbeitsverhältnisse, so auch auf das Arbeitsverhältnis mit der zunächst nicht tarifgebundenen Klägerin, die Tarifverträge für die Beschäftigten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden an. Zum 31.12.2005 trat die Beklagte aus dem Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V. aus. Am 24.06.2005 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag mit Wirkung vom 01.01.2006. Dieser regelt, dass die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers 40 Stunden beträgt. Sämtliche bisherigen Arbeitsverträge und andere schriftliche Abmachungen sollten mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags ihre Gültigkeit verlieren. Die Parteien stimmten darüber ein, dass keinerlei Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden (Anlage K2 zur Klagschrift vom 24.09.2007). Die Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete Betriebsrat verabschiedeten am 07.12.2005 mit Wirkung vom 01.01.2006 eine Betriebsvereinbarung über die Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die in Ziff. 4 i.V.m. Ziff. 2 ein Arbeitszeitkonto auf der Grundlage einer persönlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vorsieht. Die Differenz zwischen der geleisteten Arbeitszeit und der Regelarbeitszeit wird danach im Verhältnis 1:1 in ein Arbeitszeitkonto übertragen (ABl. 76 ff. d. Berufungsakte). Seit dem 01.01.2006 arbeitet die Klägerin wöchentlich 40 Stunden; entsprechend wurde das Arbeitszeitkonto der Klägerin geführt. Einen Lohnausgleich erhielt die Klägerin nicht.

Der Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. - Südwestmetall - und die IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg, haben am 16.09.2003 mit Wirkung zum 01.10.2003 den Einführungstarifvertrag zum ERA-Tarifvertrag (ETV-ERA) abgeschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 2

Einführungszeitraum

2.1 Tarifliche Stichtage

...

2.1.2 Der Vorbereitungsphase schließt sich eine Einführungsphase von 3 Jahren an*). ... Der ERA-TV ersetzt zum Stichtag im Betrieb die entsprechenden Bestimmungen der bestehenden Tarifverträge (§ 24 ERA-TV).

Vor der Einführungsphase kann der ERA-TV nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien eingeführt werden.

-) Protokollnotiz: Beginn und Ende der Einführungsphase werden bei Vereinbarung der letzten ERA-Strukturkomponente festgelegt.

(Hinweis: Im Rahmen der Tarifrunde 2004 wurde diese Einführungsphase auf die Zeit 01. März 2005 - 29. Februar 2008 festgelegt.)

2.1.3 Im Anschluss an die Einführungsphase gilt der ERA-TV verbindlich für alle Betriebe. Mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien kann der ERA-TV betrieblich auch bis zu 12 Monate nach diesem Zeitpunkt eingeführt werden. ..."

Die Tarifvertragsparteien haben zeitgleich den Entgeltrahmentarifvertrag (ERA-TV), am 18.12.2003 den Tarifvertrag ERA-Anpassungsfond (TV-ERA-AnpF) und am 29.09.2004 den Tarifvertrag zum Bruttoaufstockungsmodell Altersteilzeit (TV-BA) abgeschlossen. Am 14.06.2005 sind folgende weitere Tarifverträge zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart worden:

- Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV (MTV-ERA),

- Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung Nordwürttemberg/Nordbaden (TV-BeschSich),

- Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die Beschäftigten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg (TV-BeschSich-ERA),

- Tarifvertrag zur Altersteilzeit für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg (TV ATZ),

- Tarifvertrag zur Beschäftigungsbrücke für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg (TV Brücke),

- Urlaubsabkommen für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV (UrlAbk-ERA),

- Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV (TV SoZa-ERA),

- Tarifvertrag zur Qualifizierung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg zum ERA-TV (TV Quali-ERA).

Der Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 19.09.2000 (MTV) und der MTV-ERA vom 14.06.2005 enthalten auszugsweise gleichlautend folgende Regelungen:

"§ 7

Regelmäßige Arbeitszeit

7.1 Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt 35 Stunden.

7.1.1 Soll für einzelne Beschäftigte die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert werden, bedarf dies der Zustimmung des Beschäftigten.

...

7.1.2 Bei der Vereinbarung einer solchen Arbeitszeit bis zu 40 Stunden erhalten Beschäftigte eine dieser Arbeitszeit entsprechende Bezahlung. ..."

Das Urlaubsabkommen für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18.12.1996 (UrlAbk) und das UrlAbk-ERA vom 14.06.2005 enthalten auszugsweise gleichlautend nachfolgende Regelungen:

"§ 3

Urlaubsdauer

3.1 Der jährliche Urlaub für Beschäftigte beträgt 30 Arbeitstage.

3.2 Dazu kommt ein Zusatzurlaub von 1 Arbeitstag im Urlaubsjahr nach einer Betriebszugehörigkeit von 25 Jahren (Jubilare). ..."

Zum 01.07.2006 trat die Klägerin der IG Metall bei. Mit Schreiben vom 22.08.2007, der Beklagten zugegangen am 31.08.2007, beanspruchte die Klägerin unter Hinweis auf die beiderseitige Tarifbindung insbesondere die Geltung der 35-Stunden-Woche gemäß § 7.1 MTV durch Gutschrift der über 35 Stunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin, sowie aller anderen Leistungen aus den Tarifverträgen.

Für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.09.2007 beansprucht die Klägerin dem entsprechend die Gutschrift von 325 Stunden (65 Wochen je 5 Stunden). Auf die (teilweise) Verwirkung des Anspruchs könne sich die Beklagte nicht berufen, weil diese die Klägerin durch die Bestimmungen im Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 davon abgehalten habe, ihre tariflichen Rechte wahrzunehmen. Erstinstanzlich hat die Klägerin deshalb zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertragsverhältnis ab dem 01.07.2006 die folgenden, zwischen dem Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V., Stuttgart, und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung Baden-Württemberg bzw. Bezirksleitung Stuttgart abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung finden:

a) Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 14.06.2005,

b) Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV vom 14.06.2005,

c) Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 2005, Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV vom 14.06.2005,

d) Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die Beschäftigten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg zum ERA-TV vom 14.06.2005,

e) Tarifvertrag zur Altersteilzeit für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom 14.06.2005,

f) Tarifvertrag zur Beschäftigungsbrücke für Beschäftigte in der Metallindustrie in Baden-Württemberg vom 14.06.2005,

g) Tarifvertrag zum Bruttoaufstockungsmodell Altersteilzeit vom 29.09.2004,

h) Urlaubsabkommen für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV vom 14.06.2005,

i) Entgeltrahmentarifvertrag (ERA-TV) vom 16.09.2003,

j) Einführungstarifvertrag zum ERA-TV (ETV ERA) vom 16.09.2003,

k) Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden zum ERA-TV vom 14.06.2005,

l) Tarifvertrag zur Qualifizierung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg zum ERA-TV vom 14.06.2005 und

m) Tarifvertrag ERA Anpassungsfonds vom 18.12.2003.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 30.09.2007 325 Stunden gutzuschreiben.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto der Klägerin für das Urlaubsjahr 2007 1 zusätzlichen Tag Urlaub gutzuschreiben.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie geht davon aus, die Anwendbarkeit der einschlägigen Tarifverträge sei einvernehmlich ausgeschlossen worden. Jedenfalls habe die Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG aber mit der erstmaligen Möglichkeit der Einführung der ERA-Tarifverträge gemäß § 2.1.2 des Einführungstarifvertrags zum ERA-TV (ETV ERA) am 01.03.2005 geendet. Die Klägerin verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie das mit Abschluss des Arbeitsvertrags vom 24.06.2005 begründete Vertrauen, dass keine Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden, durch Beitritt zur IG Metall zerstöre. Hilfsweise beruft sich die Beklagte auf die Geltung der tariflichen Ausschlussfristen.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und dies damit begründet, dass mit dem Beitritt der Klägerin zur IG Metall gemäß § 4 Abs. 1 TVG die namentlich bezeichneten Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden. Die Tarifbindung der Beklagten habe trotz des Verbandsaustritts am 01.07.2006 gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortbestanden, da die Tarifverträge nicht vor dem 01.07.2006 geendet hätten. Die Tarifbindung an einen am 31.12.2005 geltenden Tarifvertrag könne nicht dadurch beendet werden, dass zu einem davor liegenden Zeitpunkt, hier zum 01.03.2005, die Einführungsphase für die ERA-Tarifverträge im Sinne eines reinen Zeitkorridors begonnen habe. Außerdem seien die ERA-Tarifverträge von der Beklagten gerade nicht umgesetzt worden. Die Vereinbarung im Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 stehe dem nicht entgegen. Mangels Tarifbindung der Klägerin hätten die Parteien zwar zunächst wirksam die Anwendbarkeit der Tarifverträge ab 01.01.2006 ausschließen können. Mit dem Gewerkschaftsbeitritt habe die Klägerin jedoch von ihrem in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsrecht Gebrauch gemacht. Ein Vertrauen, dass die Klägerin im Nachbindungszeitraum nicht Mitglied einer Gewerkschaft werde, sei dadurch nicht begründet worden.

Das Arbeitsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass die Klägerin deshalb eine Zeitgutschrift im Umfang von 195 Stunden (01.01.2007 bis 30.09.2007: 35 Wochen je 5 Stunden) beanspruchen könne. Für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2006 (130 Stunden) hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Arbeitszeit in Anlehnung an § 11.2, 2. Absatz MTV verfallen seien. Die Berufung auf die Ausschlussfristen sei auch nicht treuwidrig, da die Beklagte mit der Klägerin ab 01.01.2006 wirksam die Geltung der 40-Stunden-Woche habe vereinbaren können. Den Anspruch auf einen zusätzlichen Urlaubstag hat das Arbeitsgericht auf § 3.2 UrlAbk gestützt, welches ab 01.07.2006 auf das Arbeitsverhältnis anwendbar gewesen sei.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe wird auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.09.2008 Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 09.09.2008 zugestellt Urteil hat diese am 06.10.2008 Berufung eingelegt und diese innerhalb bis zum 09.12.2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit bei Gericht am 09.12.2008 eingegangenem Telefax begründet.

Sie geht zunächst davon aus, dass die im Tenor des erstinstanzlichen Urteils benannten Tarifverträge jedenfalls zwischenzeitlich nicht mehr auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden (im Einzelnen S. 1 - 4 der Berufungsbegründung). Die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung schieße über das Ziel des § 3 Abs. 3 TVG hinaus, weil dies dazu führe, dass bei den meist auf längere Zeitdauer angelegten Manteltarifverträgen auf Jahre hinaus eine Abweichung zu Lasten der Arbeitnehmer auch nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers nicht möglich sei. Eine Nachbindung sei deshalb allenfalls bis zu dem auf den Austritt folgenden nächsten Kündigungstermin gerechtfertigt. Jedenfalls aber müsse es eine generelle Begrenzung der Nachbindung geben, welche die Beklagte hier spätestens auf den 31.12.2006 datiert. Ungeachtet dessen hätten die meisten Tarifverträge durch die Einführung des ERA-Tarifwerks spätestens am 29.02.2008 geendet. Die Beklagte geht allerdings davon aus, dass Letzteres schon am 01.01.2006 eingetreten sei. In Bezug auf die Geltung der 35-Stunden-Woche rügt die Beklagte, dass die Klägerin auch Urlaubs- und Krankheitszeiten in die Berechnung einbezogen habe. Die pauschale Berechnung der Klägerin sei deshalb nicht schlüssig. Die Beklagte beantragt deshalb,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.09.2008, AZ. 21 Ca 7628/07, abzuändern und die Klage insgesamt kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung

unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils. Auch die Berechnung der Entgeltfortzahlung und des Urlaubsentgelts habe im Ergebnis auf Basis der 40-Stunden-Woche mit Lohnausgleich zu erfolgen. Soweit das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren mit einer bei Gericht am 09.01.2009 eingegangenen Anschlussberufung weiter, nachdem ihr die Berufungsbegründung am 12.12.2008 zugestellt worden war. § 18.1.2 MTV enthalte keine Regelung dazu, wann der Anspruch auf Korrektur des Arbeitszeitkontos geltend gemacht werden müsse. Erst mit Schließung des Arbeitszeitkontos lasse sich feststellen, ob dem Arbeitnehmer weitere Freistellungs- bzw. Zahlungsansprüche zustünden. Da die Parteien keine Abrede über verbindliche Zwischensalden getroffen hätten, habe die Klägerin ihren Anspruch nicht vor Schließung des Arbeitszeitkontos geltend machen müssen. Die analoge Anwendung des § 11.2 MTV komme hier deshalb nicht in Betracht. Die Klägerin beantragt deshalb,

auf die Anschlussberufung der Klägerin/Berufungsbeklagten die Beklagte/Berufungsklägerin zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin/Berufungsbeklagten weitere 130 Stunden für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 31.12.2006 gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Anschlussberufung.

Im Kammertermin vom 13.05.2009 hat die Beklagte einen Haus-Tarifvertrag vom 04.04.2009 vorgelegt. Danach anerkennt die Beklagte mit Wirkung vom 04.04.2009 die Tarifverträge für Arbeitnehmer, Angestellte und Auszubildende in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden mit Ausnahme der in § 4 aufgeführten Regelungen in ihrer zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Haus-Tarifvertrags gültigen Fassung (ABl. 94 ff.). Die Parteien haben daraufhin Ziffer 1 der dem Urteil vom 04.09.2008 zugrundeliegenden Anträge übereinstimmend für erledigt erklärt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Berufung (I.) und Anschlussberufung (II.) sind zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Anschlussberufung erfüllt die Voraussetzungen nach §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 524 ZPO. Beide Berufungen sind jedoch unbegründet.

I.

Die Klägerin hat für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 30.09.2007 Anspruch auf die Gutschrift von 195 Zeitstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto. Ebenso kann die Klägerin einen zusätzlichen Urlaubstag für das Jahr 2007 beanspruchen.

1. Das Arbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass ab 01.07.2006 sowohl der Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 19.09.2000 (MTV) als auch das Urlaubsabkommen für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18.12.1996 (UrlAbk) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden (§ 4 Abs. 1 TVG).

a) Trotz des Verbandsaustritts der Beklagten zum 31.12.2005 blieb gemäß § 3 Abs. 3 TVG die Tarifgebundenheit der Beklagten bestehen.

(1) Eine Beendigung der Tarifverträge vor dem 01.07.2006, dem Beitritt der Klägerin zu der die Tarifverträge abschließenden Gewerkschaft, ist nicht ersichtlich. Insbesondere endeten die Tarifverträge nicht mit der ersten Kündigungsmöglichkeit nach Austritt der Beklagten aus dem Tarifträgerverband zum 28.02.2006. Eine solche einschränkende Interpretation findet im Gesetz keine Stütze. Die Beendigung eines Tarifvertrags liegt allein im Einflussbereich der vertragsschließenden Parteien. Der einzelne Arbeitgeber hat hierauf Einfluss lediglich im Rahmen seiner Verbandsmitgliedschaft. Auch eine inhaltliche Änderung der streitgegenständlichen Tarifverträge, die durch eine frühere Mitgliedschaft der Beklagten nicht mehr legitimiert wäre, wurde bis zum 01.07.2006 nicht vereinbart. Schließlich wurden die streitgegenständlichen Tarifverträge bis zum 01.07.2006 auch nicht durch die ERA-Tarifverträge abgelöst. Richtig ist zwar, dass nach der Intention der Tarifvertragsparteien die ERA-Tarifverträge zum Einführungsstichtag im Betrieb die entsprechenden Bestimmungen der bestehenden Tarifverträge ersetzen sollen (§ 2.1.2 ETV-ERA). Das schließt aber nicht aus, dass die Beklagte bis zur Einführung der ERA-Tarifverträge an beide Tarifwerke gebunden war. Unabhängig davon hatte die Beklagte die ERA-Tarifverträge bis zum 01.07.2006 auch nicht eingeführt.

(2) Soweit die Beklagte darauf abstellt, die Nachbindung habe zu einem Zeitpunkt nach dem 01.07.2006 geendet, hindert § 4 Abs. 5 TVG einen tariflosen Zustand. Zwar kann im Nachwirkungszeitraum ein Tarifvertrag durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine andere Abmachung kann auch ein Arbeitsvertrag sein. Der Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 ist jedoch keine solche Abmachung. Zwar kann eine solche Abmachung im Einzelfall auch schon vor Ablauf des Tarifvertrags getroffen werden (BAG Urteil vom 20.05.2009, 4 AZR 230/08, Pressemitteilung). Sie löst eine tarifvertragliche Bestimmung aber nur dann ab, wenn sie konkret und zeitnah vor dem bevorstehenden Ablauf des Tarifvertrags die sich dann aufgrund der Nachwirkung ergebende Situation regelt. Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien im Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 eine andere Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG treffen wollten. Die Klägerin war bis zum 01.07.2006 nicht tarifgebunden. Den Fall einer möglichen Nachwirkung nach einem späteren Verbandsbeitritt der Klägerin und dem erst danach eintretenden Ablauf der Tarifverträge haben die Parteien nicht voraussehen und damit auch nicht zum Gegenstand des Vertrags machen können. Die Kammer kann daher dahinstehen lassen, ob und ggf. wann nach dem 01.07.2006 die Tarifverträge, die nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien durch die ERA-Tarifverträge abgelöst werden sollten, gemäß § 3 Abs. 3 TVG geendet haben.

b) Der beiderseitigen Tarifgebundenheit steht nicht entgegen, dass die Klägerin erst im Nachbindungszeitraum der tarifschließenden Gewerkschaft beigetreten ist (BAG, Urteil vom 14.08.2007, 9 AZR 587/06, AP Nr. 41 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis, BB 2007, 2777, Rdn. 25 m.w.N.).

Der Verbandsbeitritt der Klägerin ist auch nicht treuwidrig. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG nicht darauf vertrauen durfte, die Klägerin werde im Nachbindungszeitraum keiner Gewerkschaft, insbesondere nicht der IG Metall beitreten. Eine entsprechende Vereinbarung wäre unwirksam (§ 134 BGB). Dementsprechend konnten die Parteien auch nicht die beiderseitige Tarifbindung nach § 4 Abs. 1 TVG vertraglich ausschließen.

2. Gemäß § 7.1 MTV beträgt die Wochenarbeitszeit der Klägerin 35 Stunden.

a) Die im Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 hiervon abweichend geregelte Arbeitszeit ist für die Klägerin unverbindlich (§ 4 Abs. 3 TVG). Insbesondere ist die vom Tarifvertrag abweichende Regelung wegen der fehlenden Entgeltanpassung - entgegen § 7.1.2 MTV - nicht günstiger im Sinne des Tarifvertragsgesetzes.

b) Der Anspruch auf eine Zeitgutschrift im Umfang von 195 Zeitstunden ergibt sich aus der Differenz der von der Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.09.2007 mit Ausnahme eventueller Urlaubs- und Krankheitszeiten unstreitig geleisteten 40 Arbeitsstunden pro Woche zur tarifvertraglich geschuldeten Arbeitszeit von 35 Wochenstunden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Zeiten, in denen der Klägerin Urlaub gewährt wurde oder in denen die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt war, nicht herauszurechnen. Zwar hat die Klägerin an diesen Tagen keine Arbeitsleistung erbracht. Sie hat jedoch an diesen Tagen auf der Basis von acht vermeintlich geschuldeten Arbeitsstunden nur die Vergütung für 7 Stunden erhalten. Das verstößt gegen § 4 Abs. 1 EFZG bzw. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 BUrlG (BAG, Urteil vom 13.02.2002, 5 AZR 470/00, AP Nr. 57 zu § 4 EFZG, NZA 2002, 683 zur Entgeltfortzahlung; BAG, Urteil vom 05.09.2002, 9 AZR 244/01, AP Nr. 17 zu § 3 BUrlG 5-Tage-Woche, NZA 2003, 726 zum Urlaub).

3. Der Anspruch auf einen zusätzlichen Urlaubstag ergibt sich aus § 3.2 UrlAbk. Die Beklagte ist dem Anspruch nur insoweit entgegen getreten, als sie die Geltung des UrlAbk in Abrede stellt. Unstreitig wird bei der Beklagten ein Urlaubskonto geführt, welches den noch bestehenden Urlaubsanspruch ausweist. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass das Urlaubskonto richtig geführt wird und muss sich nicht darauf verweisen lassen, den zusätzlichen Urlaubstag erst bei dessen tatsächlicher Inanspruchnahme ggf. einklagen zu müssen.

4. Die Klägerin hat die Geltung der 35-Stunden-Woche mit Schreiben vom 22.08.2007 geltend gemacht. Der Urlaubstag wurde spätestens mit der am 05.10.2007 zugestellten Klagschrift vom 24.09.2007 beansprucht. § 18 MTV steht der Geltendmachung der Ansprüche deshalb nicht entgegen.

II.

Ein Anspruch der Klägerin auf die Gutschrift weiterer 130 Stunden besteht nicht. Ansprüche auf Zeitgutschriften bis zum 31.12.2006 sind verfallen, weil sie nicht gemäß § 18.1.2 MTV bis zum 31.07.2007 geltend gemacht wurden.

1. Nach § 18.1.2 MTV sind alle Ansprüche - mit Ausnahme der Ansprüche auf Zuschläge aller Art - innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Sie sind verwirkt, wenn der Beschäftigte nicht durch unverschuldete Umstände außer Stande war die Fristen einzuhalten. Fällig ist eine Leistung ab dem Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger diese verlangen kann (§ 271 Abs. 1 BGB). Die Betriebsvereinbarung vom 07.12.2005 enthält keine Regelung zur Fälligkeit der Zeitgutschriften, sondern nur einen jährlichen Ausgleichszeitraum. Lediglich dem Betriebsrat wird der Stand des Arbeitszeitkontos monatlich mitgeteilt. Die Arbeitnehmer können das Zeitkonto taggenau abfragen. Die Kammer geht deshalb wie das Arbeitsgericht in Anlehnung an § 11.2 Abs. 2 MTV davon aus, dass die Zeitgutschrift spätestens mit dem Ende des Monats fällig wurde, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeit geleistet wurde (ebenso LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.07.2009, 8 Sa 29/08; a.A. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.11.2008, 7 Sa 54/08). Damit waren die Zeitgutschriften für bis zum 31.12.2006 geleistete Arbeitszeiten spätestens am 31.01.2007 fällig. Die Ausschlussfrist endete, wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, danach am 31.07.2007. Die erstmalige Geltendmachung erfolgte jedoch erst mit Schreiben vom 22.08.2007.

Soweit sich möglicherweise für Urlaubszeiten etwas anderes ergeben könnte (BAG, Urteil vom 05.09.2002, 9 AZR 244/01, a.a.O., Rdnr. 59 ff.), hat die Klägerin nicht dargelegt, für welche Zeiten § 18 MTV nicht einschlägig ist.

3. Die Beklagte kann sich auf die Geltung der Ausschlussfristen auch berufen. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte mit der nicht tarifgebundenen Klägerin im Arbeitsvertrag vom 24.06.2005 die 40-Stunden-Woche vereinbaren durfte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Klägerin von der Geltendmachung ihrer tarifvertraglichen Rechte abgehalten hat, zumal die Beklagte von dem Gewerkschaftsbeitritt der Klägerin bis zum 22.08.2007 keine positive Kenntnis hatte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V.m. §§ 91a), 92 ZPO.

1. Soweit die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, ist die Kammer bei einem Streitwert von EUR 10579,12 mit Schwerpunkt auf der Geltung der 35-Stunden-Woche unter Heranziehung des § 92 Abs. 2 ZPO im Ergebnis wie die erste Instanz von einem Obsiegen der Klägerin ausgegangen. Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus § 3 ZPO, wobei die Kammer wie das Arbeitsgericht beim Antrag 1 a), b) zunächst vom 36-fachen monatlichen Differenzbetrag zwischen einer 35- und einer 40-Stundenwoche ausgegangen ist (EUR 11285,12). Hiervon war der Wert des Leistungsantrags Ziff. 2 (EUR 4706,--) in Abzug zu bringen, weil Feststellungsantrag und Leistungsantrag insoweit wirtschaftlich identisch sind. Den Feststellungsantrag Ziff. 1 c) - m) hat die Kammer wie das Arbeitsgericht mit EUR 4000,-- bewertet.

2. Bezüglich des Antrags Ziffer 2 (Zeitgutschrift über 325 Stunden), der in vollem Umfang Gegenstand des Berufungsverfahrens war, ist wie in erster Instanz die Klägerin bei einem Streitwert in Höhe von EUR 4.706,-- (325 Stunden á EUR 14,46) mit EUR 1.882,40 (130 Stunden), die Beklagte mit EUR 2.823,60 (195 Stunden) unterlegen.

3. Bezüglich des Antrags Ziffer 3 (1 Urlaubstag, Streitwert EUR 101,35 ) ist die Beklagte auch im Berufungsverfahren unterlegen.

4. Dies ergibt bei einem Gegenstandswert für das Berufungsverfahren in Höhe von EUR 15.386,47 eine Kostenquote von 7/8 für die Beklagte und 1/8 für die Klägerin. Die durch die Berufungsrücknahme der Klägerin entstandenen Kosten waren nach der erfolglosen Anschlussberufung nicht gesondert in Ansatz zu bringen.

IV.

Die Kammer hat für die Beklagte die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Die Zulassung erfolgte im Hinblick auf das beim Bundesarbeitsgericht anhängige Verfahren 4 AZR 424/09.

Ende der Entscheidung

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