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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 11.08.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 10/06
Rechtsgebiete: MTV, SGB IV, SGB XI, BGB, ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

MTV § 4.4
SGB IV § 257 Abs. 2
SGB XI § 61 Abs. 2
BGB § 278
BGB § 626
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
BetrVG § 2 Abs. 1
BetrVG § 74
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG § 102 Abs. 2
BetrVG § 102 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 10/06

verkündet am 11.08.2006

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Keiper und den ehrenamtlichen Richter Löhlein auf die mündliche Verhandlung vom 11.08.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 6.12.2005 - Az.: 25 Ca 5000/05 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der beklagten Arbeitgeberin vom 09.05.2005.

Der am 21.10.1947 geborene und verheiratete Kläger hat 4 Kinder. Drei der erwachsenen Kinder bedürfen wegen eines Studiums oder wegen Arbeitslosigkeit der finanziellen Unterstützung des Klägers.

Der Kläger wurde am 25.09.1972 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Elektromechaniker eingestellt und arbeitete seit 1973 als Labortechniker gegen eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von ca. 3.500,00 €.

Die Beklagte, spezialisiert auf Automatisierungs- und Netzwerktechniken, beschäftigt im Werk N. ca. 550 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ein Betriebsrat ist gebildet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Gemäß § 4.4 des Manteltarifvertrages ist der Kläger altersgeschützt.

Der Kläger bezog von der Beklagten in der Zeit vom 01.11.2000 bis zum 31.01.2005 einen monatlichen Zuschuss zur privaten Kranken-/Pflegeversicherung gemäß §§ 257 Abs. 2 SGB IV und 61 Abs. 2 SGB XI (insgesamt 8.988,40 €), obwohl er in dieser Zeit nicht Mitglied in einer privaten Krankenversicherung war. Der Kläger war zunächst Mitglied in der G. Krankenversicherung. Diese Mitgliedschaft endete zum 31.10.2000 durch Kündigung der G. Krankenversicherung wegen Beitragsrückständen. Seit 01.02.2005 ist der Kläger bei den B. Versicherungen kranken-/pflegeversichert.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger vor dem Monat Januar 2005 zur Vorlage von Unterlagen über das Bestehen einer privaten Krankenversicherung aufgefordert worden ist. Jedenfalls im Januar 2005 forderte die Beklagte den Kläger - wie alle privatversicherten Mitarbeiter - auf, eine Bescheinigung über das Bestehen einer privaten Kranken-/Pflegeversicherung vorzulegen. Daraufhin übermittelte am 25.01.2005 die Ehefrau des Klägers der Beklagten ein von ihr unterschriebenes Fax über die Höhe des monatlichen Kranken-/Pflegeversicherungsbetrages bei der B.. Nachdem die Beklagte die Form dieser Bescheinigung beanstandet und eine ordnungsgemäße Bescheinigung mehrfach reklamiert hatte, übermittelte die Ehefrau des Klägers am 16.03.2005 eine Aufstellung der B. über die Versicherungsleistungen per Fax. Das Beginndatum der Versicherung war dieser Aufstellung nicht zu entnehmen. Dies wurde von der Beklagten noch am gleichen Tag beanstandet. Am 30.03.2005 erhielt die Beklagte eine Bescheinigung der B. Versicherungen, die einen Versicherungsbeginn ab dem 01.02.2005 aufwies. Am 31.03.2005 und 26.04.2005 wurde der Kläger von der Beklagten zur lückenlosen Vorlage der Bescheinigungen für den Zeitraum 01.11.2000 bis 31.01.2005 aufgefordert. Im Schreiben vom 26.04.2005 wurde dem Kläger eine Frist bis zum 03.05.2005 gesetzt und eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht. Am 02.05.2005 übermittelte die Ehefrau des Klägers eine Bescheinigung der G. Krankenversicherung über die Mitgliedschaft des Klägers für den Zeitraum 01.11.1999 bis 31.10.2004 per Fax (Bl. 20 d. erstinstanzlichen Akte). Im beigefügten Schreiben erklärte die Ehefrau des Klägers, dass für ihren Ehemann in der Zeit vom 01.11.2004 bis zum 31.01.2005 keine Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung bestanden habe. Sie bat um Einbehaltung des überzahlten Betrages in der Lohnabrechnung des nächsten Monats. Am 02.05.2005 forderte die Beklagte den Kläger telefonisch auf, die Originalbescheinigung der G. Krankenversicherung bis zum 03.05.2005 vorzulegen. Am 04.05.2005 übermittelte der Kläger das Original per Hauspost. Dabei war die Unterschrift auf der Bescheinigung mit einem blauen Stift nachgezogen. Ebenfalls am 04.05.2005 erhielt die Beklagte auf ihre Nachfrage ein Schreiben der G. Krankenversicherung, wonach der Kläger lediglich im Zeitraum 01.11.1999 bis 31.10.2000 Mitglied war.

Am 04.05.2005 wurde dem Kläger im Beisein eines Betriebsratsmitglieds Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er wurde anschließend unter Erteilung eines Hausverbotes von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Mit Schreiben vom 04.05.2005 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen und fristlosen Kündigung des Klägers an (Bl. 46-48 d. erstinstanzlichen Akte).

Mit Schreiben vom 06.05.2005, bei der Beklagten eingegangen am 07.05.2005 teilte die Ehefrau des Klägers der Beklagten Folgendes mit:

Mein Mann wusste von der ganzen Sache nichts, er war nicht KV/PF vom 01.11.2000 bis 31.01.2005. Aus diesem Grund ließ ich mich auch dazu hinreisen, das Datum auf der Bescheinigung von der G. Versicherung zu manipulieren, ohne darüber nachzudenken, was das für Auswirkungen für meinen Mann hat. Finanzielle Schwierigkeiten haben mich dazu veranlasst, keine weitere privat KV/PF für meinen Mann abzuschließen. Er war immer der Meinung er sei KV/PF versichert.

Mein Mann ist seit 33 Jahren bei der Firma H. und hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Ich bitte Sie deshalb nochmals meinen Mann wieder an seinen Arbeitsplatz zurückzulassen. ...

Der Betriebsrat wurde über dieses Schreiben der Ehefrau des Klägers nicht in Kenntnis gesetzt.

Der Kläger bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats und behauptet, von den wesentlichen Kündigungstatsachen keine Kenntnis gehabt zu haben. Er habe weder gewusst, dass er im Zeitraum von November 2000 bis Januar 2005 nicht kranken-/pflegeversichert war noch habe er Kenntnis von den Urkundenfälschungen seiner Ehefrau gehabt. Seine Ehefrau, Sekretärin bei einem Großunternehmen, nehme regelmäßig alleine die Post der Familie entgegen und erledige uneingeschränkt alle schriftlichen Angelegenheiten des Klägers. Das Kündigungsschreiben der G. Krankenversicherung habe seine Ehefrau ihm vorenthalten. Nachdem er im fraglichen Zeitraum nicht erkrankt gewesen sei und seine Kinder über seine Ehefrau mitversichert gewesen seien, sei ihm der fehlende Versicherungsschutz auch nicht aufgefallen. Den Versicherungsantrag bei den B. Versicherungen habe er unterschrieben, nachdem seine Ehefrau ihm mitgeteilt habe, die Versicherungsprämien seien günstiger als die der G.. Die Urkundenfälschung seiner Ehefrau habe er bei Übergabe des gefälschten Originals am 04.05.2005 auch nicht erkennen können.

Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die fristlose Kündigung vom 09.05.2005, zugegangen am 10.05.2005, nicht zum 10.05.2005 geendet hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass aufgrund des Betruges und der Urkundenfälschung das Vertrauensverhältnis zum Kläger irreparabel zerstört worden sei. Es sei unglaubwürdig und lebensfremd, dass der Kläger von den ganzen Vorgängen keine Kenntnis gehabt habe. Jedenfalls müsse sich der Kläger aber das Verschuldens einer Ehefrau gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.

Das Arbeitsgericht hat im am 06.12.2005 verkündeten Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung führt das Urteil insbesondere an, dass die darlegungsbelastete Beklagte den Vortrag des Klägers, wonach er von den ganzen Vorgängen keine Kenntnis gehabt habe, nicht entkräftet habe. Das Verschulden seiner Ehefrau sei dem Kläger nicht gemäß § 278 BGB zuzurechnen. Im Übrigen sei die vorliegende Kündigung auch wegen der nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung unwirksam. Die Beklagte habe dem Betriebsrat das Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 06.05.2005 nicht mitgeteilt. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses der Beklagten am 11.01.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.01.2006 eingelegte und am 09.03.2006 ausgeführte Berufung der Beklagten. Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte insbesondere vor, dass die Einlassungen des Klägers, wonach er von den wesentlichen Vorgängen keine Kenntnis gehabt habe, als reine Schutzbehauptungen zu werten seien. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger in einem Zeitraum von über 4 Jahren nichts von der Beendigung seiner privaten Krankenversicherung gewusst habe. So habe er am 11.02.2005 einer Mitarbeiterin der Beklagten mitgeteilt, dass er bereits mehrfach selbst mit der Krankenversicherung Kontakt aufgenommen habe. Auch die Einlassung des Klägers, dass er im Zeitraum von über 4 Jahren keinen Arzt aufgesucht habe, sei nicht glaubhaft. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass er keine Kenntnis von der Unterschriftsfälschung gehabt habe, nachdem er das gefälschte Original am 04.05.2005 in die Werkspost gelegt habe. Jedenfalls hätte das Verhalten der Ehefrau dem Kläger gemäß § 278 BGB zugerechnet werden müssen. Der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Das Schreiben der Ehefrau vom 06.05.2005 sei der Beklagten erst nach der Anhörung des Betriebsrats am 04.05.2005 zur Kenntnis gelangt. Im Übrigen handele es sich bei dem Schreiben der Ehefrau um ein nachträgliches Täuschungs- und Vertuschungsmanöver und sei als reine Schutzbehauptung unbeachtlich. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 09.03.2005 verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und trägt insbesondere vor, dass die er keine Kenntnis von der Kündigung der G. Krankenversicherung gehabt habe und die ganze Zeit von einer bestehenden Krankenversicherung ausgegangen sei. Die Urkundenfälschung seiner Ehefrau sei ihm erst mit deren Schreiben vom 06.05.2005 zur Kenntnis gelangt. Er habe auch nicht zu einer Mitarbeiterin der Beklagten gesagt, dass er selbst mit der Krankenkasse Kontakt aufgenommen habe. Im fraglichen Zeitraum habe er nur ein Mal eine Zahnarztrechnung erhalten, die seine Ehefrau beglichen habe. In der zweiten Instanz, insbesondere im Berufungstermin, hat der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag berichtigt, wonach er den Versicherungsvertrag mit den B. Versicherungen selbst abgeschlossen habe. Der Kläger trägt nunmehr vor, dass seine Ehefrau den Versicherungsvertrag mit den B. Versicherungen in seinem Namen abgeschlossen habe.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, weil dem Betriebsrat das Schreiben seiner Ehefrau nicht vorgelegt worden sei. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 05.05.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.05.2005 aufgelöst worden, da diese Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden ist.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach Satz 3 dieser Norm ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, ist eine Kündigung nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Die Beteiligung des Betriebsrats dient in erster Linie dem Zweck, ihm die Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorzubringen und in geeigneten Fällen beizutragen, dass es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt (z.B.: BAG 16.11.2003 - 2 AZR 707/01 -AP Nr. 129 zu § 102 BetrVG 1972, Gründe B I 1). Um diesen Zweck zu erreichen, muss der Inhalt der Mitteilung so bemessen sein, dass sich der Betriebsrat über den Kündigungssachverhalt ein Bild machen kann. Nur so wird er in die Lage versetzt, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sachgerecht vorzubringen. Der Umfang der Mitteilung wird durch den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsatz der subjektiven Determinierung geprägt. Der Arbeitgeber ist danach nur verpflichtet, dem Betriebsrat die Kündigungsgründe mitzuteilen, auf die er seine Kündigung stützen will. Der Betriebsrat ist bereits dann ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG 15.11.1995 - 2 AZR 974/94 - AP Nr. 73 zu § 102 BetVG 1972).

Nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist eine bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige Mitteilung der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe wie eine Nichtinformation des Betriebsrats zu behandeln. Sie kann nicht nur in der Aufbereitung der mitgeteilten Tatsachen, sondern auch in der Weglassung gegen die Kündigung sprechender, den Arbeitnehmer entlastender Information bestehen und führt zur Unwirksamkeit der Kündigung entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wenn die bewusst irreführend dargestellten bzw. weggelassenen Tatsachen nicht nur eine unzutreffende Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhaltes bewirken. Der Arbeitgeber verletzt durch eine derartige Darstellung nicht nur die im Anhörungsverfahren geltende Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach §§ 2 Abs. 1, 74 BetrVG, sondern er setzt den Betriebsrat auch außer Stande, sich ein zutreffendes Bild von den Gründen für die Kündigung zu machen. Die bewusst unvollständige Information ist nicht mit dem Grundsatz der subjektiven Determinierung zu rechtfertigen (BAG 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 - AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972, II 3 a der Gründe). Sind dem Arbeitgeber daher für den Arbeitnehmer sprechende Tatsachen bekannt, muss er diese dem Betriebsrat mitteilen. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass gegen die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen sprechende Umstände dem Betriebsrat mitzuteilen sind (BAG 02.11.1983 - 7 AZR 65/82 - AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972; BAG 22.09.1994 -2 AZR 31/94 - a.a.O.). Weiterhin hat das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang Entscheidungen getroffen, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Anhörungsverfahrens dem Betriebsrat beim Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung auch vom zu kündigenden Arbeitnehmer verfasste Gegendarstellungen zu erteilten Abmahnungen des Arbeitgebers mitzuteilen sind (BAG 31.08.1989 - 2 AZR 453/88 - AP Nr. 1 zu § 77 LPVG SchleswigHolstein; 17.02.1994 - 2 AZR 673/93- nv, recherchiert nach Juris). Dieser Rechtsprechung wird in der Literatur weitgehend zugestimmt (APS-Koch, 2. Aufl., § 102 BetVG Rnr. 88 ff.; KR-Etzel, 7. Aufl., § 102 BetrVG Rnr. 64 f.; Fitting BetrVG 23. Aufl., § 102 Rnr. 24; Erfurter Kommentar-Kania, 6. Aufl., § 102 BetrVG Rnr. 8 ff.; Richardi-Thüsing BetrVG 9. Aufl., § 102 Rnr. 65).

Der Arbeitgeber muss aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit dem Betriebsrat den zu kündigenden Arbeitnehmer entlastende Umstände auch dann mitteilen, wenn er von ihnen erst nach Beginn des Anhörungsverfahrens und vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt. Auch in diesem Falle ist der Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung (vollständige Unterrichtung des Betriebsrates, damit er mit seiner Stellungnahme evtl. auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss nehmen kann) nur dann gewahrt, wenn dem Betriebsrat innerhalb der Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG entlastende Umstände nachgereicht werden oder nach Ablauf dieser Fristen und vor Ausspruch einer Kündigung das Anhörungsverfahren wiederholt wird (vgl. KR-Etzel, a.a.O. § 102 BetrVG Rnr. 80). Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass das Anhörungsverfahren wiederholt werden muss, wenn sich vor Ausspruch der Kündigung der dem Betriebsrat im ersten Anhörungsverfahren unterbreitete Sachverhalt in wesentlichen Punkten zugunsten des Arbeitnehmers geändert hat (BAG 28.06.1984 - 2 AZR 217/83 - nv, recherchiert nach Juris: Einführung von Kurzarbeit beim Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung).

2. Wenn man diese Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt anwendet, steht für die erkennende Kammer fest, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden ist. Die Beklagte hat dem Betriebsrat den Kläger entlastende Umstände nicht mitgeteilt.

Die Beklagte hat vom Schreiben der Ehefrau des Klägers am 07.05.2005 Kenntnis erlangt, in dem die Ehefrau des Klägers der Beklagten mitgeteilt hat, dass der Kläger von der ganzen Sache nichts gewusst habe, insbesondere nichts vom fehlenden Versicherungsschutz und der Urkundenfälschung der Ehefrau. Dieses Schreiben und die darin enthaltenen Äußerungen der Ehefrau des Klägers sind geeignet, den Kündigungssachverhalt in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen. Im Anhörungsschreiben der Beklagten vom 04.05.2005 ist die Beklagte - nach dem Wissenstand am 04.05.2005 völlig zu Recht - davon ausgegangen, dass der Kläger Täter des Betrugs und der Urkundenfälschung gewesen ist. Wenn die Aussagen der Ehefrau im Schreiben vom 06.05.2005 stimmen, kann dieser Vorwurf mangels Kenntnis des Klägers vom fehlenden Versicherungsschutz bzw. keiner Tatbegehung nicht mehr aufrechterhalten werden. Das Schreiben der Ehefrau stellt deshalb einen den Kläger wesentlich entlastenden Umstand dar. Die Beklagte hat dem Betriebsrat dieses Schreiben nicht mit dem Argument vorenthalten dürfen, dass es sich hierbei um ein nachträgliches Täuschungs- und Vertuschungsmanöver des Klägers und eine reine Schutzbehauptung handelt. Wie bei der Mitteilung von Gegendarstellungen zu Abmahnungen oder bei der Benennung von Entlastungszeugen hat der Arbeitgeber mit der Mitteilung solcher den zu kündigenden Arbeitnehmer entlastender Umstände den Betriebsrat erst in die Lage zu versetzen, sich selbst ein Bild über diese Informationen zu machen. Von Fällen, wo entlastende Umstände irrelevant oder offenkundig haltlos sind, abgesehen, dürfen den zu kündigende Arbeitnehmer entlastende Umstände nicht von vornherein mit der Wertung als Schutzbehauptung verschwiegen werden.

Wie oben ausgeführt, hätte die Beklagte nach Kenntnis des Schreibens der Ehefrau des Klägers am 07.05.2005 dem Betriebsrat dieses Schreiben innerhalb der mindestens bis zum 07.05.2005 laufenden Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nachreichen müssen.

Die unterlassene Mitteilung von den den Kläger entlastenden Umständen gegenüber dem Betriebsrat führt zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.

3. Da die vorliegende Kündigung bereits aufgrund der fehlerhaften Betriebsratsanhörung unwirksam ist, kommt es nicht darauf an, ob die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB wirksam ist.

Im Hinblick auf die Erörterungen im Berufungstermin möchte die erkennende Kammer jedoch noch einmal betonen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Tatkündigung nur dann wirksam sein könnte, wenn das Gericht davon überzeugt ist (§ 286 ZPO), dass der Kläger bewusst und gewollt mit seiner Ehefrau zusammengewirkt (vgl. dazu z.B. BAG 05.11.1992 - 2 AZR 147/92 - AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit) und damit Kenntnis vom fehlenden Versicherungsschutz und den Urkundenfälschungen gehabt hat. Pflichtwidrigkeiten und strafbare Handlungen seiner Ehefrau können dem Kläger nicht gemäß § 278 BGB zugerechnet werden. Die Ehefrau des Klägers ist nicht als gesetzliche Vertreterin, etwa im Rahmen der Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB), für den Kläger tätig geworden. Sie hat auch nicht als Erfüllungsgehilfin für den Kläger gehandelt, da nicht ersichtlich ist, dass sie mit Willen des Klägers die Pflichtwidrigkeiten im Zusammenhang mit der Vorlage von Unterlagen der privaten Krankenversicherung begangen hat.

III.

Da somit die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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