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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 30.07.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 38/03
Rechtsgebiete: ArbGG, TVG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 69 Abs. 2
TVG § 4 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 38/03

verkündet am 30.07.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Keiper und den ehrenamtlichen Richter Vischer auf die mündliche Verhandlung vom 30.07.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 31.03.2003 - Az.: 19 Ca 7055/02 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage des Klägers auf zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld für das Jahr 2001 in Höhe von x.xxx,xx € zu Recht für begründet erachtet.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld für das Jahr 2001 gemäß § 4.3 des Urlaubsabkommens für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden (im Folgenden: Urlaubsabkommen).

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund eines Anerkennungstarifvertrages und der Mitgliedschaft des Klägers in der xxxxxxx die Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Der Kläger fällt in den persönlichen Geltungsbereich des Urlaubsabkommens gemäß § 1.1.3. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 1.1.3.2 Urlaubsabkommen ist nicht gegeben. Der Kläger ist deshalb kein sogenannter AT-Angestellter, da er unter den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt (vgl. Kempen/Zachert, Tarifvertragsgesetz, 3. Auflage, § 1 Rz. 70; Fitting BetrVG 21. Auflage § 87 Rz. 481). Das Urlaubsabkommen kennt nicht den Begriff des sogenannten AT-Angestellten. Es ist deshalb nicht möglich, Arbeitnehmer trotz Vorliegens der persönlichen Voraussetzungen eines Tarifvertrages zu sogenannten AT-Angestellten zu "befördern" (vgl. dazu Küttner Personalbuch 2001 "AT-Angestellte" Rz. 3).

2. Der Anspruch des Klägers auf ein zusätzliches Urlaubsgeld gemäß Ziffer 4.3 des Urlaubsabkommens wird nicht durch die Regelungen im Anstellungsvertrag vom xx.xx.xxxx ausgeschlossen. Der individuelle Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG ergibt, dass die tarifliche Regelung in § 4 Urlaubsabkommen nicht durch die Bestimmungen im Anstellungsvertrag verdrängt wird, weil die Vereinbarungen im Anstellungsvertrag für den Kläger ungünstiger sind.

Verglichen werden müssen nach § 4 Abs. 3 TVG die im Tarifvertrag einerseits und der abweichenden arbeitsvertraglichen Abmachung andererseits geregelten Arbeitsbedingungen. Welche der jeweils im Tarifvertrag und der anderen Abmachung geregelten Arbeitsbedingungen in den Vergleich einzubeziehen sind, sagt das Gesetz nicht. Von vornherein kann das nicht die Gesamtheit aller Arbeitsbedingungen sein. Sonst wäre z. B. den Arbeitsvertrags- und Betriebsvereinbarungsparteien die Möglichkeit eröffnet, tarifpolitische Ziele zu konterkarieren, indem sie auf einem anderen Feld der Arbeitsbedingungen Verbesserungen gegenüber dem Tarifvertrag vorsehen. Längerer Urlaub oder eine Verkürzung der Arbeitszeit etwa könnten durch eine Erhöhung der Entgelte abgekauft werden. Umgekehrt dürfen Regelungen des Tarifvertrages als auch der anderen Abmachung nicht aus ihrem Regelungszusammenhang gerissen werden, so dass das Günstigkeitsprinzip nach Art einer "Rosinentheorie" ein Ergebnis günstigster Arbeitsbedingungen hervorbringt, das weder die Tarifvertragsparteien noch die Arbeitsvertragsparteien gewollt haben (vgl. Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 4 Randziffer 197). Es sind deshalb die Bestimmungen zu vergleichen, die im Arbeitsvertrag und im Tarifvertrag in einem sachlichen Zusammenhang stehen, d. h. es hat ein Sachgruppenvergleich zu erfolgen (BAG, Urteil vom 23.05.1984 - 4 AZR 129/82 - AP Nr. 9 zu § 339 BGB; Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 6. Auflage, § 4 Rz. 470 ff.; Kempen/Zachert, a.a.O., § 4 Rz. 188). Welche Bestimmungen für den Vergleich zusammenzufassen sind, ist im Einzelfall durch Auslegung des Arbeitsvertrages und des Tarifvertrages zu ermitteln. Fehlt es an anderweitigen Anhaltspunkten, so sind die sachlich entsprechenden Regelungen miteinander zu vergleichen, wobei vor allem maßgebend ist, ob die Bestimmungen denselben Gegenstand betreffen (BAG, Urteil vom 23.05.1984 a.a.O.). Maßgebender Zeitpunkt für den Günstigkeitsvergleich ist der Augenblick, in dem die beiden einander widersprechenden Regelungen zum ersten Mal gegenübergestellt werden können. Unzulässig ist ein Vergleich im Nachhinein nach Ablauf bestimmter Abrechungszeiträume. Eine Kompensation untertariflicher und übertariflicher Vertragsleistungen im Zeitlauf ist erlaubt, wenn sich im Voraus und mit Sicherheit feststellen und berechnen lässt, dass in der Gesamtsituation des Arbeitnehmers eine Verbesserung eintritt. Bleibt unsicher, ob die übertariflichen Leistungen den Arbeitnehmer innerhalb des in Frage kommenden Vergleichszeitraums überhaupt besser stellen, dann scheidet eine Anwendung des § 4 Abs. 3 TVG aus, und es gilt der Tarifvertrag (Wiedemann/Wank, TVG, 6. Auflage, § 4 Rz. 465; Kempen/Zachert a.a.O., § 4 Rz. 189).

Wenn man diese Rechtsgrundsätze auf die Vergleichsberechnung zwischen den Regelungen im Anstellungsvertrag und im Urlaubsabkommen zugrunde legt, ist im Rahmen eines Sachgruppenvergleichs gegenüberzustellen, was dem Kläger während einer Urlaubszeit tarifvertraglich und arbeitsvertraglich zustehen würde. Dabei ist zunächst auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der vom Tarifvertrag abweichende Anstellungsvertrag geschlossen wurde, nämlich der xx.xx.xxxx. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger gemäß dem Anstellungsvertrag für einen Grundurlaub von xx Arbeitstagen einen Anspruch auf Vergütung in Höhe von ca. (gerechnet mit 1,5 Monatsgehältern) DM xx.xxx,-- (DM xx.xxx,- Urlaubsentgelt + DM x.xxx,- Urlaubsvergütung gemäß Ziffer 5 des Anstellungsvertrages). Demgegenüber standen deutlich höhere tarifvertragliche Ansprüche für xx Urlaubstage in Höhe von ca. (ebenfalls gerechnet mit 1,5 Monatseinkommen) DM xx.xxx,--. Der tarifvertragliche Anspruch errechnet sich folgendermaßen: Der Kläger war im Jahr xxxx bei der Beklagten in Tarifgruppe T x/x eingruppiert und erhielt eine Leistungszulage in Höhe von 15 %. Bei einer 40-Stunden-Woche stand dem Kläger deshalb gemäß der Gehaltstafel gültig ab dem xx.xx.xxxx nach dem Gehaltsabkommen für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom xx.xx.xxxx eine Monatsvergütung von DM x.xxx,xx zu. Zusammen mit dem zusätzlichen Urlaubsgeld in Höhe von 50 % ergibt dies für 1,5 Monate einen Anspruch in Höhe von DM xx.xxx,--.

Selbst wenn man die Rechtsaufassung der Beklagten zugrunde legt, wonach die Gesamtvergütung nach dem Anstellungsvertrag und nach dem Tarifvertrag zu vergleichen sind, führt dies auch zu keinem anderen Ergebnis, da auch hier die arbeitsvertragliche Regelung für den Kläger günstiger ist. Gemäß dem Anstellungsvertrag hatte der Kläger xxxx ein Jahresgehalt in Höhe von DM xx.xxx,- zu beanspruchen (DM x.xxx x 12 Monate + DM x.xxx,- Urlaubsgeld). Der Kläger hatte keinen Anspruch auf eine Mehrarbeitsvergütung und auf eine Jahresonderzahlung. Die Bonusregelung in Ziffer 2 des Anstellungsvertrages ist ergebnisabhängig, der Höhe nach deshalb ungewiss und somit nicht in den Günstigkeitsvergleich miteinzubeziehen (s. o.).

Demgegenüber hatte der Kläger 1995 einen tariflichen Anspruch auf ein Jahresgehalt von deutlich über DM xxx.xxx,--:

Jahresgehalt (T x/x, 40-Stunden-Woche, 15 % Leistungszulage): DM x.xxx,xx x 12 Monate = DM xx.xxx,--

Jahressonderzahlung (50 % eines Monatseinkommens): DM x.xxx,--

Urlaubsgeld (36 Tage x Tagesentgelt in Höhe von DM xxx,xx x 50 % = DM x.xxx,-).

Dabei sind angefallene Mehrarbeitsstunden noch nicht berücksichtigt.

Damit steht fest, dass auch bei einem Gesamtvergleich die tarifliche Regelung günstiger gewesen wäre.

3. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld beim gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte (BAG, Urteil vom 23.01.1996 - 9 AZR 891/94 - AP Nr. 9 zu § 47 SchwbG 1986).

4. Die rechnerische Richtigkeit der Klage ist von der Beklagten nicht bestritten worden.

III.

Da somit die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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