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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.08.2006
Aktenzeichen: 2 TaBV 8/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 40 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 2 TaBV 8/05

verkündet am 11.08.2006

In dem Beschlussverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Löhlein und den ehrenamtlichen Richter Bayerbach im schriftlichen Verfahren

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 17.11.2005 - 3 BV 42/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, den Betriebsrat von der Honorarforderung des Rechtsanwalts H. L. vom 31.08.2004 in Höhe von 44,08 € freizustellen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Rechtsanwaltskosten des Betriebsrates.

Die Antragsgegnerin ist ein Drogeriemarktunternehmen (im Folgenden: Arbeitgeberin), der Antragsteller der für den Betrieb des Bezirkes P. gewählte Betriebsrat mit Sitz in B. W. (im Folgenden: Betriebsrat).

In einem Beschlussverfahren der Beteiligten wegen Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Veränderung des Arbeitszeitrahmens bedingt durch Veränderungen der Ladenöffnungszeiten" (im Folgenden: Ausgangsverfahren) ließ sich der Betriebsrat durch einen K. Fachanwalt für Arbeitsrecht vertreten. Den Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht P. im August 2004 nahm der beauftragte Anwalt, der eine Kanzlei in K. und damit ca. 30 Kilometer vom Gerichtsort P. entfernt hat, wahr. Nach Abschluss des Verfahrens in erster Instanz sandte der beauftragte Rechtsanwalt mit Schreiben vom 31.08.2004 eine Gebührennote über 948,88 € an die Arbeitgeberin. Diese Gebührennote wurde von der Arbeitgeberin in Höhe von 904,80 € bezahlt. Nicht bezahlt wurde und damit im Streit zwischen den Beteiligten sind die Fahrtkosten zum Anhörungstermin in P. und zurück in Höhe von 18,00 € (2 x 30 km x 0,30 €), das Tage- und Abwesenheitsgeld in Höhe von 20,00 € und die anteilige Mehrwertsteuer, insgesamt somit 44,08 €. Mit Schreiben vom 01.10.2004 und 17.11.2004 machte der beauftragte Rechtsanwalt diesen Betrag unter Fristsetzung bis 25.10.2004 und 01.12.2004 gegenüber der Arbeitgeberin geltend. Mit Schreiben vom 06.06.2006 übersandte der beauftragte Rechtsanwalt die noch offene Gebührennote vom 31.08.2004 auch an den Betriebsrat (Bl. 59 und 60 der zweitinstanzlichen Akte).

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der beauftragte Rechtsanwalt in der Vergangenheit seit dem Jahr 2000 viele außergerichtliche, gerichtliche und Einigungsstellenverfahren für den Betriebsrat geführt hat und die Fahrtkosten in der Vergangenheit von der Arbeitgeberin immer bezahlt worden sind. Soweit ersichtlich hat die Arbeitgeberin zum ersten Mal die Gebührennote für das Ausgangsverfahren vom 31.08.2004 um die Fahrtkosten gekürzt.

Der Betriebsrat begründet seinen auf § 40 Abs. 1 BetrVG gestützten Freistellungsanspruch damit, dass er im Ausgangsverfahren die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwaltes für notwendig erachten durfte. Es bestehe keine Verpflichtung, einen Rechtsanwalt am Sitz des Betriebes oder am Sitz des zuständigen Arbeitsgerichtes zu beauftragen. Vielmehr dürfe der Betriebsrat einen Anwalt seines Vertrauens auswählen. Insbesondere sei vorliegend zu berücksichtigen, dass der beauftragte Rechtsanwalt die Verhältnisse bei der Arbeitgeberin und im Betrieb P. durch viele außergerichtliche und gerichtliche Verfahren gut kenne. Ein guter Fachanwalt für Arbeitsrecht mit speziellen Kenntnissen im Betriebsverfassungsrecht sei im Bezirk P. nicht zu finden gewesen.

Der Betriebsrat hat in der ersten Instanz beantragt,

die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller von der Honorarforderung des Rechtsanwaltes H. L. in Höhe von € 44,08 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2004 freizustellen.

Die Arbeitgeberin hat in der ersten Instanz beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die Mehrkosten des auswärtigen Rechtsanwaltes von ihr nicht zu tragen seien. Diese seien nicht erforderlich gewesen. Der Betriebsrat sei gehalten gewesen, einen ortsansässigen oder ortsnahen Rechtsanwalt zu beauftragen. In P. und der näheren Umgebung gebe es genügend geeignete Fachanwälte für Arbeitsrecht.

Das Arbeitsgericht hat in dem am 17.11.2005 verkündeten Beschluss dem Antrag stattgegeben und den Freistellungsanspruch des Betriebsrates insbesondere damit begründet, dass der Betriebsrat die Beauftragung des Rechtsanwaltes L. nach pflichtgemäßer Abwägung aller Umstände für erforderlich halten durfte. Durch die langjährige Vertretung des Betriebsrates habe der beauftragte Anwalt die betriebsverfassungsrechtlichen Besonderheiten des Betriebes P. und der Arbeitgeberin gut gekannt. Deshalb sei eine besondere Vertrauensbasis zwischen dem Betriebsrat und dem beauftragten Rechtsanwalt vorhanden gewesen. Zur berücksichtigen sei auch, dass der beauftragte Rechtsanwalt in der Einigungsstelle, die nach dem Bestellungsverfahren errichtet worden sei, als Beisitzer tätig geworden sei. Die Distanz zwischen K. und P. verursache auch keine übermäßigen Mehrkosten. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Gegen diesen der Arbeitgeberin am 01.12.2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.12.2005 eingelegte und am 18.01.2006 ausgeführte Beschwerde der Arbeitgeberin. Zur Begründung der Beschwerde trägt die Arbeitgeberin insbesondere vor, dass der Sachverhalt und die Rechtslage des Ausgangsverfahren äußerst einfach gelagert gewesen seien. In P. gebe es mehrere Fachanwälte für Arbeitsrecht. Es sei deshalb für den Betriebsrat zumutbar gewesen, einen in P. ortsansässigen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu beauftragen.

Im Beschwerdetermin hat die Arbeitgeberin darauf hingewiesen, dass die Gebührennote vom 31.08.2004 nicht an den Betriebsrat, sondern an die Arbeitgeberin gerichtet sei und deshalb kein Freistellungsanspruch des Betriebsrates bestehe. Wegen des weiteren Vorbringens der Arbeitgeberin im zweiten Rechtszug wird auf den Schriftsatz vom 17.01.2006 verwiesen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Betriebsrat verteidigt den angefochtenen Beschluss und trägt insbesondere vor, dass die Arbeitgeberin seit dem Jahr 2000 bis zur Gebührennote vom 31.08.2004 immer die Fahrtkosten des beauftragten Anwalts getragen habe. Die Mehrkosten des beauftragten Anwaltes seien deshalb schon aufgrund einer mehrjährigen Übung zu erstatten. Der Betriebsrat habe aufgrund dieser langjährigen Übung auch keinerlei Zweifel bei der Beauftragung des K. Anwaltes gehabt. Wegen des weiteren Vorbringens des Betriebsrats im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze vom 07.02.2006, 20.03.2006 und 08.06.2006 verwiesen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

II.

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 87 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 66 Abs. 1, § 89 Abs. 2 ArbGG in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

2. In der Sache hat die Beschwerde der Arbeitgeberin nur teilweise Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Betriebsrat von der Honorarforderung des beauftragten Rechtsanwaltes vom 31.08.2004 auch in Höhe von 44,08 € freizustellen ist. Dagegen ist der Zinsanspruch des Betriebsrats nicht gegeben.

2.1 Der Betriebsrat hat einen Anspruch auf Freistellung von der restlichen Honorarforderung des beauftragten Anwaltes vom 31.08.2004 in Höhe von 44.08 € gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 2 Abs. 1 BetrVG (Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit).

Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Da der Betriebsrat grundsätzlich nicht rechts- und damit nicht vermögensfähig ist, kann er selbst keine Verträge schließen und Verbindlichkeiten eingehen.

Der Betriebsrat hat deshalb gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Übernahme der Kosten (vgl. Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 40 Rnr. 92 m.w.N.). Zu den vom Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragenden Kosten gehören auch diejenigen Kosten, die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Inanspruchnahme von Rechten des Betriebsrats anfallen. Die Kosten einer anwaltlichen Vertretung hat der Arbeitgeber dann zu übernehmen, wenn der Betriebsrat sie bei pflichtgemäßer Würdigung aller Umstände für erforderlich halten konnte (BAG, 20.10.1999 - 7 ABR 25/98 - AP Nr. 67 zu § 40 BetrVG 1972). Bei der Auswahl des beauftragten Anwalts hat der Betriebsrat auf die Kostenbelange des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Ein Betriebsrat, der nicht ein ortsansässiges, sondern ein auswärtiges Anwaltsbüro mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen will, hat daher auch zu prüfen, ob die dadurch entstehenden Mehrkosten vertretbar und sachlich gerechtfertigt sind (BAG, 20.10.1999 - 7 ABR 25/98 - a.a.O.). Die Mehrkosten der Beauftragung eines auswärtigen Anwalts kann der Betriebsrat für erforderlich halten, wenn er darlegen kann, dass er einen ebenso qualifizierten ortsansässigen Anwalt nicht finden konnte, der zur Mandatsübernahme bereit war, oder dass ihm eine solche Suche aufgrund der konkreten Umstände nicht möglich oder zumutbar war (BAG, 20.10.1999 - 7 ABR 25/98 - a.a.O., BAG, 15.11.2000 - 7 ABR 24/00 - EzA § 40 BetrVG 1972 Nr. 92).

Im vorliegenden Verfahren ist nach Auffassung der erkennenden Kammer insbesondere der unstreitige Sachverhalt zu berücksichtigen, dass die Arbeitgeberin vor Beschlussfassung des Betriebsrates über die Beauftragung des auswärtigen Anwaltes im August 2004 jahrelang in unzähligen Verfahren (vgl. den zweitinstanzlichen Schriftsatz des Betriebsrats vom 07.02.2006, Seite 4) die durch die Ortsabwesenheit bedingten Mehrkosten tatsächlich getragen hat. Erstmalig hat die Arbeitgeberin die Gebührennote für das Ausgangsverfahren plötzlich und ohne Vorankündigung um die Fahrtkosten und die Abwesenheitspauschale gekürzt. Ein solches Verhalten verstößt nach Meinung der erkennenden Kammer gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG konkretisiert für die Betriebsverfassung den allgemeinen, in § 242 BGB normierten Grundsatz von Treu und Glauben (BAG, 21.04.1983 - 6 ABR 70/82 - AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972, Gründe III 3 c). Diese Generalklausel ist nicht nur eine Auslegungsregel für die im Gesetz geschaffenen Rechte und Pflichten, sie kann darüber hinaus selbst unmittelbar Rechte und Pflichten für den Arbeitgeber und den Betriebsrat begründen (Richardi, BetrVG, 9. Aufl., § 2 Rnr. 20 m.w.N.).

Dadurch, dass die Arbeitgeberin entgegen einer langjährigen Praxis plötzlich und ohne Vorankündigung die durch die Ortsabwesenheit des beauftragten Anwaltes entstandenen Mehrkosten nicht mehr bezahlt hat, setzt sie sich in Widerspruch zu dem früheren Verhalten und missachtet den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Zwar lässt die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Parteien und Beteiligte dürfen ihre Rechtsansichten ändern. Widersprüchliches Verhalten ist aber missbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (BGH, 22.05.1985 - IV a ZR 153/83 - BGHZ 94, 334, 354, Gründe III 3 a). Dieser Grundsatz des Vertrauensschutzes beinhaltet, dass sich derjenige, der ein berechtigtes Vertrauen der Gegenpartei hervorgerufen hat, daran festhalten lassen muss (vgl. Staudinger 2005, BGB, § 242 Rnr. 288).

Vorliegend hat der Betriebsrat im maßgeblichen Zeitraum der Beschlussfassung (BAG 15.11.2000 - 7 ABR 24/00 - a.a.O.) über die Beauftragung des auswärtigen Rechtsanwaltes Anfang August 2004 nicht erkennen können, dass die Arbeitgeberin entgegen der langjährigen Praxis in ähnlichen Fällen plötzlich und ohne Ankündigung die Rechtsansicht ändern wird. Es ist für den Betriebsrat nicht erkennbar gewesen, dass die Arbeitgeberin nunmehr den Rechtsstandpunkt einnimmt, sie müsse nur die Gebühren eines ortsansässigen Fachanwaltes für Arbeitsrecht tragen. Deshalb hat der Betriebsrat Anfang August 2004 auch einen auswärtigen Rechtsanwalt im Vertrauen auf die langjährige Praxis beauftragen können. Bei einem plötzlichen Wechsel des Rechtsstandpunktes des Arbeitgebers muss dieser aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit dem Betriebsrat die Änderung so frühzeitig mitteilen, dass sich dieser bei der nächsten Beauftragung eines Anwalts zumindest auf die Rechtsansicht des Arbeitgebers einstellen kann.

Der Betriebsrat ist deshalb von den richtig berechneten Fahrtkosten des beauftragten Rechtsanwaltes gemäß VV Nr. 7003 zu § 2 Abs. 2 RVG in Höhe von 18,00 € und dem Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß VV Nr. 7005 zu § 2 Abs. 2 RVG in Höhe von 20,00 € zuzüglich der Mehrwertsteuer freizustellen. Da dem Betriebsrat schon aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ein Freistellungsanspruch gegenüber der Arbeitgeberin zusteht, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob die Mehrkosten des auswärtigen Anwaltes erforderlich im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG gewesen sind.

2.2. Dagegen hat der Betriebsrat keinen Anspruch auf Freistellung gegenüber der Arbeitgeberin wegen Zinsansprüchen des beauftragten Rechtsanwaltes. Bei einem Freistellungsanspruch scheidet ein Zinsanspruch aus, weil dieser keine Geld-, sondern eine Handlungsschuld zum Gegenstand hat (BAG, 21.11.1978 - 6 ABR 10/77 - AP Nr. 35 zu § 37 BetrVG 1972, Gründe III 5; vgl. Fitting a.a.O. § 40 Rnr. 94).

3. Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskosten- und gebührenfrei.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

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