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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 20 Sa 55/02
Rechtsgebiete: KAO


Vorschriften:

KAO § 32
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 20 Sa 55/02

verkündet am 22.01.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 20. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Augenschein, den ehrenamtlichen Richter Dietmaier und den ehrenamtlichen Richter Kolley

auf die mündliche Verhandlung vom 22.01.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 18.01.2002 - 6 Ca 254/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.04.2001 mit Auslauffrist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Die Kündigung ist mangels eines wichtigen Grundes unwirksam.

I.

1. Allerdings ist die Wirksamkeit der streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht am Maßstab des § 626 BGB, sondern am spezielleren Prüfungsmaßstab des § 55 Abs. 2 BAT in Verbindung mit § 32 der Kirchlichen Anstellungsordnung vom 27.04.1988 in der Fassung vom 19.05.2000 (künftig: KAO) zu messen, weil eine andere Kündigungsmöglichkeit vertraglich ausgeschlossen ist.

a) Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 07.01.1975 sind auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der KAO in ihrer jeweiligen Fassung anzuwenden. § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 KAO verweisen dynamisch weiter auf den BAT vom 23.02.1961 und die diesen ändernden und ergänzenden Tarifverträge.

b) Gemäß § 20 Abs. 3 KAO ist die am 17.02.1950 geborene und seit 01.11.1974 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin unkündbar, weil sie das 45. Lebensjahr vollendet hat und eine über 20-jährige Beschäftigung aufweist.

2. Nach dem Wortlaut des § 55 BAT in Verbindung mit § 32 KAO ist eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung nur in eingeschränktem Maße möglich.

a) Gemäß § 55 Abs. 1 BAT kann einem unkündbaren Angestellten nur aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Gründen fristlos gekündigt werden. Andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen, berechtigen den Arbeitgeber nicht zur Kündigung (§ 55 Abs. 2 Unterabsatz Satz 1 BAT). In diesen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedoch, wenn eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweisbar nicht möglich ist, zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen (§ 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 2 BAT).

b) § 32 Satz 1 KAO modifiziert § 55 Abs. 2 BAT und lässt eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung zu, wenn die Dienststelle oder Einrichtung, in der der Angestellte bisher tätig war, wesentlich eingeschränkt oder aufgelöst wird. Nach § 32 Satz 2 KAO ist Voraussetzung, dass dem Mitarbeiter eine zumutbare, im wesentlichen gleichwertige Beschäftigungsmöglichkeit angeboten wurde und die Vergütung nicht mehr als eine Gruppe unter den Sätzen der bisherigen Vergütungsgruppe liegt.

3. Diese Einschränkung der Möglichkeit der betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ist nicht zu beanstanden.

a) Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01 - m.w.N.) sind tarifliche Beschränkungen des außerordentlichen Kündigungsrechts zwar nicht grundsätzlich unzulässig und unvereinbar mit § 626 BGB. Allerdings kann die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund in einem Dauerschuldverhältnis nicht völlig beseitigt werden. Deshalb sind Fälle denkbar, in denen auch im Rahmen des § 55 BAT eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nach § 626 BGB in Betracht kommen kann. Erörtert wird dies etwa für den Fall, dass eine außeruniversitäre private Forschungseinrichtung, die zu 100 % von Drittmitteln abhängig und dem Drittmittelgeber gegenüber zur Vereinbarung des BAT verpflichtet ist, einem Forscher, den sie anderweitig nicht einsetzen kann, wegen Wegfalls der Drittmittel kündigen möchte (vgl. BAG, Urteil vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01 - unter II, 3 a der Entscheidungsgründe).

In dieser Entscheidung, die die außerordentliche Kündigung einer nebenberuflichen Lehrkraft wegen beschlossener Stillegung der Musikschule betraf, sah sich das BAG noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung über die Abgrenzung der Extremfälle veranlasst (a.a.O. unter II, 3 b der Entscheidungsgründe), weil die dortige Arbeitgeberin bereits keine den Anforderungen des § 626 BGB genügenden Tatsachen vorgetragen hatte (a.a.O. unter II, 5 der Entscheidungsgründe). Es hob jedoch noch einmal ausdrücklich hervor, dass im Falle einer tarifvertraglich ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung und des deshalb - uneingeschränkt - anwendbaren § 626 BGB

".... eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in extremen Ausnahmefällen möglich"

ist. "Betriebsbedingte Gründe rechtfertigen regelmäßig keine außerordentliche Kündigung. Das Betriebsrisiko hat der Arbeitgeber zu tragen. Ausnahmen hat der Senat im wesentlichen nur dann zugelassen, wenn sonst ein sinnloses Arbeitsverhältnis gegebenenfalls bis zur Pensionierung des Arbeitnehmers allein durch Vergütungszahlungen aufrecht erhalten werden müsste. Diese Rechtsprechung darf nicht dahin missverstanden werden, dass bei ordentlicher Unkündbarkeit aufgrund eines Tarifvertrages eine betriebsbedingte Kündigung stets unter etwas verschärften Voraussetzungen nunmehr als außerordentliche Kündigung möglich wäre" (a.a.O. unter II, 4 b der Entscheidungsgründe unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 13.06.2002 - 2 AZR 391/00 - unter B I, 1 b, aa und 2 a - c der Entscheidungsgründe).

Da § 55 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 BAT - über § 626 BGB hinaus - auch die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund ausschließt und den Arbeitgeber insoweit auf eine Änderungskündigung zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe verweist, wird damit das Arbeitsverhältnis des Angestellten im öffentlichen Dienst nach der erforderlichen Beschäftigungszeit, was die Intensität der Bindung anbelangt, einem Beamtenverhältnis angenähert (BAG, Urteil vom 27.06.2002 -2 AZR 367/01 - unter II, 4 c der Entscheidungsgründe). Die auch im Anwendungsbereich des § 55 BAT in Extremfällen für zulässig zu erachtende außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bedeutet deshalb nicht,

"... dass nunmehr jede Umorganisation oder Schließung einer Teileinrichtung mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst entgegen § 55 Abs. 2 BAT zu einer außerordentlichen Kündigung führen kann. Entsprechend Sinn und Zweck der Tarifvorschrift müssen die Anforderungen an eine derartige außerordentliche Kündigung ganz erheblich sein. Es kann nur darum gehen, auch unter Berücksichtigung der Annäherung des Arbeitsverhältnisses an ein Beamtenverhältnis und des Grundsatzes der Einheit des öffentlichen Dienstes zu verhindern, dass ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über einen langen Zeitraum hinweg allein noch durch Gehaltszahlungen aufrecht erhalten wird und dadurch der öffentliche Arbeitgeber in erhebliche, vor allem finanzielle Schwierigkeiten gerät" (BAG, Urteil vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01 - unter II, 4 c der Entscheidungsgründe).

Vielmehr

"....sind als Mindestvoraussetzungen für die Wirksamkeit einer derartigen Kündigung die Grundsätze heranzuziehen, die die Tarifpartner im Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 09.02.1987 (TV Rat) für einen Wegfall des Arbeitsplatzes in Folge von Rationalisierungsmaßnahmen ausdrücklich vereinbart haben. Damit haben die Tarifpartner Wertungsmaßstäbe für vergleichbare Fälle aufgestellt, die bei der Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB nicht unbeachtet bleiben dürfen" (BAG, Urteil vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01 - unter II, 4 c der Entscheidungsgründe).

b) Damit korrespondiert § 32 KAO. Die Beschränkung der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung auf Fälle der wesentlichen Einschränkung oder Auflösung der Dienststelle oder Einrichtung ist als Konkretisierung der im Rahmen des § 55 Abs. 2 BAT zwar nicht vorgesehenen, vom BAG aber als zuzulassend geforderten "Extremfälle" zu verstehen. Dass diese Regelung im Hinblick auf die vom BAG zu § 55 Abs. 2 BAT entwickelten Mindestanforderungen Bedenken begegnen könnte, ist weder ersichtlich noch von der Beklagten dargetan.

4. Die Voraussetzungen des § 32 Satz 1 KAO für eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung liegen im Streitfall nicht vor. Der Kündigung gegenüber der Klägerin liegt weder eine wesentliche Einschränkung, geschweige denn eine Auflösung einer Dienststelle oder Einrichtung, zugrunde.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass unter "Dienststelle" im Sinne des § 32 Satz 1 KAO die Beklagte selbst zu verstehen ist. Ihre "Einrichtungen" im Sinne des § 32 Satz 1 KAO sind in § 16 ihrer Ortssatzung festgelegt, nämlich die Kirchenpflege, das Kirchenregisteramt, die Kindergärten und die diakonischen Dienste. Weder eine dieser Einrichtungen, noch die Dienststelle, ist aufgelöst oder auch nur wesentlich eingeschränkt worden. Damit liegen die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung nicht vor, weshalb sich die streitgegenständliche Kündigung als unwirksam erweist, ohne dass es auf die sonstigen, von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe ankommt. Die Berufung der Beklagten erwies sich damit als unbegründet.

II.

Da die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist, hat sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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