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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.06.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 74/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611 a Abs. 4 a.F.
Macht ein Stellenbewerber eine Diskriminierung wegen Alters zu einem Sachverhalt geltend, der sich vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14.08.2006 ereignet hat, so ist die Ausschlussfrist des § 611 a Abs. 4 BGB a.F. zu beachten.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - 14 Ca 1986/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

3. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Gebührenstreitwert für den zweiten Rechtszug: 5.426,62 EUR

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen altersbezogener Diskriminierung im Zusammenhang mit zwei Bewerbungen auf zwei ausgeschriebene Dienstposten für einen Lehrer zusteht.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Grund- und Hauptschullehrer (beide Dienstprüfungen) absolviert. Außerdem ist er Diplom Pädagoge in der Studienrichtung Ausländerpädagogik. Ende 2003 bewarb er sich auf eine Angestelltenstelle als Grund- und Hauptschullehrer bei der J. A. sowie Anfang 2004 ebenfalls auf eine Angestelltenposition als Grund- und Hauptschul- sowie Realschullehrer bei der J. H. Beide Stellen waren ohne Altersgrenze ausgeschrieben. Hinsichtlich des Inhalts des Stellenangebotes für die Stelle bei der J. H. wird auf die in Anlage K4 - BI. 8 der Akte des Arbeitsgerichts Bezug vorgelegte Fotokopie Bezug genommen.

Außerdem schrieb der Kläger am 05. Januar 2004 an das J. des beklagten Landes und bekundete Interesse an einer Festanstellung wie auch stundenweisen Tätigkeit auf Honorarbasis als Lehrer (Kopie des Schreibens BI. 31 der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit Schreiben vom 10.08.04 (Anlage K3 - BI. 7 der Akte des Arbeitsgerichts) erhielt der Kläger eine Absage für die Stelle bei der J. A. mit der Begründung, "da das Einstellungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle bereits abgeschlossen ist, kann ihre Bewerbung leider nicht mehr berücksichtigt werden."

Auf seine Bewerbung um die bei der J. H. ausgeschriebene Stelle erhielt der Kläger ebenfalls eine Absage. Im Schreiben vom 17.03.2004 hieß es zur Begründung: "Leider müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass Ihre Bewerbung keine Berücksichtigung finden kann, da eine spätere Daueranstellung wegen Ihres Lebensalters nicht mehr möglich ist." (Anlage K4a - BI. 9 der Akte des Arbeitsgerichts).

Das Justizministerium beantwortete das oben genannte Schreiben des Klägers mit Schreiben vom 12.01.2004 (Anlage K5 - BI. 10 der Akte des Arbeitsgerichts). Darin teilte es dem Kläger mit, "dass für eine hauptamtliche Anstellung keine Möglichkeit besteht".

Mit der am 08. März 2007 eingereichten Klage verlangt der Kläger eine Entschädigung wegen unzulässiger Diskriminierung aufgrund seines Alters. Denn seine Bewerbung auf die Stelle in A. sei wegen seines Lebensalters abgelehnt worden. Dies sei aber in allen Fällen der Ablehnung seiner Bewerbungen anzunehmen. Deshalb hat er eine Entschädigungszahlung in einer Größenordnung von 16.279,80 EUR (dreimal die addierten Bruttogehälter für die Tätigkeiten in A. und H.) vom beklagten Land verlangt. Das beklagte Land habe in der Folge noch mehrere vergleichbare Stellen ausgeschrieben, jedoch mit Altersbegrenzung, auf die er sich nicht mehr beworben habe.

Der Kläger hat folgenden Antrag gestellt:

Das beklagte Land wird verurteilt, dem Kläger nach Ermessen des Gerichts Schadensersatz/Entschädigungsleistung nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu leisten.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist der Forderung des Klägers unter anderem unter Hinweis darauf entgegengetreten, dass die Rechtmäßigkeit der Altersgrenze für die Verbeamtung von der Verwaltungsgerichtsrechtsprechung bestätigt wurde. Geübte Praxis sei es, mit Blick auf die Höchstaltersgrenze für die Verbeamtung (Vollendung des 40. Lebensjahres) nur mit solchen Bewerbern ein Anstellungsverhältnis zu begründen, die später verbeamtet werden könnten. Dabei werde das Anstellungsverhältnis als eine Art Probezeit für die geplante Verbeamtung angesehen, und zwar auch dann, wenn dies in der Stellenausschreibung nicht zum Ausdruck komme.

Im angefochtenen Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch sei nach § 15 Abs. 4 AGG mangels rechtzeitiger Geltendmachung verfallen, und zwar ungeachtet dessen, aus welcher Rechtsgrundlage er hergeleitet werden könne. Die Frist habe mit Inkrafttreten des Gesetzes begonnen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen Klageantrag unter Darlegung seiner Rechtsauffassung weiterverfolgt, jedoch als Obergrenze für die Ausübung des richterlichen Ermessens nur noch einen Betrag von 5.426,62 EUR angibt.

Demgegenüber bittet das beklagte Land um die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt ihrer im Berufungsrechtszug vorgelegten Schriftsätze wie auch das angefochtene Urteil Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe: Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Der eingeklagte Anspruch besteht nicht. Deshalb hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Es kann unterstellt werden, dass der Kläger in Bezug auf die Ablehnung seiner Bewerbungen wegen seines Alters im Hinblick auf Art. 1 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG diskriminiert wurde, weil der Kläger auf unbestimmte Zeit hätte als Angestellter ohne Beachtung eines bestimmten Einstellungsalters beschäftigt werden können und ihm deshalb als Sanktion im Sinne des Art. 17 der genannten Richtlinie eine angemessene Entschädigung zustand, wie sie seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006 in § 15 Abs. 2 AGG vorgesehen ist. Dabei kann weiter unterstellt werden, dass diese Richtlinie, obwohl sie in Bezug auf die Frage der Altersdiskriminierung noch nicht umgesetzt war und obwohl die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, dem Kläger unmittelbare Ansprüche gewährt hat (vgl. BAG, Urteil vom 26. April 2006 - 7 AZR 500/04 - AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG). Das beklagte Land war schon vorher verpflichtet, als "öffentliche Stelle" alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der Richtlinie in der Rechtswirklichkeit Geltung zu verschaffen (vgl. BAG, Urteil vom 03. April 2007 - 9 AZR 823/06 - AP Nr. 14 zu § 81 SGB IX).

Aus Art. 17 der Richtlinie kann sich der Anspruch auf Entschädigung aber nicht unmittelbar ergeben, weil ein solcher dort nicht selbst vorgesehen ist, sondern den Mitgliedstaaten eine entsprechende Regelung überlassen wurde (vgl. BAG, Urteil vom 03. April 2007, aaO.). Diese müssen entsprechende Sanktionen vorsehen, an die bestimmte Anforderungen zu stellen sind. Art. 17 der Richtlinie selbst enthält entsprechende Sanktionen nicht.

Zum damaligen Zeitpunkt, insbesondere zum Zeitpunkt des Zugangs der letzten Ablehnung der Bewerbung des Klägers, war ein solcher Anspruch nur für schwer behinderte Menschen in § 81 Abs. 2 und 3 SGB IX in der im Jahr 2004 geltenden Fassung und für die geschlechtsbezogene Benachteiligung in § 611a Abs. 2 und 3 BGB in der bis zum 17. August 2006 geltenden Fassung vorgesehen.

Sofern aber die geregelten Ansprüche entsprechend in gemeinschaftskonformer Ausdehnung der damals vorhandenen Bestimmungen auch auf andere Diskriminierungsfälle, die also nicht auf das Geschlecht oder die Behinderung bezogen sind, anzuwenden sind, sind auch die zulässigen Einschränkungen der Ansprüche zu beachten. Dies ist im Hinblick auf die geregelten materiellen Ausschlussfristen der Fall (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie). Auch das Bundesarbeitsgericht hat in der oben zitierten Entscheidung auf die Ausschlussfrist abgehoben, obwohl die gesetzliche Bestimmung nur in europarechtskonformer Auslegung auf die dortige Klägerin angewendet wurde. Zugunsten des Klägers im vorliegenden Verfahren kann dabei von der für ihn günstigeren Regelung in § 611a Abs. 4 BGB a.F. ausgegangen werden. Danach hatte der Kläger in Übereinstimmung mit (damals) § 70 BAT jedenfalls eine Ausschlussfrist von sechs Monaten zu beachten. Die Ausschlussfrist begann jedenfalls mit dem Tag des letzten Diskriminierungsaktes zu laufen. Auf die Kenntnis des Klägers von der Ausschlussfrist kommt es nicht an, sondern nur auf die Kenntnis der Rechtsverletzung. Die Ausschlussfrist begann deshalb mit Zugang des Ablehnungsschreibens vom 10. August 2004 zu laufen. Denn wenn der Geltungsbereich der fraglichen Bestimmungen schon europarechtskonform auch auf andere Diskriminierungsfälle ausgedehnt werden muss, kann dies nicht weiter gehen als bei den in zulässiger Weise bereits geregelten Fällen. Damit war der Kläger zur Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bei einem Zugang noch im Monat August 2004 (Seite 2 der Klageschrift) bis spätestens dem entsprechenden Kalendertag im Februar 2005 genötigt. Da er sich nach seinen Ausführungen auf weitere Stellen, die eine Altersbegrenzung aufwiesen, nicht beworben hat, wurde er insoweit nach diesem Zeitpunkt auch nicht mehr diskriminiert. Denn die Ausschlussfristen stellen jeweils auf den Zugang einer Ablehnung ab, woraus der Wille des Gesetzgebers zu erkennen ist, dass auch eine Bewerbung stattgefunden haben muss. Der Kläger hat aber erst mit Schreiben vom 17.12.2006 (Anlage KII1 - Bl. 42 der Berufungsakte) seine Forderung geltend gemacht. Dies war außerhalb der Ausschlussfristen der genannten gesetzlichen Vorschriften. Damit war die Forderung auf immateriellen Schadensersatz unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt untergegangen. Ob der Kläger damit die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG, gerechnet vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes gewahrt hätte, ist bei dieser Sachlage nicht mehr von Bedeutung.

2. Da dieser eine Sanktion beinhaltende Anspruch vom Kläger nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde, kommt für ihn nur noch ein Anspruch wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB und § 341 Abs. 2 BGB in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 - VI ZR 386/94 - BGHZ 132, 13-29) kann nur bei einem schwer wiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt werden, wenn die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Soweit sich der Bundesgerichtshof mit einer "Konkurrentenklage" befasst hat, hatte er nur eine Frage des materiellen Schadensersatzes zu beurteilen, wenn der übergangene Stellenbewerber die Stelle hätte erhalten müssen, wenn nicht die Stellenbesetzung bereits erfolgt wäre (BGH, Urteil vom 06. April 1995 - III ZR 183/94 - BGHZ 129, 226-236; vgl. auch BAG, Urteil vom 02. Dezember 1997 - 9 AZR 445/96 - AP Nr. 40 zu Art 33 Abs 2 GG). Dabei hängt die Entscheidung, ob eine hinreichend schwer wiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner auch von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Weder zur Frage des Grads des Verschuldens noch zur Möglichkeit, die Verletzung in anderer Weise aufzufangen, hat der Kläger Ausführungen gemacht, da er seine Entschädigungsforderungen nur am Maßstab des kein Verschulden erfordernden § 15 Abs. 2 AGG ausgerichtet hat. Für die damalige Zeit ist aber zu berücksichtigen, dass die Sensibilität für die Frage der Altersdiskriminierung noch nicht in dem Maße entwickelt war wie heute und dass die Motivation, vom Kläger nicht konkret bezweifelt geschweige denn, soweit erforderlich, widerlegt, darin bestand, eine Einstellung nur dann vorzunehmen, wenn die Möglichkeit einer späteren Berufung ins Beamtenverhältnis bestand. Hier geht es um die Frage, dass nicht berücksichtigt wurde, den Kläger als Angestellten auch über fünf Jahre hinaus weiterbeschäftigen zu können. Eine in der Diskriminierung liegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterstellt, kann eine solche deshalb nicht als schwer wiegend erachtet werden. Jedenfalls hätte der Kläger aber die Möglichkeit gehabt, im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG sich gegen seine Ablehnung zu wenden, gegebenenfalls ein neues Auswahlverfahren zu fordern oder aber, soweit die Stelle schon besetzt war, Ansprüche auf Ersatz seines materiellen Schadens geltend zu machen. Dies hat er unterlassen. Er hat vielmehr die Ablehnungsmitteilungen für mehr als zwei Jahre ungerügt hingenommen, bevor er sich nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes der Möglichkeit eines Entschädigungsanspruchs besann. Der Kläger war also nicht darauf verwiesen, einen Ausgleich seines immateriellen Schadens zu verlangen, da er einen Anspruch auf Erhaltung oder Kompensation seiner materiellen Rechte hatte. Diese Möglichkeit hat er nicht genutzt. Da dem Sanktionsgedanken des Art. 17 der Richtlinie durch die entsprechende Anwendung der unter 1. genannten Bestimmungen Rechnung getragen worden ist, bedarf es auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2000/78/EG keiner Ausdehnung der Rechtsprechung hinsichtlich der auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts beruhenden Ansprüche auf die Möglichkeit, dem diskriminierenden potenziellen Vertragspartner gegenüber eine fühlbare Sanktion zu verhängen.

3. Ein Anspruch des Klägers ist demnach auch dann nicht begründet, wenn dem Arbeitsgericht in seiner Rechtsmeinung nicht gefolgt wird. Damit ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Das arbeitsgerichtliche Urteil hat sonach Bestand.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts in Höhe des vom Kläger vorgegebenen Forderungsrahmens erfolgt wegen § 63 Abs. 2 GKG. Wäre die Klage begründet gewesen, hätte ihm angesichts der Umstände als Sanktion für seine Zurücksetzung ein Betrag in Höhe der von ihm genannten Obergrenze zugesprochen werden können. Dieser ist als Streitwert im Rahmen des § 3 ZPO anzunehmen.

Ende der Entscheidung

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