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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 12.12.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 43/05
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, InsO


Vorschriften:

ZPO § 313 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 519
ZPO § 520
ArbGG § 64 Abs. 2 Buchst. a
ArbGG § 64 Abs. 6
InsO § 179 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 4 Sa 43/05

Verkündet am 12.12.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter, den ehrenamtlichen Richter Göbeke-Teichert und den ehrenamtlichen Richter Müller auf die mündliche Verhandlung vom 12.12.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 27.04.2005 - 12 Ca 157/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird zugelassen.

Die Parteien streiten darüber, ob eine Forderung der Klägerin in Höhe von € 2.724,96 brutto als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle festzustellen ist.

Die Klägerin war bei der Schuldnerin in deren Werk Pl. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand das Tarifwerk für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung in Baden-Württemberg Anwendung. Die Schuldnerin unterhielt Niederlassungen in Pl. und Pa..

In den Jahren 2001 bis 2003 schlossen die Schuldnerin sowie die tarifschließenden Verbände drei Ergänzungstarifverträge zur Sicherung der Standorte und der Erhaltung der Arbeitsplätze ab. Danach wurde die Anwendung insbesondere der Tarifbestimmungen über die Zahlung des zusätzliches Urlaubsgelds und der betrieblichen Sonderzahlung ganz bzw. teilweise ausgesetzt. Nach § 13 IV Ziff. 21 des Manteltarifvertrags für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung in Baden-Württemberg vom 01.01.1998 stand den Arbeitnehmern nach 6-monatiger Betriebszugehörigkeit ein Anspruch auf Gewährung eines zusätzlichen Urlaubsgelds in Höhe von 50 % des Urlaubsentgelts zu. Nach § 2 Ziff. 1 und 4 des Tarifvertrags über betriebliche Sonderzahlungen (13. Monatseinkommen) vom 09.10.1998 hatten die Arbeitnehmer zudem Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung in Höhe von 80 % des Durchschnittsentgelts bzw. nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit von 100 %.

Mit Ergänzungstarifvertrag vom 13.12.2001 vereinbarten die Vertragsparteien, dass für das Kalenderjahr 2001 kein Anspruch der Arbeitnehmer auf Zahlung eines 13. Monatseinkommens besteht. Die Schuldnerin verpflichtete sich statt dessen, im Dezember 2001 eine Prämie von 20 % und im Februar 2002 in Höhe von 10 % zu zahlen. Sie verpflichtete sich des weiteren, den Restbetrag in Form einer weiteren Prämie zu bezahlen, soweit das handelsrechtliche Halbjahresergebnis nach Steuern zum 30.06.2002 den Betrag von € 200.000,00 übersteigt. Dieses Ergebnis erreichte die Schuldnerin allerdings nicht. Für diesen Fall verpflichteten sich die Tarifvertragspartner, die entfallene Prämienzahlung in einen Besserungsschein umzuwandeln. Dieser sollte wirksam werden, sofern und soweit das handelsrechtliche Jahresergebnis nach Steuern in den Kalenderjahren 2002, 2003 oder 2004 € 400.000,00 übersteigt. Auch dieses Ergebnis erreichte die Schuldnerin nicht.

Mit einem zweiten Ergänzungstarifvertrag vom 20.11.2002, der den Ergänzungstarifvertrag vom 13.12.2001 ersetzte, vereinbarten die Tarifparteien, dass die Anhebung der Tarifentgelte zeitlich verschoben wird und für das Kalenderjahr 2002 die Tarifbestimmungen über die betrieblichen Sonderzahlungen und die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgelds ausgesetzt werden. Anstelle dieser Leistungen zahlte die Schuldnerin den Arbeitnehmern im November 2002 eine Prämie von 20 % des durchschnittlichen Monatsentgelts. Unter Einbeziehung des bereits vereinbarten Besserungsscheins im Ergänzungstarifvertrag vom 13.12.2001 vereinbarten die Tarifparteien einen erneuten Besserungsschein. Dieser sollte zur Auszahlung kommen, soweit die handelsrechtlichen Jahresergebnisse nach Steuern jeweils den Betrag von € 400.000,00 übersteigen. Dieses Ergebnis erreichte die Schuldnerin nicht. Zur Arbeitsplatzsicherung vereinbarten die Tarifparteien, dass betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis 31.12.2003 der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen.

Am 26.03.2003 schlossen die Tarifparteien einen dritten Ergänzungstarifvertrag, der den Vorgängerergänzungstarifvertrag vom 20.11.2002 ergänzte. Es wurde vereinbart, für das Kalenderjahr 2003 - entgegen der in § 3.2 des zweiten Ergänzungstarifvertrags gegebenen Garantie - die Tarifbestimmungen über betriebliche Sonderzahlungen und die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgelds auszusetzen. In § 3.1 hielten die Tarifparteien folgendes fest:

"Zwischen den Vertragsparteien ist zum Ausgleich des Wegfalls der Einmalzahlungen gemäß § 2.1 dieses Vertrages sowie unter Einbeziehung des vereinbarten Besserungsscheines in den Ergänzungstarifverträgen vom 13.12.2001 und 20.11.2002 ein erneuter Besserungsschein vereinbart. In diesen Besserungsschein werden die Beträge eingestellt, auf die gemäß § 2 Punkt 1 verzichtet worden ist. Jeder Arbeitnehmer erhält bis zum 30.06.2003 eine schriftliche Aufstellung, aus der sich das Volumen seines Besserungsscheines im einzelnen ergibt (betrifft die Beträge, die bis zum 31.12.2002 aufgelaufen sind). Zum 30.11.2003 erhält jeder Arbeitnehmer eine erneute Aufstellung, in der nunmehr auch die Beträge aus 2003 enthalten und aufgeschlüsselt sind."

Wie im Vorjahr hielten die Tarifparteien fest, dass der Besserungsschein zur Auszahlung komme, soweit die handelsrechtlichen Jahresergebnisse nach Steuern jeweils den Betrag von € 400.000,00 übersteigen. Hierzu kam es jedoch nicht. Zur Beschäftigungssicherung vereinbarten die Tarifparteien u.a., dass betriebsbedingte Kündigungen bis 31.12.2004 der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Schließlich hielten die Tarifparteien in § 8.1 folgendes fest:

"Dieser 3. Ergänzungstarifvertrag tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft und endet ohne Nachwirkung durch seine Erledigung.

Er ist auflösend bedingt für den Fall, dass die Geschäftsführung einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellt. Mit diesem Zeitpunkt tritt dieser Tarifvertrag rückwirkend außer Kraft, mit der Folge, dass die gesamten Verzichtserklärungen unwirksam werden und durchgängig die einschlägigen Flächentarifverträge Geltung gehabt hätten. Die sich daraus ergebenden Forderungen werden sofort fällig."

Am 03.02.2004 stellte die Geschäftsführung der Schuldnerin einen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 01.04.2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete daraufhin am 19.05.2004 einen Betrag von € 5.741,37 zur Insolvenztabelle an. Dieser Betrag setzte sich aus einem Teilbetrag von € 2.724,96 (Forderungsverzichte aus den Kalenderjahren 2001 und 2002) und € 3.016,41 (Forderungsverzichte aus dem Kalenderjahr 2003) zusammen. Der erstgenannte Betrag ergibt sich aus einer schriftlichen Aufstellung, die die Schuldnerin entsprechend § 3.1 des dritten Ergänzungstarifvertrages angefertigt hatte. Der Insolvenzverwalter widersprach der Forderung von € 2.724,96 zunächst vorläufig und mit Schreiben vom 15.09.2004 sodann endgültig.

Mit ihrer am 21.01.2005 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Feststellung ihrer Forderung in Höhe von € 2.724,96 brutto zur Insolvenztabelle beantragt. Sie hat vorgetragen, aufgrund des gestellten Insolvenzantrags seien die gesamten Verzichtserklärungen aller Ergänzungstarifverträge unwirksam; die einschlägigen Flächentarifverträge hätten durchgängig Geltung. Bei den Verhandlungen über den dritten Ergänzungstarifvertrag habe die Beklagte - was unstreitig ist - mitgeteilt, im Falle des Scheiterns der Gespräche drohe die Insolvenz. Deshalb seien alle Ansprüche ab 2001 in den dritten Ergänzungstarifvertrag mit hinüber genommen worden.

Die Klägerin hat beantragt:

Die klägerische Forderung in Höhe von € 2.724,96 brutto wird im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma Wellform GmbH (Amtsgericht Ludwigsburg, Az.: 4 IN 54/04) als Insolvenzforderung festgestellt.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, es habe die Gefahr bestanden, dass die Arbeitnehmer aufgrund der Vereinbarungen im dritten Ergänzungstarifvertrag ein geringeres Arbeitslosengeld erhalten würden. Ausschließlich um diese Nachteile beim Arbeitslosengeld auszugleichen, habe man die auflösende Bedingung unter Ziff. 8.1 in den dritten Ergänzungstarifvertrag aufgenommen. Zu keinem Zeitpunkt sei aber darüber diskutiert worden, die Verzichtserklärungen des ersten und/oder zweiten Ergänzungstarifvertrags wieder aufleben zu lassen. Es sei nicht vereinbart worden, dass sämtliche Ergänzungstarifverträge auflösend bedingt seien.

Mit Urteil vom 27.04.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt, die Rechtsfolgen eines gestellten Insolvenzantrags seien in § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrages in zwei Stufen geregelt. In einer ersten Stufe trete der dritte Ergänzungstarifvertrag außer Kraft. In einer zweiten Stufe sei jedoch geregelt, dass die gesamten Verzichtserklärungen unwirksam werden sollten und durchgängig die einschlägigen Flächentarifverträge Geltung hätten. Damit seien die Forderungsverzichte aus den Vorjahren angesprochen, die in den Besserungsschein des Kalenderjahres 2003 mit einbezogen worden seien. Mit Stellung des Insolvenzantrags seien die gesamten arbeitnehmerseitigen Sanierungsbeiträge in Wegfall geraten.

Gegen das ihm am 15.06.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 08.07.2005 Berufung eingelegt und diese am 11.08.2005 begründet. Er trägt vor, entsprechend der Klausel des § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags seien nur die Verzichtserklärungen dieses Ergänzungstarifvertrags weggefallen. Dies ergebe sich schon daraus, dass der dritte Ergänzungstarifvertrag den zweiten Ergänzungstarifvertrag nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt habe. Der wesentliche Unterschied zwischen den Verhandlungen über den zweiten und dritten Ergänzungstarifvertrag habe darin gelegen, dass beim dritten Ergänzungstarifvertrag die Stellung eines Insolvenzantrags im Raum gestanden habe. Daher habe die Arbeitnehmervertretung vermeiden wollen, dass die Verzichtserklärungen dieses dritten Ergänzungstarifvertrags aufrechterhalten bleiben. Die Formulierung in § 8.1 beziehe sich ausschließlich auf diesen dritten Ergänzungstarifvertrag. Der Begründung des Arbeitsgerichts, dass § 8.1 eine zweistufige Rechtsfolgenregelung enthalte, könne nicht gefolgt werden. Die Einheitlichkeit der Ergänzungstarifverträge sei zwischen den Parteien in keiner Weise gewollt gewesen.

Der Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 27.04.2005 - Az.: 12 Ca 157/05 - wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das Urteil des Arbeitsgerichts sei sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend. Dass der dritte Ergänzungstarifvertrag den zweiten Ergänzungstarifvertrag lediglich ergänzt, habe spreche nicht dagegen, sämtliche Ergänzungstarifverträge im Hinblick auf die Besserungsscheine als Einheit zu sehen. Gerade wegen der Gefahr eines Insolvenzantrags sei auf Betreiben der Arbeitnehmervertretung geregelt worden, dass sämtliche Verzichtserklärungen unwirksam würden. Aus dem Wortlaut "die gesamten Verzichtserklärungen" und "durchgängig die einschlägigen Flächentarifverträge" ergebe sich eindeutig, dass auch die vorangegangenen Verzichtserklärungen unwirksam seien.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten ist aufgrund ihrer Zulassung im Urteil des Arbeitsgerichts gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. a ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die streitgegenständlichen Forderungen der Klägerin in Höhe von € 2.724,96 brutto als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle festzustellen sind.

1. Nach § 179 Abs. 1 InsO hat der Gläubiger die Feststellung einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung durch Klage beim zuständigen Gericht (§§ 180, 185 InsO) zu betreiben, falls der Insolvenzverwalter die Forderung bestritten hat. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall hinsichtlich des streitgegenständlichen Betrags vor, nachdem der Beklagte die angemeldeten Forderungen in Höhe von € 2.724,96 brutto aufgrund der seiner Auffassung nach vorliegenden Anspruchsverzichte bestritten hat.

a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Klägerin - ohne Berücksichtigung der Anspruchsverzichte in den Ergänzungstarifverträgen vom 13.12.2001 und 20.11.2002 - in den Kalenderjahren 2001 und 2002 diejenigen Ansprüche zustanden, die in der von der Schuldnerin angefertigten Aufstellung vom 30.06.2003 (Abl. 6) aufgeführt sind. Die Ansprüche ergeben sich aus den tariflichen Bestimmungen für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung in Baden-Württemberg, die auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unstreitig Anwendung fanden. Die Ansprüche sind zwar in der Aufstellung vom 30.06.2006 lediglich zur Information der Klägerin im Einzelnen aufgeschlüsselt worden. Sie sind jedoch - von der Frage des Anspruchsverzichts abgesehen - nach Grund und Höhe unstreitig. Einer weiteren schlüssigen Darlegung der Anspruchsentstehung bedurfte es daher nicht.

b) Ebenso steht außer Streit, dass die streitgegenständlichen Ansprüche aufgrund der Anspruchsverzichte, die in § 2 des Ergänzungstarifvertrags vom 13.12.2001 und §§ 2 und 3 des zweiten Ergänzungstarifvertrags vom 20.11.2002 geregelt sind, erloschen sind. Die Beklagte hat weder zum 30.06.2002 ein handelsrechtliches Halbjahresergebnis von mehr als € 200.000,00 noch im Kalenderjahr 2002 und den folgenden Kalenderjahren jeweils ein handelsrechtliches Jahresergebnis von mehr als € 400.000,00 erreicht. Die Voraussetzungen für die Auszahlung einer weiteren Prämie nach § 3 Ziff. 2 bzw. für die Auszahlung aus dem Besserungsschein nach § 3 Ziff. 3 des Ergänzungstarifvertrags vom 13.12.2001 sowie nach § 5 Ziff. 3 des zweiten Ergänzungstarifvertrags vom 20.11.2002 lagen unstreitig nicht vor.

2. Die vereinbarten Anspruchsverzichte sind jedoch wieder entfallen, weil die Tarifparteien in § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags eine auflösende Bedingung vereinbart hatten und diese Bedingung eingetreten ist. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass sich die auflösende Bedingung auf alle drei Ergänzungstarifverträge erstreckt, mit der Folge, dass sämtliche Anspruchsverzichte gegenstandslos wurden. Dies ergibt die Auslegung der von den Tarifparteien geschlossenen Vereinbarungen.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (zuletzt BAG, 23.02.2005 - 4 AZR 139/04 - NZA 2005, 1194).

b) Betrachtet man zunächst den Wortlaut des § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags vom 26.03.2003, so ergibt sich aus diesem kein eindeutiges Auslegungsergebnis.

Für die Auffassung des Beklagten spricht, dass sich die auflösende Bedingung nach § 8.1 Satz 2 nur auf den dritten Ergänzungstarifvertrag bezieht. Hierfür lässt sich die Verwendung des Wortes "Er" und der Worte "dieser Tarifvertrag" anführen. Mit dieser Wortwahl haben die Tarifparteien offensichtlich Bezug auf den dritten Ergänzungstarifvertrag genommen.

In Widerspruch hierzu steht jedoch die weitere Formulierung in § 8.1 Satz 3, dass die "gesamten Verzichtserklärungen" unwirksam werden und "durchgängig" die einschlägigen Flächentarifverträge Geltung gehabt hätten. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass die Formulierung schon deswegen ungenau ist, weil ganz offensichtlich nicht nur die einschlägigen Flächentarifverträge, sondern auch in Baden-Württemberg der dort geltende Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 09.10.1998 gemeint ist. Denn dort ist die betriebliche Sonderzahlung geregelt, auf die sich nach § 2.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags der Anspruchsverzicht u.a. erstreckte.

Auch der übrige Wortlaut ist mehrdeutig. Mit der Formulierung "die gesamten Verzichtserklärungen" könnten die Tarifparteien zum einen die Gesamtheit der Anspruchsverzichte gemeint haben, die die Arbeitnehmerschaft aufgrund des dritten Ergänzungstarifvertrags hinnehmen musste. Gemeint sein könnten aber auch sämtliche Anspruchsverzichte, die in allen drei Ergänzungstarifverträgen geregelt wurden. Das weitere Wort "durchgängig" ergibt keinen weiteren Aufschluss. Denn dieses könnte sich personenbezogen auf alle tarifgebundenen Arbeitnehmer beziehen. Plausibel ist aber auch die zeitliche Betrachtungsweise, dass seit dem Jahr 1901 das einschlägige Tarifwerk "durchgängig" Geltung haben sollte.

c) Die über den Wortlaut des § 8.1 hinausgehende systematische Gesamtbetrachtung spricht allerdings für die Richtigkeit desjenigen Auslegungsergebnisses, das die Klägerin für zutreffend hält. Denn aus § 3.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags lässt sich schließen, dass die Forderungen aus den Jahren 2001, 2002 und 2003 nicht zusammenhanglos nebeneinander stehen sollten. So vereinbarten die Tarifparteien, dass zum Ausgleich des Anspruchsverzichts nach § 2.1 und unter Einbeziehung des bereits vereinbarten Besserungsscheines in den beiden vorangegangenen Ergänzungstarifverträgen ein erneuter Besserungsschein ausgestellt werde. Die Arbeitnehmer sollten zum 30.06.2003 eine schriftliche Aufstellung der bis 31.12.2002 aufgelaufenen Beträge und am 30.11.2003 eine erneute Aufstellung erhalten, in der auch die Beträge aus dem Jahr 2003 enthalten und aufgeschlüsselt sind. Dieselbe Verfahrensweise hatten die Tarifparteien bereits beim Abschluss des zweiten Ergänzungstarifvertrags vom 20.11.2002 praktiziert. Denn in dessen § 5.1 hatten sie vereinbart, dass der im ersten Ergänzungstarifvertrag vereinbarte Besserungsschein in einen erneuten Besserungsschein einbezogen werde. Somit lagen am Ende des Jahres 2003 nicht etwa drei Besserungsscheine, sondern lediglich ein Besserungsschein vor.

Bewertet man diese Vereinbarung im Zusammenhang mit der Regelung über die auflösende Bedingung in § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags, so ist dies ein deutliches Indiz dafür, dass unter "gesamte Verzichtserklärungen" sämtliche Forderungen gemeint waren, auf die die Arbeitnehmer seit dem Jahr 2001 verzichtet hatten, und die deswegen im letzten Besserungsschein des Jahres 2003 enthalten waren. Ebenso weist das Wort "durchgängig" nun mit größerer Klarheit darauf hin, dass dieses Wort eine zeitliche Bedeutung besitzen sollte, sich also auf die Geltung des einschlägigen Tarifwerks in den Jahren 2001 bis 2003 bezog.

d) Diesem Auslegungsergebnis steht nicht die weitere Formulierung in § 1.2 des dritten Ergänzungstarifvertrags entgegen, wonach dieser den Vorgängerergänzungstarifvertrag vom 20.11.2002 ergänzte, während in § 1.2 des letzteren Tarifvertrags festgehalten war, dass dieser seinerseits den Vorgängerergänzungstarifvertrag vom 13.12.2001 ersetzen sollte. Die Auffassung des Beklagten, die Verwendung der Begriffe "ersetzen" einerseits und "ergänzen" andererseits spreche dafür, dass der dritte Ergänzungstarifvertrag gesondert zu betrachten sei, überzeugt nicht. Es spricht mehr dafür, dass die Tarifparteien den Begriff "ersetzen" im dritten Ergänzungstarifvertrag deswegen vermieden haben, weil dieser zu Fehldeutungen hätte Anlass geben können. Bei einer buchstabengetreuen Auslegung hätte man nämlich die Auffassung vertreten können, dass der Regelung in § 3.1 des ersten Ergänzungstarifvertrags durch den zweiten Ergänzungstarifvertrag nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen wurde. Da der zweite Ergänzungstarifvertrag eine Prämienzahlung nur bezogen auf das Jahr 2002 vorsah, hätte man die Auffassung vertreten können, dass aufgrund der Ersetzung des ersten durch den zweiten Ergänzungstarifvertrag im Jahr 2001 kein Prämienanspruch bestanden hat. Zwar wäre diese Rechtsauffassung eher fern liegend gewesen. Durch die Verwendung des Begriffs "ergänzen" im dritten Ergänzungstarifvertrag machten die Tarifparteien jedoch deutlich, dass der dritte Ergänzungstarifvertrag den zweiten nicht ersetzte, sondern neben ihn trat.

e) Für das von der Klägerin für zutreffend erachtete Auslegungsergebnis spricht weiter die Entstehungsgeschichte der Ergänzungstarifverträge und deren Sinn und Zweck. Wie beide Parteien vorgetragen haben und auch aus dem Kontext der Ergänzungstarifverträge ersichtlich ist, stand beim Abschluss des ersten und zweiten Ergänzungstarifvertrags die Standortsicherung im Vordergrund. Durch den ersten Ergänzungstarifvertrag verzichteten die Arbeitnehmer auf 70 % der betrieblichen Sonderzahlung. Der vereinbarte Besserungsschein war bis zum Jahr 2004 befristet. Eine Gegenleistung der Schuldnerin im Sinne einer Arbeitsplatzsicherung gab es nicht. Daraus ist zu schließen, dass die Tarifparteien die Hoffnung hegten, die Schuldnerin werde ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten alsbald überwinden.

Durch den zweiten Ergänzungstarifvertrag verzichteten die Arbeitnehmer auf 80 % der betrieblichen Sonderzahlung und das gesamte Urlaubsgeld und nahmen eine zeitliche Verschiebung der Tariflohnerhöhung in Kauf. Der vereinbarte Besserungsschein war unbefristet. Zusätzlich wurde eine befristete Regelung über die Arbeitsplatzsicherung getroffen. Hieraus ist zu schließen, dass die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin zusehends bedrohlicher wurde. Die Hoffnung auf eine baldige Sanierung stand jedoch noch im Vordergrund. Ansonsten hätte die Schuldnerin keine Garantieerklärung hinsichtlich der betrieblichen Sonderzahlungen für das Jahr 2003 abgegeben.

Offensichtlich verbesserte sich die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin jedoch nicht. Bei den Verhandlungen über den dritten Ergänzungstarifvertrag wurde unstreitig von den Vertretern der Schuldnerin die Insolvenzgefahr deutlich hervorgehoben. Sie kündigten für den Fall des Scheiterns der Gespräche an, dass ein Insolvenzantrag gestellt werde. Entgegen der noch in § 3.2 des zweiten Ergänzungstarifvertrags gegebenen Garantieerklärung verzichteten die Arbeitnehmer sodann auf weitere Ansprüche im Kalenderjahr 2003. Als Ausgleich hierfür wurden die Regelungen über die Beschäftigungssicherung in § 7 und über die auflösende Bedingung in § 8 aufgenommen. Mit der letzteren Regelung mag auch das Ziel verfolgt worden sein, dass sich der Anspruchsverzicht nicht nachteilig auf die Berechnung des Arbeitslosengelds bei Verlust des Arbeitsplatzes auswirkt. Der entscheidende Grund ergibt sich aber deutlich aus der Entstehungsgeschichte der Ergänzungstarifverträge. Die Arbeitnehmer mussten hiernach schon in den Jahren 2001 und 2002 auf erhebliche Ansprüche verzichten. Die Hoffnung auf eine baldige Sanierung der Schuldnerin war Anfang des Jahres 2003 nicht mehr realistisch. Vielmehr zeichnete sich deutlich die Insolvenzgefahr ab. Dass die Arbeitnehmerseite bei diesen Aussichten endgültig auf die Ansprüche der Jahre 2001 und 2002 verzichten würde, konnte nicht erwartet werden. Dies gilt umso mehr, als sämtliche Ansprüche im Falle einer Insolvenz nur Insolvenzforderungen waren, die erfahrungsgemäß mit einer geringen Quote befriedigt werden können.

f) Unter diesen Umständen kann der von dem Beklagten mitgeteilten Auffassung der Verhandlungsführer der Schuldnerin, aufgrund der auflösenden Bedingung in § 8.1 des dritten Ergänzungstarifvertrags werde lediglich der Anspruchsverzicht für das Jahr 2003 hinfällig, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Diese Interpretation findet in der tariflichen Regelung keinen hinreichenden Niederschlag. Da es für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags auf den objektiven Sinngehalt ankommt, ist es nicht ausschlaggebend, dass die Verhandlungsführer der Schuldnerin der Tarifregelung subjektiv eine andere Bedeutung zugemessen haben. Die Arbeitgeberseite konnte auch nicht annehmen, dass allein die vereinbarte Beschäftigungssicherung die "Gegenleistung" für die Anspruchsverzichte betreffend die Jahre 2001 und 2002 darstellt. Im ersten Ergänzungstarifvertrag war ohnehin keine Beschäftigungssicherung vereinbart. Die im zweiten Ergänzungstarifvertrag vereinbarte Beschäftigungssicherung bis 31.12.2003 wäre vom Rechtsstandpunkt der Arbeitnehmerseite aus konsequent entfallen, wenn bereits im Jahr 2003 ein Insolvenzantrag gestellt worden wäre.

III.

Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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