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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 4 Sa 48/00
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, ZPO, GKG, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
ZPO § 3
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 2
ZPO § 256
GKG § 14 Abs. 1
GKG § 25 Abs. 2
ArbGG § 12 Abs. 7
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 Sa 48/00

verkündet am 26. Oktober 2000

In Sachen

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer, den ehrenamtlichen Richter Haller und den ehrenamtlichen Richter Schließer auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18. April 2000 - 7 Ca 9820/99 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Wert des Gegenstands im zweiten Rechtszug: 16.800,00 DM

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und eine im Laufe der Kündigungsfrist ausgesprochenen weiteren außerordentlichen Kündigung seitens der Beklagten.

Der am 16. Januar 1958 geborene verheiratete Kläger ist seit dem 14. August 1978, und zwar zuletzt als Montageschlosser, gegen einen Vergütungsanspruch von 5.347,00 DM brutto im Monat im Werk Esslingen der Beklagten beschäftigt.

Der Kläger hatte schon seit 1987 mehrfach unentschuldigt gefehlt und deshalb auch mehrere Abmahnungen, zuletzt mit Schreiben vom 16.03.99 (Blatt 37 der Akten), erhalten.

Am 10. März 1999 fand bei der Sozialberatung der Beklagten ein Gespräch zwischen dem Kläger, seinem damaligen Vorgesetzten, einem Mitarbeiter der Sozialberatung und einem Mitarbeiter aus dem Bereich des Personalwesens der Beklagten statt. Die Beklagte hatte dieses Gespräch bei der Sozialberatung veranlasst, da sie den Verdacht hegte, dass der Kläger Alkoholprobleme habe. Schon bei einem vorangegangenem Gespräch zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern der Sozialberatung hatte der Kläger im Dezember 1998 eingeräumt, Alkoholprobleme zu haben. Bei einem weiteren Gespräch des Klägers unter Beteiligung seines damaligen Vorgesetzten Meisters und des Mitarbeiters der Sozialberatung im Sommer 1999 wurde mit dem Kläger erörtert, dass er seit Ende Mai 1999 keinen Kontakt mehr zur Sozialberatung gehalten habe. Im Rahmen des Gespräches stritt der Kläger ab, irgendwelche Alkoholprobleme zu haben. Die unentschuldigten Fehlzeiten seien vielmehr auf private und allgemeine gesundheitliche Probleme zurückzuführen.

Am 04. Oktober 1999 erhielt der Kläger eine kurzfristig beantragte Freischicht genehmigt. Am 05. Oktober 1999 fehlte der Kläger unentschuldigt. Am 06. Oktober 1999 beantragte der Kläger erneut bei einem Maschinenführer eine Freischicht. Diese wurde mangels Zuständigkeit des angesprochenen Mitarbeiters von diesem nicht genehmigt. Trotz Verweisung an den zuständigen Meister richtete der Kläger an diesen keinen Antrag. Am 07. und 08. Oktober fehlte der Kläger wiederum unentschuldigt. Am 11. Oktober 1999 beantragte der Kläger gegen 5:30 Uhr zwei Freischichten wiederum bei einem Maschinenführer. Obwohl dieser den Kläger an den zuständigen Mitarbeiter der Beklagten verwies, beantragte er dort keine Freischichten. Am 12. und 13. Oktober fehlte der Kläger erneut unentschuldigt. Am 14. Oktober 1999 gegen 12:45 Uhr bat der Kläger fernmündlich beim zuständigen Mitarbeiter um Freistellung von der Arbeitspflicht bis einschließlich Montag, den 18. Oktober 1999. Der Antrag wurde aufgrund Personalmangels abgelehnt. Am 14. und 15. Oktober erschien der Kläger ebenso wenig wie am 18. und 19. Oktober 1999 zur Arbeit und brachte für die Fehlzeit auch keine Entschuldigungsgründe vor.

Aufgrund dieser Vorfälle teilte die Beklagte dem bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 ihre Absicht mit, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zu kündigen (Blatt 32 f. der Akte des Arbeitsgerichts). Darin wurde dem Betriebsrat unter anderem mitgeteilt, mit dem Kläger sei am 05. Dezember 1989 aufgrund Vorliegens von Alkoholproblemen ein Gespräch im Personalwesen geführt worden sei. Unter Einschaltung der bei der Beklagten eingerichteten Sozialberatung seien entsprechende Therapiemaßnahmen durchgeführt worden, die zu einer Heilung geführt hätten. Hinsichtlich der Fehlzeiten am 26. und 27. Oktober sowie am 16. November 1998 bestehe aus Sicht der Beklagten die Vermutung eines wiederauflebenden Alkoholmissbrauchs. Die Fehlzeit vom 02. bis zum 05. März 1999 wurde von ihr einem Alkoholmissbrauch zugeordnet. Ferner teilte sie dem Betriebsrat mit, in dem Gespräch am 10. März 1999 zwischen dem Kläger, Mitarbeitern der Personalabteilung und der Sozialberatung sei eine Entgiftung/Therapie in Bezug auf eine Alkoholerkrankung verabredet worden. Der Kläger habe die Teilnahme an einer Entgiftung/Therapie zugesagt.

Die letzten Passagen des Anhörungsschreibens haben folgenden Wortlaut:

Mit unserer Vermutung, dass Herr P. wiederum dem Alkohol verfallen ist, liegen wir sicherlich richtig. Nur ist es uns an dieser Stelle nicht mehr zuzumuten, das Arbeitsverhältnis mit diesen massiven Störungen fortzusetzen. Wir waren mehrfach bereit, ihn bei seinen Therapien zu unterstützen. Allerdings verbanden wir damit die Hoffnung, dass diese auch konsequent und mit Erfolg absolviert würden, Den Eindruck, dass Herr P. dieses Problem mit Ehrgeiz beseitigen wollte, hatten wir allerdings nicht. Ihm wurde auch mehrfach deutlich gemacht, welche Konsequenzen es haben würde, wenn er sein Verhaften nicht deutlich verbessern würde.

Fazit:

Somit verbleibt uns in letzter Konsequenz nur noch die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis mit Herrn P. aufgrund massiver betrieblicher Störungen aus verhaltensbedingten Gründen zum 30.06.2000 zu kündigen

Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 26. Oktober 1999 (Blatt 38 der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit Schreiben vom 03. November 1999, dem Kläger spätestens am 09. November 1999 zugegangen, sprach die Beklagte die ordentliche fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2000 aus.

Mit weiterem Schreiben vom 03. November 1999, dem Kläger zugegangen am 09. November 1999, mahnte die Beklagte den Kläger wegen weiterhin seit dem 19. Oktober 1999 aufgetretener unentschuldigter Fehlzeiten ab (Blatt 31 der Akte des Arbeitsgerichts). Nach Zugang der Abmahnung fehlte der Kläger in der Zeit vom 03. bis zum 16. November 1999, ohne der Beklagten einen Verhinderungsgrund mitgeteilt zu haben. Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 16. November 1999 (Blatt 29 f. der Akte des Arbeitsgerichts) sprach die Beklagte mit Schreiben vom 24. November 1999, dem Kläger am selben Tage zugegangen, eine weitere, diesmal aber außerordentliche, Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Nach Zugang der Kündigung suchte der Kläger eine Suchtberatungsstelle auf.

Mit der Klage hat sich der Kläger gegen beide Kündigungen gewendet und - zunächst - seine Weiterbeschäftigung verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe alkoholbedingte und familiäre Probleme gehabt, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt habe. Nach einem Streit mit seiner Frau u. a. über Fragen des Unterhaltes am 03. Oktober 1999 sei er in eine Kneipe gegangen und habe am Abend bzw. in der Nacht bestimmt 10 "halbe Bier" (0,5 Liter pro Glas) getrunken. Auch am folgenden Morgen habe er zu Hause weiter getrunken und in den folgenden Wochen mindestens 10 "halbe Bier" pro Tag und gelegentlich auch noch ein Glas Sekt konsumiert. Er habe zwischendurch zwar realisiert, dass er aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrages zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet gewesen sei, weshalb er sich auch bei seinem Arbeitgeber gemeldet habe. Aufgrund der Alkoholerkrankung sei er nicht mehr in der Lage gewesen, diese Erkenntnis so umzusetzen, dass die Arbeitsleistung auch erbracht wurde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei ihm sei ein Alkoholmissbrauch mit Krankheitswert gegeben. Die unentschuldigten Fehlzeiten seien Folge und Ausdruck dieser Erkrankung, so dass sie nicht als verhaltensbedingt qualifiziert werden könnten.

Der Kläger hat folgende Anträge gestellt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 03.11.1999 zum 30.06.2000 aufgelöst worden ist (und) dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die mit Schreiben vom 24.11.1999 ausgesprochene fristlose Kündigung aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Montageschlosser weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe schuldhaft die arbeitsvertraglichen Pflichten wiederholt trotz vorangegangener Abmahnungen verletzt. Der Kläger habe ab dem 03. Oktober 1999 nicht die von ihm angegebenen Alkoholmengen konsumiert. Jedenfalls sei der Kläger trotz des behaupteten Alkoholkonsums in der Lage gewesen, den arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten nachzugehen. Dafür spreche insbesondere, dass der Kläger wiederholt vor den Fehlzeiten um Freischichten oder Gewährung von Freizeit bei Mitarbeitern der Beklagten nachgesucht habe.

Wegen des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug in seinen Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 63 bis 67 der Akte des Arbeitsgerichts) verwiesen.

Mit Urteil vom 18. April 2000 hat das Arbeitsgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass der Kläger die Fehlzeiten verschuldet habe. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils verwiesen (Bl. 68 bis 72 der Akte des Arbeitsgerichts).

Gegen dieses der Beklagten am 26. April 2000 zugestellte Urteil hat diese mit am 17. Mai 2000 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit am 19. Juli 2000 eingegangenem Schriftsatz - bis zu diesem Zeitpunkt ist die Begründungsfrist durch Verfügung vom 16. Juni 2000 verlängert worden - begründet hat. Unter Verweis auf die bereits ausgesprochenen Abmahnungen führt sie aus, die Beklagte habe zwar die Alkoholprobleme des Klägers gekannt, habe aber auf Grund seiner Äußerungen im Gespräch im Sommer 1999 davon ausgehen dürfen, dass er keine Alkoholprobleme mehr hat. Der Kläger habe sich nur auf allgemeine gesundheitliche Probleme berufen. Es sei kein kausaler Zusammenhang zwischen einer möglichen Alkoholerkrankung des Klägers und seinen Fehlzeiten ersichtlich. Die Beklagte habe wegen ihrer Bemühungen in der Vergangenheit ihrer Aufklärungspflicht genügt. Außerdem lege das Arbeitsgericht seiner Entscheidung zu Unrecht zu Grunde, der Kläger habe im fraglichen Zeitraum exzessiv Alkohol zu sich genommen, weshalb er sich an eine Suchtberatungsstelle gewandt habe. Dieser Vortrag werde bestritten.

Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht auch die Beweislast verkannt: Nicht die Beklagte müsse ein Verschulden des Klägers beweisen, dies betreffe sowohl die Gründe für die außerordentliche wie für die ordentliche Kündigung. Gerade, wenn der Kläger im Oktober wiederholt um die Bewilligung von Freischichten gebeten habe, spreche dies nicht dafür, dass der Kläger auf Grund exzessiven Alkoholgenusses seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt. Seine Auffassung, dass dies ein typisches Verhaltensmuster für einen Alkoholkranken sei, habe das Arbeitsgericht nicht näher begründet.

Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift (Blatt 17 bis 21 der Berufungsakte) verwiesen.

Die Beklagte/Berufungsklägerin stellt den Antrag,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18.04.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger/Berufungsbeklagte stellt bei Rücknahme des Weiterbeschäftigungsantrags (Klageantrag zu 3. den Antrag,

Die Berufung d. Bekl. zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und verweist darauf, dass er sich derzeit in einer Entziehungskur befinde. Wegen der Einzelheiten seiner Ausführungen wird auf die Berufungserwiderungsschrift (Bl. 38 bis 44 der Berufungsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist der Sache nach nicht gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen der Klage stattgegeben, soweit das Urteil nicht durch teilweise Klagerücknahme gegenstandslos geworden ist. Insoweit betrifft das Berufungsverfahren nur noch den Streit um die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen. Ob der Kläger im Hinblick auf seine von ihm vorgetragene Alkoholabhängigkeit und einer weiteren vorsorglich ausgesprochenen Kündigung, die hier nicht zur Entscheidung steht, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gehabt hätte, ist deshalb nicht mehr zu erörtern.

Die Beklagte hat die verhaltensbedingte Kündigung nicht darauf gestützt, dass er den Rückfall in seine einstmals bestehende Alkoholsucht verschuldet habe. Vielmehr stützt sie die Kündigungen darauf, dass er von ihm verschuldete unberechtigte Fehlzeiten aufweise, die nicht im Zusammenhang mit Alkoholproblemen stünden. Nur dieser Kündigungsgrund ist deshalb zu prüfen. Ob hierzu allerdings der Betriebsrat angehört wurde, dem gegenüber die Kündigungsabsicht damit gerechtfertigt wurde, der Kläger sei wiederum dem Alkohol verfallen und es fehle ihm am Ehrgeiz, dieses Problem in den Griff zu bekommen, kann dahingestellt bleiben, weil die von der Beklagten genannten Umständen mit Rücksicht auf die Einlassungen des Klägers keine ordentliche Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, erst Recht keine außerordentliche im Sinne des § 626 BGB rechtfertigen können. Ob die Beklagte mangels diesbezüglicher Anhörung des Betriebsrats diese Kündigungen - die Ausführungen in der Anhörung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigungen sind ja auf dem Hintergrund der Ausführungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten ordentlichen Kündigung zu sehen - im vorliegenden Verfahren auf im Einzelfall jeweils verschuldete Fehlzeiten stützen kann, ist deshalb nicht mehr von Bedeutung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Beurteilung einer im Zusammenhang mit alkoholbedingtem Fehlverhalten des Arbeitnehmers stehenden Kündigung zunächst im Einzelfall abzugrenzen, ob verhaltensbedingte Gründe vorliegen oder ob die strengen Maßstäbe einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen anzuwenden sind. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne. Von krankhaftem Alkoholismus ist auszugehen, wenn infolge psychischer und physischer Abhängigkeit gewohnheits- und übermäßiger Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Eine Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruht, ist in der Regel sozialwidrig, weil dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen ist. Beruht dagegen die Pflichtverletzung nicht auf Alkoholabhängigkeit, kommt - in der Regel nach erfolgloser Abmahnung - eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, III 2 a der Gründe mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Grundsätze sind entgegen der Auffassung der Beklagten für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits bestimmend.

Kündigungsgrund war für die Beklagte nach ihrem Vortrag die Unzumutbarkeit, aufgrund der häufigen und aus ihrer Sicht unentschuldigten Fehltage, die der Kläger trotz Androhung einer Kündigung und auch nach vorangegangener Abmahnung fortgesetzt habe, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten. Nur dieser Kündigungsgrund ist zu prüfen. Es kommt also nicht darauf an, ob die Beklagte die Kündigung auch ausgesprochen hätte, wenn der Kläger nicht einfach seine Vertragspflichten vorsätzlich nicht beachtet hätte, sondern der Pflichtverstoß darin zu sehen wäre, dass sich der Kläger schuldhaft in einen Zustand versetzt hätte, der es ihm nicht erlaubt oder es ihm wenigstens erschwert hätte, zu erkennen, dass er durch sein Verhalten nicht mehr in der Lage ist, seine vertragliche Hauptpflicht zu erfüllen. Nicht zu prüfen ist auch, ob personenbedingte Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorlagen auf Grund des Umstandes, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit in der Lage war, seine Arbeit wieder aufzunehmen, weil sich die Beklagte zur Begründung ihrer Kündigung nicht auf solche Sachverhalte, auch nicht hilfsweise, gestützt hat. Darüber hinaus wurde der Betriebsrat auch nicht zu solchen Umständen angehört, so dass die Beklagte auch daran gehindert gewesen wäre, mit solchen weiteren Kündigungsgründen die ausgesprochene Kündigung zu unterfüttern.

Der von der Beklagten hierzu vorgetragene Sachverhalt ist dem äußeren Ablauf nach an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung im Sinne des §626 BGB zu rechtfertigen. Es ist zwar zu den betrieblichen Auswirkungen des Fernbleibens des Klägers von der Arbeit im unstreitigen Zeitraum und den damit verbundenen Interessen der Beklagten nichts weiter ausgeführt worden; das unentschuldigte Fehlen über einen derartig langen Zeitraum und die damit verbundene Ungewissheit, wann der Arbeitnehmer gewillt ist, seine Arbeit wieder uneingeschränkt aufzunehmen, können aber auch schon ohne weiteres die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist als sinnlos und unzumutbar erscheinen lassen.

Vorliegend hat sich der Kläger aber auf Umstände berufen, die eine andere Bewertung des Sachverhalts gebieten. Nach dem Vortrag des Klägers befand er sich wegen eines Rückfalls in eine bereits - unstreitig - schon einmal vorhandene, aber erfolgreich behandelte Alkoholsucht in einer exzessiven Phase des missbräuchlichen Genusses von Alkohol und damit in einem Zustand, der es ihm nicht mehr erlaubte, die nötigen Antriebskräfte für eine Aufnahme der Tätigkeit aufzubringen. Der Kläger wies in seinem Vortrag darauf hin, dass er sich allen Versuchen einer Kontaktaufnahme verschlossen habe und dass es etwa seinem Vater erst gelungen sei, Ende November "an ihn heranzukommen". Dieses Verhalten war danach die unmittelbare Folge familiärer Schwierigkeiten, weil sich seine Frau von ihm getrennt hatte.

Aus diesen Umständen kommt ausreichend zum Ausdruck, dass das Persönlichkeitsbild des Klägers, wenn er auch nicht völlig steuerungs- und arbeitsunfähig gewesen sein sollte, immerhin vorübergehend eine derartige Veränderung erlitten hat, dass sein Verhalten nicht mit den Maßstäben eines Arbeitnehmers zu messen ist, der ausreichend planmäßig handeln kann und nicht seinen Zwängen und Süchten ausgeliefert ist. Der Kläger hat danach nicht aus Mutwilligkeit seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag vergessen und die Interessen seines Vertragspartners eigensüchtigen Motiven bedenkenlos untergeordnet, sondern war auf Grund einer aktuellen Beeinträchtigung seiner Fähigkeit, sinnvoll und vernünftig zu handeln, seiner Arbeit ferngeblieben. Ob der Kläger im Sinne einer manifesten Erkrankung als arbeitsunfähig anzusehen war, ist nicht maßgeblich. Jedenfalls ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers ein Sachverhalt, demzufolge er nicht mit Vorbedacht und blind gegenüber seinen Vertragspflichten seine Dienstleistungen nicht verrichtete, sondern aufgrund einer körperlichen Prädisposition (unstreitig hat er ja schon eine Entziehungskur hinter sich) sich in einen Zustand versetzt hat, der es ihm nicht erlaubte, seinen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nachzukommen. Nicht weil der Kläger lieber in vollen Zügen Alkohol zu sich nahm als sich den Mühen der täglichen Arbeit zu unterziehen oder weil er keine Lust empfand, sich in der fraglichen Zeit den Lebensgenuss durch die Erfüllung seiner Vertragspflichten stören zu lassen, blieb er der Arbeit nach dieser Sachdarstellung fern, sondern weil er nicht mehr den Willen aufbrachte, vom Verzehr von Alkohol in großen Mengen abzulassen, wodurch er nicht mehr in der Lage war, zu erkennen, was er zu tun hatte.

Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit (BAG, Urteil vom 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B II 1 der Gründe, m.w.Nw.). Das Bundesarbeitsgericht (aaO, zu B II 2 der Gründe) hat hieraus gefolgert, auf eine Kündigung, die im Zusammenhang mit der Alkoholsucht stehe, seien die zur krankheitsbedingten Kündigung entwickelten Grundsätze anzuwenden. Hierfür spreche auch, dass dem alkoholabhängigen Arbeitnehmer, der infolge seiner Alkoholabhängigkeit gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoße, infolge der Abhängigkeit zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen sei, so dass eine verhaltensbedingte Kündigung bereits in aller Regel an dem Fehlen eines Verschuldens des Arbeitnehmers scheitere. Wie das Bundesarbeitsgericht jedoch weiter ausgeführt hat, kann eine verhaltensbedingte Kündigung darauf gestützt werden, dass der Arbeitnehmer schuldhaft seine - sich negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirkende - Alkoholabhängigkeit herbeigeführt hat. Insoweit trägt allerdings der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, da das Verschulden bei der verhaltensbedingten Kündigung in der Regel Teil des Kündigungsgrundes ist und es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach die Alkoholabhängigkeit selbst verschuldet ist (BAG, Urteil vom 7. Dezember 1989 - 2 AZR 134/89 - nicht amtlich veröffentlicht, II 2 c bb der Gründe). Ob bei einem Rückfall nach zunächst erfolgreicher Entziehungskur etwas anderes gilt (vgl. BAG, Urteil vom 07. Dezember 1989 - 2 AZR 134/89 - n.v., II 3 d bb der Gründe), kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Beklagte auf eine solche Pflichtverletzung zur Begründung ihrer Kündigung nicht berufen hat. Eine außerordentliche Kündigung, die allein auf eine beharrliche Verweigerung der Arbeit gestützt wird, kommt deshalb mangels Verschuldens des Arbeitnehmers nicht in Betracht, wenn die Alkoholkrankheit dazu geführt hat, dass der Kläger aufgrund der Menge des genossenen Alkohols nicht mehr seine Arbeit leisten konnte und nicht mehr in der Lage war, zu erkennen, was erforderlich war.

Allerdings hat die Beklagte bestritten, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt alkoholsüchtig gewesen sei und dass ihn der exzessive Genuss von Alkohol von der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten abgehalten hätte.

Damit kommt sie aber ihrer Darlegungs- und Beweislast für den Bereich des Verschuldens der Pflichtwidrigkeit nicht nach. Entgegen ihrer Auffassung obliegt es nämlich ihr, den Beweis für eine Pflichtverletzung zu führen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der zu folgen ist (vgl. etwa BAG Urteil vom 19. Dezember 1991 - 2 AZR 367/91 - n.v., B I 2 a aa der Gründe; Urteil vom 24. November 1983 - 2 AZR 327/82 - AP Nr. 76 zu § 626 BGB, zu B III 1 der Gründe; Urteil vom 6. August 1987 - 2 AZR 226/87 - AP Nr. 97 zu § 626 BGB; zur ordentlichen Kündigung Urteil vom 12. August 1976 - 2 AZR 237/75 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; vgl. auch die Urteile vom 31. Mai 1990 - 2 AZR 535/89 -, 12. Juli 1990 - 2 AZR 19/90 -, 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -, alle nicht veröffentlicht) trifft den kündigenden Vertragsteil die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Der Kündigende muss also die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in vollem Umfang darlegen und beweisen; die Darlegungs- und Beweislast ist nicht so aufzuteilen, dass der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und die bei der Interessenabwägung für den Gekündigten ungünstigen Umstände und der Gekündigte seinerseits Rechtfertigungsgründe und für ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hätte. Aus einer Arbeitsversäumnis kann nicht schon ohne weiteres auf eine Arbeitspflichtverletzung durch den Arbeitnehmer geschlossen werden. Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substanziiert sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Arbeitgeber braucht nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht auch nicht aus, wenn der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal ohne nähere Substanziierung vorbringt. Vielmehr ist er nach § 138 Abs 2 ZPO im Rechtsstreit gehalten, die Gründe, aus denen er die Berechtigung zum Fehlen am Arbeitsplatz herleiten will, ausführlich vorzutragen. Tut er dies nicht, gilt das Vorbringen des Arbeitgebers als unbestritten. Ein Bestreiten liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer schlüssig und substanziiert Gründe für eine Rechtfertigung seines Verhaltens oder für den Ausschluss oder - entscheidende - Minderung seines Verschuldens vorträgt.

Dies ist hier geschehen. Der Kläger hat in ausreichender Form einen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich mindestens berechtigte und nicht einfach von der Hand zu weisende Zweifel daran ergeben, dass er ohne Rücksicht auf die Interessen der Beklagten mit Vorbedacht der Arbeit einfach fern geblieben sei. Deshalb war es demnach Sache der Beklagten, mindestens solche Umstände über den bisher von ihr vorgetragenen äußeren Geschehensablauf hinaus vorzutragen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Einlassungen des Klägers ergeben sollen. Dieser Darlegungslast hat sie vorliegend aber nicht genügt. Die Beklagte hat sich damit begnügt, den Vortrag des Klägers zu bestreiten und kam sonach nicht ihrer Obliegenheit nach, bestimmte Behauptungen aufzustellen, aus denen sich gleichwohl ergeben konnte, dass die behaupteten Pflichtverletzungen entgegen dem klägerischen Vorbringen vorlagen.

Die Beklagte hat insoweit auch die Auffassung des Arbeitsgericht in Abrede gestellt, dass es durchaus typisch für den Alkoholkranken ist, dass er, wie es hier geschehen ist, mehrfach um Befreiung von der Arbeitspflicht bittet. Diese Einlassung der Beklagten ist unbehelflich. Auch wenn die vom Arbeitsgericht insoweit vertretene Auffassung falsch wäre, nützte dies der Beklagten nichts, weil auch sie sich nicht auf einen Satz der Lebenserfahrung stützen kann, dass ein derartiges Verhalten für eine solche Situation untypisch ist. Es ergäben sich somit allenfalls gewisse Zweifel an der Richtigkeit des Vortrags des Klägers. Eine solche Behauptung ist aber nicht geeignet, den klägerischen Vortrag zu widerlegen oder ihm wenigstens jede Plausibilität zu nehmen. Insoweit allenfalls bestehende Zweifel gehen zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten.

Die Beklagte war nicht einmal durch das Verhalten des Klägers gehindert, Beweis für ihre Behauptungen, das Verhalten des Klägers sei nicht suchtgesteuert gewesen, anzubieten, nachdem dieser die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hat. Darüber hinaus ist unstreitig, dass der Kläger nach Ausspruch der Kündigungen sich nun doch einer - erneuten - Suchtbehandlung unterzogen hat. Dieser Umstand spricht indiziell dafür, dass der Kläger tatsächlich Opfer seiner Alkoholsucht war und nicht zu einer ausreichenden Selbststeuerung in der Lage war.

Da die Beklagte andererseits, wie eingangs festgestellt, weder ein Verschulden an der erneut eingetretenen Alkoholkrankheit als Element einer Pflichtverletzung noch eine auf die Person des Klägers bezogene Disposition mit unzumutbaren betrieblichen Auswirkungen zum Gegenstand der Begründung der Kündigung, weder im vorliegenden Verfahren noch, was weitere Voraussetzung gewesen wäre, in der Anhörung des bei ihr gebildeten Betriebsrats gemacht hat, ist die Kündigung jedenfalls unter Würdigung der von ihr in den Rechtsstreit eingeführten Begründung nicht wirksam. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Kündigung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB ist aber nicht das objektive Vorliegen (irgend-)eines Kündigungsgrundes, sondern es ist nur zu entscheiden, ob die Kündigung sich aus dem Sachverhalt rechtfertigt, auf den sich der Kündigende zu ihrer Begründung stützt. Da die Beklagte aber keinen Beweis dafür angeboten hat, dass der Kläger schuldhaft seine Vertragspflicht verletzt hätte, konnte sie diesen Beweis auch nicht führen, so dass ihr ausreichend substanziiert bestrittenes Vorbringen nicht der Entscheidung zu Grunde gelegt werden konnte. Damit erweisen sich die beiden Kündigungen als nicht wirksam. Das Arbeitsverhältnis wurde durch sie nicht beendet.

Da die Berufung der Beklagten nach allem, soweit das Urteil nicht durch teilweise Klagerücknahme wirkungslos geworden ist, zurückzuweisen ist, hat die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens nach §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO zu tragen.

Die Bemessung des Gebührenstreitwerts in Hinblick auf die geltend gemachte Beschwer erfolgt nach Maßgabe der §§ 25 Abs. 2, 14 Abs. 1 GKG, 12 Abs. 7 ArbGG in Höhe der Vergütung des Klägers für ein Kalendervierteljahr. Der Streit über beide Kündigungen weist eine wirtschaftliche Identität auf, so dass sich ihr jeweiliger Wert gegenseitig konsumiert. Darüber hinaus muss auch, um Wertungswidersprüche zu einer Klage nach § 256 ZPO zu vermeiden, streitwertrechtlich der Streit um mehrere Kündigungen in einem Rechtsstreit als einheitlicher Streit über den Fortbestand des Vertragsverhältnisses bewertet werden mit der Folge, dass der Höchstbetrag des §12 Abs. 7 ArbGG nur einmal festzusetzen ist. Der vom Kläger zurückgenommene Anspruch auf Weiterbeschäftigung hat angesichts seiner Alkoholkrankheit nur einen wirtschaftlich untergeordneten Wert, der gemäß § 3 ZPO mit 500,00 DM angenommen wird. Dieser Wert geht ebenfalls wegen wirtschaftlicher Identität im Wert der Feststellungsklage(n) auf, führt aber andererseits dazu, dass er bei der Kostenentscheidung nach § 92 Abs. 2 ZPO keine weitere Auswirkung hat.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass, da die Entscheidung lediglich von der Würdigung des unterbreiteten Tatsachenmaterials abhängt, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Ende der Entscheidung

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