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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 11.02.2000
Aktenzeichen: 5 Sa 38/99
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 4
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Sa 38/99

verkündet am 11.02.2000

In Sachen

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -5.Kammer- durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Lemm, den ehrenamtlichen Richter Mieritz und den ehrenamtlichen Richter Ley auf die mündliche Verhandlung vom 11.02.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart -Kammern Aalen- vom 19.01.1999 -27 Ca 334/98- wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, da das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Revision nicht unterliegt (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhobene Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage zu Recht abgewiesen. Denn die streitgegenständliche, von der Beklagten mit Schreiben vom 22.06.1998 zum 30.09.1998 ausgesprochene ordentliche Kündigung ist durch Gründe, die in der Person des Klägers liegen, gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, weil der seit dem 14.04.1997 durchgehend arbeitsunfähig krank gewesene Kläger die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Bauwerker/Bauhelfer krankheitsbedingt auf Dauer nicht mehr erbringen kann.

1. Die dauernde krankheitsbedingte Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, kann als personenbedingter Kündigungsgrund nach §1KSchG eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen und sogar bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Die auf Dauer bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt zu einer erheblichen Störung des nunmehr sinnentleerten Arbeitsverhältnisses und regelmäßig zu einer erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung (vgl. etwa BAG AP Nr. 25, 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Umschulung; AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit).

Der Kläger hat das in tatsächlicher Hinsicht im Berufungsverfahren weiter vertiefte Vorbringen der Beklagten, nach dem der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes, insbesondere seines Wirbelsäulenleidens, auf Dauer nicht mehr in der Lage ist, die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten eines Bauhelfers/Bauwerkers zu verrichten, auch im Berufungsverfahren nicht mit der erforderlichen Substantiiertheit bestritten, sondern lediglich die Auffassung vertreten, dass er trotz seiner Gebrechen und gesundheitlichen Probleme in der Vergangenheit in der Lage sei, die Tätigkeit eines Bauhelfers vollschichtig für die Beklagte auszuüben. Denn Tatsachen, aus denen sich die Richtigkeit dieses Werturteils ergeben könnte, hat der Kläger nicht einmal ansatzweise dargelegt. Solche ergeben sich auch nicht aus den Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen, die sich bei den gleichwohl beigezogenen Akten S5RJ1521/98 des Sozialgerichts Ulm und 12290342K070 der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken befinden. Vielmehr wird durch diese Gutachten und ärztliche Stellungnahmen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, das Vorbringen der Beklagten in vollem Umfang bestätigt. Nach dem Entlassungsbericht der F.-Klinik Bad Buchau vom 27.08.1997 kann der Kläger wegen Lumboischialgie rechts bei Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts und Asthma bronchiale vollschichtig noch leichte bis mittelschwere Arbeiten zeitweise im Stehen, Gehen und Sitzen in der Tagesschicht ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten sowie ohne häufiges Bücken und nicht in einseitiger Körperhaltung ausüben. Das sozialmedizinische Gutachten der Landesversicherungsanstalt Württemberg vom 13.03.1998 kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund eines chronischen Lumbalsyndroms mit rezidivierenden Lumboischialgien rechts bei röntgenologisch nachgewiesenem Verschleiß und Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts sowie Protrusion bei L 5/S 1 links und asthmatischer Beschwerden nicht mehr in der Lage sei, schwere oder mittelschwere körperlichen Arbeiten und damit die Tätigkeit auf dem Bau auszuüben; verrichtet werden könnten vollschichtig leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen sowie mittelschwere Arbeiten unter zweistündig jeweils ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern oder Steigen sowie - wegen Gefährdung durch inhalative Reizstoffe - nicht überwiegend im Freien. Die sozialmedizinische Stellungnahme der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken vom 30.03.1998 konkretisiert Letzteres dahingehend, dass vermieden werden müssten witterungsausgesetzte Arbeit sowie Bronchialreizstoffe und Staub. Auch die vom Sozialgericht Ulm eingeholten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten enthalten keine wesentlichen anderen Erkenntnisse. Nach der Stellungnahme des Allgemeinmediziners Dr. Schmidt vom 12.10.1998 liegt die Einschränkung der Erwerbstätigkeit des Klägers neben einer Beeinträchtigung durch eine obstruktive Bronchitis und eine Somatisierungsstörung primär auf fachorthopädischem Gebiet, während der Orthopäde Dr. E. in seiner Stellungnahme vom 26.10.1998 wiederum eindeutig zu der Beurteilung kommt, dass dem Kläger aufgrund seiner lumbalen Gesundheitsstörung jedenfalls eine Tätigkeit als Bauarbeiter nicht mehr möglich sei. Das fachorthopädische Gutachten der orthopädischen Klinik der Universität Ulm vom 07.07.1999 kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass aufgrund der bestehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule mit nachgewiesenem Bandscheibenvorfall schwere und mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg dauerhaft nicht durchzuführen sowie Arbeiten in gleichförmiger Körperhaltung mit häufigem Bücken und Arbeiten im Freien unter Nässeeinflüssen ebenfalls nicht möglich seien, sondern lediglich noch leichte körperlichen Tätigkeiten in geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen ohne Heben und Tragen schwerer Lasten. Außerdem wird in diesem Gutachten ausgeführt, dass der festgestellte Gesundheitszustand im Wesentlichen unverändert seit Dezember 1997 bestehe und mit einer Besserung der Beschwerdesymptomatik nicht zu rechnen sei.

Aufgrund dieser ärztlicherseits getroffenen Feststellungen und gutachterlichen Äußerungen steht aber ohne Zweifel fest, dass der Kläger die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit eines Bauhelfers/Bauwerkers auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Ein Bauwerker/Bauhelfer hat Hilfs-/Zuarbeiten zu verrichten, die gerichtsbekanntermaßen nicht als körperlich leicht, sondern als mittelschwer bis schwer einzustufen sind. Sie sind nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen auszuführen und erfordern ein häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10-20 kg sowie ein häufiges Bücken. Die Arbeit erfolgt außerdem überwiegend im Freien und damit unter Nässe-/Witterungseinflüssen, nur selten dagegen in geschlossenen Räumen. Auch dort ist der Bauwerker/Bauhelfer aber inhalativen Reizstoffen, etwa durch Staub, ausgesetzt. Dass sich die vom Kläger als Bauwerker/Bauhelfer arbeitsvertraglich bei der Beklagten zu verrichtende Tätigkeit grundlegend hiervon unterscheidet, hat dieser nicht darzutun vermocht. Dies ist nach der eingehenden Beschreibung der vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeiten durch die Beklagte, die der Kläger nicht bestritten hat, auch nicht der Fall, so dass feststeht, dass der Kläger die der Beklagten arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit aufgrund seines zumindest bereits seit Dezember 1997 bestehenden Gesundheitszustandes auf Dauer nicht mehr ausüben kann.

2. Die hiernach gegebene dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, führt zu einer erheblichen Störung des nunmehr sinnentleerten Arbeitsverhältnisses und zu einer erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung. Eine betriebliche Beeinträchtigung ist ausnahmsweise allenfalls dann zu verneinen, wenn die Arbeitsleistung für den Arbeitgeber keinerlei Wert hat (vgl. BAG AP Nr. 25, 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Hierfür hat der für einen solchen Ausnahmetatbestand darlegungs- und beweispflichtige Kläger aber ebenfalls nichts vorgetragen. Auch Gründe, die bei der danach "an sich" personenbedingten Kündigung ausnahmsweise die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausfallen lassen könnten, sind nicht gegeben. Zwar ist der Kläger aufgrund seines Alters von im Zeitpunkt des Kündigungszugangs über 56 Jahren, seiner Betriebszugehörigkeit von etwa 9 Jahren und seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau und einem Kind im hohen Maße sozial schutzbedürftig. Dies ändert aber nichts daran, dass es auch aus der Sicht des Klägers wenig sinnvoll erscheint, bis zum Erreichen des Rentenalters an dem nunmehr sinnentleerten Arbeitsverhältnis mit der Beklagten festzuhalten, während die Beklagte ein berechtigtes betriebliches Interesse daran hat, den Arbeitsplatz des Klägers wieder dauerhaft zu besetzen, nachdem sie mit der Kündigung über 14 Monate zugewartet und dem Kläger zuvor, nämlich im Oktober 1997, auch die Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme ermöglicht hatte. Da schließlich auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers ausschließlich auf die betrieblichen Verhältnisse bei der Beklagten oder sogar auf ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zurückzuführen sind, muss daher die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers ausgehen.

3. Schließlich ist die Kündigung auch nicht deshalb sozial ungerechtfertigt, weil ein Arbeitnehmer, der auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen ist, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist sowie der Arbeitgeber gegebenenfalls einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen hat (vgl. BAG AP Nr.32 zu §1KSchG 1969 Krankheit; NJW 1999, 3432). Denn dass im Betrieb oder Unternehmen der Beklagten ein gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer leidensgerechter, für den Kläger auch geeigneter Arbeitsplatz frei war oder durch Ausübung des Direktionsrechts hätte freigemacht werden können, hat der Kläger unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen und seiner Fähigkeiten einerseits und des Bestreitens der Beklagten andererseits wiederum bereits nicht einmal ansatzweise dargetan. Zwar hat der Kläger behauptet, auf der "Dauerbaustelle" der Beklagten bei der Firma WMF AG leidensgerecht als Bauwerker/Bauhelfer eingesetzt werden zu können. Abgesehen davon, dass sich der Kläger gerade auf dieser Baustelle im Oktober 1997 einer Wiedereingliederungsmaßnahme erfolglos unterzogen hat, kann aber auch insoweit schon deshalb nicht vom Vorhandensein eines leidensgerechten Arbeitsplatzes ausgegangen werden, weil auch die dort zu verrichtenden Arbeiten unstreitig nicht nur in geschlossenen Räumen anfallen und ferner selbst die in geschlossenen Räumen anfallenden Arbeiten eines Bauwerkers/Bauhelfers weder generell als körperlich leicht angesehen werden noch überwiegend oder auch nur wechselweise im Sitzen ohne Heben und Tragen schwerer Lasten und häufiges Bücken sowie unter Ausschluss inhalativer Reizstoffe, wie etwa Staub, verrichtet werden können. Denn auch in geschlossenen Räumen besteht die Tätigkeit eines Bauwerkers/Bauhelfers in der Verrichtung von Hilfs-/Zuarbeiten, also insbesondere in dem Herantransport und dem Zureichen von zumindest zum Teil schweren Baumaterialien und dem Aufladen und Wegtransport von Bauschutt, so dass der Kläger seine Auffassung, die dortigen Arbeiten seien als leicht einzustufen, angesichts des Bestreitens der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht näher hätte ausführen müssen. Auch die vom Kläger des Weiteren angesprochene Tätigkeit eines Lagerarbeiters entspricht erkennbar nicht den festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers, da auch eine solche Tätigkeit insbesondere mit dem Heben und Tragen auch schwerer Lasten über 10 bis 20 kg sowie häufigem Bücken verbunden ist. Außerdem erfordert eine solche Tätigkeit ein Mindestmaß an Kenntnissen der deutschen Sprache in Wort und Schrift, über die der Kläger nach eigenem Vorbringen nicht verfügt. Aus diesem Grunde scheiden auch alle büromäßigen oder büroähnlichen Tätigkeiten als anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit von vornherein aus.

4. Sonstige Umstände, aus denen sich die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ergeben könnte, sind weder dargetan noch ersichtlich.

5. Die Berufung des Klägers war daher mit der auf § 97 Abs. 1 ZPO beruhenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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