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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 24.01.2000
Aktenzeichen: 5 Ta 44/99
Rechtsgebiete: ArbGG, BRAGO, GVG, GKG, ZPO, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 12 a
ArbGG § 12 a Abs. 1
ArbGG § 12 a Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 12 a Abs. 1 Satz 3
BRAGO § 6 Abs. 1
BRAGO § 6 Abs. 3
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 2
GVG § 17 b Abs. 2 Satz 2
GKG § 9
GKG § 25 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG § 25 Abs. 3
ZPO § 104 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 104 Abs. 3
ZPO § 575
BGB § 426
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ta 44/99

Beschluss vom 24.01.2000

In dem Beschwerdeverfahren

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Lemm ohne mündliche Verhandlung am 24.01.2000 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 05.11.1999 - 2 Ca 72/99 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der unter 1. bezeichnete Beschluss

a) hinsichtlich des Ausspruchs unter Ziffer 1 des Tenors dahingehend ergänzt, dass die festgesetzten Kosten ab 06.07.1999 mit 4 % zu verzinsen sind,

b) im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als er unter 2. des Tenors den Kostenfestsetzungsantrag vom 05.10.1999 zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zur erneuten Bescheidung des Kostenfestsetzungsantrags der Beklagten vom 05.10.1999 in Verbindung mit dem Antrag vom 18.11.1999, auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Arbeitsgericht Reutlingen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

Der Antrag der Beklagten auf Festsetzung der geltend gemachten Kosten kann nicht mit Hinweis auf § 12 a Abs. 1 Satz 1 und 3 ArbGG zurückgewiesen werden. Die Beklagten beantragen zu Recht die Erstattung sämtlicher Kosten, die schon im Verfahren vor dem Landgericht Tübingen entstanden sind.

Diese Rechtsfolge ergibt sich nicht schon aus der Kostenentscheidung des Urteils des Arbeitsgerichts vom 28.09.1999, da diese nichts darüber aussagt, welche Kosten des Rechtsstreits erstattungsfähig sind. Diese Rechtsfolge ist vielmehr aus dem Gesetz, hier aus der Vorschrift des § 12 a Abs. 1 ArbGG abzuleiten. Hierzu hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg mit Beschluss vom 05.11.1999 - 1 Ta 3/99 - ausgeführt:

"1. Schon seit jeher ist vornehmlich in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte die Frage umstritten, ob § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG lediglich die Mehrkosten meint, also diejenigen Kosten, die höher sind als diejenigen, die angefallen wären, wenn der Rechtsstreit unmittelbar beim zuständigen Arbeitsgericht anhängig gemacht worden wäre, oder auch die Anwaltskosten, die dadurch entstanden sind, dass der Beklagte bereits vor dem unzuständigen Gericht anwaltlich vertreten war.

Die als herrschend zu bezeichnende Meinung leitet aus § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG ab, dass alle Kosten, also auch in vollem Umfang die Anwaltskosten, die ihren Entstehungsgrund bereits in der Anrufung des unzuständigen Gerichts haben, zu erstatten seien (Germelmann-Matthes-Prütting, ArbGG, 12. Aufl., § 12 a Rz. 17 f.; Müller-Bauer, Der Anwalt vor den Arbeitsgerichten, 3. Aufl., S. 352; Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, 1. Aufl., C Rz. 296; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 12 a Rz. 12; jeweils mit Nachweisen auf die Rechtsprechung).

Eine Mindermeinung vertritt demgegenüber die Auffassung, es seien lediglich die Mehrkosten erstattungsfähig, also die Differenzkosten zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und den Kosten, die bei der unmittelbaren Anrufung des zuständigen Gerichts entstanden wären (so LAG Bremen, B. vom 05.07.1996, LAGE Nr. 19 zu § 12 a ArbGG; LAG Rheinland-Pfalz, B. vom 13.03.1986, LAGE Nr. 7 zu § 12 a ArbGG).

2. Die erkennende Kammer schließt sich der herrschenden Meinung an.

a) Schon die grammatische Auslegung des § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG steht für die Richtigkeit dieser Erkenntnis. Die hier umstrittenen Anwaltskosten sind irreversibel i m Verfahren vor dem Landgericht "entstanden". Das betrifft jedenfalls die Prozess- und Verhandlungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO, denn die diese Kosten verursachenden Lebenssachverhalte waren schon im Verfahren vor dem Landgericht eingetreten und damit in rechtsrelevanter Weise abgeschlossen. Sie sind sonach im Wortsinn "entstanden". ... Dass der Gesetzgeber trotz der hier verwendeten, eindeutigen Begriffe ihr Gegenteil gemeint haben soll, lässt sich nicht erkennen.

b) Auch die Interpretation unter systematischen Kriterien führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Insbesondere lässt die Einführung der Vorschrift des § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG die Regelung des § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG unberührt, denn dort ist ausdrücklich die Rede von den "Mehrkosten", also nicht von den "entstandenen Kosten". Die arbeitsgerichtliche Regelung der Kostentragungspflicht ist zudem eine eigenständige Regelung, die die besonderen sozialpolitischen Aspekte des Verfahrens vor den Arbeitsgerichten berücksichtigt, weshalb sie die Vorschrift des § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG weder konkretisiert noch hierauf Bezug nimmt. Auch der Grundsatz der Einheitlichkeit des Verfahrens nach § 9 GKG führt nicht zur Beschränkung der Kostenerstattung, denn die Verweisung des Verfahrens hat keinen Einfluss auf bereits entstandene Gebührenansprüche, und er kann diese Ansprüche fiktiv nicht so behandeln, als seien diese erst nach der Verweisung vor dem Arbeitsgericht entstanden.

c) Die teleologische Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 3 ArbGG spricht ebenfalls nicht gegen die Wortinterpretation.

So kann der Beklagte in Kenntnis oder in der Annahme der Erfolglosigkeit der Klage vor dem Amtsgericht einen Anwalt mit seiner Vertretung beauftragen, weil er der Kostenerstattung gewiss sein kann, diese mindestens aber erwarten darf. Ob es zur Verweisung an das Arbeitsgericht kommen wird, ist häufig nicht voraussehbar. Kommt es dazu, so ist der Beklagte nach der Mindermeinung nicht mehr in der Lage, das Risiko der Kostenerstattung zu vermeiden, indem er auf die Zuziehung eines Anwalts verzichtet. Der Beklagte hat andererseits auf die Wahl des Gerichts selbst keinen Einfluss. Er ist beim Verfahren vor dem Landgericht zur anwaltlichen Vertretung gezwungen. Er kann sich auch in einem einfach gelagerten Fall nicht wie beim Verfahren vor dem Arbeitsgericht für eine Kostenminimierung ohne anwaltliche Vertretung entscheiden. Wird dann das Verfahren zu Recht oder zu Unrecht an das Arbeitsgericht verwiesen, so ist es nur folgerichtig, die dem obsiegenden Beklagten aufgedrängten Anwaltskosten zu erstatten.

d) Schließlich ist auch die Auslegung unter historischen Kriterien nicht geeignet, die hier vertretene Auffassung in Frage zu stellen. Die Gesetzesmaterialien aus dem Jahr 1969, als die Vorschrift des § 12 a ArbGG erstmals in Kraft trat, lassen erkennen, dass auf Grund des Hinweises auf die damals schon herrschende Meinung an die Erstattung sämtlicher vor der Verweisung entstandener Anwaltskosten gedacht war (BT-Drucksache 8/2535 S. 35). Die zusätzliche Verwendung des Begriffes "Mehrkosten" in den Gesetzesmaterialien widerspricht dem nicht, weil die damalige überwiegende Rechtsprechung und Literatur unter "Mehrkosten" die Gesamtheit der vor den ordentlichen Gerichten entstandenen Anwaltskosten verstanden hat.

e) Es spricht sonach vor allem der eindeutige Wortlaut des § 12 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG für das hier vertretene Ergebnis. Aber auch die sich hieraus ergebenden Konsequenzen entsprechen den Prinzipien der Rechtsklarheit und -bestimmtheit, weil sie nicht den Zufälligkeiten ausgesetzt sind, ob die Klage - wie hier - erst kurz nach der Verweisung und nicht schon vorher zurückgenommen wird. Es steht von vornherein fest, dass die Anrufung der ordentlichen Gerichte das Risiko der Erstattung der dort entstandenen Kosten in sich birgt. In gleicher Weise besteht das Korrelat, dass die durch die Anrufung des Arbeitsgerichts entstandenen Anwaltskosten wegen des Privilegs des § 12 Abs. 1 Satz 1 ArbGG trotz Verweisung an ein ordentliches Gericht nicht erstattungsfähig werden."

Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfange an mit der Folge, dass sich die Beschwerde des Klägers als unbegründet erweist.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist dagegen begründet.

1. Der Rechtspfleger des Arbeitsgerichts hat der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht selbständig einen Gegenstandswert von DM 45.000,00 zu Grunde gelegt. Vielmehr hätte der Rechtspfleger aufgrund der Beanstandung des von den Beklagten in ihrem Festsetzungsantrag vom 05.10.1999 zu Grunde gelegten höheren Gegenstandswerts von DM 119.459,40 durch den Kläger zunächst eine gerichtliche Festsetzung des maßgeblichen Gegenstandswerts nach § 25 Abs. 2 GKG herbeiführen müssen, was nicht geschehen ist. Eine solche Wertfestsetzung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Denn die Anhörung der Beteiligten durch Verfügung des Vorsitzenden der Kammer 2 des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 01.12.1999 zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung hat zu keinem förmlichen Beschluss geführt, was die Auslegung der von den Beklagten gemäß § 104 Abs. 3 ZPO eingelegten sofortigen Beschwerde als Streitwertbeschwerde nach § 25 Abs. 3 GKG hindert und weshalb die Beklagten insoweit zu Recht mit der sofortigen Beschwerde vorsorglich die Festsetzung des Streitwerts beantragt haben. Eine solche kann durch das Beschwerdegericht aber nicht erfolgen, weil dieses gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG zwar zur Abänderung einer vom Vordergericht vorgenommenen Wertfestsetzung befugt ist, nicht aber zur erstmaligen Wertfestsetzung. Dies macht die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung gemäß § 575 ZPO erforderlich, wobei die Aufhebung im Hinblick darauf, dass ein Streitwert von DM 45.000,00 als Mindestwert unstreitig ist und außer Zweifel steht, auf den Ausspruch unter Ziffern 2. und 3. des Tenors des angefochtenen Beschlusses zu beschränken war. Ob diese Beschränkung der Aufhebung auch schon aufgrund des Verschlechterungsverbots geboten gewesen wäre, kann daher dahingestellt bleiben.

2. Zu Unrecht ist im angefochtenen Beschluss ferner die Mehrwertsteuer nur bezüglich der Erhöhungsgebühr des § 6 Abs. 1 BRAGO festgesetzt worden. Denn bei Streitgenossen, von denen einer nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, ist für die Festsetzung der Mehrwertsteuer entscheidend, welche Partei im Innenverhältnis gemäß § 426 BGB, § 6 Abs. 3 BRAGO welche Kosten zu tragen hat (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., Rdnr. 13 zu § 91 "Umsatzsteuer" mit Nachweisen).

3. Mit diesen Maßgaben war der angefochtene Beschluss im erkannten Umfang aufzuheben und die Sache zur Neubescheidung des Kostenerstattungsantrags sowie zur Entscheidung auch über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, wobei dieses zunächst einmal den Antrag der Beklagten auf Streitwertfestsetzung zu bescheiden haben wird.

4. Der Zinsausspruch beruht auf § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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