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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 31.07.2009
Aktenzeichen: 7 Sa 48/09
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99 Abs. 4
BetrVG § 101 Satz 1
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 1
1. Ein auf der Grundlage des § 101 Satz 1 BetrVG ergangener rechtskräftiger Beschluss, die personelle Maßnahme der Einstellung aufzuheben, hat ein (absolutes) betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot zur Folge.

2. Da die Realisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit für die Arbeitsvertragsparteien rechtlich unmöglich ist, ist eine ordentliche Kündigung an sich sozial gerechtfertigt.

3. Der Arbeitgeber ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Beseitigung des Beschäftigungsverbots verpflichtet, (nachträglich) die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung des vom Beschäftigungsverbot betroffenen Arbeitnehmers einzuholen.

4. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung, besteht lediglich beim Vorliegen besonderer Umstände die Pflicht des Arbeitgebers, das Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Absatz 4 BetrVG einzuleiten.

5. Besondere Umstände in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Widerspruch des Betriebsrats auf einem kollusiven Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beruht oder aber ein offensichtlich unbegründeter Widerspruch des Betriebsrats gegeben ist (im Anschluss an BAG, Urteil vom 22.09.2005 - 2 AZR 519/04 - AP Nr. 10 zu § 81 SGB IX).

6. Stützt der Arbeitgeber seine Kündigung ausschließlich auf das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot, bedarf es keiner Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Der Wortlaut des § 102 Absatz 1 Satz 1 BetrVG ist teleologisch zu reduzieren; eine verdeckte Regelungslücke ist gegeben. Durch die vom Betriebsrat erwirkte Aufhebung der Einstellung gemäß § 101 Satz 1 BetrVG und der Zustimmungsverweigerung im - vorliegend - anschließenden Verfahren nach § 99 Absatz 1 BetrVG hat er seine Zustimmung zur Kündigung des Arbeitnehmers im kollektiven Interesse der Belegschaft bereits zum Ausdruck gebracht (vergleiche zum Schutzzweck des § 102 BetrVG BAG, Urteil vom 27.06.1985 - 2 AZR 412/84 - AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972).


Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.11.2008 - 1 Ca 4841/08 - abgeändert.

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.07.2008 - 1 Ca 4841/08 - wird insgesamt aufgehoben und die Klage mit Ausnahme der Nr. 2 des Tenors des Urteils vom 13.11.2008 insgesamt abgewiesen.

2. Der Kläger trägt 96 % und die Beklagte 4 % der Kosten der ersten Instanz. Der Kläger trägt die Kosten der zweiten Instanz.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten zweitinstanzlich über die Wirksamkeit einer auf einem betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbot beruhenden ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 zum 30.09.2008.

Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.11.2008 sowohl sein Versäumnis-Urteil vom 29.07.2008 unter Aufhebung im Übrigen insoweit aufrecht erhalten, als es dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben hat, als auch die Beklagte zur Zahlung von Urlaubsgeld in Höhe von EUR 458,08 brutto verurteilt. Wegen der Begründung der vom Arbeitsgericht als nicht sozial gerechtfertigt beurteilten ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts unter I Bezug genommen und verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 04.12.2008 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 15.12.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie innerhalb der mit Verfügung vom 04.02.2009 bis zum 04.03.2009 verlängerten Begründungsfrist mit beim Landesarbeitsgericht am 03.03.2009 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.

Sie rügt näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insoweit, als sie zunächst die ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts beanstandet. Ihre ordentliche Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil der Beschäftigung des Klägers ein betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot entgegenstehe. Zum einen habe der Betriebsrat gegen sie einen Titel nach § 101 BetrVG auf Aufhebung der Beschäftigung des Klägers erwirkt. Zum anderen habe der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG mit Schreiben vom 28.04.2008 verweigert. Ein Zustimmungsersetzungsverfahren sei vorliegend nicht veranlasst gewesen, da die Verweigerung der Zustimmung weder offensichtlich unbegründet sei noch der Widerspruch auf einem kollusiven Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beruhe. Eine vorherige Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG sei nicht veranlasst gewesen, da der Betriebsrat aufgrund seines betriebsverfassungsrechtlichen Vorgehens deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass er keine Beschäftigung des Klägers wünsche.

Die Beklagte beantragt:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Stuttgart vom 13.11.2008, Az: 1 Ca 4841/08, wird das Versäumnis-Urteil des Arbeitsgerichtes Stuttgart vom 29.07.2008, Az: 1 Ca 4841/08, insgesamt aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil, indem er insbesondere die Durchführung des betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens gemäß § 99 BetrVG bestreitet.

Ergänzend wird auf den zweitinstanzlich gewechselten Schriftverkehr der Parteien (Beklagte vom 26.02.2009 und 09.07.2009; Kläger vom 02.04.2009) nebst Anlagen einschließlich des Sitzungsprotokolls Bezug genommen und verwiesen. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung am 17.07.2009 übereinstimmend eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Versäumnis-Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.07.2008 ist insgesamt aufzuheben und die Klage mit Ausnahme des durch Urteil vom 13.11.2008 in Rechtskraft erwachsenen Anspruchs des Klägers auf Urlaubsgeld abzuweisen. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 ist sozial gerechtfertigt. Der arbeitsvertraglichen Pflichterfüllung des Klägers steht ein betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot entgegen. Die Anhörung des Betriebsrats war vorliegend nicht veranlasst.

1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 ist sozial gerechtfertigt. Gegenüber dem Kläger besteht ein betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot. Aufgrund dessen ist es dem Kläger rechtlich unmöglich, im Betrieb der Beklagten eingesetzt zu werden, geschweige denn, seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Einsatzleiter zu erbringen.

a) Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie u. a. nicht durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Als personenbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen können, kommen solche Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden "Störquelle" beruhen (BAG, Urteil vom 13.03.1987 - 7 AZR 724/85 - AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung zu, II 1 der Gründe = Rnr. 28; BAG, Urteil vom 24.02.2005 - 2 AZR 211/04 - AP Nr. 51 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 1 der Gründe = Rnr. 19). Eine personenbedingte Kündigung kann insbesondere sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, jedoch nicht von ihm verschuldet sein müssen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist. In diesem Fall liegt in der Regel eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses vor, der der Arbeitgeber, wenn keine andere Beschäftigung mehr möglich ist, mit einer ordentlichen Kündigung begegnen kann (BAG, Urteil vom 05.06.2008 - 2 AZR 984/06 - AP Nr. 212 zu § 626 BGB, zu B I 2 a der Gründe = Rnr. 27). Demgegenüber handelt es sich bei "dringenden betrieblichen Erfordernissen" um Umstände, die dem Einflussbereich des Arbeitgebers in dessen Eigenschaft als Unternehmer unterliegen. Durch diese legislative Grundentscheidung ist anerkannt, dass das Bestandsschutzinteresse des einzelnen Arbeitnehmers zurückzutreten hat, wenn die betrieblichen Verhältnisse einen Personalabbau erforderlich machen (z. B. KR-Griebeling, 9. Aufl., § 1 KSchG, Rnr. 514 f). Sofern ein einheitlicher Lebenssachverhalt z. B. zwei der in § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG genannten Bereiche berührt, ist die Abgrenzung, welchem dieser Bereiche die Beurteilung der Kündigung unterworfen werden soll, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach der Sphäre auszurichten, aus der die Störung des Arbeitsverhältnisses primär kommt (BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 109/83 - AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B III 3 a der Gründe = Rnr. 50).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt die mitbestimmungswidrige Einstellung zu einem betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbot (BAG, Urteil vom 05.04.2001 - 2 AZR 580/99 - AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung, zu II 2 c cc (3) der Gründe = Rnr. 38). Eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG liegt auch in der Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses (BAG, Beschluss vom 07.08.1990 - 1 ABR 68/89 - AP Nr. 82 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2 a bb der Gründe = Rnr. 23). Das sich auf die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers beziehende Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung lässt die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags unberührt, greift jedoch in die individualrechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber insofern ein, als es die Erfüllung eines aus dem Arbeitsverhältnis fließenden Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers ausschließt (BAG, Urteil vom 05.04.2001 - 2 AZR 580/99 - AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung, zu II 2 c cc (3) der Gründe = Rnr. 39). Liegt ein rechtskräftiger Beschluss des Arbeitsgerichts dahin vor, der Arbeitgeber habe die Einstellung aufzuheben, so muss er unverzüglich die tatsächlichen Konsequenzen aus einer jedenfalls nunmehr rechtsunwirksamen Einstellung ziehen (§ 101 BetrVG).

Hat der Arbeitgeber die Zustimmung zur Einstellung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG beim Betriebsrat beantragt, hat dieser jedoch seine Zustimmung verweigert, besteht lediglich beim Vorliegen besonderer Umstände eine Pflicht des Arbeitgebers, gegen den Betriebsrat nach § 99 Abs. 4 BetrVG vorzugehen. Besondere Umstände in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Widerspruch des Betriebsrats auf einem kollusiven Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beruht oder aber ein offensichtlich unbegründeter Widerspruch des Betriebsrats gegeben ist (BAG, Urteil vom 22.09.2005 - 2 AZR 519/04 - AP Nr. 10 zu § 81 SGB IX zu II 2 e cc der Gründe = Rnr. 42).

b) Nach diesen vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten gesetzeskonkretisierenden Rechtssätzen ist die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 sozial gerechtfertigt.

aa) Im vorliegenden Fall liegt ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vor, weil der Kündigungsanlass im Ergebnis aus der betrieblichen Sphäre resultiert (vergleiche ErfK-Kania, 9. Aufl., § 99 Rnr. 45). Das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot ist gesetzliche Rechtsfolge des mitbestimmungswidrigen und vom Betriebsrat sanktionierten Verhaltens der Beklagten. Der auf der Grundlage des § 101 BetrVG ergangene Beschluss des Arbeitsgerichts vom 11.04.2008 (3 BV 155/07) ist primäre Ursache für das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot. Dass nach Ansicht des Betriebsrats u. a. auch das (mitbestimmungswidrige) Verhalten des Klägers in seiner Funktion als Einsatzleiter die Verweigerung seiner Zustimmung zur Einstellung des Klägers gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG geführt hat, ändert daran nichts. Insoweit betrifft das Verfahren gemäß § 99 BetrVG lediglich eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschuldete Vorgehensweise der Beklagten, um das im Ergebnis von ihr verursachte betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot zu beseitigen.

bb) Die Beklagte darf den Kläger von Rechts wegen nicht beschäftigen. Die Realisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ist rechtlich unmöglich.

cc) Eine anderweitige Beschäftigung als im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfendes milderes Mittel ist gleichfalls rechtlich unmöglich. Das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot ist absolut und lässt keinen Raum für eine anderweitige Beschäftigung des Klägers.

dd) Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes war die Beklagte nicht gehalten, das Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten.

(1) Soweit der Kläger das von der Beklagten mit Schreiben vom 24.04.2008 gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat eingeleitete Verfahren und die hierauf erfolgte Reaktion des Betriebsrats mit Schreiben vom 28.04.2008 bestreitet, kann er damit kein Gehör finden. Beide Urkunden, die sowohl jeweils unterzeichnet als auch dem jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Partner zuzurechnen sind, sind als anerkannt im Sinne des § 439 Abs. 3 ZPO anzusehen, weil die Echtheit der Unterschrift vom Kläger nicht bestritten wird.

(2) Besondere Umstände, die eine Verpflichtung der Beklagten zur Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG vorliegend zur Folge haben, liegen nicht vor. Der Kläger hat weder behauptet noch sind Anhaltspunkte erkennbar, dass der Widerspruch des Betriebsrats auf einem kollusiven Zusammenwirken zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat beruht. Der mit Schreiben vom 28.04.2008 formulierte Widerspruch des Betriebsrats ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Offensichtlich unbegründet kann ein Widerspruch nur dann sein, wenn er eine nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unbeachtliche Begründung enthält. Das ist dann der Fall, wenn sie offensichtlich auf keinen der gesetzlichen Verweigerungsgründe Bezug nimmt (BAG, Beschluss vom 06.08.2002 - 1 ABR 49/01 - AP Nr. 27 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2 b der Gründe = Rnr. 41). In seinem Schreiben vom 28.04.2008 hat der Betriebsrat jedoch unter näherer Darlegung einen Verstoß der beabsichtigten Maßnahme u. a. gegen § 93 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG geltend gemacht. Insoweit führt der Betriebsrat aus, dass die Beklagte seiner Aufforderung, alle zu besetzenden Stellen zuerst nach § 93 BetrVG innerbetrieblich auszuschreiben, nicht nachgekommen ist. Insofern bedürfen die vom Betriebsrat darüber hinaus geltend gemachten Gründe keiner Bewertung.

2. Der Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten steht die fehlende Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG nicht entgegen. Die Anhörung des Betriebsrats war nicht veranlasst. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist vorliegend teleologisch zu reduzieren.

a) Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Damit soll dem Betriebsrat Gelegenheit verschafft werden, vor dem Ausspruch der Kündigung mittels seiner Stellungnahme argumentativ Einfluss auf die Kündigungsentscheidung zu nehmen und dadurch den Arbeitgeber von übereilten Kündigungen abzuhalten (HaKo-Nägele, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rnr. 2). Trotz der vom Gesetzgeber intendierten, sich aus § 102 Abs. 1 S. 3, Abs. 4, Abs. 5 S. 1 BetrVG ergebenden Verbesserung der individuellen Rechtsposition der von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer wirkt § 102 BetrVG primär zugunsten der kollektiven Interessen der Belegschaft, indem dem Betriebsrat Einfluss auf die Zusammensetzung der Belegschaft eingeräumt wird (BAG, Urteil vom 27.06.1985 - 2 AZR 412/84 - AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 1 b der Gründe = Rnr. 29). Verlangt der Betriebsrat vom Arbeitgeber, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen bzw. ihn zu versetzen, und entschließt sich der Arbeitgeber, dem Wunsch des Betriebsrats aus den von diesem angegebenen Gründen zu entsprechen, so ist, auch wenn kein Fall des § 104 BetrVG vorliegt, eine erneute Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 102, 103, 99 BetrVG nicht mehr erforderlich. In dem Kündigungs- bzw. Versetzungsverlangen des Betriebsrats liegt dann bereits dessen Zustimmung zur Kündigung bzw. Versetzung (BAG, Urteil vom 15.05.1997 - 2 AZR 519/96 - AP Nr. 1 zu § 104 BetrVG 1972, zu II 2 und 3 der Gründe = Rnrn. 16 und 17).

b) Nach diesen Rechtssätzen bedurfte es vorliegend keiner Anhörung des Betriebsrats. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist teleologisch zu reduzieren. Eine verdeckte Regelungslücke ist gegeben, weil bezogen auf die vorliegend im Streite stehende Fallgestaltung der § 102 BetrVG keine Ausnahme in seinem Anwendungsbereich vorsieht (Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 4. Aufl., S. 81). Nach dem Zweck des § 102 BetrVG, argumentativ Einfluss auf die Kündigungsentscheidung zugunsten der kollektiven Interessen der Belegschaft zu nehmen, bedurfte es vorliegend keiner Anhörung des Betriebsrats. Der Betriebsrat hat nämlich im Hinblick auf das mitbestimmungswidrige Verhalten der Beklagten im Rahmen der Einstellung des Klägers rechtskräftig die Beseitigung der Einstellung des Klägers erwirkt und einer nach der Beschlussentscheidung des Arbeitsgerichts begehrten Zustimmung der Beklagten widersprochen. Dadurch hat der Betriebsrat im Ergebnis eine Zustimmung zur Kündigung des Klägers auch ausweislich des Inhalts seines Schreibens vom 28.04.2008 zugunsten der kollektiven Interessen der Belegschaft erklärt (generell zum Streitstand vergleiche gegen eine Anhörung etwa GK-Betriebsverfassungsgesetz Raab, 8. Aufl., § 102 Rnr. 26; DKK-Kittner, 11. Aufl., § 102 Rnr. 24; differenzierend wohl APS-Koch, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rnr. 40; ebenso wohl HaKo-Nägele, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rnr. 49). Im Übrigen stützt die Beklagte ihre Kündigung nur auf das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot und nicht etwa auf Umstände, die dem Betriebsrat nicht bekannt waren.

II.

Die erstinstanzliche Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO. § 344 ZPO ist nicht einschlägig, weil die Beklagte zum Säumnistermin nicht ordnungsgemäß geladen worden ist. Eine wirksame Ersatzzustellung im Sinne der §§ 178, 180 ZPO ist nicht erfolgt. Die Beklagte unterhält in der E. Straße in 00000 L.-E. auch keine Geschäftsräume. Dort residiert ein anderer Rechtsträger, der zur W. -Gruppe gehört. Die zweitinstanzliche Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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