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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.02.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 61/05
Rechtsgebiete: StVollzG, ZPO, MTV


Vorschriften:

StVollzG § 11
StVollzG § 11 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 162
BGB § 242
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB §§ 293 ff.
BGB § 294
BGB § 295
BGB § 296
BGB § 297
BGB § 614
BGB § 615 Satz 1
MTV § 11.1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 7 Sa 61/05

verkündet am 17.02.2006

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 7. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfeiffer, den ehrenamtlichen Richter Buthmann und den ehrenamtlichen Richter Dr. Feichtmair auf die mündliche Verhandlung vom 17.02.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.07.2005 - 29 Ca 592/05 - teilweise abgeändert und klarstellend neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 13 558,59 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt 26 % und die Beklagte 74 % der Kosten des Rechtsstreites.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers aus Annahmeverzug aus Anlass der von der Beklagten verweigerten Zustimmung zur Beschäftigung des Klägers im Freigang.

Der Kläger ist seit 17.08.1998 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilbranche, in deren Werkteil M., Abteilung GLD I, zuletzt als Gabelstaplerfahrer im Drei-Schicht-Betrieb in der 35-Stunden-Woche gegen einen Bruttomonatsverdienst von € 2 913,83 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit das Tarifregime der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Am 17.12.2002 wurde der Kläger vorläufig festgenommen, ab 18.12.2002 saß er wegen des Verdachtes des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 08.04.2003 zugegangenem Schreiben vom 07.04.2003 zum 31.05.2003 wegen der haftbedingten Unmöglichkeit der Leistungserbringung des Klägers. Hiergegen reichte der Kläger mit beim Arbeitsgericht am 23.04.2003 eingegangenem Schriftsatz, der Beklagten am 30.04.2003 zugestellt, Kündigungsschutzklage nebst entsprechendem Weiterbeschäftigungsantrag ein. Hiermit bot er ausdrücklich seine Arbeitskraft auch über den Ablauf der Kündigungsfrist an. Mit Urteil vom 12.06.2003 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Sigmaringen wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Auf seine Berufung wurde die Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre und drei Monate abgeändert. Auf die Freiheitsstrafe wurde die Dauer der Untersuchungshaft angerechnet. Nach seiner vorläufigen Festnahme und der Anordnung der Untersuchungshaft saß der Kläger in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg seine Strafhaft bis zum 17.06.2004 ab. Das Arbeitsgericht Stuttgart (6 Ca 4769/03) entsprach mit Urteil vom 11.12.2003 dem Kündigungsschutzantrag des Klägers und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites arbeitsvertragsgemäß weiterzubeschäftigen. Dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers entsprach das Arbeitsgericht mit der Begründung, entgegenstehende überwiegende Interessen seien von der Beklagten nicht vorgebracht und insbesondere auch nicht, dass der Kläger den Freigängerstatus nicht erlange. Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Kläger am 03.05.2004 und der Beklagten am 30.04.2004 zugestellt. Die Beklagte legte kein Rechtsmittel ein. Der Kläger beantragte am 18.12.2003 gegenüber der Justizvollzugsanstalt seine Zulassung zum Freigang. In § 11 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) in der vorliegend maßgebenden Fassung ist Folgendes bestimmt:

"(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, dass der Gefangene

1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder

2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.

(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde."

Auf seinen Antrag hin wurde ihm von der Justizvollzugsanstalt ein Merkblatt mit folgendem Inhalt überlassen:

"Nachfolgend aufgeführte Unterlagen sind von Selbststellern zur Bearbeitung ihres Antrags auf Zulassung zum Sofortfreigang erforderlich und vorzulegen:

- Arbeitsvertrag

- Zustimmung des Arbeitgebers zur Beschäftigung als Freigänger

- Arbeitszeiten

- letzte Lohn-/Gehaltsabrechnung

- Tätigkeitsbeschreibung...

Ausländische Staatsangehörige, die nicht aus EU-Ländern kommen, benötigen zusätzlich eine Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnis.

Bitte beachten Sie, dass es bei fehlenden Unterlagen zu einer unnötigen Verzögerung bei der Zulassung zum Freigang kommen kann..."

Mit Schreiben vom 29.01.2004 teilte der Leiter der Justizvollzugsanstalt dem Kläger mit, dass auf seine telefonische Anfrage die Beklagte derzeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers als Freigänger nicht zustimme, da sie noch nicht über eine Rechtsmitteleinlegung entschieden habe. Mit dem Schreiben reichte der Leiter der Justizvollzugsanstalt die vom Kläger vorgelegten Unterlagen vorerst als unerledigt zurück, weil aufgrund der Auskunft der Beklagten derzeit eine Verlegung in den Freigang nicht möglich sei. Im Rahmen der Entlassungsvorbereitung erfolgte mit Schreiben der Justizvollzugsanstalt vom 29.03.2004 die Zulassung des Klägers zum Freigang. Der Kläger bot der Beklagten am 25.06.2004 tatsächlich seine Arbeitsleistung an. Seit diesem Zeitpunkt erhält er auch seine monatliche Vergütung. Für den Zeitraum März bis Mai 2004 verdiente der Kläger während seiner Strafhaft € 613,22 brutto. Der Kläger verlangt von der Beklagten für den Zeitraum vom 11.12.2003 bis einschließlich 24.06.2004 entsprechend der monatsbezogenen Aufstellung in seiner Klageschrift vom 17.06.2005 (Blatt 4 der ArbG-Akte) insgesamt € 18 946,20 brutto, auf die er sich den in der Justizvollzugsanstalt erzielten Vergütungsanspruch in Höhe von € 613,22 brutto anrechnen lässt. Wegen des weiteren unstreitigen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei seit dem 11.12.2003 in Annahmeverzug, weil es an ihrer Mitwirkungspflicht gescheitert sei, dass er gearbeitet habe.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 18 332,98 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit 01.07.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Verpflichtung zur von ihr nicht bestrittenen Weiterbeschäftigung sei zu trennen von einer Verpflichtung daran mitzuwirken, dass der Kläger seine Arbeitskraft ordnungsgemäß nach den gesetzlichen Bestimmungen anbieten könne. Eine solche Mitwirkungsverpflichtung sei nicht gegeben. Der Kläger habe die Unmöglichkeit, seine Arbeitsleistung vor dem 25.06.2004 ordnungsgemäß anzubieten, selbst verschuldet. Sie habe befürchten müssen, dass der Kläger in Zukunft weiterhin mit Drogen handeln werde und das auch in ihrem Betrieb.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.07.2005 der Vergütungsklage unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges entsprochen, weil die Beklagte aufgrund der ihr obliegenden Fürsorge daran hätte mitwirken müssen, dass der Kläger den Status eines Freigängers erlangt hätte. Insofern sei das schriftliche Arbeitsangebot des Klägers ausreichend gewesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe unter I. des angegriffenen Urteils verwiesen.

Gegen das der Beklagten am 01.08.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts legte diese mit beim Landesarbeitsgericht am 05.08.2005 eingegangenem Schriftsatz Berufung ein und führte sie mit beim Berufungsgericht am 04.10.2005 (01.10.2005 Samstag und 03.10.2005 Feiertag) eingegangenem Schriftsatz aus.

Die Beklagte rügt näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts, insbesondere werde die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei Weitem überspannt.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 20.07.2005, 29 Ca 592/05, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Zur näheren Darstellung ihrer zweitinstanzlichen Ausführungen wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz der Beklagten vom 04.10.2005 und auf dessen Beantwortung durch den Kläger mit Schriftsatz vom 12.10.2005 ergänzend Bezug genommen. In der Berufungsverhandlung vom 25.11.2005 stellten die Parteien die Einhaltung der vorliegend geltenden Ausschlussfristen außer Streit (Blatt 26 der Akte). Mit Beschluss vom 25.11.2005 hat die Berufungskammer eine amtliche Auskunft beim Leiter der Justizvollzugsanstalt Rottenburg eingeholt. Auf sein Schreiben vom 16.12.2005 wird Bezug genommen (Blatt 38 f. der Akte).

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts stehen dem Kläger Vergütungsansprüche nur für den Zeitraum ab 30.01.2004 bis einschließlich 24.06.2004 in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 13 558,59 brutto nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe ab 01.07.2004 zu. Die Beklagte befand sich ab 30.01.2004 in Annahmeverzug. Sie hätte nämlich der Beschäftigung des Klägers im Freigang zustimmen müssen.

1. Die Klage ist zulässig.

Die im Wege der objektiven Klagenhäufung zur Entscheidung gestellten Zahlungsbegehren für die Monate Dezember 2003 bis einschließlich Juni 2004 sind hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO. Entsprechend den in der Klageschrift unter III monatlich zugeordneten Forderungsbegehren ist für das zur Entscheidung berufene Gericht insbesondere im Hinblick auf die Unterscheidbarkeit der Streitgegenstände wegen der Rechtskraftwirkung der Entscheidung abgrenzbar bestimmt, für welchen Monat der Kläger welchen Forderungsbetrag beansprucht.

2. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts steht dem Kläger nicht ab 11.12.2003, sondern

erst ab dem 30.01.2004 bis einschließlich 24.06.2004 der der Höhe nach schlüssig dargetane und von der Beklagten in seiner Gesamtberechnung nicht bestrittene auf diesen Zeitraum bezogene Gesamtbetrag in Höhe von € 13 558,59 brutto nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit 01.07.2004 zu. Anspruchsgrundlage ist ausschließlich § 615 Satz 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien.

a) Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Der Arbeitgeber gerät nach § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Gemäß § 294 BGB muss die Leistung dem Gläubiger grundsätzlich so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden. Der Arbeitnehmer muss sich zur vertraglich vereinbarten Zeit an den vereinbarten Arbeitsort begeben und die nach dem Vertrag geschuldete Arbeitsleistung anbieten. Nach § 295 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn der Gläubiger ihm zuvor erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebotes des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers darin gesehen, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamen Kündigung müsse deshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten wolle, die Arbeit wieder zuweisen (BAG, Urteil vom 09.08.1984 - 2 AZR 374/83 - AP Nr. 34 zu § 615 BGB, zu II 5 b der Gründe; BAG, Urteil vom 24.11.1994 - 2 AZR 179/94 - AP Nr. 60 zu § 615 BGB, zu II 2 der Gründe). Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muss er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebotes der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (BAG, Urteil vom 19.01.1999 - 9 AZR 679/97 - AP Nr. 79 zu § 615 BGB, zu II 1 der Gründe). Annahmeverzug setzt kein Verschulden des Gläubigers voraus; wohl aber ist Annahmeverzug nur dann gegeben, wenn der Gläubiger die Annahme der gehörig angebotenen Leistung ungerechtfertigterweise verweigert, das heißt es darf dem Gläubiger kein vom Recht anerkannter Grund zur Seite stehen, die Leistung abzulehnen. Ein Grund zur Ablehnung liegt regelmäßig dann vor, wenn die angebotene Leistung dem Vertrag nicht entspricht oder das Angebot unter solchen dem Schuldner zuzurechnenden Umständen erfolgt, das der Gläubiger nach Treu und Glauben nicht anzunehmen braucht (BAG, GS Beschluss vom 26.04.1956 -GS 1/56 - AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG, zu II 2 der Gründe). Ein Annahmeverzug ist auch nicht im Anwendungsbereich des § 297 BGB gegeben. Der Arbeitgeber kommt nach § 297 BGB nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit des Angebotes oder im Fall des § 296 BGB zu der für die Handlung des Arbeitgebers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Entfällt das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers, wird die vertraglich geschuldete Leistung unmöglich (BAG, Urteil vom 24.09.2003 - 5 AZR 282/02 - AP Nr. 3 zu § 151 BGB, zu II 2 der Gründe). Es fehlt an einem wirksamen Angebot der Leistung, wenn und solange der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung außerstande ist. Ein Leistungsangebot ist unbeachtlich, wenn der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung nicht bereit oder nicht imstande ist (BAG, Urteil vom 18.08.1961 - 4 AZR 132/50 - AP Nr. 20 zu § 615 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - AP Nr. 106 zu § 615 BGB, zu I 2 a der Gründe).

b) Hieran gemessen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Annahmeverzuges für den Zeitraum vom 30.01.2004 bis einschließlich 24.06.2004 erfüllt.

aa) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts befand sich die Beklagte nicht seit 11.12.2003 in Annahmeverzug; denn der Kläger war seit 17.12.2002 außerstande, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung als Gabelstaplerfahrer im Betrieb der Beklagten zu bewirken. Am 17.12.2002 wurde der Kläger vorläufig festgenommen, befand sich ab 18.12.2002 in Untersuchungshaft, die dann nach rechtskräftigem Urteil des Berufungsgerichts nahtlos in die Strafhaft überging. Die Verbüßung einer Haftstrafe, nichts anderes gilt für eine vorläufige Festnahme und eine Untersuchungshaft, begründet grundsätzlich die einen Annahmeverzug ausschließende Leistungsunmöglichkeit im Sinne des § 297 BGB (vergleiche BAG, Urteil vom 18.08.1961 - 4 AZR 132/60 - a. a. O.).

bb) Ein Annahmeverzug der Beklagten ist auch nicht ab dem 18.12.2003 gegeben. Der an diesem Tag vom Kläger gestellte Antrag auf Freigang nach § 11 Absatz 1 Nr. 1 StVollzG beseitigte seine Leistungsunmöglichkeit im Sinne des § 297 BGB nicht; denn der Kläger hat gegenüber der Justizvollzugsanstalt keinen Rechtsanspruch auf Zulassung zum Freigang. Die Zulassung zum Freigang ist nämlich nach § 11 Absatz 1 Nr. 1 StVollzG eine im Ermessen der Justizvollzugsanstalt stehende Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ermessensentscheidung nicht vor. Neben der persönlichen Eignung des Gefangenen und seines positiven Vollzugsverlaufes (vergleiche § 11 Absatz 2 StVollzG) ist weitere tatbestandliche Voraussetzung das Bestehen einer Beschäftigungsmöglichkeit (vergleiche § 11 Absatz 1 Nr. 1 StVollzG). Zum Nachweis der zuletzt genannten Voraussetzung muss der Gefangene der Justizvollzugsanstalt unter anderem seinen Arbeitsvertrag und die Zustimmung seines Arbeitgebers zur Beschäftigung als Freigänger vorlegen (vergleiche Merkblatt der Justizvollzugsanstalt, Blatt 8 der ArbG-Akte = Anlage K 2). Zur Frage der Beschäftigung des Klägers im Freigang hat sich die Beklagte gegenüber der Justizvollzugsanstalt als der für die konstitutive Entscheidung über die Zulassung zum Freigang zuständigen Behörde erstmals am 29.01.2004 erklärt. Im Übrigen läge auch ein nach § 294 BGB erforderliches tatsächliches Angebot des Klägers nicht vor; denn es fehlt an einem wirksamen Angebot der Leistung, wenn und solange der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung außerstande ist (so schon BAG, Urteil vom 18.08.1961 -4 AZR 132/60 - a. a. O.); denn der Kläger ist seit seiner vorläufigen Festnahme am 17.12.2002 außerstande, seine arbeitsvertragliche Leistung als Gabelstaplerfahrer zu erbringen. Die von der Beklagten ausgesprochene unwirksame ordentliche Kündigung mit den grundsätzlich für den Annahmeverzug bekannten Rechtsfolgen ändert daran nichts; denn die ab 17.12.2002 bestandene Leistungsunmöglichkeit stand bis zu ihrer Beseitigung der Begründung eines Annahmeverzuges der Beklagten entgegen.

cc) Die Beklagte befand sich jedoch seit 30.01.2004 in Annahmeverzug; denn durch ihre gegenüber dem Leiter der Justizvollzugsanstalt am 29.01.2004 telefonisch erklärte Ablehnung der Beschäftigung des Klägers im Freigang hat sie zum einen ihrer Verpflichtung, dem Kläger die vertragliche Arbeitsleistung zu ermöglichen, zuwidergehandelt und zum anderen das über den Leiter der Justizvollzugsanstalt an sie gerichtete Arbeitsangebot des Klägers abgelehnt. Im Hinblick auf ihre telefonische Erklärung kann sich die Beklagte nicht auf das Erfordernis eines tatsächlichen Arbeitsangebotes des Klägers berufen; denn dadurch, dass sie die Beschäftigung des Klägers im Freigang abgelehnt hat, hat sie zugleich auch dem Kläger die Möglichkeit genommen, ihr tatsächlich seine Arbeitsleistung anzubieten.

(1) Die Beklagte war verpflichtet, ihre Zustimmung gegenüber der Justizvollzugsanstalt zur Beschäftigung des Klägers im Freigang zu erklären; denn die Beklagte war kraft des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses gehalten, in den Grenzen des Zumutbaren an der Erlangung des Freigängerstatus mitzuwirken, um dem Kläger die vertragliche Arbeitsleistung zu ermöglichen (vergleiche BAG, Urteil vom 09.03.1995 -2 AZR 497/94 - AP Nr. 123 zu § 626 BGB, zu II 4 der Gründe).

Der vorgenannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lag eine außerordentliche Kündigung wegen Antrittes einer Strafhaft zugrunde, gegen die sich der Kläger mit dem Argument der Mitwirkung der Arbeitgeberin zur Realisierung des Freigängerstatus gewehrt hatte. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht folgende Grundsätze aufgestellt: Hat die der Strafhaft des Arbeitnehmers zugrunde liegende Tat keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis, so ist der Arbeitgeber in den Grenzen des Zumutbaren gehalten, an der Erlangung des Freigängerstatus mitzuwirken, um dem Arbeitnehmer die vertragliche Arbeitsleistung zu ermöglichen. Dies folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, welche als Ausfluss des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben den Inhalt des Schuldverhältnisses bestimmt; der Arbeitgeber darf danach dem Arbeitnehmer nicht grundlos Nachteile zufügen oder ihn der Gefahr eines Schadens aussetzen. Zum gleichen Ergebnis, nämlich der grundsätzlichen Bejahung einer Mitwirkungspflicht an der Erlangung des Freigängerstatus, führt der Rechtsgedanke des § 162 BGB. Bei der Beantwortung der Frage, was Treu und Glauben im Einzelfall gebieten, ist eine sorgfältige Abwägung der beiderseitigen Interessen erforderlich, wobei auch auf die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidungen der Verfassung Bedacht zu nehmen ist. Das Freiheitsrecht des Arbeitnehmers aus Artikel 12 Absatz 1 GG überwiegt, wenn die der Haft zugrunde liegende Straftat keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis hatte und wenn der Arbeitgeber Störungen der betrieblichen Belange dadurch ausschließen kann, dass er dem Arbeitnehmer zum Freigang verhilft (BAG, Urteil vom 09.03.1995 - 2 AZR 497/94 -a. a. O., zu II 4 der Gründe).

Die Kammer vertritt die Auffassung, dass diese Rechtssätze auch auf den vorliegenden Fall Anwendung finden. Danach war die Beklagte gehalten, an der Erlangung des Freigängerstatus des Klägers mitzuwirken. Vorliegend hat die Straftat des Klägers keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz erfolgten ausschließlich in der Privatsphäre des Klägers. Aus der Art und Schwere der Straftat lassen sich keine Ableitungen auf eine konkrete Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten erkennen. Im Vordergrund steht das personenbezogene Band des Arbeitsverhältnisses, das neben dem Austausch der gegenseitigen Hauptleistungspflichten auch die allgemeine Rücksichtnahmepflicht beinhaltet, der zufolge die Beklagte mangels entgegenstehender betrieblicher Belange gehalten war, die in der Person des Klägers begründete Leistungsunmöglichkeit zu beseitigen. Die fürsorgliche Verwirklichung des dem § 11 StVollzG zugrunde liegenden Resozialisierungsgedankens überwiegt vorliegend.

(2) Dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt das vorgenannte Gespräch am 29.01.2004 geführt hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest. Aufgrund der eingeholten amtlichen Auskunft hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt nachvollziehbar mitgeteilt, dass er das in Rede stehende Telefonat am 29.01.2004 abgewickelt hat. Das wird im Übrigen auch nicht von der Beklagten in Abrede gestellt.

(3) Der Leiter der Justizvollzugsanstalt hat das Gespräch stellvertretend für den Kläger geführt. Grundlage des Gespräches war der vom Kläger am 18.12.2003 gestellte Antrag auf Freigang. Dass das Verwaltungsverfahren mit dem Ziel der Zulassung zum Freigang vom Kläger initiiert wurde, ergibt sich auch aus dem dem Kläger überlassenen Merkblatt der Justizvollzugsanstalt. Darin ist die Formulierung "Selbststeller" enthalten.

Der Inhalt des Telefonates ist unter diesem Hintergrund interessengerecht dahingehend zu verstehen, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt der Beklagten gegenüber die Arbeitswilligkeit des Klägers zum Ausdruck gebracht hat. Ein anderes Verständnis macht keinen Sinn. In objektivierter Empfängersicht war es für die Beklagte ohne Weiteres erkennbar, dass es allein an ihr liegt, ob dem Kläger der Freigängerstatus zuerkannt wird.

(4) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten berechtigt war, die in Rede stehende materielle Erklärung abzugeben.

(5) Der Beginn des Annahmeverzuges trat am 30.01.2004 ein. Mangels entsprechender Behauptungen des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Telefonat vor Beginn oder während der für ihn an diesem Tag geltenden hypothetischen Arbeitszeit geführt worden ist.

(6) Nach Anhörung der Parteien und nach Einholung einer amtlichen Auskunft vom Leiter der Justizvollzugsanstalt einschließlich der Verwertung des Akteninhaltes steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger von der Justizvollzugsanstalt zum Freigang zugelassen worden wäre, hätte die Beklagte ihre Zustimmung zur Beschäftigung des Klägers erteilt; denn auf die im Beschluss vom 25.11.2005 unter Nr. 3 lit. c enthaltene Frage, ob ausschließlich wegen der im Telefonat nicht erfolgten Zustimmung zur Beschäftigung des Klägers als Freigänger der Freigang unterblieb, antwortete der Leiter der Justizvollzugsanstalt uneingeschränkt mit ja. Seitens der Kammer bestehen weder Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage noch an der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson. Entgegenstehende Zweifel hat die Beklagte durch erheblichen Sachvortrag nicht aufgezeigt.

dd) Dem Kläger steht gegen die Beklagte für den Zeitraum vom 30.01.2004 bis einschließlich 24.06.2004 ein Gesamtbruttobetrag in Höhe von € 13 558,59 zu. Der Kläger hat einen monatlichen Vergütungsanspruch in Höhe von € 2 913,83 brutto. Sein diesbezüglicher Vortrag ist schlüssig und wird im Übrigen von der Beklagten auch nicht bestritten. Dementsprechend stehen dem Kläger für den Monat Januar 2004 bei 22 Arbeitstagen 1/12, mithin € 132,45 brutto, für die Monate Februar bis einschließlich Mai 2004 jeweils monatlich € 2 913,83 brutto und für den Monat Juni bei 22 Arbeitstagen 18/22, mithin € 2 384,04 brutto, folglich also € 14 171,81 brutto zu. Hiervon lässt sich der Kläger seinen in der Justizvollzugsanstalt erzielten Zwischenverdienst für die Monate März bis einschließlich Mai 2004 in Höhe von € 613,22 brutto anrechnen.

ee) Sein Zinsanspruch in gesetzlicher Höhe ergibt sich aus §§ 288 Absatz 1, 286 Absatz 2 Nr. 1, 614 BGB (vergleiche auch § 11.1 des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden).

2. Ob dem Kläger gegen die Beklagte der entsprechende Forderungsbetrag auch auf der Grundlage eines Schadensersatzanspruches wegen rechtswidriger und schuldhafter Verletzung der Fürsorgepflicht zusteht, kann vorliegend dahinstehen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Absatz 1 Satz 1, 97 Absatz 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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