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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 18.12.2001
Aktenzeichen: 8 Sa 47/01
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2b
ArbGG § 72a
ZPO § 97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
8 Sa 47/01

verkündet am 18. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -8. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Kaiser, den ehrenamtlichen Richter Dirr und den ehrenamtlichen Richter Krapf auf die mündliche Verhandlung vom 18.12.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen vom 31.05.2001 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis die jeweils aktuellen Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie für das Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern anzuwenden sind sowie um Entgeltansprüche, die sich aus der Anwendbarkeit dieser Tarifverträge ergeben würden. Wegen des Parteivortrages und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 31.05.2001 (Bl. 67 f. d. Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, mangels Verbandszugehörigkeit der Beklagten sei nicht von einer unmittelbaren Geltung der entsprechenden Tarifverträge auszugehen. Auch der Arbeitsvertrag, gegebenenfalls in Verbindung mit dem "Einstellungsgesuch" führe bereits mangels Unterschrift der Beklagten nicht zur Tarifgeltung. Im Übrigen sei der dort enthaltene Verweis auf Tarifverträge als dynamische Verweisung anzusehen. Der Verbandsaustritt der Beklagten führe deshalb dazu, dass zeitlich nach dem Austritt vereinbarte Tarifverträge keine Geltung mehr fänden. Auch bestehe keine betriebliche Übung des Inhalts, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien stets die jeweils gültigen Tarifverträge der Metallindustrie im Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern zur Anwendung kommen sollten.

Gegen das ihm am 21.06.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 23.07.2001 (Montag) eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis 24.09.2001 verlängert wurde (Verfügung vom 22.08.2001, Bl. 16 d. Akte) am 24. September 2001 ausgeführt. Er meint, durch betriebliche Übung sei eine stillschweigende Bezugnahme der tarifvertraglichen Regelungen entstanden. Die Beklagte habe sich als Mitglied des Arbeitgeberverbandes bei der Gewährung verschiedener Leistungen nach den einschlägigen Tarifverträgen gerichtet. Die "Jeweiligkeitsklausel" des Einstellungsbogens entspreche inhaltlich den von der Beklagten sonst verwandten schriftlichen Arbeitsverträgen; sie sei zumindest konkludent vereinbart. Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe die Inbezugnahmeklausel fehlerhaft ausgelegt. Mit einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg (Urteil vom 15.11.2000, NZA 2001, 562 ff.) sei davon auszugehen, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Bezugnahme auf die jeweiligen Tarifverträge nur dann Sinn habe, wenn die bei jeweils beidseitiger konkludenter Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend geltenden Bedingungen unabhängig von der Organisationszugehörigkeit der Vertragsparteien zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht werden sollten. Der Verbandsaustritt führe daher nicht zur Umwandlung der ursprünglichen dynamischen in eine statische Bezugnahmeklausel. Auf ein "Gleichstellungsinteresse" aller Arbeitsverhältnisse könne die Beklagte sich nicht berufen, da sie ohnehin neue Dienstverträge mit ihren Beschäftigten habe vereinbaren wollen, was ihr in einzelnen Fällen auch gelungen sei.

Der Kläger beantragt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 31.05.2001, Az.: 12 Ca 154/00 wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Jahr 1999 rückständiges Gehalt in Höhe von DM 657,00 brutto nebst 4 % Zinsen seit 11.04.2001 aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie für das Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und bestreitet insbesondere, dass eine betriebliche Übung des Inhalts, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die jeweils gültigen Tarifverträge der Metallindustrie im Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern anzuwenden, entstanden sei. Dass diese Tarifverträge in der Vergangenheit angewandt worden seien, sei weder auf besonderes Verhalten der Beklagten noch auf eine entsprechende Erklärung zurückzuführen. Die Beklagte sei vielmehr damals aufgrund ihrer Mitgliedschaft beim tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband zur Anwendung der Tarifverträge verpflichtet gewesen. Bei ihrem Verbandsaustritt sei ebenfalls keine entsprechende betriebliche Übung entstanden; vielmehr sei nur noch aufgrund der nachwirkenden Tarifverträge abgerechnet worden.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 17 f. d. Akte) und die Berufungserwiderung (Bl. 45 f. d. Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2b ArbGG statthafte und auch in gehöriger Form und Frist eingelegte und ausgeführte Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt nicht den jeweils aktuellen Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie im Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern.

Diese Tarifverträge galten bis zum Verbandsaustritt der Beklagten zwischen den Parteien nicht kraft einzelvertraglicher Vereinbarung. Zwar hat die Beklagte dem Kläger gegenüber im Zusammenhang mit dessen Einstellung erklärt, für das (beabsichtigte) Arbeitsverhältnis gelten die jeweiligen Tarifverträge zwischen dem Verband der Metallindustrie Südwürttemberg/Hohenzollern und der IG Metall Bezirksleitung Stuttgart. Als rechtsgeschäftliches Angebot, das der Kläger durch seine Unterschrift angenommen hätte, kann diese Erklärung jedoch schwerlich verstanden werden. Ihre Platzierung in einem "Gesuch um Einstellung", das sich im Übrigen allein mit persönlichen Daten und dem beruflichen Werdegang des Klägers befasst und von diesem auszufüllen und gegenzuzeichnen war, sowie die Tatsache, dass die Erklärung von der Beklagten nicht unterzeichnet wurde, ist vielmehr so zu verstehen, dass im Einstellungsbogen ein Hinweis auf die allgemein im Betrieb geltenden Arbeitsbedingungen erfolgen sollte. Im Übrigen folgt die Kammer der Auffassung, wonach es sich bei einer im Arbeitsvertrag vereinbarten Verweisungsklausel den organisierten Arbeitnehmern gegenüber nur um eine deklaratorische Bestimmung handelt, die nur wiederholt was sowieso gilt (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 208, Rnr. 3).

Zu prüfen blieb allein, ob die jeweils aktuellen Tarifverträge für das Tarifgebiet Südwürttemberg/Hohenzollern kraft betrieblicher Übung gelten. Dafür könnte zunächst die Tatsache sprechen, dass die Beklagte diese Tarifverträge in der Vergangenheit unterschiedslos auf Gewerkschaftsmitglieder und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer angewandt hat und ihre Arbeitnehmer allgemein - so auch dem Kläger im oben erwähnten Einstellungsbogen - auf eben diese Praxis hingewiesen hat. Soweit sie mit einer Reihe von Arbeitnehmern schriftliche Arbeitsverträge abgeschlossen hat, in denen ebenfalls die Geltung der einschlägigen Tarifverträge vereinbart war, hat sie auch diese Arbeitnehmer wiederum gleich wie die Gruppe ohne schriftlichen Arbeitsvertrag behandelt.

Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aufgrund einer Willenserklärung, die vom Arbeitnehmer stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Dabei kommt es für die Begründung eines solchen Anspruchs durch betriebliche Übung nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte (§ 242 BGB) und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte (BAG, AP Nrn. 54 und 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Vom Vorhandensein einer entsprechenden betrieblichen Übung kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Dabei ist entscheidend, dass die Beklagte während des gesamten Zeitraums der hier einschlägigen Erklärungen und Handlungen (Vorlage des Einstellungsgesuchs an den Kläger, Weitergabe von Tariflohnerhöhungen und sonstigen Tarifänderungen an alle Arbeitnehmer, schriftliche Vereinbarung der Geltung von Tarifverträgen mit Kollegen des Klägers) kraft Verbandszugehörigkeit an die in Bezug genommenen einschlägigen Tarifverträge gebunden war. Selbst wenn der Kläger dies nicht positiv gewusst haben sollte, musste er doch damit rechnen. In einem solchen Fall ist die (einzelvertragliche oder kollektivrechtliche) Inbezugnahmeklausel jedoch regelmäßig als Gleichstellungsabrede zu verstehen, die sicherstellen soll, dass das jeweilige Arbeitsverhältnis den tarifvertraglichen Regelungen unterworfen ist, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer tarifgebunden ist oder nicht (BAG, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie). Anhaltspunkte dafür, die Beklagte habe sich unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit binden wollen, sind nicht gegeben, ein entsprechender Vertrauenstatbestand beim Kläger, die Voraussetzung für das Entstehen einer betrieblichen Übung, kann daher nicht festgestellt werden.

Da der Kläger somit keinen Anspruch auf Tariflohnerhöhungen und tarifliche Sonderzahlungen nach Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband hat, ist die Zahlungsklage zu Recht abgewiesen worden.

Auch die Feststellungsklage des Kläger ist zulässig; die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages wird als Gegenstand einer Feststellungsklage allgemein anerkannt (vgl. zum Beispiel BAGE 82, 344). Mangels Tarifbindung der Beklagten im Entscheidungszeitraum und mangels anderweitiger vertraglicher Verpflichtungen ist die Klage aber unbegründet.

Die Berufung des Klägers ist daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückgewiesen worden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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