Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: 10 Sa 2109/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 314 Abs. 2
BGB § 626
1) Ob die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Prozess gegen den Arbeitgeber eine Kündigung rechtfertigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

2) Es ist zu unterscheiden, ob die Abgabe vorsätzlich oder fahrlässig falsch war.


Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

10 Sa 2109/06

Verkündet am 05.03.2007

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 12.02.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht W.-M. als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr D. und Herr Do.

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.9.2006 - 36 Ca 714/06 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.1.2006 nicht beendet worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Der Kläger ist 52 Jahre alt (.... 1954), geschieden und seit dem 15. Juni 1999 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Sozialarbeiter mit einer Bruttovergütung in Höhe von 2060,32 EUR beschäftigt. Er war der Vorsitzende des Betriebsrats des Rechtsvorgängers T. Berlin e.V.

Zum 1. Januar 2006 erfolgte ein Betriebsübergang vom T. Berlin e.V. auf die Beklagte. Über diese Absicht wurde der Kläger nach § 613a Abs.5 BGB mit einem Informationsschreiben der Beklagten und ihres Rechtsvorgängers vom 29. November 2005, zugegangen am 30. November 2005 (Bl. 50-51 d.A.) informiert. Der T. Berlin e.V. war Mitglied im P. Wohlfahrtsverband, die Beklagte ist Mitglied im D. Werk Berlin-Brandenburg. Aufgrund des Umstandes, dass nach § 118 Abs.2 BetrVG für die Beklagte das Betriebsverfassungsrecht nicht gilt, gab es seit dem 2. Januar 2006 verschiedene Streitigkeiten zwischen dem Betriebsrat des T. Berlin e.V. und der Beklagten. Diese wurden auch in mehreren gerichtlichen Beschlussverfahren auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes unter anderem über die Frage der Amtsausübung seit dem 2. Januar 2006 geführt.

Am 2. Januar 2006 führte der Betriebsrat des T. Berlin e.V. in Anwesenheit des Klägers eine Betriebsratssitzung durch. Während dieser Sitzung erschien der Geschäftsführer der Beklagten mit fünf weiteren Beschäftigten und übergab dem Betriebsrat ein Schreiben der Beklagten vom 2. Januar 2006 (Bl. 19 d.A.), in welchem mitgeteilt wurde, "dass die T. Berlin seit dem 01.01.2006 nicht mehr zum P. Wohlfahrtsverband, sondern zum D. Werk Berlin-Brandenburg" gehöre. Weiter wurde auf die daraus resultierende Unanwendbarkeit des BetrVG hingewiesen. Die anwesenden weiteren Beschäftigten der Beklagten räumten dann das Betriebsratsbüro und verlangten die Herausgabe einiger Gegenstände wie Schlüssel und Dienst-Handy. Ob auch eine Herausgabe des privaten Laptops des Klägers verlangt wurde oder ob sich die Beklagte nur danach erkundigte, ob auf diesem dienstliche Angelegenheiten gespeichert seien, ist streitig.

Unmittelbar nach dem Räumen des Betriebsratsbüros erhielt der Kläger von der Beklagten ein Schreiben vom 2. Januar 2006 (Bl. 23 d.A.), in welchem ihm mitgeteilt wurde, dass sein Dienstort mit sofortiger Wirkung die P. Str. 24 in 14548 Caputh sei. Dort befindet sich die Villa D., eine Bildungseinrichtung der Beklagten. Ob es sich um eine Versetzung (so der Kläger) oder nur um eine kurzfristige und vorübergehende Aushilfe aufgrund eines Wintereinbruchs (so die Beklagte) handelte, ist streitig.

Nachdem der Kläger dieser Versetzung widersprochen hatte, fuhr er auf Verlangen des Geschäftsführers der Beklagten mit Herrn L. von der Beklagten nach Caputh. Der Kläger wurde in einen Kellerraum (so der Kläger) oder in einen Raum des Souterrains (so die Beklagte) geführt. Ob dem Kläger dieser Raum als sein zukünftiger Arbeitsraum (so der Kläger) oder als Umkleideraum (so die Beklagte) vorgestellt wurde, ist streitig. Jedenfalls ist der Raum ca. 14 m² groß, verfügt über geweißte Wände, einen gefliesten Boden und eine Heizung. Er war mit Schrank, Tisch und Stuhl ausgestattet. Das Fenster mit den Ausmaßen von 0,85 bis 0,88 m befand sich über der Erdoberfläche und war mit außen liegenden Querstreben gegen Einbruch gesichert.

Ob dem Kläger dort (erst) mitgeteilt wurde, dass er als Aushilfsgärtner tätig werden solle (so der Kläger) oder ob der Geschäftsführer ihn dort (lediglich) aufgefordert hatte tätig zu werden (so die Beklagte) ist streitig. Jedenfalls kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten über den Arbeitseinsatz des Klägers. Dieser endete damit, dass der Kläger erklärte, dass er nunmehr krank sei. Die Einzelheiten des diesbezüglichen Gesprächs zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten sind wiederum streitig. Jedenfalls übergab der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger dann ein vorbereitetes Kündigungsschreiben (Bl. 16 d.A.), welches eine außerordentliche Kündigung mit sofortiger Wirkung, hilfsweise eine ordentliche Kündigung beinhaltete.

Gegen diese Kündigung erhob der Kläger unter dem 10. Januar 2006 Kündigungsschutzklage. In der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. September 2006 wurde - insoweit mittlerweile rechtskräftig - entschieden, dass diese Kündigung unwirksam ist.

Ebenfalls unter dem 10. Januar 2006 reichte der Betriebsrat der Rechtsvorgängerin der Beklagte, vertreten durch die Betriebsratsmitglieder Martin und Scholz zum Aktenzeichen 65 BVGa 705/06 einen Antrag auf Zurverfügungstellung der bisherigen Betriebsratsräume und bisheriger Sachmittel für die Betriebsratsarbeit ein. In diesem Verfahren reichte die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats eine eidesstattliche Versicherung des Klägers über die Geschehnisse rund um den Betriebsübergang und die Ereignisse am 2. Januar 2006 (Bl. 64-65 d.A.) zusammen mit einem Informationsschreiben der Beklagten und ihres Rechtsvorgängers nach § 613a Abs.5 BGB vom 12. Dezember 2005 zum bevorstehenden Betriebsübergang ein. In einer Berichtigung vom 12. Januar 2006 (Bl. 95 d.A.) korrigierte der Kläger in einem Punkt die eidesstattliche Versicherung vom 10. Januar 2006. Nach den Erörterungen in der Berufungsverhandlung reichte die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, die auch die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates war, seinerzeit zur Glaubhaftmachung die gleiche eidesstattliche Versicherung und das Schreiben vom 12. Dezember 2005 in einem vom Kläger gegen die Beklagte angestrengten einstweiligen Verfügungsverfahren (36 Ga 712/06) ein.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten erhielt die eidesstattliche Versicherung im Anhörungstermin des Verfahrens 65 BVGa 705/06 am 19. Januar 2006. Darauf kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Anwaltsschreiben vom 26. Januar 2006 erneut fristlos und außerordentlich sowie vorsorglich fristgemäß zum 31. März 2006 (Bl. 36-37 d.A.), weil die abgegebene eidesstattliche Versicherung in mehreren Punkten falsch sei.

Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2006 die Klage gegen die Kündigung vom 26. Januar 2006 im wesentlich mit der Begründung abgewiesen, dass die eidesstattliche Versicherung des Klägers im Sinne von § 156 StGB falsch gewesen sei. Der Kläger habe die eidesstattliche Versicherung im Rahmen des Verfahrens 65 BVGa 705/06 eingereicht, obwohl er gewusst habe, dass ihr Inhalt nicht den Tatsachen entsprochen habe. Es sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass diese zum Zeitpunkt ihrer Vorlage noch eine abstrakte Relevanz für das Verfügungsverfahren hätte haben können. Denn der Kläger habe im Verfahren 65 BVGa 705/06 seine Angaben durch ein Informationsschreiben konkretisiert, so dass gegebenenfalls am 2. Januar 2006 die einmonatige Widerspruchsfrist gegen den Betriebsübergang noch nicht abgelaufen gewesen sei. Damit wäre der Kläger zumindest bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist des § 613a Abs.6 BGB weiter Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten und damit Betriebsratsmitglied gewesen. Man könne nicht ausschließen, dass aufgrund der falschen eidesstattlichen Versicherung eine falsche rechtliche Beurteilung hätte abgegeben werden können.

Da der Kläger objektiv nicht mehr Betriebsrat gewesen sei, habe es sich auch nicht um eine Amtspflichtverletzung, sondern um eine Vertragspflichtverletzung gehandelt.

Aufgrund der Schwere des Pflichtenverstoßes könne auch die Interessenabwägung im Einzelfall nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen.

Aus diesem Grunde sei auch eine Abmahnung entbehrlich. Es sei nicht mit einer Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens zu rechnen.

Gegen dieses dem Kläger am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger per Telefax am 4. Dezember 2006 Berufung eingelegt und diese per Telefax am 19. Dezember 2006 begründet.

In der Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass der Straftatbestand der falschen eidesstattlichen Versicherung nicht gegeben sei und im konkreten Fall eine Abmahnung auch nicht entbehrlich gewesen sei.

In der weiteren Begründung führt der Kläger aus, dass der Straftatbestand des § 156 StGB Rechtswidrigkeit und Vorsatz verlange. Der Kläger habe jedoch im einstweiligen Verfügungsverfahren das Schreiben des Arbeitgebers vom 12. Dezember 2005 beigefügt. Ein wohlwollender und unbeteiligter Dritter hätte aufgrund dieser Angaben zunächst einmal Sachverhaltsaufklärung betrieben. Dieses gelte umso mehr, als die eidesstattliche Versicherung allein gar kein Datum beinhaltet habe. Diese sei allein viel zu unkonkret gewesen.

Das Gericht habe auch nicht die konkrete Situation mit einem enormen psychischen Druck auf Seiten der Betriebsratsmitglieder, insbesondere des Klägers, der ja bereits eine existenzgefährdende Kündigung erhalten habe, gewürdigt. Jedenfalls könne nicht von einer vorsätzlichen Tat ausgegangen werden.

Das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei zwar gestört, doch liege dieses in der vorherigen Betriebsratsarbeit und der Aufgabe des Klägers als Betriebsratsvorsitzender begründet. Insofern sei eine Abmahnung nicht von vornherein entbehrlich gewesen.

Eine Umdeutung in eine fristgemäße Kündigung komme nicht in Betracht, weil zum einen auch dort die Abmahnung fehle und zum anderen der Kläger auch im Falle eines Wegfalls des Betriebsrates nach § 118 Abs.2 BetrVG nachwirkenden Kündigungsschutz genieße.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil I. Instanz zum Aktenzeichen 36 Ca 714/06 vom 19. September 2006 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte erwidert, dass gerade das auf den 12. Dezember 2005 datierte Schreiben eine ergänzende Aufklärung des Gerichts nicht erfordert hätte. Da der Kläger selbst das Schreiben am 30. November 2005 erhalten habe, habe er gewusst, dass die Angabe in der eidesstattlichen Versicherung falsch gewesen sei. Er habe auch rechtswidrig gehandelt, nachdem er offensichtlich von seiner Prozessbevollmächtigten entsprechend belehrt worden sei. Auf irgendwelche Drucksituationen komme es nicht an.

Die abgegebene eidesstattliche Versicherung des Klägers, in der es "im Dezember 2005" heiße, beziehe sich eindeutig auch auf die Anlage zur Antragsschrift in dem genannten einstweiligen Verfügungsverfahren. Diese Anlage trage das Datum 12. Dezember 2005. Deshalb sei die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung völlig zutreffend. Selbst wenn das vom Kläger eingereichte Schreiben das Datum 1. Dezember 2005 gehabt hätte, sei die Monatsfrist zum Widerspruch gegen den Betriebsübergang erst am 2. Januar 2006 abgelaufen.

Durch die Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen hat die Beklagte im Übrigen auch noch einmal auf die weiteren für falsch gehaltenen Punkte in der eidesstattlichen Versicherung des Klägers, wie sie im Schriftsatz der Beklagten vom 6. Februar 2006 (Bl. 56-61 d.A.) dargestellt wurden, Bezug genommen.

Aufgrund des vom Kläger selbst geschilderten gestörten Vertrauensverhältnisses sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung vom 19. Dezember 2006 sowie der Berufungsbeantwortung vom 22. Januar 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien, auf das unstreitig das Kündigungsschutzgesetz anzuwenden ist, ist nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2006 beendet worden.

1.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2006 ist unwirksam, da der Beklagten ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Seite stand.

1.1

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann.

Hiernach ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe (BAG, Urteil vom 15.11.1984 - 2 AZR 613/83 m.w.N.).

Bei der Überprüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (KR/Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rdz. 84 ff.; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 BGB Rdz. 34, 62 m.w.N.).

1.2

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 26. Januar 2006 mangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam.

1.2.1

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass grobe Vertrauensverstöße eines Arbeitnehmers, insbesondere im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen, grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können (BAG, Beschluss vom 10.02.1999 - 2 ABR 31/98; KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rdz. 445 m.w.N.). Insbesondere kann die vorsätzliche Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen (BAG Urteil vom 20. November 1987 -- 2 AZR 266/87).

Ob und inwieweit sich der Arbeitnehmer mit seinem Fehlverhalten strafbar gemacht hat, ist für die Beurteilung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB oder für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht entscheidend (BAG, Urteil vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05). Maßgeblich ist der mit der Pflichtverletzung gegebenenfalls verbundene schwere Vertrauensbruch.

1.2.2

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 26. Januar 2006 als unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB steht der Beklagten nicht zur Seite.

1.2.2.1

Die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 10. Januar 2006 war objektiv falsch. Denn mindestens ein Arbeitnehmer, nämlich der Kläger, hat das Informationsschreiben noch im November erhalten. Wie der Beklagtenvertreter in der Berufungsverhandlung erklärt hat, ist allerdings die Verteilung der Informationsschreiben auch in Anbetracht der unterschiedlichen Betriebsstätten zu unterschiedlichen Zeiten auch im Dezember erfolgt. Ob außer dem Kläger auch andere Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer noch im November das Schreiben erhalten haben, konnte der Beklagtenvertreter auf ausdrückliche Nachfrage nicht sagen.

Insofern hatte die Kammer bereits Zweifel, ob der Kläger die eidesstattliche Versicherung vorsätzlich falsch abgegeben hat. Es sprach nach Ansicht der Kammer ebensoviel für eine fahrlässige Falschabgabe. Auch das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom 20. November 1987 ausgeführt, dass die Frage, ob es sich um eine vorsätzlich oder fahrlässig abgegebene eidesstattliche Versicherung handele, weiterer Aufklärung bedürfe (BAG, Urteil 2 AZR 266/87 unter II 2 b der Gründe am Ende) und es damit für entscheidungserheblich angesehen.

Letztlich kann aber dahinstehen, ob der Kläger die eidesstattliche Versicherung vorsätzlich oder fahrlässig als falsche abgegeben hat. Denn die besonderen Umstände des Einzelfalles lassen den gegebenenfalls vorliegenden wichtigen Grund entfallen (siehe dazu unten 1.3.2).

1.2.2.2

Das Arbeitsgericht hatte sich in der angefochtenen Entscheidung - aus seiner Sicht zutreffend - darauf beschränkt, einen Punkt aus der eidesstattlichen Versicherung des Klägers zu würdigen. Ob sie in den anderen Punkten wie im Schriftsatz der Beklagten vom 6. Februar 2006 geschildert objektiv falsch ist, konnte nach Ansicht der Kammer dahinstehen, weil die Beklagte jedenfalls insoweit einen Vorsatz des Klägers nicht vorgetragen hat. Auch ergab sich aus den übrigen Umständen kein Anhaltspunkt für eine insoweit vorsätzliche Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Denn bei den übrigen Punkten handelte es sich allesamt um Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen dem Betriebsrat der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Beklagten am 2. Januar 2006 im Betriebsratsbüro sowie zwischen dem Kläger und der Beklagten am 2. Januar 2006 in Caputh. Dass objektive Sachverhalte in solch angespannten Situationen im Nachhinein subjektiv unterschiedlich erinnert werden können, erschien der Kammer nicht unwahrscheinlich.

1.3

Die Kündigung ist aber in jedem Fall unwirksam, weil der Kläger nicht zuvor einschlägig abgemahnt worden war.

1.3.1

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt für eine verhaltensbedingte Kündigung - sowohl außerordentlich als auch ordentlich - das so genannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der Prognose. Die Abmahnung ist zugleich auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um eine zukünftige Vertragsstörung zu beseitigen und zu vermeiden. Diese Ansicht hat auch durch die gesetzliche Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung gefunden. Eine Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft - trotz Abmahnung - nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen werden kann (so BAG, Urteile vom 12. Januar 2006, 2 AZR 21/05 und 2 AZR 179/05) oder wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung derart erschüttert ist, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann (BGH, Urteil vom 2. März 2004 - XI ZR 288/02).

1.3.2

Bei Anlegung dieser Maßstäbe hielt die Kammer eine vorherige Abmahnung nicht für entbehrlich. Zwar haben beide Seiten in der Berufungsinstanz übereinstimmend vorgetragen, dass das Vertrauensverhältnis erheblich gestört sei. Die in der Vergangenheit gestörte Vertrauensgrundlage betraf nach dem Vortrag beider Seiten aber nicht die hier streitige Rechtsbeziehung der Parteien, nämlich das Arbeitsverhältnis, sondern die betriebsverfassungsrechtliche Amtsausübung. Selbst wenn man diese Bereiche nicht strikt voneinander trennen sollte, ist zu berücksichtigen, dass durch den Wechsel des Betriebes vom P. Wohlfahrtsverband zum D. Werk der Kläger nicht mehr (Betriebsrats)Amtsträger bei der Beklagten ist und deshalb kaum noch eine Wiederholungsgefahr besteht.

Die Kammer hielt die Situation im Betrieb der Beklagten in den ersten Januartagen des Jahres 2006 für eine ganz außerordentliche. Die Art und Weise der Beendigung der Amtszeit des Betriebsrates mit dem Räumen des Betriebsratsbüros und die Verlagerung des Einsatzortes des Klägers nach Caputh wirkten für die Kammer nicht unbedingt angemessen.

Dieses rechtfertigt selbstverständlich auch nicht die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung durch den Kläger. Der Kläger hat eine eindeutige Pflichtverletzung begangen, die auch das Arbeitsverhältnis der Parteien schwer belastet. Gerade vom Kläger als Sozialarbeiter und Betriebsratsvorsitzendem, der nach dem Vortrag beider Seiten - wenn auch als Betriebsrat - in Auseinandersetzungen mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht gerade ungeübt war, hätte ein besonneneres Verhalten und eine gewissenhaftere Überlegung bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erwartet werden können.

Angesicht der Grenzwertigkeit der Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, der vom Kläger als zum damaligen Zeitpunkt ausgeschiedenem Betriebsratsmitglied nicht zu verantwortenden Verwendung in dem einstweiligen Verfügungsverfahren des Betriebsrates 65 BVGa 705/06), dem Umstand, dass nicht die eidesstattliche Versicherung selbst, sondern nur im Zusammenhang mit dem im Verfahren beigefügten Schreiben vom 12.12.2005 die Falschheit eventuell in einer rechtlichen Würdigung Relevanz hätte entfalten können sowie der besonderen Situation Anfang Januar 2006 hielt die Kammer eine Ausnahmesituation, die eine vorherige Abmahnung nicht mehr erfordere, nicht für gegeben.

2.

Auch die hilfsweise fristgemäße Kündigung ist unwirksam.

2.1

Die ordentliche Kündigung verstößt gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der nachwirkende besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt für ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit. Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur vor, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht. Diese Ausnahme ist hier nicht gegeben. Denn die Amtszeit des Klägers endete aufgrund der Zugehörigkeit des Betriebes zum Diakonischen Werk ab dem 1.1.2006.

2.2

Die ordentliche Kündigung ist auch mangels vorhergehender Abmahnung unwirksam. Insoweit kann auf die Ausführungen unter 1.3 verwiesen werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.

Ende der Entscheidung

Zurück