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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 18.08.2008
Aktenzeichen: 10 Sa 908/08
Rechtsgebiete: TVG, BGB
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 4 | |
BGB § 242 |
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes
Urteil
Verkündet am 18. August 2008
Geschäftszeichen 10 Sa 908/08
In Sachen
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht W.-M. als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr B. und Frau Th.
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. Februar 2008 - 70 Ca 62814/07 - wird bei einem Streitwert von 249.500,-- EUR zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Auskunftsverpflichtungen der Beklagten nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für den Zeitraum Oktober 2006 bis Juli 2007.
Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Im Betrieb der Beklagten erbrachten die in ihrem Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer - seit 1996 und auch in dem hier streitigen Zeitraum - ohne wesentliche Veränderung zu mehr als 50% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit unstreitig folgende Arbeiten:
* Anstreich- und Tapezierarbeiten zu nicht mehr als 40% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit
* Elektroinstallationen zu nicht mehr als 11% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit
* Gas-, Wasser- und Heizungsinstallationen zu nicht mehr als 16% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit
* Betonarbeiten
* Fliesenverlegearbeiten
* Maurerarbeiten
* Trockenbauarbeiten
* Zimmererarbeiten
Zwischen den Parteien gab es bereits seit dem Jahre 1996 Erörterungen über die Beitragspflicht der Beklagten. Kern der Auseinandersetzung war die Frage, ob der Betrieb der Beklagten aufgrund der Betriebsstruktur der Beitragspflicht unterfällt. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2001 (Bl. 13 d.A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit:
"wir nehmen Bezug auf den geführten Schriftwechsel sowie die im August 2001 erfolgten Betriebsbesuche unserer Außendienstmitarbeiterin Frau G..
Nach einer eingehenden Überprüfung der vorliegenden Sach- und Rechtslage kommen wir zu folgendem Ergebnis:
Wir gehen - entgegen der von uns bislang vertretenen Auffassung - davon aus, dass es sich bei dem im Betreff genannten Unternehmen [das ist die Beklagte] um einen einheitlich strukturierten Betrieb handelt, der - arbeitszeitlich gesehen - überwiegend baufremde Tätigkeiten (wie z.B. Sanitär-, Heizungs- u. Elektroinstallationen, Malerarbeiten) ausführt bzw. ausgeführt hat.
Deshalb haben wir das hier geführte Beitragskonto 020 551 06 für gewerbliche Arbeitnehmer per 01.06.1996 - also per Eröffnung - gelöscht.
Sobald sich die Betriebstätigkeit der P. P. - Bau GmbH, hin zu überwiegend baugewerblichen Arbeiten, verändert oder die Unternehmensstruktur im Hinblick auf eine selbständige Betriebsabteilung "Bau" geändert wird, besteht die Verpflichtung, aber auch die Berechtigung zur Teilnahme an den Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft."
In einem weiteren Schreiben vom 17. Dezember 2003 (Bl. 14 d.A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit:
"wir nehmen Bezug auf den geführten Schriftwechsel sowie den am 14.10.2003 erfolgten Betriebsbesuch unseres Außendienstmitarbeiters, Herrn Sch..
Nach einer eingehenden Überprüfung der vor Ort getroffenen Feststellungen kommen wir zu dem Ergebnis, dass es sich bei Ihrem Unternehmen auch weiterhin um keinen baugewerblichen Betrieb im Sinne des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) handelt.
Sobald Sie in Ihrem Betrieb überwiegend Arbeiten ausführen, die unter den betrieblichen Geltungsbereich der Bau-Tarifverträge fallen, besteht für Sie die Verpflichtung, aber auch die Berechtigung zur Teilnahme an den Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft.
Sollten Sie uns trotz dieser Hinweise über künftige Veränderungen Ihres Betriebes hinsichtlich der baulichen Leistungen im Tarifsinne nicht informieren, müssen Sie gegebenenfalls mit Beitragsnachforderungen oder Schadenersatzansprüchen rechnen."
Mit am 5. Oktober 2007 eingegangener Klage verlangte die Klägerin Auskunft über die Anzahl der in den Monaten Mai 2007 bis Juli 2007 versicherungspflichtig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer sowie die für diese angefallenen Bruttolohnsummen und Sozialkassenbeiträge. Unter dem 15. Januar 2008 wurde die Klage entsprechend auf den Zeitraum Oktober 2006 bis April 2007 erweitert.
Die Klägerin trug vor, dass entgegen ihrer in den Jahren 2001 und 2003 der Beklagten mitgeteilten Rechtsauffassungen die Beklagte für ihren Betrieb beitragspflichtig sei, da seinerzeit jeweils rechtsfehlerhaft davon ausgegangen worden sei, dass die Sanitär-, Heizungs- und Elektroinstallationen sowie die Malerarbeiten baufremd seien. Aufgrund der so genannten Ausbau-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 5. September 1990 - 4 AZR 82/90 = NZA 1991, 241) seien sie aber nicht als baufremd einzustufen. Dieses sei der Klägerin erst im Jahre 2006 aufgefallen. Unter Vertrauensschutzaspekten, wegen der Schreiben der Klägerin aus den Jahren 2001 und 2003, werde die Auskunft nicht rückwirkend, sondern erst seit dem 1.10.2006 verlangt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. der Klägerin auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viel gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Oktober 2006 bis Juli 2007 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind und
2. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an die Klägerin eine Entschädigungssumme in Höhe von 249.500,-- EUR zu zahlen.
Die Beklagte hatte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ging davon aus, dass zwischen den Parteien im Jahre 2001 ein Tatsachenvergleich über die Betriebsstruktur geschlossen worden sei. Da diese nach wie vor unverändert sei, gelte der Vergleich fort. Die Klägerin könne sich von diesem Vergleich nicht - auch nicht unter Berufung auf eine geänderte rechtliche Wertung - lösen. Aber auch ohne die Annahme eines Vergleiches sei der Anspruch der Klägerin verwirkt. Neben dem Zeitmoment habe die Beklagte ihre betrieblichen Dispositionen auf die Schreiben der Klägerin ausgerichtet. Dieses gelte für unterlassenen Rückstellungen und entsprechende Kalkulationen gegenüber Auftraggebern. Die Beklagte bezweifelte auch die Anwendbarkeit der Ausbaurechtsprechung auf einen Betrieb wie den der Beklagten. Wenn in einem Betrieb über 2/3 der Arbeitsstunden nicht dem Baugewerbe zuzuordnen seien, müssten diese baufremden Leistungen entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch zusammengerechnet werden. Schließlich hatte die Beklagte Zweifel an der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung für ihren Betrieb geäußert, da es nicht um die Regelung angemessener Mindestarbeitsbedingungen gehe und etwaige Leistungen der Sozialkassen von der Beklagten aufgrund ihrer Betriebsstruktur nicht in Anspruch genommen werden könnten.
Mit Urteil vom 28. Februar 2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Anspruch die vergleichsweise getroffene Regelung aus dem Jahre 2001 entgegenstehe. Es handele sich um einen Tatsachenvergleich über die Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs. Nach dem Vergleich könne eine Beitragspflicht nur durch veränderte tatsächliche betriebliche Gegebenheiten wieder entstehen und nicht durch eine geänderte rechtliche Beurteilung. Dieses gelte hier besonders, weil auch der Klägerin die Ausbau-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Jahre 1990 bekannt sei.
Gegen dieses der Klägerin am 11. April 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Pfingstdienstag, den 13. Mai 2008 Berufung eingelegt und diese mit am 11. Juni 2008 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage begründet. Die Klägerin führt aus, dass es in den Jahren 2001 bzw. 2003 keine vergleichsweise Beilegung des Streites der Parteien gegeben habe. Es fehle an den maßgeblichen Voraussetzungen eines Vergleiches, nämlich dem gegenseitigen Nachgeben. Selbst wann man das Schreiben der Klägerin vom 18. Oktober 2001 als Angebot und eine konkludente Annahme dessen durch die Beklagte annehmen würde, sei nicht hinreichend beachtet, dass die Feststellung der Tarifunterworfenheit nicht der Dispositionsbefugnis der Parteien unterfalle.
Auch ein etwaiger Verzicht sei im Hinblick auf § 4 Abs.4 TVG unzulässig.
Eine Verwirkung könne ebenfalls nicht angenommen werden. Im Schreiben der Klägerin vom 27. Oktober 2006 (Bl. 120 d.A.) in Verbindung mit dem Schreiben vom 19. Dezember 2006 (Bl. 121-122 d.A.), in welchen die Klägerin auf ihre geänderte Rechtsauffassung hingewiesen habe, sei jedenfalls eine konkludente Anfechtung der Erklärungen der Klägerin aus den Schreiben vom 18. Oktober 2001 und 17. Dezember 2003 zu sehen. Denn dieses entspreche dem wirklichen Willen der Erklärungen der Klägerin.
Weiter führt die Klägerin aus, dass sich die seinerzeitigen Schreiben nur auf die Vergangenheit bezogen hätten. Bei Annahme der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts läge jedenfalls ein versteckter Einigungsmangel vor.
Die Erhebung der Klage verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, weil auch der anwaltlich beratenen Beklagten seinerzeit bereits die Ausbau-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätte bekannt sein müssen.
Die Klägerin beantragt,
I. das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. Februar 2008 - 70 Ca 62814/07 - abzuändern.
II. die Beklagte zu verurteilen,
1. der Klägerin auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viel gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Oktober 2006 bis Juli 2007 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind und
2. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an die Klägerin eine Entschädigungssumme in Höhe von 249.500,-- EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Berufung für unbegründet. Die Klägerin unterscheide nicht zwischen Verzichtsvergleichen und Tatsachenvergleichen. Auch die Hinweise auf das Fehlen eines gegenseitigen Nachgebens seien unergiebig. Gegenseitiges Nachgeben sei nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 779 BGB. Im Übrigen habe die Beklagte aber auf die gerichtliche Klärung der fehlenden Beitragspflicht verzichtet. Die Erklärung der Klägerin aus den Jahren 2001 und 2003 könne aber auch als Schuldanerkenntnis in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Beitragspflicht oder als Vertrag eigenständiger Art verstanden werden.
Unabhängig davon sei der Anspruch der Klägerin aber in jedem Fall verwirkt. Denn die Ausbaurechtsprechung sei der Klägerin seinerzeit jedenfalls bekannt gewesen. Der Vertrauensschutz der Beklagten wirke auch in die Zukunft, da sie ihre Disposition im Wettbewerb nach den Erklärungen der Klägerin ausgerichtet habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Klägerin vom 11. Juni 2008 sowie ihren Schriftsatz vom 8. August 2008 und auf die Berufungsbeantwortung der Beklagten vom 16. Juli 2008 und ihren Schriftsatz vom 11. August 2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.
II.
Die zulässige Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Im Ergebnis zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass aufgrund der Erklärungen der Klägerin gegenüber der Beklagten in den Schreiben vom 18. Oktober 2001 und 17. Dezember 2003 der Auskunftsanspruch für den Zeitraum Oktober 2006 bis Juli 2007 nicht begründet ist, weil sich der Anteil der einzelnen Tätigkeiten der gewerblichen Arbeitnehmer des Betriebes an der betrieblichen Gesamtarbeitszeit gegenüber den dem Schreiben vom 18. Oktober 2001 zugrunde liegenden Tätigkeiten nicht wesentlich verändert hat.
1. Ob entsprechend den Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung mit dem Schreiben der Klägerin vom 18. Oktober 2001 ein Angebot zum Abschluss eines dem entsprechenden Vergleiches abgegeben wurde, welches die Beklagte dann konkludent angenommen hat, kann dahinstehen. Die Kammer hatte allerdings Zweifel, ob die Mitteilung der Klägerin in dem Schreiben vom 18. Oktober 2001 als Angebot zum Abschluss eines Vergleiches angesehen werden konnte. Weiter zweifelte die Kammer an der Annahme des eventuellen Angebotes durch die Beklagte, weil dazu weder eine Erklärung noch eine Handlung vorgetragen wurde, der ein solcher Erklärungswille entnommen werden konnte.
Danach kommt es auch nicht darauf an, ob es sich um einen Vergleich mit einem - unwirksamen - Verzicht auf tarifliche Rechte oder um einen Tatsachenvergleich handelte. Allerdings ist dem Arbeitsgericht zuzustimmen, dass es sich für den Fall der Auslegung des Sachverhaltes als Vergleich nicht um einen Vergleich über einen Verzicht auf tarifliche Rechte, sondern "nur" um einen Vergleich über die Voraussetzungen der Tarifunterworfenheit gehandelt hätte. Ein solcher Vergleich verstößt nicht gegen § 4 Abs.4 TVG (BAG, Urteil vom 5. November 1997 - 4 AZR 682/95 = NZA 1998, 434ff.; BeckOK-Giesen § 4 TVG Rdn. 39).
1.1 Um einen Vergleich handelt es sich nicht, wie die Klägerin zutreffend ausführt, bei nur einseitigem Nachgeben, wenn also etwa nur der Schuldner anerkennt oder nur der Gläubiger die Schuld ganz oder teilweise erlässt, Stundung gewährt oder die Klage zurücknimmt, ohne dass die jeweils andere Seite nachgibt. Dient das einseitige Nachgeben allerdings der Beseitigung von Streit oder Ungewissheit, so kann darin ein einseitiges Feststellungsgeschäft (kausales Anerkenntnis) liegen, auf das § 779 BGB analoge Anwendung findet (vgl. dazu Bork in: jurisPK-BGB, 3. Aufl. 2006, § 781 RN 2).
Ob hier ein solches Nachgeben anzunehmen ist, ob sich dieses auch auf dem tariflichen Sozialkassenbeitragsanspruch vorgeschaltete Tatsachen oder auf den tariflichen Anspruch selbst bezieht und damit mit § 4 Abs.4 TVG kollidieren würde, kann aber ebenfalls dahinstehen.
1.2 Auch die Beantwortung der Frage, ob das Schreiben der Klägerin vom 18. Oktober 2001 als Verzicht zu werten ist oder ob aufgrund des Schreibens das jetzige Begehren der Klägerin verwirkt ist, muss nicht abschließend geklärt werden. Offen kann auch die Frage bleiben, ob § 4 Abs. 4 TVG als Arbeitnehmerschutzvorschrift überhaupt auf den Verzicht auf Beitragsansprüche nach den Sozialkassentarifverträgen oder deren Verwirkung anzuwenden ist (dafür Hess. LAG, Urteil vom 31. August 2004 - 15 Sa 2128/03 = zit. nach juris; zweifelnd BAG, Urteil vom 18.5.1994 - 10 AZR 646/93 = AP Nr. 180 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau).
2. Selbst wenn man § 4 Abs.4 TVG auf die Beitragsansprüche nach den Sozialkassentarifverträgen anwenden sollte, wäre danach zwar ein rechtswirksamer Verzicht auf Beitragsansprüche oder die Verwirkung der Geltendmachung von Beitragsansprüchen als solche ausgeschlossen, nicht aber andere Fälle der treuwidrigen Rechtsausübung (Hess. LAG, Urteil vom 31. August 2004 - 15 Sa 2128/03 = zit. nach juris; Löwisch/Rieble TVG § 4 RN 361). Dazu zählt auch das Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung durch widersprüchlichen Verhalten (venire contra factum proprium). Eine solche unzulässige Rechtsausübung seitens der Klägerin liegt hier vor.
Ein früheres Verhalten kann auch dann eine spätere Rechtsausübung unzulässig machen, wenn es zwar nicht als solches zu missbilligen ist, sich aber das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Den Kernbereich dieser Fallgruppe bilden die klassischen Fälle des venire contra factum proprium. Bewertungserheblich ist einerseits die sachliche Unvereinbarkeit des früheren mit dem späteren Verhalten und andererseits der beim Gegner geschaffene Vertrauenstatbestand (MüKo-Roth, BGB 5. Aufl. § 242 RN 255). Auf der subjektiven Seite sind unredliche Absichten oder auch ein Verschulden minderer Art hinsichtlich der Widersprüchlichkeit des Verhaltens nicht erforderlich (MüKo-Roth, BGB 5. Aufl. § 242 RN 259).
2.1 Unzulässig ist eine Rechtsausübung zunächst, wenn der Rechtsinhaber das Vertrauen darauf erweckt hat, dass er seine Rechte nicht mehr ausüben werde (MüKo-Roth, BGB 5. Aufl. § 242 RN 264). Die Klägerin hat trotz Kenntnis bzw. Kennenmüssen der Ausbau-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Oktober 2001 gegenüber der Beklagten ausdrücklich erklärt, dass diese an dem Sozialkassenverfahren nicht teilnehme, solange sich an der Verteilung der Arbeitszeiten auf die einzelnen Gewerke nichts wesentliches ändere. Diese Erklärung hat sie mit Schreiben vom 17. Dezember 2003 nochmals bekräftigt. Auf die Wirksamkeit dieser Erklärung durfte die Beklagte vertrauen. Denn nach jahrelanger Auseinandersetzung zwischen den Parteien, anschließender Betriebsprüfungen durch die Klägerin und nachfolgender - mehrfacher - Erklärung durch die Klägerin als fachlich versierter Stelle war für die Beklagte ersichtlich, dass die Klägerin eine bestimmte Position eingenommen hat, die für die gesamte Dauer unveränderter betrieblicher Strukturen und Beibehaltung der genannten Zeitanteile für baugewerbliche Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten Gültigkeit besitzen sollte.
2.2 Um die Rechtsfolgen des § 242 auszulösen, ist es erforderlich, dass die Beklagte auch auf das Nichtbestehen der Sozialkassenpflicht vertraut hat. Der Rechtsmissbrauch entfällt deshalb bei Kenntnis der wahren Sachlage (Staudinger-Looschelders, BGB § 242 RN 294). Selbst wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass der Beklagten aufgrund ihrer anwaltlichen Vertretung auch während der früheren Auseinandersetzung mit der Klägerin die Ausbau-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bekannt war, ergibt sich der Vertrauenstatbestand daraus erst recht, denn wenn die Klägerin in Kenntnis dieser Rechtsprechung die beiden Schreiben an die Beklagte richtet, gehörte auch dieses zu der Sachlage, die das Vertrauen bei der Beklagten entstehen ließ.
Das Vertrauen der Beklagten ist auch schutzwürdig. Denn sie hatte unbestritten im Zusammenhang mit der Kalkulation ihrer Angebote und Nichtbildung von Rückstellungen infolge der Schreiben der Klägerin entsprechende Dispositionen getroffen (vgl. dazu Staudinger-Looschelders, BGB § 242 RN 295).
III.
Der Streitwert entspricht der verlangten Entschädigungssumme (Hess. LAG, Beschluss vom 26.11.2004 - 15 Ta 453/04 = zit. nach juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Erklärungen der Klägerin und deren Wirkungen auf die tariflichen Ansprüche nach den Sozialkassentarifverträgen gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von den Parteien bei dem Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt (Postadresse: 99113 Erfurt), Revision eingelegt werden.
Ende der Entscheidung
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