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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.09.2009
Aktenzeichen: 17 TaBVGa 1372/09
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 78
ZPO § 935
ZPO § 940
Der Arbeitgeber kann durch einstweilige Verfügung verpflichtet werden, dem Vorsitzenden des Betriebsrats ungehinderten Zutritt zum Betrieb zur Ausübung von Betriebsratstätigkeiten zu gewähren, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Begrenzung des Zutrittsrechts nicht gegeben ist.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Beschluss

17 TaBVGa 1372/09

Verkündet am 2. September 2009

In Sachen hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Kammer auf die Anhörung vom 2. September 2009 durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht D. als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr L. und Herr H.

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 2009 - 17 BVGa 10011/09 - teilweise geändert:

Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, dem Beteiligten zu 1) zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats Zugang zum Betrieb - ausgenommen die Wohnräume der Bewohner - zu gewähren.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin (Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2.), dem Vorsitzenden des Betriebsrats (Antragsteller und Beteiligter zu 1.) Zutritt zum Betrieb zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit zu gewähren.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Pflegeheim. Sie beschäftigte den Antragsteller als Altenpfleger. Der Antragsteller ist Vorsitzender des aus drei Mitgliedern bestehenden Betriebsrats (Beteiligter zu 3.), dessen Wahl bei dem Arbeitsgericht Berlin angefochten wurde; das Anfechtungsverfahren (63 BV 18259/08) ist noch nicht abgeschlossen.

Die Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsteller wegen des Verdachts des Arbeitszeit- bzw. Abrechnungsbetrugs zu kündigen und begehrt vor dem Arbeitsgericht Berlin (48 BV 10663/09) die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu dieser Kündigung; das Zustimmungsersetzungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Sie stellte den Antragssteller von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei und erteilte ihm ein Hausverbot mit der Maßgabe, dass er ausschließlich zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit am Freitag und ggf. zu den Sprechstunden des Betriebsrats den Betriebsratsraum aufsuchen dürfe.

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat der Antragssteller die Verpflichtung der Arbeitgeberin begehrt, ihm zum Zwecke erforderlicher Betriebsratsarbeit räumlich und zeitlich unbegrenzt Zutritt zum Betrieb zu gewähren; der Beteiligte zu 3) hat sich diesem Begehren angeschlossen. Die Arbeitgeberin ist dem Antrag entgegengetreten. Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts wird abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat der Arbeitgeberin nach mündlicher Anhörung durch einen am 3. Juni 2009 verkündeten Beschluss aufgegeben, dem Antragsteller zum Zwecke der erforderlichen Betriebsratsarbeit am Freitag ab 10.00 Uhr und am Mittwoch von 13.00 bis 15.00 Uhr Zugang zu den öffentlichen Räumen des Betriebs (ausgenommen die Wohnräume der Bewohner) zu gewähren. Zwar habe der Antragsteller ein Recht auf ungestörte Amtsführung, zu dem auch der Zutritt zum Betrieb gehöre. Soweit der Antragsteller jedoch in zeitlicher Hinsicht einen unbeschränkten Zutritt verlange, fehle es an dem für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen Verfügungsgrund. Es sei insoweit nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden, aus welchen Gründen bereits jetzt ein derartiges Zutrittsrecht durchgesetzt werden müsse; dies bleibe der Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf II. der Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden des Antragstellers und des Betriebsrats, die sie jeweils rechtzeitig eingelegt und begründet haben. Sie sind der Auffassung, dass das Zutrittsrecht des Antragstellers auch im einstweiligen Rechtsschutz nicht zeitlich eingeschränkt werden könne und beantragen,

unter teilweiser Änderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 2009 - 17 BVGa 10011/09 - der Arbeitgeberin aufzugeben, den Zugang des Antragstellers zu den öffentlichen Räumen (ausgenommen Wohnräume der Bewohner) im Betrieb der Arbeitgeberin N. Allee 13, 13587 Berlin, zum Zwecke erforderlicher Betriebsratsarbeit zeitlich unbegrenzt zu gewährleisten.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Antragsteller ein uneingeschränktes Zutrittsrecht nicht im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen könne. Der Antragssteller, der derzeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sei, würde ansonsten wie ein freigestelltes Betriebsratsmitglied tätig werden können; hierauf bestehe kein Anspruch. Die Arbeitnehmer könnten bei Bedarf ein anderes Betriebsratsmitglied ansprechen; der Antragssteller sei zudem über sein Mobiltelefon erreichbar. Es sei nicht erkennbar, warum der Antragssteller Arbeitsplätze der Arbeitnehmer aufsuchen müsse. Schließlich würde bei Erlass der einstweiligen Verfügung das - von dem Antragsteller bislang nicht angegriffene - Hausverbot ins Leere laufen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 6. Juli und 10. August 2009 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerden sind begründet.

Die Arbeitgeberin war unter teilweiser Änderung des angefochtenen Beschlusses aufzugeben, dem Antragssteller zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats Zugang zu ihrem Betrieb mit Ausnahme der Wohnräume der Bewohner zu gewähren.

1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG auch in Angelegenheiten zulässig, über die im Beschlussverfahren zu entscheiden ist, wobei sich das Verfahren nach den Vorschriften der §§ 916 ff. ZPO richtet. Der einstweilige Rechtsschutz dient dabei vor allem der Sicherung eines Anspruchs oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses (§§ 935, 940 ZPO). Darüber hinaus kommt auch der Erlass einer so genannten Leistungsverfügung in Betracht, durch die der geltend gemachte Anspruch nicht nur gesichert, sondern bereits befriedigt wird. Sie ist immer dann zuzulassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile unumgänglich ist, was aufgrund einer umfassenden Abwägung der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden muss. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, wie gewiss der Bestand des geltend gemachten Anspruchs ist. Zum anderen muss beurteilt werden, ob und ggf. inwieweit es dem Antragsteller zugemutet werden kann, den Anspruch in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der auf einen zeitlich unbeschränkten Zutritt gerichtete Antrag des Antragstellers als begründet; die vom Arbeitsgericht vorgenommene örtliche Beschränkung des Zutrittsrechts wurde von dem Antragssteller und dem Betriebsrat nicht angegriffen.

a) Die Mitglieder des Betriebsrats dürfen gemäß § 78 BetrVG bei der Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit nicht behindert werden. Da die Aufgaben des Betriebsrats regelmäßig im Betrieb zu erledigen sind, folgt aus dem Recht auf ungestörte Amtsausübung auch ein Recht auf Zutritt zum Betrieb. Dieses Recht ist nicht auf bestimmte Zeiten beschränkt. Vielmehr kann eine Tätigkeit des Betriebsrats zu jeder Zeit im Betrieb erforderlich werden; die Betriebsratsmitglieder müssen deshalb auch jederzeit die Möglichkeit haben, den Betrieb zur Durchführung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu betreten. Das Zugangsrecht ist ausschließlich an die Mitgliedschaft im Betriebsrat gebunden. Es wird weder von einer individualrechtlichen Freistellung von der Arbeit noch von der Absicht des Arbeitgebers berührt, das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds zu beenden. Auch die gerichtliche Anfechtung der Betriebsratswahl hat auf den Bestand des Betriebsratsamt - und damit auf das Zutrittsrecht zum Betrieb - keine Auswirkungen, solange nicht die Betriebsratswahl rechtskräftig für unwirksam erklärt wurde.

Der Antragsteller hat danach ein zeitlich nicht beschränktes Recht, den Betrieb der Arbeitgeberin zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats zu betreten. Er ist derzeit trotz der erfolgten Wahlanfechtung und des eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahrens Mitglied des Betriebsrats. Dass die Arbeitgeberin den Antragssteller von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung entbunden hat, ist für sein Zutrittsrecht ohne Belang. Auch kann die Arbeitgeberin das Zutrittsrecht nicht durch ein Hausverbot begrenzen; dieses kann sich vielmehr ausschließlich auf die individualrechtliche Beziehung zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsratsmitglied, nicht aber auf das Recht zur ungehinderten Betriebsratstätigkeit auswirken.

b) Der für den Erlass der begehrten Leistungsverfügung erforderliche Verfügungsgrund ist ebenfalls gegeben.

Der Anspruch des Antragstellers auf uneingeschränkten Zutritt zum Betrieb ist - wie ausgeführt - unzweifelhaft gegeben. Es kann weder dem Antragsteller noch dem Betriebsrat zugemutet werden, den Anspruch in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen, auch wenn ohne weiteres angenommen werden kann, dass ein diesbezügliches arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren zugunsten des Antragstellers entschieden werden würde. Die Zwangsvollstreckung findet nur aus rechtskräftigen Beschlüssen des Arbeitsgerichts statt (§ 85 Abs. 1 ArbGG). Angesichts der in der mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer deutlich gewordenen Weigerungshaltung der Arbeitgeberin muss davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller vor Abschluss der Beschwerdeinstanz - und damit wenigstens für ein halbes Jahr - sein Zutrittsrecht nicht durchsetzen könnte. Während dieses Zeitraums wäre der Antragsteller an einer uneingeschränkten Betriebsratstätigkeit gehindert, ohne dass es hierfür eine sachliche Rechtfertigung gibt. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, die Betriebsratstätigkeit könne von den übrigen Mitgliedern des Betriebsrats ausgeübt werden; auch sei der Antragsteller für die Arbeitnehmer telefonisch erreichbar und könne im Übrigen auch zu bestimmten Zeiten in den Betrieb gelangen. Es ist sicher richtig, dass der Betriebsrat ohne die Durchsetzung des Zutrittsrechts des Antragstellers nicht funktionsunfähig ist. Hierum geht es jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben gerade auch vom Antragsteller und damit von dem Betriebsrat in der gewählten Zusammensetzung uneingeschränkt wahrgenommen werden können. Es kommt hinzu, dass der Antragsteller als Vorsitzender des Betriebsrats in besonderer Weise Ansprechpartner für die Arbeitnehmer, aber auch die Arbeitgeberin ist (§ 26 Abs. 2 BetrVG). Wollte man das Zutrittsrecht des Antragstellers einschränken, führte dies daher zu einer - für vergangene Zeiten irreparablen - Beeinträchtigung der betriebsverfassungs-rechtlichen Vertretung der Arbeitnehmer; dass ein Teil der Belegschaft die Anfechtung der Betriebsratswahl betreibt, ist dabei gegenwärtig - wie ausgeführt - ohne Bedeutung. Berechtigte Interessen der Arbeitgeberin, die dem Zutrittsrecht entgegengesetzt werden könnten, bestehen nicht. Die Arbeitgeberin kann weiterhin das Zustimmungsersetzungsverfahren betreiben; die individualrechtliche Freistellung wird von dem Zutrittsrecht nicht berührt. Auch führt die einstweilige Verfügung nicht zu einer vollständigen Beseitigung des Hausverbots, weil dem Antragsteller Zutritt nur zur Erfüllung von Aufgaben des Betriebsrats zu gewähren ist. Es trifft daher auch nicht zu, dass der Antragsteller nunmehr die Rechtsposition eines freigestellten Betriebsratsmitglieds hätte. Im Übrigen hat die Arbeitgeberin den Antragsteller von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt und damit ggf. selbst für einen größeren zeitlichen Spielraum des Antragstellers gesorgt. Es ist ferner nicht erkennbar, dass der Antragsteller den Zutritt zum Betrieb dazu nutzen wird, Unruhe in die Belegschaft zu tragen oder den Betriebsfrieden in sonstiger Weise zu stören. Der Verdacht des Arbeitszeit- bzw. Abrechnungsbetrugs betrifft ausschließlich die individualrechtliche Beziehung zwischen dem Arbeitgeberin und dem Antragsteller und kann daher nicht für eine Einschränkung des betriebsverfassungsrechtlichen Zutrittsrechts herangezogen werden. Bei dieser Sachlage ist der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung geboten.

III.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtsgebührenfrei; sie ist gemäß § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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