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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 18/07
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 1 Abs. 2 |
2.) Die Missbrauchskontrolle hat sich unter anderem daran zu orientieren, dass der verfassungsrechtlich gebotene Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses nicht unangemessen zurückgedrängt wird (BAG vom 26.9.2002 - 2 AZR 636/01 - NZA 2003, 549).
3.) Die Missbrauchskontrolle erfasst vor allem Umgehungsfälle.
4.) Die unternehmerische Entscheidung eines Unternehmens im Pflegebereich, die Aufgaben einer Sozialarbeiterin dadurch entfallen zu lassen, dass diese Aufgaben dem Mehrheitsgesellschafter, einem Rechtsanwalt, zur selbständigen Ausführung übertragen werden, der hierzu in seiner Kanzlei eine Sozialarbeiterin neu einstellt, kann sich als Austauschkündigung in der Form eines Umgehungsgeschäftes erweisen. Eine hierauf gestützte betriebsbedingte Kündigung ist dann rechtsunwirksam.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes
Urteil
Verkündet am 01.03.2007
Geschäftszeichen 2 Sa 18/07
In Sachen
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 2. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 01.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Dr. B. als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern Herrn L. und Frau M.
für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. November 2006 - 40 Ca 22605/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Rechtswirksamkeit zweier arbeitgeberseitiger Kündigungen sowie über die Vergütung für den Monat Oktober 2006.
Die Klägerin ist seit dem 01.03.1992 (Rechtsvorgängerin) als Sozialarbeiterin im Pflegeheim Sch. unter Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b AVR beschäftigt; sie war Mitglied der Mitarbeitervertretung, deren Zuständigkeiten teilweise streitig sind.
Betreiberin des Pflegeheims Sch. ist die Beklagte, die G. S. Forschungsgesellschaft mbH, deren Mehrheitsgesellschafter der Rechtsanwalt H.-G. St. ist. Geschäftsführer der Beklagten ist Herr Th. St., der Bruder des Herrn Rechtsanwalts St..
Die Beklagte hat jedenfalls bis zum 30.09.2005 Leistungen des Sozialdienstes für die Tages- und Kurzzeitpflege im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages mit der "Klinikbetriebsgesellschaft Sch. gGmbH" erbracht ; die Mitarbeitervertretung, deren Mitglied die Klägerin ist, ist für deren Klinikbetrieb und den Betrieb der Beklagten gemeinsam errichtet worden. Die "Klinikbetriebsgesellschaft Sch. gGmbH" ist eine 100%ige Tochter der Beklagten. Auf dem Gelände des Pflegewohnheims erbringt auch die "G. S. Dienstleistungsgesellschaft mbH" Leistungen, auch diese ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten.
Am 12.09.2005 wies die Beklagte der Klägerin per Dienstanweisung Arbeiten als "Pflegehilfskraft" zu (Bl. 15 d. A.) Hiergegen hat die Klägerin am 06.10.2005 eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht Berlin erwirkt, nach der sie über den 01.10.2005 hinaus als vollzeitig beschäftigte Sozialarbeiterin weiter zu beschäftigen sei.
Unter Hinweis auf eine unternehmerische Entscheidung vom 17.08.2005 des Inhalts, die Stellen für die Mitarbeiterinnen Sozialdienst mit Wirkung zum 30.09.2005 aufzulösen, sprach die Beklagte am 11.01.2006 eine außerordentliche Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 30.09.2006 verbunden mit dem Änderungsangebot, als Pflegehilfskraft tätig zu sein, aus (Bl. 121 d. A.). Die Klägerin hat das Änderungsangebot nicht angenommen.
Mit Schreiben vom 12.04.2006 sprach die Beklagte eine weitere außerordentliche fristlose, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, hilfsweise ordentlich entfristet, hilfsweise ordentlich aus.
Die Beklagte hat erstinstanzlich diese Kündigungen im Wesentlichen darauf gestützt, dass sie die unternehmerische Entscheidung zur Auflösung der beiden Stellen der Sozialarbeiterinnen getroffen habe. Die Tätigkeiten würden umverteilt, und zwar auf die Ebene der Geschäftsleitung. Insbesondere würden die Tätigkeiten an Herrn Rechtsanwalt St. als Externen übergeben. Der Dienstleistungsvertrag mit der Klinikbetriebsgesellschaft Sch. sei gekündigt, die Klägerin sei zu fast 100 Prozent ihrer Tätigkeit mit der Erfüllung dieser Aufgaben befasst gewesen. Die Formalien, insbesondere die Beteiligung der Mitarbeitervertretung, seien ordnungsgemäß erfüllt worden.
Dem gegenüber hat die Klägerin die Rechtfertigung der Kündigungen mit formellen Argumenten angegriffen, insbesondere sei das Beteiligungsverfahren der Mitarbeitervertretung fehlerhaft gewesen und die Zweiwochenfrist sei nicht eingehalten worden. Der Sache nach handele es sich um eine Austauschkündigung, Herr Rechtsanwalt St. habe - was unstreitig ist - eine Frau R. eingestellt, diese habe die Tätigkeiten der Klägerin übernommen.
Von einer näheren Darstellung des Parteivorbringens erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.11.2006 die Kündigungen für unwirksam erachtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, auch auf dem Hintergrund der eingereichten Unterlagen zu den von der Beklagten behaupteten unternehmerischen Entscheidungen sei nicht deutlich geworden, dass die Tätigkeit der Klägerin als Sozialarbeiterin im Betrieb der Beklagten entfallen sei. Der Vortrag der Beklagten sei zum Teil widersprüchlich. Denn zum einen werde vorgetragen, dass die Klägerin zu 100 Prozent Arbeitsaufgaben wahrgenommen habe, die nach der Kündigung des Dienstleistungsvertrages durch die Klinikgesellschaft Sch. entfallen seien. Dem Ergebnisbericht über die vollzogene Umstrukturierung der Aufgaben der Mitarbeiterinnen Sozialdienst sei jedoch eine Arbeitsaufteilung beigefügt gewesen, die diese Anteile nicht widerspiegeln. Darüber hinaus enthielten beide Unternehmerentscheidungen Ausführungen darüber, dass Arbeiten auf das Mitglied der Geschäftsführung, Herrn Rechtsanwalt St., verlagert würden. Unstreitig sei immerhin, dass Herr Rechtsanwalt St. die Mitarbeiterin Frau R. zur Erledigung dieser Tätigkeiten eingestellt habe. Soweit die Beklagte darauf Bezug nehme, dass Herr Rechtsanwalt St. als Externer Aufgaben wahrnehme, habe sie nicht in nachvollziehbarer Weise geschildert, auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen sei. Die pauschale Berufung auf ein Auftragsverhältnis vermöge nicht zu erklären, aus welchen Gründen die vorgelegten unternehmerischen Entscheidungen Herrn Rechtsanwalt St. als Mitglied der Geschäftsleitung bezeichneten. Diesen Widerspruch habe die Beklagte auch im Kammertermin nicht aufzulösen vermocht. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass Tätigkeiten aus dem Bereich des Sozialdienstes fremd vergeben worden seien. Entsprechend der unternehmerischen Entscheidung habe vielmehr eine innerbetriebliche Umstrukturierung stattgefunden. Insofern sei jedoch nicht ersichtlich, dass Rechtsanwalt St. als Geschäftsleitungsmitglied in der Lage sei, aufgrund freier Arbeitskapazitäten Tätigkeiten des Sozialdienstes im Umfang der beiden weggefallenen Stellen zu erledigen. Auch sei nicht vorgetragen, in welchem Umfang Herr Rechtsanwalt St. quantitativ in der Lage gewesen sei, Tätigkeiten zu übernehmen. Die Mitarbeiterin Frau R. sei von Herrn Rechtsanwalt St. gerade herangezogen worden, um Tätigkeiten im Bereich des Sozialdienstes zu erledigen. Die Entscheidung zur Verlagerung der Arbeiten sei damit von vornherein darauf gerichtet gewesen, einen einzustellenden Beschäftigten einzusetzen. Das von der Beklagten vorgetragene Konzept sei daher nicht nachvollziehbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 661 ff. d. A.) Bezug genommen.
Gegen dieses am 28.12.2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 03.01.2007 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 24.01.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte und Berufungsklägerin verweist in der Berufungsinstanz erneut darauf, dass es durch die unternehmerische Entscheidung vom 17.08.2005 zu einer Umorganisation der von der Klägerin zu verrichtenden Arbeitsaufgaben gekommen sei, die den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die Klägerin ergeben hätten. Der Dienstleistungsvertrag der Klinikbetriebsgesellschaft Sch. sei von dieser gekündigt worden; da die Klägerin zu einem Großteil ihrer Tätigkeiten mit diesen Aufgaben beschäftigt gewesen sei, sei die Beschäftigungsmöglichkeit für sie entfallen. Dies gelte auch dann, wenn die Kollegin der Klägerin, die mittlerweile ausgeschiedene Frau K., ebenfalls mit diesem Auftrag beschäftigt gewesen sein sollte. Soweit das Arbeitsgericht diesbezüglich die Stellenbeschreibung der Klägerin rüge, sei darauf zu verweisen, dass diese noch nicht vollständig fertig gestellt gewesen sei. Von einer Austauschkündigung im Zusammenhang mit Frau R. könne nicht die Rede sein. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass die diesbezügliche Leistungserbringung nicht durch die Beklagte selbst erfolge, sondern durch Herrn Rechtsanwalt St. nach Maßgabe des Beschlusses der Geschäftsführung vom 17.08.2005. Dabei sei darauf zu verweisen, dass Herr Rechtsanwalt St. zwar Mitglied der Geschäftsleitung, nicht aber der Geschäftsführung sei, und es damit nicht eine "innerbetriebliche" Umorganisation sei, wenn Tätigkeiten auf ihn übertragen würden. Vielmehr handele es sich um eine externe Vergabe an Herrn Rechtsanwalt St., der wiederum Vertragsarbeitgeber der Frau R. sei. Die Arbeiten der Klägerin seien umorganisiert worden und hätten auch umorganisiert werden können, ohne dass Mehrarbeit bei anderen Beschäftigten entstanden sei; dies ergebe sich aus dem Reorganisationskonzept vom 13.12.2005. Die organisatorische Entscheidung sei auch umgesetzt worden, das Zimmer des Sozialdienstes sei geräumt worden, die Akten seien entfernt worden, die Homepage sei geändert worden und die Telefonanschlüsse seien umgestellt worden. Damit stehe fest, dass die Organisationsentscheidung umgesetzt sei und zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin geführt habe, und zwar durch Auftragsvergabe nach außen, nämlich an den Externen Herrn Rechtsanwalt St.. Auch wenn im Beschluss vom 17.08.2005 noch nicht ausdrücklich auf eine externe Übertragung abgestellt worden sei, so sei doch auf eine Übertragung an Herrn Rechtsanwalt St. abgestellt worden, wie es schließlich auch geschehen ist. Eine Widersprüchlichkeit im Vortrag der Beklagten gebe es nicht. Auch liege kein Missbrauch der Gestaltungsform vor; Herr Rechtsanwalt St. sei "Dritter", damit liege eine Vergabe an einen Externen vor. Ein von der Klägerin so gesehener gemeinsamer Betrieb existiere nicht, nirgendwo sei eine Weisungsmacht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern vereinigt. Es erfolge auch keine einheitliche Dienstleistungserbringung. Auch die Beteiligung der Mitarbeitervertretung sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Oktobervergütung sei gezahlt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. November 2006 abzuändern und das Versäumnisschlussurteil vom 5. Juli 2006 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16./ 18. Oktober 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 11. Januar 2006 und 12. April 2006 nicht aufgelöst worden sei und soweit die Beklagte zur Zahlung der Vergütung in Höhe von 3.022,46 EUR brutto für den Monat Oktober 2006 sowie zur Erstellung einer Lohnabrechnung für Oktober 2006 verurteilt worden ist.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte geht auch in der Berufungsinstanz zunächst vom Vorliegen eines einheitlichen Betriebs zwischen der Beklagten und der Klinikbetriebsgesellschaft Sch. aus. Das müsse im Rechtsstreit beachtet werden. Zudem ist sie der Auffassung, dass sich schon aus dem eigenen Vortrag der Beklagten ergebe, dass durch die Kündigung des Dienstleistungsvertrages für sie nur Arbeiten im Umfang einer halben Stelle entfallen seien. Denn nur mit einem solchen Stellenanteil sei sie für die Kurzzeit- und Tagespflege eingesetzt gewesen, der Rest ihrer Tätigkeit sei für die Heimbetreuung erfolgt. Weggefallen sei indes nur die Kurzzeit- und Tagespflege. Der Beklagtenvortrag sei immer noch widersprüchlich, zum Teil werde ausgeführt, dass Tätigkeiten schon durch die Heimleitung ausgeführt würden, andererseits sei davon die Rede, dass Tätigkeiten erst auf die Heimleitung übertragen werden sollten. Selbst wenn jedoch ein Stellenwegfall eingetreten sei, habe eine soziale Auswahl zwischen ihr und der mittlerweile ausgeschiedenen Frau K. stattfinden müssen, der zu ihrem Gunsten habe ausfallen müssen. Die Leistungen der Sozialdienste seien bei der Beklagten auch noch vorhanden, sie würden eben nicht extern, sondern durch Rechtsanwalt St. als Internem mit Hilfe von Frau R. ausgeführt. Damit liege eine Austauschkündigung vor. Im Übrigen habe die Beklagte auch nie vorgetragen, welche Aufgaben denn nun exakt auf Herrn Rechtsanwalt St. übertragen werden sollten. Dieser sei jedenfalls Mitglied der Geschäftsleitung und damit nicht Externer; das ergebe sich auch daraus, dass dieser vielfach für die Beklagte "gehandelt habe". Die Kündigungen verstießen gegen die Vorschriften über die Beteiligung der Mitarbeitervertretung; die Oktobervergütung sei geschuldet.
Die Klägerin hat am 13.11.2006 eine Eigenkündigung ausgesprochen und macht Ersatzansprüche geltend; der Rechtsstreit hierüber ist erstinstanzlich anhängig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die dort gewechselten Schriftsätze, insbesondere denjenigen der Beklagten vom 23.01.2007 (Bl. 736 ff. d. A.) und denjenigen der Klägerin vom 26.02.2007 (Bl. 766 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.
Die Berufung ist daher zulässig.
Mit der Berufung ist nach dem Berufungsantrag nur die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungen angegriffen; der Beschäftigungsausspruch hat sich erledigt.
2. Die Berufung hatte in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Kündigungen für unwirksam erachtet und die Beklagte - soweit noch streitgegenständlich - zur Vergütungszahlung verurteilt und das Versäumnisurteil vom 05.07.2006 insoweit aufrechterhalten.
2.1 Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben können. Eine Kündigung ist insbesondere dann aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßgabe entschließt, bei deren Umsetzung im Betrieb das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten ist dann nachzuprüfen, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - NZA 1999, 1089 ; ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt BAG vom 21.9.2006 - 2 AZR 607/05).
Wenn die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, so kann die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht in jedem Fall von vornherein greifen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeit der Arbeitnehmerin auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Änderungsbedarf besteht. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind beispielsweise auch dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind (BAG v. 07.07.2005 - 2 AZR 399/04 - NZA 2006, 266).
Als eine die Arbeitsgerichte grundsätzlich bindende unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung darstellen kann, ist die Vergabe von bisher im Betrieb durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen anerkannt. Allerdings müssen diese Arbeiten dem anderen Unternehmen zur selbständigen Durchführung übertragen werden. Werden die bislang von den Arbeitnehmern des Betriebs ausgeführten Tätigkeiten hingegen nicht zur selbständigen Erledigung auf den Dritten übertragen, so führt eine solche organisatorische Gestaltung noch nicht zum Wegfall der bisherigen betrieblichen Arbeitsplätze; es liegt vielmehr eine unzulässige so genannte Austauschkündigung vor (BAG vom 16.12.2004 - 2 AZR 66/04 - NZA 2005, 761).
Die unternehmerische Freiheit gilt in diesem Bereich allerdings nicht schrankenlos. Die Berufsfreiheit des Artikel 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die unternehmerische Freiheit, sondern gewährt auch einen Mindestbestandsschutz für die Arbeitnehmer. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindesbestandsschutz für ein Arbeitsverhältnis strahlt auf die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes aus. Die Gerichte haben von Verfassungs wegen zu prüfen, ob von ihrer Anwendung im Einzelfall das Grundrecht des Artikels 12 Abs. 1 GG berührt wird. Trifft das zu, dann haben die Gerichte die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (BVerfG vom 19.3.1998 - 1 BvR 10/97 , NZA 1998, 587 ; BAG vom 26.09.2002 - 2 AZR 636/01- NZA 2003, 549; vgl. zur verfassungsrechtlichen Fragestellung: Dieterich, Unternehmerfreiheit und Arbeitsrecht im Sozialstaat, AuR 2007, 65)
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 26.09.2002 ("Rheumaklinik") aus diesen Grundsätzen gefolgert, dass bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf an sich "freie" Unternehmerentscheidungen stets eine eingeschränkte Prüfung des unternehmerischen Konzepts vorgenommen werden müsse, da bei einer schrankenlosen Hinnahme jeglicher unternehmerischen Entscheidung als für den Kündigungsschutzprozess bindend der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer teilweise leer laufen würde. Die unternehmerische Entscheidung sei stets darauf hin zu prüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Diese Missbrauchskontrolle habe sich unter anderem daran zu orientieren, dass durch die Wertung der Willkür und des Missbrauchs der verfassungsrechtlich geforderte Bestandsschutz nicht unangemessen zurückgedrängt werde. Neben Verstößen gegen gesetzliche und tarifliche Normen zählten hierzu vor allem Umgehungsfälle. Der Zweite Senat verweist darauf, dass beispielsweise derjenige Arbeitgeber missbräuchlich handele, der durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen seinen Betrieb in mehrere Teile aufspaltet, um Arbeitnehmern den allgemeinen Kündigungsschutz zu entziehen und ihnen "frei" kündigen zu können.
In entschiedenen Fall hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die Gründung einer Service-GmbH als Organgesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und die Übertragung der Tätigkeiten der Arbeitnehmer des Betriebs auf diese als rechtsmissbräuchlich angesehen. Die Wahl dieser Organisationsform habe nur dazu dienen können, den Arbeitnehmern der betroffenen Bereiche ihren Kündigungsschutz zu nehmen und sich von ihnen "frei" zu trennen, damit künftig die Arbeit von anderen Arbeitnehmern verrichtet werden könne.
2.2 Unter Beachtung und in Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht die von der Beklagten nach ihrem Vorbringen in erster Linie als Kündigungsgrund herangezogene unternehmerische Entscheidung, die von der Klägerin geleisteten Tätigkeiten auf den Mehrheitsgesellschafter, Herrn Rechtsanwalt St., zu übertragen, als willkürlich und rechtsmissbräuchlich angesehen.
Herr Rechtsanwalt St. lässt die nämlichen Tätigkeiten durch eine von ihm in seiner Kanzlei neu eingestellte Sozialarbeiterin durchführen .
Danach handelt es sich der Sache nach um eine Austauschkündigung gegenüber der Klägerin. Soweit diese nicht "direkt", sondern über "den Umweg" des Herrn Rechtsanwalt St., des Mehrheitsgesellschafters der Beklagten, erfolgt, hat das Berufungsgericht eben dies als einen Missbrauch der Gestaltungsformen angesehen.
Dabei ist es zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei Herrn Rechtsanwalt St. nicht um einen bloß kapitalmäßig beteiligten Gesellschafter der Beklagten handelt, sondern dass dieser, wie sich aus zahlreichem Schriftverkehr ergibt, durchaus im Rahmen der und für die Beklagte tätig geworden ist. Dies betrifft beispielsweise auch das vorliegende Verfahren, auch wenn Herr Rechtsanwalt St. nicht als Prozessbevollmächtigter der Beklagten aufgetreten ist.
Die Annahme des Missbrauchs der Gestaltungsform rechtfertigt sich daraus, dass Herr Rechtsanwalt St. Frau R. eigens im Hinblick auf die der Klägerin entzogenen Aufgaben in seiner Kanzlei eingestellt hat. Es ist nicht üblich, dass in einem Rechtsanwaltsbüro eine Sozialarbeiterin mit Sozialarbeitertätigkeiten beschäftigt wird. Vielmehr ist erkennbar und auch gar nicht streitig , dass diese alleine zur Arbeitsleistung für die Beklagte abgestellt ist. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass Frau R. andere Aufgabenfelder innegehabt hätte. Damit aber wird deutlich, dass das Direktionsrecht im Bezugspunkt der Ableistung der Sozialarbeitertätigkeiten für die und im Interesse der Beklagten bei Herrn Rechtsanwalt St. , also dem Mehrheitsgesellschafter, lag. Da dieser nicht eigene (anwaltliche) Zielverfolgungen durch den Arbeitseinsatz der Frau R. erstrebte, ist erkennbar, dass die Ausübung des Direktionsrecht im Interesse der Beklagten und im Hinblick auf die Verwirklichung von deren betrieblicher Zielsetzung erfolgte. Sicher ist zu berücksichtigen, dass der Mehrheitsgesellschafter nicht zugleich geschäftsführendes Organ der Beklagten ist; in der konkreten Ausgestaltung ist das Berufungsgericht allerdings gerade diesbezüglich von einem Umgehungsgeschäft ausgegangen.
Die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung eines Missbrauchs der Gestaltungsformen wird dadurch bestärkt, dass die von der Beklagten außerdem zur Stützung ihrer unternehmerischen Entscheidung zum Wegfall der Tätigkeiten der Klägerin angeführten organisatorischen Maßnahmen sämtlichst dergestalt sind, dass sie sich in der Organisationsgewalt der Beklagten selbst oder aber - was nicht außer Acht bleiben kann - im Rahmen 100 %iger Töchter der Beklagten abspielen. Dabei ist es unbeachtlich, dass diese Tochterunternehmen jeweils eigene Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer haben und dass diese gegebenenfalls eigenständig die Entscheidungen treffen. Im Ergebnis verbleibt es nämlich - und zwar unter Beachtung der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - dabei, dass hier Entscheidungen in einem unternehmerischen Zusammenspiel fallen, das jedenfalls von gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmen getragen wird.
Das Berufungsgericht lässt dabei nicht unbeachtet, dass das Arbeitsrecht im Grundsatz den gesellschaftsrechtsrechtlichen Gegebenheiten folgen muss und nicht leichtfertig die Unterscheidung verschiedener selbständiger Gesellschaften und deren unterschiedlicher Funktionsträger (Gesellschafter, Geschäftsführer u.ä.) in Frage stellen darf. Auf der anderen Seite aber ist es anerkannten Rechts, dass die nach der zitierten - auch verfassungsgerichtlichen - Rechtssprechung gebotene Willkürkontrolle durch die Arbeitsgerichte nicht an einer erkennbar missbräuchlichen Formenwahl ihre Grenzen findet. Dies hat auch der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 26.9.2002 ("Rheumaklinik") anklingen lassen.
Angesichts dieser Feststellungen kann die "Vorgeschichte" der Auseinandersetzung zwischen den Parteien ohne Belang bleiben.
2.3 Erwies sich die Kündigung als unberechtigt, so war die Vergütung gemäß § 611 BGB in Verbindung mit den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu zahlen; dass dies bereits geschehen sei, war für das Berufungsgericht nicht hinreichend dargelegt worden.
3. Die Berufung der Beklagten war daher mit Erfolge zurückzuweisen, dass sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
4. Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da es sich um eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Die Beklagte wird auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG hingewiesen.
Ende der Entscheidung
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