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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 15.03.2007
Aktenzeichen: 5 Sa 1604/06
Rechtsgebiete: TVG, InsO


Vorschriften:

TVG § 1
InsO § 109 Abs. 1 S. 2
Auch nach einer Betriebseinstellung werden die Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist vom VTV Bau erfasst. Dem steht eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nicht entgegen.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

5 Sa 1604/06

Verkündet am 15.03.2007

In dem Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 5. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 15.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. F. als stellvertretender Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richterinnen B. und S.

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.04.06 - 15 Ca 73369/05 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die klagende Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe in der Rechtsform des VVaG, die nach näherer Maßgabe der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ist, nimmt den Beklagten, der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn D. ist, welcher einen Baubetrieb als Einzelunternehmen führte, auf Beitragszahlung für die Zeit vom 19. November 2004 bis einschließlich 15. Januar 2005 in unstreitiger Höhe von insgesamt 1 396,84 € in Anspruch.

Der Beklagte hat mit der Insolvenzeröffnung am 19. November 2004 den Geschäftsbetrieb des Gemeinschuldners zum 19. November 2004 eingestellt und die verbliebenen Arbeitnehmer mit einer Frist bis zum 15. Januar 2005 ordentlich gekündigt. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 (vgl. das Schreiben in Kopie Bl. 17 d. A.) hat der Beklagte die "Freigabe" des Gewerbebetriebes erklärt mit dem Beschluss, den Gewerbebetrieb nicht mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse fortzuführen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass er spätestens aufgrund dieser Freigabeerklärung nicht mehr für die Beitragszahlungen nach dem VTV hafte.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 28. April 2006 der Klage in Höhe von 1 396,84 € stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf verwiesen, dass der Beklagte sich durch Nichtweiterführung des Betriebes nicht der tarifvertraglichen Zahlungspflicht aus §§ 22; 18 Abs. 3 VTV entziehen könne, da er in die Arbeitsverträge des Gemeinschuldners eingetreten sei. Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts Berlin wird auf das Urteil vom 28. April 2006 (Bl. 34-39 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 31. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 7. September 2006 eingegangene und zugleich begründete Berufung des Beklagten. Er wiederholt seine Rechtsauffassung I. Instanz und führt diese weiter konkret auch unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. März 2006, welches seine Auffassung teile, aus.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. April 2006 - 15 Ca 73369/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist seinerseits auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juli 1987 (- 4 AZR 150/86 - BAGE 55, 38 ff. = EzA § 3 TVG Nr. 5), welches seine Auffassung und die des Arbeitsgerichts Berlin stütze. Wegen des konkreten Parteivortrags II. Instanz wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 1. September 2006 (Bl. 44 ff. d. A.), 17. November 2006 (Bl. 86 ff. d. A.) und 29. November 2006 (Bl. 97 ff. d. A.) sowie des Klägers vom 9. November 2006 (Bl. 70 ff. d. A.) und 24. November 2006 (Bl. 93 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung des Beklagten jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben, da der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Beiträgen in unstreitiger Höhe für den Zeitraum vom 19. November 2004 bis einschließlich 15. Januar 2005 gemäß §§ 22; 18 Abs. 3 des für allgemeinverbindlich erklärten VTV hat.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juli 1987 (a. a. O.), dem die erkennende Kammer folgt, werden auch bei einer Betriebseinstellung alle Arbeitsverhältnisse durch den VTV erfasst, die zum Betrieb vom Beginn seiner Tätigkeit bis zu deren Beendigung bestehen, sodass auch für diejenigen Arbeitnehmer eine Beitragspflicht besteht, denen gekündigt worden ist und die von der Arbeitsleistung freigestellt worden sind. Denn die Tarifvertragsparteien knüpfen für die Beitragspflicht an die zum Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse an. Diese werden durch die Insolvenzeröffnung nicht in ihrem Bestand berührt, sondern bestehen bis zu ihrer Beendigung durch den Insolvenzverwalter fort.

2.

Dieser Zahlungspflicht kann sich der Insolvenzverwalter jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem eine Fortführung durch den Gesamtschuldner "auf eigene Faust" weder ersichtlich noch konkret vorgetragen ist, nach geltendem Recht nicht durch eine Freigabeerklärung entziehen. Die vom Beklagten herangezogenen Regelungen in der Insolvenzordnung sind auf den vorliegenden Fall entweder überhaupt nicht anzuwenden oder lassen einen gänzlich anderen Zweck erkennen, sodass eine Gesetzesanalogie nicht herangezogen werden kann:

Der vom Beklagten herangezogene § 35 Abs. 2 InsO

"(2) Übt der Schuldner eine selbständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, so kann der Insolvenzverwalter erklären, dass Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Erklärung ist öffentlich bekannt zu machen."

existiert bisher nur in einem Referentenentwurf. Er soll für den Neuerwerb (Unterstreichung und Fettdruck durch das Gericht) für die Masse dem Insolvenzverwalter die Wahlmöglichkeit erlauben, ob er den durch eine selbständige Tätigkeit erzielten Neuerwerb für die Masse vereinnahmen oder freigeben will. Eine vergleichbare Regelung findet sich auch nach der Gesetzesbegründung des Referentenentwurfs (vgl. die vom Beklagten eingereichte Begründung zu Nr. 16 Bl. 102-103 d. A.) bisher schon in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Miet- und Pachtverhältnisse. Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO kann der Insolvenzverwalter im Fall der Wohnungsmiete des Schuldners statt einer Kündigung erklären, dass Mietzinsansprüche, die nach Ablauf (Unterstreichung und Fettdruck durch das Gericht) der gesetzlichen Kündigungsfristen fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

Bezieht man diese Regelung für das Dauerschuldverhältnis Wohnungsmiete auf das Dauerschuldverhältnis Arbeitsvertrag, wäre allenfalls dann de lege ferenda an eine Freigabe des Betriebes nach Ablauf der arbeitsrechtlichen Kündigungsfristen zu denken, wenn der Schuldner den Betrieb fortführt. Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor. Der Kläger nimmt den Beklagten zum einen für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfristen in Anspruch, darüber hinaus ist zum anderen eine Fortführung durch den Schuldner nicht ersichtlich.

Im Übrigen bestehen Bedenken gegen eine Freigabeerklärung hinsichtlich des Betriebes. Denn anders als bei der Wohnung nach § 109 InsO besteht der Betrieb des Schuldners aus einer Vielzahl von beweglichen und unbeweglichen Sachen und Rechten. Diese müssten wegen des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes einzeln freigegeben oder zumindest bezeichnet werden, was vorliegend nicht geschehen ist.

Endlich wäre für eine Freigabeerklärung vorliegend gar kein Raum, da nach der eigenen Erklärung des Beklagten das Betriebsvermögen des Schuldners allenfalls aus gebrauchtem Handwerkszeug bestanden habe, welches nicht der Pfändung unterliege. Es gab also keine Gegenstände, die hätten freigegeben werden können. In einem solchen Fall erschöpft sich die Freigabeerklärung in einer Freizeichnung von arbeitsrechtlichen Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter bzw. die Insolvenzmasse. Dies ist nicht der Sinn und Zweck der beabsichtigten Neuregelung des § 35 Abs. 2 InsO.

III.

Die Berufung des Beklagten war daher auf seine Kosten gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

IV.

Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass. Die von der Kammer 15 des LAG Berlin anders beantwortete Rechtsfrage der Weitergeltung von Tarifvertragsnormen steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sodass eine Divergenz im Sinne des § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG nicht vorliegt. Eine grundsätzliche Bedeutung der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ist im Hinblick auf den bloßen Referentenentwurf, der vorliegend im Einzelfall auch nicht entscheidungserheblich ist, nicht zu erkennen.

Ende der Entscheidung

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