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Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 20.03.2008
Aktenzeichen: 5 Ta 226/08
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 2
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 3
ZPO § 114 Satz 1
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ArbGG § 11a Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.01.2008 - 76 Ca 14767/07 - abgeändert.

Dem Kläger wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. W. K. auch für die Anträge zu 1 und 2 aus der Klageschrift in vollem Umfang mit Wirkung vom 07.12.2007 mit der Maßgabe bewilligt, dass derzeit auch insoweit hinsichtlich der Prozesskosten kein eigener Beitrag zu leisten ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit der am 31.01.2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die Anträge zu 1) und 2) aus der Klageschrift (Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsantrag) mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 18.01.2008, der seinem Prozessbevollmächtigten am 22.01.2008 zugestellt worden ist. Zur Begründung der teilweisen Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe für die am 08.09.2007 eingegangene Klage gegen die Kündigung der Beklagten vom 24.08.2007 hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass hinreichende Erfolgsaussichten von Beginn an nicht gegeben gewesen seien. Weder habe der Kläger mit der Klage die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes vorgetragen, noch seien insoweit schlüssige Darlegungen bis zum Vorliegen der Bewilligungsreife des PKH-Antrages erfolgt.

In der Begründung seiner sofortigen Beschwerde meint der Kläger, seine Rechtsverfolgung habe hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt und sei auch nicht mutwillig gewesen. Kernproblem sei im Streitfalle mit dem "Alt-Arbeitnehmer"-Kündigungsschutz nach § 23 Abs.1 Satz 2 KSchG als Ausnahmetatbestand zum geltenden Grundsatz eine schwierige Sach- und Rechtsfrage gewesen, die eine Partei in Eigenregie nicht durchzufechten vermocht hätte. Im Übrigen begründet er die Beschwerde mit weiteren Rechtsausführungen. Auf den Inhalt der Beschwerdebegründung wird Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen mit der Begründung, dass bereits die Klage unschlüssig gewesen sei. Soweit darin vorgetragen worden sei, die Beklagte beschäftige sechs Arbeitnehmer, sei weder dargelegt worden, dass diese vollzeitbeschäftigt gewesen seien, noch, dass deren Arbeitsverhältnisse bereits vor dem 31.12.2003 bestanden hätten. Auch in den späteren Schriftsätzen habe der Kläger insoweit nicht schlüssig vortragen können.

II.

Die gemäß § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO statthafte, formgerechte, innerhalb der Notfrist von einem Monat gemäß § 127 Abs.2 Satz 3 ZPO eingegangene und damit zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe auch für die Anträge zu 1. und 2. aus der Klageschrift zu bewilligen, da die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO erscheint. Diese Vorschrift ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren gemäß § 11a Abs.3 ArbGG entsprechend anzuwenden.

Hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragsstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Aufgrund der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage muss es möglich sein, dass der Antragssteller mit seinem Begehren durchdringen wird (vgl. Zöller/ Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114 Rn. 19). Es ist zu prüfen, ob die Klage schlüssig ist, wobei sich der Umfang der vom Kläger erwarteten Darlegungen nach den Einlassungen des Gegners richtet (vgl. Zöller/ Philippi, aaO, Rn. 23b).

Im vorliegenden Fall ermöglichte die erforderliche summarische Prüfung im Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 07.12.2007 die Annahme, dass der Antragssteller mit seinem Begehren durchdringen könnte.

Dabei war zum Einen davon auszugehen, dass nach einer im Vordringen befindlichen Rechtsansicht, die u.a. in mehreren Entscheidungen des LAG Berlin (Urteile vom 28.10.1994 - 6 Sa 95/94, LAGE § 23 KSchG Nr. 11, vom 18.05.1999 - 18 Sa 56/99 n.v. und vom 30.01.2001 - 3 Sa 2125/00, n.v.) und vom Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (vgl. KR-Weigand, 8. Aufl., § 23 KSchG Rz. 54a ff.) vertreten wird, die Beweislast für den Tatbestand, dass die Ausnahmeregelungen für Kleinbetriebe gemäß § 23 Abs.1 Satz 2 und 3 KSchG greifen, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG, die dem Arbeitnehmer diesbezüglich die Beweislast zuwies (ständige Rechtsprechung des BAG seit der Entscheidung vom 04.07.1957, BAGE 4, S. 203, 207), der Arbeitgeber trägt. Das BAG hat es im Urteil vom 24.02.2005 (EzA § 23 KSchG Nr. 28) ausdrücklich offen gelassen, ob an der von ihm bisher vertretenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf gewichtige Stellungnahmen in der arbeitsrechtlichen Literatur oder etwa im Hinblick auf die gesetzlichen Änderungen durch das Arbeitsmarktreformgesetz vom 24.12.2003 noch festgehalten wird. Zum Anderen hat sich das BAG in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf verfassungsrechtliche Vorgaben nochmals für eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast ausgesprochen. Dazu hat es ausgeführt, der Arbeitnehmer müsse regelmäßig zumindest angeben, welche mehr als fünf Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt im Betrieb tätig seien, danach müsse der nunmehr sachnähere Arbeitgeber die Tatsachen und Umstände substantiiert darlegen, aus denen sich ergeben solle, dass regelmäßig weniger Beschäftigte im Betrieb tätig waren bzw. wieder sein werden. Angaben dazu, dass der Arbeitnehmer von vorneherein auch die regelmäßige Wochenarbeitszeit und den Zeitpunkt des Beginns der Beschäftigung der im Kündigungszeitpunkt beschäftigten Arbeitnehmer angeben müsse, werden auch nach dieser Rechtsprechung des BAG vom Arbeitnehmer offenbar nicht erwartet. Geht man hingegen mit den zitierten Stimmen in Literatur und Rechtsprechung von der Beweislast des Arbeitgebers aus, erscheint es jedenfalls vertretbar, vom Arbeitnehmer zunächst sogar nur die Angabe der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer zu verlangen und nähere Ausführungen zu den Personen der Arbeitnehmer einschließlich ihrer Wochenarbeitszeit und Beschäftigungsdauer erst vom Arbeitgeber zu fordern, wenn er nämlich die kündigungsschutzrechtlich erhebliche Arbeitnehmerzahl in Abrede stellt. Dies dürfte auch dem Umstand entsprechen, dass der Arbeitgeber diesbezüglich regelmäßig mit sachnäheren Informationen ausgestattet ist als der Arbeitnehmer, der nur Kenntnisse aus seiner eigenen Wahrnehmung hat, indes nicht über die vertraglichen Absprachen mit den jeweiligen Arbeitnehmern verfügt.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich deshalb, wie geschehen, in der Klageschrift zunächst auf die Angaben beschränken dürfen, dass er selbst seit 01.11.2002 bei der Beklagten tätig sei und diese sechs Arbeitnehmer beschäftige, um das Eingreifen des gesetzlichen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG, auf das sich der Kläger in der Klageschrift berufen hat, und das Nichtvorliegen der Ausnahmeregelungen in § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG darzulegen. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.9.2007 unter namentlicher Auflistung die Beschäftigung von nur fünf Arbeitnehmern, von denen drei nur mit zwanzig Wochenstunden beschäftigt und zwei erst 2005 eingestellt worden seien, vorgetragen hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 01.10.2007 seinerseits sieben Arbeitnehmer namentlich aufgelistet und die Vollzeittätigkeit von sechs dieser Arbeitnehmer sowie eine Beschäftigung schon vor 2002 für die zwei Arbeitnehmer behauptet, deren Beschäftigung die Beklagte erst seit 2005 angegeben hatte. Auch hat er bereits in diesem Schriftsatz Beweis für diese seine Behauptungen angeboten. Nachdem die Beklagte sodann mit Schriftsatz vom 12.10.2007 nähere Einzelheiten zu einzelnen Arbeitnehmern zur Erläuterung ihrs Vorbringens vorgetragen hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13.10.2007 weitere Zeugen für den Beweis seines diesbezüglichen Vortrags angeboten. Die Beklagte hat sich sodann angesichts der nur an sie gerichteten Auflage des Arbeitsgerichts im Gütetermin, Nachweis zur Beschäftigungsdauer und zur regelmäßigen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erbringen, mit Schriftsatz vom 05.11.2007 ebenfalls auf die vom Kläger bereits benannten Zeugen zum Beweis ihres bisherigen Vortrages berufen. Erst nachdem der Kläger sodann mit Schriftsatz vom 28.11.2007 weitere Ausführungen zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer und zu ihrer Beschäftigungsdauer gemacht hat, sah sich die Beklagte ihrerseits diesbezüglich zu weiterem Sachvortrag unter Beweisantritt mit Schriftsatz vom 10.12.2007 veranlasst.

Stellt man auf den Zeitpunkt der vom Arbeitsgericht angenommenen Bewilligungsreife am 07.12.2007 ab, war dem Vortrag des Klägers jedenfalls zu entnehmen, dass neben ihm die Arbeitnehmer Sch., M., K., Schi., Me. und B. jeweils in Vollzeit beschäftigt seien, und dass Herr K. als Ersatz für den zuvor ebenfalls in Vollzeit tätigen Herrn Kn. eingestellt worden sei. Auch wenn Herr K. entgegen der Ansicht des Klägers nach dem Urteil des BAG vom 21.09.2006 (EzA § 23 KSchG Nr. 29) nicht als mitzuzählender (Alt-) Arbeitnehmer anzusehen war, waren es einschließlich seiner eigenen Person nach dem unter Beweisantritt gestellten Vortrag des Klägers jedenfalls sechs (Alt-) Arbeitnehmer, die für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl in Betracht kamen. Es war deshalb jedenfalls nicht auszuschließen, dass eine Beweisaufnahme zu dem Ergebnis geführt hätte, dass das KSchG auf den Kläger zur Anwendung kam, zumal bei einem "non liquet" nach der zitierten, vom LAG Berlin in mehreren Entscheidungen vertretenen Rechtsmeinung die Beklagte die Beweislast getroffen hätte.

Für eine Mutwilligkeit der Klage fehlten jegliche Anhaltspunkte.

Nach alledem war aufgrund der sofortigen Beschwerde des Klägers der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 18.01.2008 abzuändern und dem Kläger auch für seine gegen die Kündigung und auf Weiterbeschäftigung gerichteten Anträge zu 1. und 2. aus der Klageschrift vollumfänglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

III.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein gesetzlich begründeter Anlass.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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