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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 21.11.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 1113/08
Rechtsgebiete: BOrgG, EFZG, BGB


Vorschriften:

BOrgG § 6 Abs. 1
BOrgG § 7 Abs. 4
EFZG § 3 Abs. 1 Satz 2
BGB § 280 Abs. 1 Satz 1
Hat ein vermeintlicher freier Dienstnehmer seine private Krankenversicherung zunächst fortgeführt, weil sein Dienstgeber ihn entgegen seinem Verlangen erst später rückwirkend zur Sozialversicherung anmeldet und dementsprechend Sozialversicherungsbeiträge einbehält und abführt, stellen die Beiträge zur privaten Krankenversicherung gleichwohl keinen ersatzfähigen Schaden dar.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1113/08

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Kammer 6, auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. sowie die ehrenamtlichen Richter V. und M.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Berufung und Anschlussberufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.04.2008 - 38 Ca 17369/07 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufungsinstanz haben bei einem Streitwert von 1965,26 € die Klägerin zu 56,55 % und die Beklagte zu 43,45 % zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin war seit dem 01. Januar 2003 auf der Grundlage eines sog. Vertrags über freie Mitarbeit für die Beklagte gegen eine Vergütung von zuletzt 1.850,00 € plus Umsatzsteuer tätig.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 04. April 2006 (Ablichtung Bl. 144, 145 d. A.) machte die Klägerin geltend, dass bloße Scheinselbständigkeit und deshalb tatsächlich ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorläge. Nach Scheitern anschließender Vertragsverhandlungen meldete die Beklagte die Klägerin Ende Juni 2006 mit Wirkung vom 01. April 2006 als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerin an und führte für sie aus einer noch nicht geleisteten Bruttovergütung von monatlich 1.850,00 € Sozialversicherungsbeiträge ab.

Die seit dem 25. Mai 2006 bis auf zwei Tage im August arbeitsunfähig krankgeschriebene Klägerin beendete ihr Rechtsverhältnis zum Beklagten einvernehmlich zum 30. Juni 2007.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, Schadenersatz für Beiträge zu ihrer privaten Krankenversicherung in der Zeit von April bis Juni 2006, restliche Entgeltforderung für August 2006 und Urlaubsabgeltung für 2007.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 853,85 € brutto Abgeltung für zwölf Urlaubstage verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Klägerin noch im Urlaubsjahr wieder arbeitsfähig gewesen sei, da sie nach ihren Angaben ab 01. Juli 2007 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sei. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für August 2006 i.H.v. 268,80 € netto stehe der Klägerin dagegen nicht zu, weil sie bereits seit dem 24.05.2006 mit einer Unterbrechung von zwei Tagen im August arbeitsunfähig krank gewesen sei. Auch Schadenersatz in Höhe der gezahlten Beiträge zur privaten Krankenversicherung i.H.v. 842,61 € könne die Klägerin nicht verlangen. Es sei nicht ersichtlich, welche Pflicht die Beklagte diesbezüglich verletzt habe. Eine Pflicht, die Klägerin darauf hinzuweisen, sie könne ihre private Krankenversicherung kündigen, weil sie nunmehr pflichtversichert sei, habe nicht bestanden. Es sei nicht einmal erkennbar, dass die Beklagte überhaupt, Kenntnis von einer privaten Krankenversicherung der Klägerin gehabt habe.

Gegen dieses ihr am 07. Mai 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 06. Juni 2008 eingelegte und am 28. Juli nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Klägerin. Sie behauptet, ihre erneute Krankschreibung ab dem 10. August 2006 habe auf einer anderen Erkrankung beruht; außerdem müsse sich die Beklagte an ihrer Abrechnung des vollen Gehaltsanspruchs für August 2006 (Ablichtung Bl. 32 d. A.) festhalten lassen. Die zum Schadenersatz verpflichtende Pflichtverletzung der Beklagten habe darin bestanden, dass diese sie trotz entsprechenden Hinweises auf die Rechtslage nicht sofort als abhängig Beschäftigte angemeldet habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter teilweise Änderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie weitere 1.111,41 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 268,80 € seit dem 01. September 2006 und aus 842,61 € seit Rechtshängigkeit (02. November 2007) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat nach Zustellung der Berufungsbegründung am 05. August 2008 ihrerseits am 05. September 2008 Anschlussberufung eingelegt und beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils vollständig abzuweisen.

Die Beklagte tritt den Angriffen der Berufung entgegen und weist unwidersprochen darauf hin, die Klägerin habe im erstinstanzlichen Verhandlungstermin angegeben, dass ihre Krankschreibung aufgrund der für sie schwierigen psychischen Situation bei der Beklagten erfolgt sei, womit sie auch ihre Gesundung mit dem Tag der vergleichsweisen Beendigung ihrer Rechtsbeziehung erklärt habe. Im Rahmen einer etwaigen Schadenminderungspflicht sei es Sache der Klägerin gewesen, ihrer privaten Krankenkasse das Verfahren zur Statusprüfung anzuzeigen. Abgesehen davon, dass sie die Aufnahme einer neuen Tätigkeit durch die Klägerin bereits mit Nichtwissen bestritten habe, sei ein Abgeltungsanspruch ausgeschlossen, soweit die Klägerin bei einem neuem Arbeitgeber Urlaub gewährt bekommen habe. Dass dies weniger als zwölf Arbeitstage gewesen seien, bestreitet die Beklagte ebenfalls mit Nichtwissen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Berufung und Anschlussberufung sind unbegründet.

1.1 Der Klägerin steht gem. §§ 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 lit. c, 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 2007 i.H.v. 853,85 € brutto zu, wie das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt hat (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Mit Rücksicht auf das in Ablichtung zur Akte gereichte Bestätigungsschreiben des derzeitigen Arbeitgebers der Klägerin vom 07. April 2008 (Bl. 171 d. A.), wonach die Klägerin 2007 zehn Urlaubstage in Anspruch genommen haben soll, war davon auszugehen, dass die Klägerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zur Beklagten von ihrer Krankheit genesen war, andernfalls sie kaum ein neues Arbeitsverhältnis hätte begründen und daraus einen Urlaubsanspruch erwerben können (§ 286 Abs. 1 ZPO). Auf den Umfang des dort erhaltenen Urlaubs kam es nicht an, weil Doppelansprüche gem. § 6 Abs. 1 BUrlG allein zu Gunsten des Folgearbeitgebers ausgeschlossen werden.

1.2. Ein Anspruch auf restliche Entgeltfortzahlung für August 2006 in Höhe der Differenz des gezahlten zu dem in ihrer Augustabrechnung ausgewiesenen Betrag steht der Klägerin nicht zu.

1.2.1 Da die Klägerin bereits seit dem 24. Mai 2006 arbeitsunfähig krankgeschrieben war, hatte der sechswöchige Bezugszeitraum gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG längst geendet. Die Voraussetzungen dafür, dass sie mit Rücksicht auf die zweitägige Unterbrechung ihrer Krankschreibung ab 08. und 09. August 2006 gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erworben hat, konnten dem Vorbringen der Klägerin nicht entnommen werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin dem Hinweis der Beklagten nicht entgegengetreten ist, sie habe ihre Erkrankung und spätere Gesundung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit den psychischen Belastungen im Verhältnis zur Beklagten erklärt, wäre es Sache der Klägerin gewesen, näher darzulegen, dass ihrer erneuten Krankschreibung am 10. August 2008 eine andere Krankheit als zuvor zu Grunde gelegen habe (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 - BAGE 115, 203 = AP EntgeltFG § 3 Nr. 25 zu I 6 der Gründe).

1.2.2 Daraus, dass ihr die Beklagte für August 2006 eine Gehaltsabrechnung über 1.850,00 € brutto erteilt hat, vermochte die Klägerin nichts herzuleiten. Darin war weder ein außergerichtliches Geständnis hinsichtlich der Krankheitsursache zu sehen, noch enthielt die Abrechnung ein Schuldanerkenntnis i.S.d. § 781 Satz 1 BGB. Nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber mit einer Abrechnung auf etwaige Einwendungen gegen streitig gewordene Ansprüche verzichten will (BAG, Urteil vom 12.12.2000 - 9 AZR 508/99 - BAGE 96, 344 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 27 zu I 2 b der Gründe).

1.3 Ihre Beiträge zur privaten Krankenversicherung für April bis Juni 2006 kann die Klägerin nicht gem. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Beklagten als Schadenersatz aufgrund einer Pflichtverletzung ersetzt verlangen.

Es konnte dahinstehen, ob überhaupt eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten vorgelegen hat. Jedenfalls war nicht erkennbar, dass die Klägerin insoweit einen nach § 249 Satz 1 BGB ersatzfähigen Schaden erlitten hat.

Die Klägerin hatte sich zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung veranlasst gesehen, weil die Parteien ursprünglich davon ausgegangen waren, mit ihrem "Vertrag über freie Mitarbeit" kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet zu haben. Dies änderte indessen nichts daran, dass in der streitigen Zeit gem. § 5 Abs. 1 SGB V für die Klägerin als gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Angestellte mit einem Einkommen unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand. Wird nun aber aufgrund einer entsprechenden Meldung des Arbeitgebers rückwirkend eine solche Versicherungspflicht festgestellt, erwirbt der Arbeitnehmer als Pendant zu seiner Beitragspflicht für diese Zeit ausnahmsweise auch einen Anspruch auf Erstattung der von ihm im Krankheitsfall bereits getragenen Behandlungskosten (vgl. BSG, Urteil vom 04.10.1988 - 4/11a RK 2/87 - NJW 1989, 2970). Nichts anderes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer diese Kosten nicht endgültig selbst getragen, sondern aufgrund einer privaten Krankenversicherung erstattet bekommen hat und wegen Versäumung der zweimonatigen Frist zur rückwirkenden Kündigung gemäß § 178h Abs. 2 Satz 1 VVG (dazu KG, Urteil vom 11.11.2005 - 6 U 79/05 - VersR 2006, 689 zu II der Gründe; vgl. auch Ralph Kramer, Die Scheinselbständigkeit und ihre individualrechtlichen Folgen, 1998, S. 206) eine Rückabwicklung dieses Versicherungsverhältnisses nicht mehr erreichen kann und eine solche Rückabwicklung anders als in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall auch nicht vom Privatversicherer vorgenommen worden ist. Statt der Behandlungskosten müssen ihm dann als Sachleistungssurrogat die gezahlten Versicherungsbeiträge erstattet werden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt. Insbesondere waren mit Rücksicht auf die jeweils herangezogenen Entscheidungen keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung mehr zu beantworten.

Ende der Entscheidung

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