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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 10 Sa 1763/04
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 5
1. Im einstweiligen Verfügungsverfahren, in welchem der Arbeitnehmer seinen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend macht, muss er auch vortragen, inwieweit ein ordnungsgemäß getroffener Betriebsratsbeschluss vorliegt.

2. Der Arbeitgeber muss dann substantiell - in analoger Anwendung der Grundsätze zum Bestreiten der Betriebsratsanhörung durch den Arbeitnehmer (BAG vom 16.03.2000 - 2 AZR 75/79 ) - und im Einzelnen bestreiten, wobei er sich (nur) bei Umständen außerhalb seiner Wahrnehmung auf Nichtwissen beziehen kann. Ein pauschales Bestreiten reicht nicht aus.

3. Der Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen, die einen Verfügungsgrund belegen sollen, bedarf es im Hinblick auf den drohenden endgültigen Rechtsverlust nicht.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

10 Sa 1763/04

Verkündet am 16.09.2004

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 10. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 16.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Binkert als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Busch und Schindelhauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Juli 2004 - 49 Ga 15351/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die seit dem 01.05.1997 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten beschäftigte Klägerin begehrt mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ihre Weiterbeschäftigung auf der Grundlage des § 102 Abs. 5 BetrVG im Anschluss an eine ordentliche Kündigung vom 12.05.2004 mit Wirkung zum 31.07.2004, der der am 04.05.2004 angehörte Betriebsrat am 10.05.2004 unter anderem damit widersprochen hat, dass die soziale Auswahl fehlerhaft sei, wobei er auf Arbeitnehmer verweist, die nicht in den auswahlrelevanten Personenkreis aufgenommen worden sind und umgekehrt darauf abstellt, dass die Vergleichbarkeit mit dort aufgenommenen Arbeitnehmern im Bezugspunkt der Klägerin nicht gegeben sei. Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben, Kammertermin ist für den 11.11.2004 anberaumt.

Von einer näheren Darstellung des Parteivorbringens erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.07.2004 eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung der Klägerin als Sachbearbeiterin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens erlassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Verfügungsanspruch ergebe sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG, denn der Betriebsratswiderspruch sei ordnungsgemäß, die Klägerin habe Kündigungsschutzklage erhoben und auch ihre Weiterbeschäftigung verlangt. Ein Verfügungsgrund sei, wenn er denn überhaupt notwendig sei, gegeben, da eine drohende Vereitelung des unzweifelhaft gegebenen Weiterbeschäftigungsanspruchs anzunehmen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 20 ff d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses am 16.07.2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 16.08.2004 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und zugleich begründet hat.

Die Beklagte und Berufungsklägerin verweist in der Berufungsinstanz darauf, dass zunächst gar kein Verfügungsanspruch gegeben sei, da die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass und inwieweit der Beschluss des Betriebsrats überhaupt ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Ein Verfügungsgrund sei ebenfalls nicht gegeben, wobei zu berücksichtigen sei, dass auch bei einer einstweiligen Verfügung des hier begehrten Inhalts die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO gegeben sein müssten. Im Übrigen habe - wenn überhaupt - eine einstweilige Verfügung allenfalls bis zur Hauptsacheentscheidung erlassen werden dürfen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.07.2004 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die arbeitsgerichtlichen Ausführungen zu Eigen und ergänzt ihren Vortrag durch Vorlage der Protokolle des Betriebsrats über die Einladung zur außerordentlichen Betriebsratssitzung am 10.05.2002 und zum Verlauf der Sitzung. Einen Verfügungsgrund hält sich für nicht erforderlich, anderseits indes auf der Grundlage der arbeitsgerichtlichen Argumentation für gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Beklagten und Berufungsklägerin vom 16.08.2004 (Bl. 29 ff d.A.) und auf denjenigen der Klägerin und Berufungsbeklagten vom 06.09.2004 (Bl. 44 ff d.A.) sowie auf die Erklärungen im Termin vom 16.09.2004 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

Die Berufung ist daher zulässig.

2. Die Berufung hatte in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die begehrte einstweilige Verfügung erlassen.

2.1. Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass dann, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat und der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen muss, § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG.

Ein solcher Weiterbeschäftigungsanspruch setzt voraus, dass eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ausgesprochen ist, der Betriebsrat dieser Kündigung ordnungsgemäß im Sinne von § 102 Abs. 2, 3 BetrVG widersprochen hat, der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage eingereicht hat und schließlich die Weiterbeschäftigung vom Arbeitgeber verlangt hat. In diesem Falle ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG ist im Urteilsverfahren geltend zu machen. Dabei kommt auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Betracht (vgl. nur LAG Hamburg vom 25.01.1994 - LAGE Nr. 21 zu § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht).

Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs.5 BetrVG ist der Arbeitnehmer; dies gilt - bezogen in diesem Falle auf die Glaubhaftmachung - auch im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, das auf die Verpflichtung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Beschäftigung gerichtet ist.

Dabei ist davon auszugehen, dass die Darlegung bzw. Glaubhaftmachung des Vorliegens einer arbeitgeberseitigen Kündigung, der Erhebung der Kündigungsschutzklage und der Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsverlangens durch den Arbeitnehmer unproblematisch erfolgen wird. Demgegenüber kann sich die Darlegung bzw. Glaubhaftmachung des Vorliegens eines ordnungsgemäßen Widerspruches des Betriebsrates für den Arbeitnehmer schwieriger gestalten. Dies gilt nicht für den Inhalt des Widerspruchs des Betriebsrates, der in schriftlicher Form gem. § 102 Abs. 2 BetrVG vorliegen muss und dem Arbeitnehmer gem. § 102 Abs. 4 BetrVG zur Verfügung steht. Allerdings wird in der Rechtsprechung (vgl. beispielsweise Arbeitsgericht Hamm vom 18.01.1990 - 4 Ga 1/90 - Betriebsberater 1990, 1206; LAG Düsseldorf vom 26.06.1980 - 3 Sa 242/80 - DB 1980, 2043) auch verlangt, dass der Arbeitnehmer das Vorliegen eines ordnungsgemäßen, form- und fristgerechten Widerspruchs des Betriebsrates glaubhaft machen muss, worunter auch verstanden wird, dass er darzulegen und glaubhaft zu machen habe, dass tatsächlich ein ordnungsgemäß gefasster Betriebsratsbeschluss vorliegt.

Dies erscheint deswegen problematisch, weil dem klagenden bzw. antragstellenden Arbeitnehmer die Darlegung der diesbezüglichen Umstände, etwa die ordnungsgemäße Einladung und die ordnungsgemäße Beschlussfassung, nicht aus eigener Wahrnehmung bekannt sind. Er ist in diesem Falle mithin auf die Mitwirkung des Betriebsrats angewiesen, der seinerseits zu beachten hat, dass seine Sitzungen nicht öffentlich sind und insbesondere auch das Abstimmungsverhalten bei der Beschlussfassung nicht ohne weiteres öffentlich gemacht werden kann.

Aus dieser Konstellation ergibt sich, dass das Maß der Darlegung und Glaubhaftmachung des Arbeitnehmers daran gemessen werden muss, was er aufgrund seiner besonderen Situation wissen und zunächst darlegen kann. Denn es gilt auch hier der Grundsatz, dass im Rahmen der Darlegungspflicht dem klagenden bzw. antragstellenden Arbeitnehmer nichts auferlegt werden kann, was er im Ergebnis nicht erfüllen kann.

Auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber, der das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Widerspruchs des Betriebsrates im Hinblick auf die Formalien seines Zustandekommens bestreitet, seinerseits substantiell darlegen, was er aus welchen Gründen bestreiten will. Es sind hierbei auf die Bestreitenslast des Arbeitgebers diejenigen Grundsätze zu übertragen, die für das Bestreiten einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG durch den Arbeitnehmer gelten. Danach muss nach schlüssiger Darlegung durch den Arbeitgeber der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast deutlich machen, welche der Angaben er aus welchen Gründen bestreiten will. Soweit es um Tatsachen außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung geht, kann der Arbeitnehmer sich dabei gem. § 138 Abs. 4 ZPO auf Nichtwissen berufen; ein pauschales Bestreiten des Arbeitnehmers ohne jede Begründung genügt dagegen nicht (BAG vom 16.03.2000 - 2 AZR 75/79 - NZA 2000, 1332).

Dies bedeutet, dass der den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellende Arbeitnehmer im Einzelnen und unter Beachtung dessen, was Gegenstand seiner Wahrnehmung ist, vortragen muss, inwieweit ein ordnungsgemäß zustande kommender Betriebsratsbeschluss vorliegt. Der Arbeitgeber seinerseits muss dann im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiell bestreiten, wobei ein Erklären mit Nichtwissen nur insoweit zulässig ist, als es nicht um Umstände seiner eigenen Wahrnehmung geht. Letzteres könnte etwa sich aus den beim Arbeitgeber geführten Anwesenheitslisten ergeben, aus denen Zweifel an der ordnungsgemäßen Besetzung des Gremiums entstehen würden. In diesem Falle müsste der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der ihm zugänglichen Unterlagen substantiell vortragen (vgl. zu einer ähnlich gelagerten Problematik BAG vom 09.12.2003 - 1 ABR 44/02 - AiB 2004, 11).

2.2. Unter Beachtung und in Anwendung dieser Grundsätze war im Streitfall davon auszugehen, dass die Klägerin zunächst die Umstände eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Betriebsratsbeschlusses vorgetragen hat; zuletzt durch die Vorlage der Einladung zur außerordentlichen Betriebsratssitzung vom 10.05.2004 und - sogar - durch Vorlage des Protokolls der außerordentlichen Sitzung ist erkennbar geworden, dass ein ordnungsgemäß zustande gekommener Beschluss vorliegt. Soweit sich die Beklagtenseite im Termin zur mündlichen Verhandlung dahin erklärt hat, aus dem Protokoll gehe nicht hervor, welchen Inhalt der gefasste Beschluss gehabt habe, konnte dem die Kammer nicht folgen. Aus dem Protokoll wird erkennbar, dass es sich gerade um denjenigen Widerspruch gehandelt hat, der der Antragschrift beigefügt war. Andere Entwürfe oder Beschlussfassungen waren erkennbar nicht um Umlauf; im Rahmen der Glaubhaftmachung hat die Klägerin ihren diesbezüglichen Pflichten genügt.

Der Betriebsratsbeschluss erwies sich auch als ordnungsgemäß; er nimmt auf § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG unter Darlegung hinreichenden Tatsachenvortrages Bezug. Dies gilt auch unter Beachtung der Anforderung, die der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 09.07.2003 (BAG vom 09.07.2003 - 5 AZR 305/02 - NZA 2003, 1191) aufgestellt hat.

Von einem Verfügungsanspruch war mithin auszugehen.

Des Vorbringens eines Verfügungsgrundes bedurfte es nicht. Die erkennende Kammer geht mit der wohl überwiegenden Meinung der Landesarbeitsgerichte davon aus, dass im Hinblick auf den drohenden (endgültigen) Rechtsverlust es einer gesonderten Glaubhaftmachung von Tatsachen zum Verfügungsgrund nicht bedarf (vgl. die Nachweise bei Koch in APS Kündigungsrecht, § 102 BetrVG, Rdnr. 213).

3. Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Folge zurückzuweisen, dass sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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