Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 03.06.2003
Aktenzeichen: 10 Ta 1002/03
Rechtsgebiete: ArbGG, GVG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 b
ArbGG § 2 Abs. 3
ArbGG § 2 Abs. 1
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 5 Abs. 3
ArbGG § 48 Abs. 1
ArbGG § 53 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 78 Abs. 1
GVG § 17 Abs. 1
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 3
ZPO § 97
1.) Wird mit einer Statusklage ein Zahlungsanspruch geltend gemacht, so ergibt sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht "automatisch" nach § 2 Abs. 3 ArbGG (Zusammenhangsklage), weil diese Zuständigkeitsregelung eine (arbeitsrechtliche) Hauptklage voraussetzt, für die die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht bereits auf der Grundlage der "sic-non"-Rechtsprechung (Rechtsbehauptung des Klägers) angenommen werden kann.

2.) In einem solchen Fall muss die Zuständigkeit für den Zahlungsanspruch getrennt und nach allgemeinen Grundsätzen i.S.d. § 2 Abs. 1 ArbGG geprüft werden.


Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

10 Ta 1002/03

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 10. Kammer am 03. Juni 2003 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Binkert als Vorsitzenden

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 20. Februar 2003 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. Januar 2003 - 2 Ca 29523/02 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise wie folgt geändert:

1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist hinsichtlich des Antrages zu Ziffer 1 aus der Klageschrift gegeben.

2. Hinsichtlich des Antrages zu Ziffer 2 aus der Klageschrift ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben. Der Rechtsstreit wird insoweit abgetrennt und an das Landgericht Hamburg verwiesen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf Feststellung des Arbeitnehmerstatus sowie auf Zahlung von Vergütung in Höhe von 11.248,43 EUR nebst Zinsen in Anspruch.

Er war seit Oktober 1997 für die Beklagte, einer Einfuhr- und Handelsgesellschaft, für den Vertrieb von Oberbekleidung im Bereich des Segelsports tätig. Ausweislich eingereichter Kontoauszüge erhielt er von dieser überwiegend regelmäßig den Betrag von 6.500,-- DM per Scheck. Der Kläger wird seinerseits unter seinem Namen (vgl. Schreiben vom 10.09.2002, Bl. 29 d. A.) tätig, und zwar im Bereich des Schiffhandels, als Gutachter für GFK-Segelyachten, als "Partner für Marieholmsboote" und Ersatzteile und Service für diese. Sein Briefbogen enthält darüber hinaus den Hinweis "Newport - Handelsvertretung für Wassersportbekleidung".

Das Konto bei der Berliner Volksbank, auf welches die von der Beklagten erhaltenen Schecks eingezahlt wurden, läuft auf den Namen "R. Schiffshandel und Yachtbedarf".

Nachdem es zu Differenzen bei den Zahlungen durch die Beklagte gekommen war, hat der Kläger am 23. Oktober 2002 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht. Er nimmt in Anspruch, Arbeitnehmer der Beklagten gewesen zu sein und begehrt Zahlung unter dem Gesichtspunkt der Vergütungsdifferenz.

Demgegenüber vertritt die Beklagte die Auffassung, der Kläger sei für sie als Handelsvertreter tätig gewesen, so dass nicht die Arbeitsgerichtsbarkeit, sondern das Landgericht Hamburg für den Rechtsstreit zuständig sei.

Mit Beschluss vom 8. Januar 2003 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu ihm für eröffnet gesehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit unter dem Gesichtspunkt des "sic-non-Falls" zuständig sei, da der Kläger die Feststellung des Arbeitnehmerstatus begehre und insoweit für die Bejahung der Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit seine bloße Rechtsansicht ausreiche, er sei Arbeitnehmer. Der mit der Statusklage verbundene Zahlungsantrag stehe mit der arbeitsrechtlichen Streitigkeit in einem rechtlichen und unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang, so dass sich die Zuständigkeit hierfür aus § 2 Abs. 3 ArbGG ergebe. Das Arbeitsgericht Berlin sei örtlich zuständig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe (Bl. 78 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen diesen am 13. Februar 2003 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, die sie mit einem bei Gericht am 20. Februar 2003 eingereichten Schriftsatz eingelegt und zugleich begründet hat.

Die Beklagte und Beschwerdeführerin zieht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit in den sog. "sic-non-Fällen" in Zweifel und verweist auf die Umgehungsmöglichkeiten, die auch vom Bundesverfassungsgericht angesprochen worden seien. Sie geht davon aus, dass der Kläger sich im Wesentlichen den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten erschleichen möchte. Es sei erkennbar, dass er den Statusantrag nur deshalb gestellt habe, um den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zu erstreiten.

Mit Beschluss vom 5. März 2003 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen; eine Erschleichung des Rechtsweges sei hier nicht gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe (Bl. 97 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 26. Mai 2003 an seiner Ansicht festgehalten, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei eröffnet.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten war gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 78 Abs. 1 ArbGG statthaft und auch sonst form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden. Über sie konnte vom Vorsitzenden des Beschwerdegerichtes alleine und ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, §§ 78 Abs. 1, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

2.

Die sofortige Beschwerde erwies sich teilweise als begründet, im Übrigen hatte sie keinen Erfolg.

2.1

Soweit der Kläger im Antrag zu Ziffer 1 aus der Klageschrift Statusklage erhoben hat, ist hierfür die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gegeben.

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen "Arbeitnehmern und Arbeitgebern" über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Für die Statusklage fallen mithin die Zuständigkeitsbegründenden Tatsachen und diejenigen, die den Klageanspruch selbst begründen, zusammen. Die Klage kann nur Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist. Für diese sog. "sic-non-Fälle" vertritt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Rechtsbehauptung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, sei für die Feststellung des Rechtsweges ausreichend (BAG vom 24.04.1996 - 5 AZB 25/95 - AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung - sog. "sic-non-Fälle"). Dieser Rechtsauffassung schließt sich das Beschwerdegericht an; verfassungsrechtliche Bedenken sind diesbezüglich nicht gegeben (BVerfG vom 31.8.1999, NZA 1999, S. 1234).

Das Beschwerdegericht vermochte nicht davon auszugehen, dass ein Fall der offensichtlichen "Rechtswegeerschleichung" vorliege; die hierfür vorausgesetzten subjektiven Momente waren nicht ohne weiteres zu unterstellen.

2.2

Für den Antrag zu Ziffer 2 ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben.

2.2.1

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass es sich bei dem auf Zahlung von Vergütung oder Honorar gerichteten Antrag um einen solchen handeln könnte, der mit dem Hauptantrag (Stausfeststellung) in einem rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stünde, so dass sich eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit gem. § 2 Abs. 3 ArbGG ergeben könnte.

Indes ist zum einen zu berücksichtigen, dass ein rechtlicher Zusammenhang deswegen in Frage steht, weil die Vergütungs- oder Honorarfrage, jedenfalls soweit sie - wie im Streitfalle - auf eine Nettozahlung gerichtet ist, nicht notwendigerweise von der rechtlichen Einordnung des streitigen Rechtsverhältnisses abhängt. Auch ein "unmittelbar wirtschaftlicher" Zusammenhang bestünde dann - bezogen alleine auf die Statusfrage - nicht.

Zum anderen ist § 2 Abs. 3 ArbGG dahin - einschränkend - auszulegen, dass eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte im Rahmen einer Zusammenhangsklage nur dann gegeben ist, wenn hinsichtlich der Hauptklage eine "tatsächliche" arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Von dieser Konstellation kann aber nicht bereits dann ausgegangen werden, wenn sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für die Hauptklage auf der Grundlage der "sic-non"-Rechtsprechung ergibt, mithin wegen der Doppelrelevanz des klägerischen Vortrages sich unter Abstellen auf diesen ergibt. Denn in diesen Fällen wird die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit (auch) deswegen angenommen, weil die Stausfrage gerade von der fachlich einschlägigen Gerichtsbarkeit geprüft werden und ein Auseinanderfallen von materiellen und prozessualen Prüfungsgrundlagen vermieden werden soll. Bei der Bejahung der Zuständigkeit auf der Grundlage der "sic-non"-Rechtsprechung steht also die "materielle" Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für den Hauptantrag (noch) nicht letztlich fest.

Dann aber kann die Begründung der Zuständigkeit für Zusammenhangsklagen nicht unmittelbar über § 2 Abs. 3 ArbGG erfolgen. Diese an Grundsätzen der Prozessökonomie orientierte Vorschrift soll die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit (nur) dann auf nichtarbeitsrechtliche Streitigkeiten erweitern, wenn die Hauptsache nach allgemeinen Grundsätzen der Zuständigkeitsprüfung eine arbeitsrechtliche Streitigkeit ist, nicht jedoch schon dann, wenn die Zuständigkeit (bereits) auf der Grundlage der "sic-non"- Rechtsprechung angenommen worden ist.

In einem solchen Falle muss die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für im Zusammenhang mit einer Stausklage anhängig gemachte (weitere) Ansprüche nach den allgemeinen Grundsätzen geprüft werden, also nicht bereits auf Grundlage von Rechtsbehauptungen des Klägers.

2.2.2

Gemessen hieran konnte das Beschwerdegericht für den Zahlungsantrag die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht feststellen. Der diesbezügliche Sachvortrag des Klägers ergibt - unter Berücksichtigung des gesamten Parteivorbringens - nicht schlüssig, dass es sich bei dem Zahlungsbegehren um einen "Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis" handeln würde.

Eine "persönliche Abhängigkeit", wie sie für die Feststellung des Arbeitnehmerstatuses maßgeblich ist, war auf der Grundlage bereits des klägerischen Vortrages nicht erkennbar. Dabei war zunächst festzustellen, dass der Kläger im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte. Er war - auch nach eigenem Bekunden - nicht an Arbeitszeiten gebunden. Seine Darlegungen über eine "Eingliederung" in die Arbeitsorganisation der Beklagten hat nicht die für das Arbeitsverhältnis typische Konstellation erkennen lassen. Er behauptet nicht, fremdbestimmt in die Organisation der Beklagten eingebunden gewesen zu sein. Seine Hinweise auf Beispiele für die Weisungsgebundenheit (Rundschreiben; Aufforderung zu einer Kundin zu fahren) verfangen diesbezüglich nicht; sie sind nicht untypisch auch für Konstellationen, in denen ein freier Mitarbeiter oder ein Handelsvertreter im "Außendienst" für einen Prinzipal tätig ist. Denn auch solche Personen unterliegen - selbstverständlich - der Einsatzgestaltung durch den Prinzipal.

Diese fehlende Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Beklagten und die nicht schlüssig erkennbare "Weisungsabhängigkeit" im Sinne des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts spiegeln sich auch in weiteren Umständen wider. So ist bemerkenswert, dass der Kläger eine Nettozahlung anfordert; dies entspricht zwar ganz erkennbar der bisherigen Zahlungsart durch die Beklagte, steht aber mit der Behauptung des Klägers nicht ohne weiteres im Einklang, er mache "Arbeitsvergütung" geltend. Denn dabei müsste es sich um einen Bruttobetrag handeln. Dem entspricht es auch, dass der Kläger zum "Beweis" der regelmäßigen Zahlungen durch die Beklagte nicht etwa Vergütungsabrechnungen vorlegt, vielmehr legt er nur "Kontoauszüge" vor, die einen bestimmen "Gesamtbetrag" ausweisen. Offensichtlich hat er auch niemals Vergütungsabrechnungen erhalten oder solche angemahnt, so dass von daher auch von seinem "Selbstverständnis" her nicht ohne weiteres von einer schlüssigen Darlegung des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten ausgegangen werden kann. Auch der von ihm verwendete Briefbogen weist ihn als "Unternehmer" in diversen Gestaltungen aus, lässt aber seinerseits nicht auf eine persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit zur Beklagten schließen.

Nach alledem war seitens des Klägers nicht schlüssig vorgetragen worden, dass es sich bei dem Antrag zu Ziffer 2 aus der Klageschrift um einen solchen arbeitsrechtlicher Natur handeln würde.

2.2.3

Der insoweit fehlenden Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit steht auch nicht die Vorschrift des § 17 Abs. 1 GVG entgegen; denn diese setzt voraus, dass die Zuständigkeit für einen Anspruch zunächst einmal gegeben war, was im Streitfalle für den geltend gemachten "Zusammenhangsanspruch" nicht gegeben war.

2.3

Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte kam auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in Betracht, da § 5 Abs. 3 ArbGG hierfür eine Sonderregelung enthält, hinsichtlich derer das Vorliegen der Voraussetzungen nicht ohne weiteres erkennbar war.

III.

Nach alledem war der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin entsprechend abzuändern, das Verfahren insoweit abzutrennen und hinsichtlich des Zusammenhangsanspruches zu verweisen.

Die Beschwerde war im Übrigen zurückzuweisen; die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück