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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 07.01.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 1927/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
Hat der Arbeitgeber aufgrund eines Gesetzes die Anwendung von Tarifverträgen eines Dritten im Arbeitsvertrag vereinbart, die inhaltlich mit den für ihn einschlägigen Tarifregelungen in jeweils gültiger Fassung übereinstimmen, so sind die von Dritten angewendeten Tarifverträge auch dann maßgeblich, wenn der Arbeitgeber eine zwischenzeitliche Tarifgebundenheit beseitigt (im Anschluss an BAG 27.11.2002
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 1927/04

Verkündet am 07.01.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 07.01.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn Wagner und Herrn Niederberger

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juli 2004 - 86 Ca 8092/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Geltung des Tarifvertrages zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs - TV Berlin) vom 31. Juli 2003 sowie über daraus resultierende Zahlungsansprüche.

Die Beklagte wurde 1950 als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts aufgrund des Gesetzes über die Errichtung des J. Berlin (JAufbauWG) errichtet und nahm im Juli 1951 ihre Tätigkeit auf. Ende 1995 übernahm die Beklagte die städtischen und kommunalen Erziehungsheime der Berliner Bezirke sowie die in diesen Heimen tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Landes Berlin. In diesem Zusammenhang wurde das JAufbauWG mit Wirkung ab dem 30. Juni 1995 geändert (Gesetz vom 23. Juni 1995, GVBL. S. 83) und folgender § 6 eingefügt:

"(1)

...

(2)

Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gehen die Arbeitsverhältnisse der in den Erziehungsheimen des Landes Berlin tätigen Arbeitnehmer mit allen Rechten und Pflichten vom Land Berlin auf die Anstalt über. Der Übergang ist jedem Arbeitnehmer persönlich und unverzüglich nach der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin in schriftlicher Form mitzuteilen. Widerspricht ein Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb von 6 Wochen ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, so gilt der Übergang als nicht erfolgt. Auf die Form und Frist ist in dem Schreiben nach Satz 2 hinzuweisen.

(3)

Auf die Arbeitsverhältnisse der Angestellten und Arbeiter der Anstalt finden die für Arbeitnehmer des Landes Berlin geltenden Bestimmungen in Tarifverträge Anwendung.

(4)

Die Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt des Übergangs nach Abs. 2 Satz 1 Arbeitnehmer der Anstalt werden, haben für den Zeitpunkt von 3 Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes das Recht, im Falle einer Rechtsformänderung der Anstalt in ein Arbeitsverhältnis mit dem Land Berlin zurückzukehren. In diesem Falle werden die Arbeitnehmer so gestellt, als hätte das Arbeitsverhältnis mit dem Land Berlin ununterbrochen bestanden."

Unter dem 16. Juli 2002 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag. In § 3 des Arbeitsvertrages ist folgendes geregelt:

"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes- Angestelltentarifvertrag (BAT) und den dieser ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die mit dem Land Berlin bzw. dem Arbeitgeberverband, dem das Land Berlin angehört, bisher vereinbarten, noch geltenden und künftig abzuschließenden Tarifverträge über Arbeitsbedingungen der Angestellten Anwendung.

Für die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung sind die Bestimmungen des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs- TV) vom 4. November 1966 in seiner jeweiligen Fassung sowie die an die Stelle dieses Tarifvertrages tretenden Bestimmungen maßgebend.

Darüber hinaus finden auf dieses Arbeitsverhältnis die für Arbeitnehmer des Landes Berlin geltenden Bestimmungen und Tarifverträge Anwendung."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages und dessen drucktechnischer Gestaltung wird auf dessen Ablichtung (Bl. 8 f. d. A.) verwiesen. Zur Zeit ist der Kläger in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert.

Am 31. Juli 2003 schloss das Land Berlin mit der Gewerkschaft ver.di den Tarifvertrag zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs - TV Berlin). Der Anwendungs - TV Berlin sieht u. a. die rückwirkende Übernahme des Potsdamer Abschlusses die Beschäftigten des Landes Berlin ab dem 1. Januar 2003 vor, eine Reduzierung der Arbeitszeit einschließlich der Vergütung um einen bestimmten Prozentsatz gestaffelt nach Vergütungsgruppen ab dem 1. August 2003 und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen für die Zeit vom 1. August 2003 bis 31. Dezember 2009.

Die Beklagte wendet auf die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer weiterhin den BAT sowie diesen ergänzende Tarifverträge in der Fassung bis zum 31. Dezember 2002 an. Im Dezember 2002 belief sich die Vergütung des Klägers auf 2.349,98 Euro brutto.

Mit der am 26. März 2004 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen und der Beklagten am 6. April 2004 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass der Anwendungs - TV Berlin auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde und hat die Beklagte für die Monate Januar bis Juli 2003 auf Nachzahlung entsprechend dem Potsdamer Abschluss in Anspruch genommen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 21. Juli 2004 den Klageanträgen entsprochen und festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs - TV Berlin) vom 31. Juli 2003 anzuwenden sei sowie die Beklagte verurteilt, an den Kläger 570,98 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 1. September 2003 zu zahlen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Geltung des Anwendungs - TV Berlin aus der Bezugnahme in § 3 des Arbeitsvertrages des Klägers vom 16. Juli 2002 auf die für die Beschäftigten des Landes Berlin geltenden Tarifverträge ergebe. Nach der Auslegung von § 3 des Arbeitsvertrages gem. §§ 133, 157 BGB ergäben sich nach Wortlaut, Sinn und Zweck, Sachnähe und Entstehungsgeschichte, dass die Parteien im Zweifel die fürs Land Berlin zur Anwendung kommenden Tarifverträge vereinbarten wollten. Bei der Regelung des § 3 des Arbeitsvertrages handele es sich auch nicht um eine so genannte Gleichstellungsabrede, da § 3 des Arbeitsvertrages nicht auf die für die Beklagte geltenden Tarifverträge Bezug genommen habe, sondern auf die für das Land Berlin geltenden Tarifverträge. § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) sei tatbestandlich nicht erfüllt. Denn der Beklagten sei in Anbetracht ihrer unveränderten gesetzlichen Verpflichtung nach § 6 Abs. 3 JAufbauWG, auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr Beschäftigten die für die Arbeitnehmer des Landes Berlin geltenden tarifvertraglichen Regelungen anzuwenden, das Festhalten an der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht unzumutbar.

Der Zahlungsantrag sei zulässig und begründet, wobei die Kammer allerdings übersehen habe, dass der Kläger keine Angaben zur Einhaltung der Ausschlussfrist des § 70 BAT gemacht hätte.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf das Urteil vom 21. Juli 2004 (Bl. 66 - 79 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 10. September 2004 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 14. September 2004 eingegangene und am 3. November 2004 begründete Berufung der Beklagten. Sie greift das Urteil aus Rechtsgründen an und ist der Auffassung, dass eine zutreffende Auslegung der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel in § 3 des Vertrages unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Entstehung von § 6 Abs. 3 JAufbauWG, der Umstände bei Vertragsschluss und der nachfolgenden Entwicklung ergebe, das auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Anwendungs- TV Berlin keine Anwendung finde und die Klage daher insgesamt unbegründet und abzuweisen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juli 2004 - 86 Ca 8092/04 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und reicht im Hinblick auf die Ausschlussfristen sein Geltendmachungsschreiben vom 8. Dezember 2003 zu den Akten, welches der Beklagten am 15. Dezember 2003 zuging (vgl. das Schreiben vom 8. Dezember 2003 in Kopie Bl. 114 d. A. nebst Eingangsvermerk sowie das Antwortschreiben der Beklagten vom 16. Dezember 2003 in Kopie Bl. 112 d. A.).

Wegen des konkreten Vortrags der Partei in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 3. November 2004 (Bl. 88 ff. d. A.) sowie des Klägers vom 6. Dezember 2004 (Bl. 105 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 b, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 u. Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Anwendungs- TV Berlin. Dementsprechend hat die Beklagte die rechnerisch unstreitigen Klagebeträge nachzuzahlen, die der Kläger rechtzeitig geltend gemacht hat. Das Landesarbeitsgericht Berlin folgt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung dem überzeugenden arbeitsgerichtlichen Urteil und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Im Hinblick auf die Angriffe der Beklagten der zweiten Instanz wird nur auf folgendes hingewiesen:

1.

Völlig zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin den Arbeitsvertrag der Parteien gem. §§ 133, 157 BGB (vgl. die Nachweise im arbeitsgerichtlichen Urteil Seite 7; außerdem BAG 19.3.2003 - 4 AZR 331/02 - sowie BAG 25.11.2002 - 4 AZR 663/01 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 26 und Nr. 27 mit weiteren Nachweisen) dahingehend ausgelegt, dass die Parteien den Tarifvertrag anwenden wollten, den das Land Berlin anwendet. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 3 Satz 2 Arbeitsvertrag. Nach § 3 Satz 2 Arbeitsvertrag, dem § 3 Satz 1 Arbeitsvertrag (Bezugnahme auf den BAT) widerspricht, war der Widerspruch entsprechend der Verpflichtung der Beklagten nach § 6 Abs. 3 JAufbauWG aufzulösen, wonach bei der Beklagten die Tarifverträge Anwendung finden, die für die Arbeitnehmer des Landes Berlin gelten. Das Arbeitsgericht hat damit auf der Linie der Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung die zutreffende Auslegung gewählt. Denn das Bundesarbeitsgericht hat im bereits erwähnten Urteil vom 27. November 2002 (aaO) entschieden, dass, wenn der Arbeitgeber die Anwendung von ihm satzungsgemäß einzuhaltende Arbeitsbedingungen vereinbart, die inhaltlich mit den einschlägigen Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung übereinstimmen, diese Arbeitsbestimmungen auch dann dynamisch anzuwenden sind, wenn der Arbeitgeber eine zwischenzeitliche Tarifgebundenheit beseitigt. Eine solche Regelung stellt keine Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtssprechung des BAG dar.

Ebenso liegt es hier. Denn die Beklagte war nicht nur satzungsgemäß, sondern sogar gem. § 6 Abs. 3 JAufbauWG durch Gesetz gehalten "auf die Arbeitsverhältnisse der Angestellten und Arbeiter der Anstalt ... die für Arbeitnehmer des Landes Berlin geltenden Bestimmungen und Tarifverträge [anzuwenden]".

2.

§ 6 Abs. 3 JAufbauWG betrifft auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Arbeitnehmer. Denn entgegen § 6 Abs. 2 und Abs. 4 JAufbauWG, welche einen gesetzlichen Betriebsübergang und ein Rückkehrrecht regeln, werden in § 6 Abs. 3 JAufbauWG sämtliche Arbeitnehmer den Tarifverträgen unterworfen, die für das Land Berlin gelten, und nicht nur "die Arbeitsverhältnisse der in den Erziehungsheimen des Landes Berlin tätigen Arbeitnehmer" (Abs. 2) bzw. "die Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt des Überganges nach Abs. 2 Satz 1 Arbeitnehmer der Anstalt werden".

3.

Ist somit der Anwendungs- TV Berlin durch die Beklagte anzuwenden, hat der Kläger auch die rechnerisch unstreitigen Vergütungsansprüche, die aus der Verweisung des § 2 Anwendungs- TV Berlin auf den BAT und den 78. Änderungstarifvertrag bzw. 35. Änderungstarifvertrag der Vergütungstarifverträge resultieren. Diese hat er rechtzeitig geltend gemacht, da er innerhalb der 6 Monatsfrist des § 70 BAT, auf den wiederum § 2 Anwendungs- TV Berlin verweist, seine Ansprüche aus dem Anwendungs- TV Berlin vom 31. Juli 2003 geltend gemacht hat, nämlich noch im Jahr 2003.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorlagen.



Ende der Entscheidung

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