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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 13.01.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 1957/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Der Arbeitgeber ist vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einer sich im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmerin, auf deren Initiative der Aufhebungsvertrag zustande kommt und die durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht vertreten wird, nicht verpflichtet darauf hinzuweisen, dass die Arbeitnehmerin mangels anwartschaftsbegründender Zeiten möglicherweise kein Arbeitslosengeldes erhalten wird.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 1957/05

Verkündet am 13.01.2006

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 13.01.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Frau Lorra und Frau Klahr

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. August 2005 - 54 Ca 12641/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen eines unterbliebenen Hinweises seitens der Arbeitgeberin anlässlich eines Aufhebungsvertrages.

Die Klägerin war vom 13. März 1987 bis zum 31. März 2003 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Mit der Beklagten existiert eine Rahmenbetriebsvereinbarung über den Umgang mit der Personalübergangssituation und zur Beschäftigungssicherung.

In der Zeit vom 9. Dezember 2000 bis zum 31. März 2003 befand sich die Klägerin im Erziehungsurlaub. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2001 (vgl. das Schreiben Bl.53 d.A.) beantragte sie auf einem vom damaligen Personalrat erstellten Formular die Auflösung ihres Arbeitsvertrages gemäß der Rahmenvereinbarung. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen.

Mit selbst formuliertem Schreiben vom 20. Juli 2002 (vgl. dazu das Schreiben in Kopie Bl. 54 d. A.) wiederholte die Klägerin ihren Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses "ab sofort oder später". Er wurde von der Pflegedirektion der Beklagten genehmigt, so dass die Klägerin am 26. August 2002 ein schriftliches Angebot erhielt, welches eine Vertragsauflösung zum 30. September 2002 vorsah sowie eine Abfindungssumme in Höhe von 22.381,87 €.

Mit Schreiben vom 6. September 2002 teilte der Fachanwalt für Arbeitsrecht Herr E. unter Beifügung der entsprechenden Vollmacht mit, dass er die rechtliche Vertretung der Klägerin übernommen habe. Unter Punkt 5 der Vollmacht war geregelt, dass Herr E. u. a. zur Begründung und Auflösung von Vertragsverhältnissen berechtigt war (vgl. die Vollmacht in Kopie Bl. 57 d. A.). In der Folge drehten sich die weiteren Schriftwechsel um die Modalitäten der Vertragsauflösung, u. a. um die ordnungsgemäße Kündigungsfrist und die Höhe der Abfindung.

Mit Vertrag vom 24. September 2002 (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 68 d. A.) lösten die Parteien ihr Arbeitsverhältnis zum 31. März 2003 "auf Veranlassung des Wenckebach-Krankenhauses zur Vermeidung einer ordentlichen Kündigung aus "dringenden betrieblichen Erfordernissen" "im gegenseitigen Einvernehmen" auf.

Unter dem 31. März 2003 beantragte die Klägerin Arbeitslosengeldes. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 27. Mai 2003 zurückgewiesen, da die Klägerin aufgrund ihres Erziehungsurlaubs die Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld nicht erfüllte.

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 30. August 2004 eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst von der Beklagten und ihrem ehemaligen Rechtsbeistand Schadensersatz in Höhe von 10.472,34 € (entgangenes Arbeitslosengeldes für ein Jahr) verlangt, später nur noch von der Beklagten, während sie die Ansprüche gegen ihren ehemaligen Rechtsbeistand vor den ordentlichen Gerichten verfolgt.

Sie ist der Auffassung, die Beklagte hätte sie auf die sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages, die sich im Hinblick auf ihren Erziehungsurlaub ergeben hätten, hinweisen müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.472,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszins gem. § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eine derartige Hinweispflicht nicht gesehen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 26. August 2005 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte die Klägerin vor Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht darüber zu belehren hatte, dass diese in Folge vorangegangener Elternzeit nach ihrem Ausscheiden bei der Beklagten nicht zum Arbeitslosengeldesbezug berechtigt war. Zum einen habe es sich nicht um Risiken gehandelt, die aus der Aufhebungsvereinbarung selbst resultierten. Zum anderen sei für die Beklagte im Hinblick auf einen etwaigen Bezug von Arbeitslosengeld nicht erkennbar gewesen, ob die Klägerin überhaupt gedachte, dieses in Anspruch zu nehmen. Im Übrigen habe sich die Klägerin anwaltlichen Beistands bedient, so dass für die Beklagte keine Veranlassung bestanden habe, noch berechtigten Beratungsbedarf der Klägerin annehmen zu müssen.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bl. 74 - 79 d. A. verwiesen.

Gegen dieses ihr am 22. September 2005 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am Montag, dem 24. Oktober 2005, eingegangene und am 22. November 2005 begründete Berufung der Klägerin.

Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag erster Instanz und weist darauf hin, dass die Beklagte gewusst habe bzw. habe wissen können, dass die Klägerin arbeitslos werden würde, weil die sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages im Hinblick auf die ordnungsgemäße Kündigungsfrist in den Schriftsätzen der Parteien vor dem Aufhebungsvertrag erörtert worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. August 2005 - 54 Ca 12641/05 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.472,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 22. November 2005 (Bl. 97 ff d. A.) und der Beklagten vom 3. Januar 2006 (Bl. 134 ff d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 b, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 222 Abs.2; 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin jedoch keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen.

1.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dem die erkennende Kammer folgt, können den Arbeitgeber bei einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen. Voraussetzungen und Umfang der Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze an dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartner (BAG 13.11.1984 - 3 AZR 155/84 - BAGE 47, 169, 175). Die Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers sind gegeneinander abzuwägen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. u. a. BAG 13.11.1984, a.a.O, 173; BAG 10.3.1988 - 8 AZR 420/85 - AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 99 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 6, zu II 2 a der Gründe). Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten (vgl. u. a. BAG 13.12.1988 - 3 AZR 322/87 - AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen, zu 1 a der Gründe). Gesteigerte Hinweispflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn der Aufhebungsvertrag auf seine Initiative hin und in seinem Interesse zustande kommt (vgl. BAG 3.7.1990 - 3 AZR 382/89 - AP BetrAVG § 1 Nr. 24 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 7, zu II 2 a der Gründe). In der Regel muss sich allerdings der Arbeitnehmer vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verschaffen.

2.

Nach diesen Grundsätzen brauchte die Beklagte die Klägerin nicht über einen drohenden Ausfall von Arbeitslosengeldes wegen der Nichtberücksichtigung der Zeiten des Erziehungsurlaubs (vgl. dazu zuletzt BSG 19.1.2005 - B 11a/11 AL 41/04 R - SGb 2005, 233; BSG 19.1.2005 - B 11a/11 AL 11/04 R - SGb 2005, 233) zu belehren, da deren Voraussetzungen hier nicht vorlagen.

a) Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ging die Initiative zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegend von der Klägerin und nicht von der Beklagten aus. Zwar hatte die Beklagte mit der Rahmenvereinbarung über Prämienzahlungen dafür die Voraussetzungen geschaffen, die Klägerin aber begehrte dann konkret das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Dies wurde ihr auf ihren ersten Antrag noch abgewiesen, erst auf ihren zweiten Antrag, der entgegen ihrer Auffassung nicht auf einem Formular des Arbeitgebers gestellt war, sondern von ihr selbst handschriftlich formuliert war und mit dem sie das Arbeitsverhältnis "ab sofort oder später" auflösen wollte, wurde dem Antrag stattgegeben.

b) Ob die Klägerin überhaupt Informationsbedürfnisse wegen der beantragten Aufhebung des Arbeitsverhältnisses hatte, konnte die Beklagte nicht ersehen. Denn wie auch insofern das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wusste die Beklagte nicht, ob die Klägerin nicht bereits eine Anschlussbeschäftigung hatte oder ob sie aus familiären Gründen zu Hause bleiben wollte.

Daran ändert auch das Schreiben des ehemaligen Rechtsbeistand der Klägerin vom 4.11.2002 (Bl. 63 d. A. in Kopie) nichts, in welchem er - fälschlich - davon ausgeht, "dass Ende Februar 2003 der Zeitpunkt ist, der auch einer ordentlichen Kündigung entspricht, so dass ggf. keine Probleme mit dem Arbeitsamt entstehen könnten". Die richtige Kündigungsfrist stellte die Beklagte mit dem Antwortschreiben mit dem 5.12.2002 klar. Darüber hinaus musste die Beklagte aber nicht davon ausgehen, dass tatsächlich die Klägerin überhaupt Arbeitslosengeldes in Anspruch nehmen wollte, da zum Zeitpunkt des Anwaltsschreibens vom 4.11.2002 noch fast fünf Monate bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstreichen sollten und die Klägerin nur "ggf." an Probleme mit dem Arbeitsamt dachte.

c) Gerade durch den Hinweis des ehemaligen Rechtsbeistandes auf "Probleme mit dem Arbeitsamt" durfte aber die Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerin durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht über "Probleme mit dem Arbeitsamt" hinreichend informiert worden war, ein entsprechendes Informationsbedürfnis der Klägerin i. S. der o. g. Grundsätze war daher durch die Beklagte nicht zu ersehen.

d) Endlich dürfen bei einer abschließenden Abwägung der Risiken der Vertragsparteien i. S. der o.g. Grundsätze die Risiken einer mangelhaften Beratung der Klägerin durch ihren ehemaligen Rechtsbeistand nicht in die Sphäre des Arbeitgebers verlagert werden. Dieser kennt nämlich die die Anwartschaftszeiten begründenden Daten der Arbeitnehmerin im Gegensatz zu den durch die Rechtsprechung entschiedenen Fällen der vorzeitigen Vertragsauflösung ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und der durch den Auflösungsvertrag entstehenden Verluste von Betriebsrenten nicht im Detail, worauf zutreffend die Beklagte in der Berufungsinstanz hingewiesen hat.

III.

Die Klägerin trägt daher die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Für eine Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die ausgeführten obergerichtlichen Grundsätze kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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