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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 20.06.2003
Aktenzeichen: 13 Sa 542/03
Rechtsgebiete: PartG DDR, ZGB DDR


Vorschriften:

PartG DDR § 20 b Abs. 2
ZGB DDR § 92 Abs. 1
1) Der Unterstellungsbescheid auf der Grundlage von § 20 b Abs. 2 PartG DDR ist ein Verwaltungsakt.

2) Ist dieser bestandskräftig, sind die Arbeitsgerichte gehindert, im nachfolgenden Schadensersatzprozess die Entscheidung der ehemaligen Treuhandanstalt nachzuprüfen.

3) Steht fest, dass eine Arbeitnehmerin ihre Vermögensbetreuungspflicht nachträglich dadurch verletzt hat, dass sie ca 6 Millionen DM vom Konto ihres Arbeitgebers in bar abgehoben hat und weitere 9 Millionen DM an Dritte überwiesen hat, muss sie konkret darlegen, an wen sie aufgrund welcher Weisung welcher Person diese Beträge überwiesen bzw. übergeben hat.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 542/03

Verkündet am 20.06.2003

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 20.06.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Kuhlen und Herr Dykczak

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Dezember 2002 - 91 Ca 15000/01 - wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 521.006,43 EUR zurückgewiesen.

2) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, Nachfolgerin der Treuhandanstalt, macht gegenüber der Beklagten, der ehemaligen Geschäftsführerin des "A.-Repräsentationsbüros" Schadensersatzansprüche geltend.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 13. Dezember 2002 der Klage in Höhe von 521.006,43 EUR nebst Zinsen stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin sei als Nachfolgerin der Treuhandanstalt aktivlegitimiert gemäß § 20 b Abs. DDR-Parteiengesetz in Verbindung mit der Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III des Einigungsvertrages, nämlich als Treuhänderin Partei kraft Amtes und als solche befugt, zum Vermögen des "A.-Repräsentationsbüros" gehörende Ansprüche prozessual im eigenen Namen geltend zu machen. Dass das Vermögen des "A.-Repräsentationsbüros" seit dem 1. Juni 1990 der treuhänderischen Verwaltung unterliege, folge aus dem das Gericht bindenden rechtskräftigen Feststellungsbescheid vom 14. Dezember 1994 (vgl. dazu den Bescheid an die SED/PDS, die Beklagte und ihren Nachfolger als Geschäftsführer, Herrn K. , Bl. 57 ff. d.A.).

Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe aus § 92 Abs. 1 ZGB DDR in Verbindung mit Artikel 232, § 1 EGBGB, da sich die schädigenden Handlungen in der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 ereigneten. Die Beklagte habe ihre nachvertragliche Pflicht gegenüber dem "A.-Repräsentationsbüro" verletzt, indem sie nach ihrem Ausscheiden als Geschäftsführerin unter Ausnutzung ihrer noch bestehenden Kontovollmacht Millionenbeträge in bar abgehoben oder an Drittfirmen oder Einzelpersonen im Ausland überwiesen hätte.

Sofern sich die Beklagte darauf berufe, dies entweder im Interesse der SED/PDS oder der KP F. getan zu haben, seien ihre Einlassungen unsubstanziiert und unbeachtlich, da sie zwar Einzelpersonen nenne ("H. M. "), aber nicht vortrage, von wem ihr wann H. M. vorgestellt worden wäre noch warum von dessen Berechtigung über das Vermögen des "A.-Repräsentationsbüros" zu verfügen auszugehen sei.

Der vertragliche Anspruch verjähre erst nach 30 Jahren und sei damit zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 2. Juli 1997 noch nicht verjährt gewesen.

Wegen der konkreten weiteren Begründung und des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 13. Dezember 2002 (Bl. 199 - 207 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 27. Februar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 18. März 2003 eingegangene und am Montag, dem 28. April 2003, begründete Berufung der Beklagten.

Sie wendet hauptsächlich ein, dass der Unterstellungsbescheid vom 14. Dezember 1994 ihr gegenüber nicht wirksam sei, da sie keine Betroffene im Sinne von § 43 Abs. 1 VwVfG gewesen sei. Selbst wenn die Beklagte jedoch richtige Adressatin des Feststellungsbescheides gewesen sei, sei der Bescheid nicht bestandskräftig geworden, da durch den ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt St., gegen den Feststellungsbescheid Widerspruch mit Schreiben vom 20. Dezember 1994, bei der Klägerin am 27. Dezember 1994 eingegangen, eingelegt worden sei (vgl. dazu das Schreiben vom 20.12.1994, Bl. 241 ff. d.A.). Zwar enthalte das Schreiben nicht die ausdrückliche Bezeichnung als Widerspruch, es werde aber unmissverständlich erkennbar, dass die Beklage bzw. Rechtsanwalt St. für sie mit dem Bescheid vom 14. Dezember 1994 nicht einverstanden sei. Das genüge, um den Schriftsatz als Widerspruch zu qualifizieren.

Sollte das Landearbeitsgericht nicht dieser Auffassung sein, müsse es jedenfalls den Prozess gemäß § 148 ZPO aussetzen, da das Verwaltungsgericht Berlin mit der Klärung befasst werde, ob der Bescheid vom 14. Dezember 1994 bestandskräftig geworden sei.

Selbst wenn man jedoch von der Bestandskraft ausgehe, gehe die Bindungswirkung nicht soweit, dass damit die Entscheidung verbindlich festgelegt worden sei, dass die von den Konten abgehobenen bzw. verfügten Gelder Vermögensbestandteile der SED gewesen wären. In Wahrheit wären dies Vermögensbestandteile von Unternehmen gewesen, die der KP F. zuzuordnen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Dezember 2002 - 91 Ca 15000/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Auffassung, dass der Bescheid vom 14. Dezember 1994 bindend geworden sei.

Wegen des konkreten Parteivortrags in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 28. April 2003 (Bl. 229 ff. d.A.), 7. Mai 2003 (Bl. 274 d.A.), 12. Juni 2003 (Bl. 283 f. d.A.) sowie 13. Juni 2003 (Bl. 290 ff. d.A.) sowie der Klägerin vom 4. Juni 2003 (Bl. 279 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 222 Abs. 2, 519, 520 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitgericht Berlin der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht folgt der ersten Instanz sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung und sieht von einer lediglich wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten wird auf folgendes hingewiesen:

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht Berlin die Aktivlegitimation der Klägerin angenommen. Diese folgt aus dem Feststellungsbescheid vom 14. Dezember 1994. Dies ist ein Verwaltungsakt, was zwischen allen Beteiligten unstreitig ist. Der Verwaltungsakt ist allen drei Betroffenen, nämlich der SED/PDS, der Beklagten und ihrem Nachfolger unstreitig zugegangen, damit bekannt gegeben im Sinne von § 41 VwVfG und damit auch wirksam. Denn der Verwaltungsakt vom 14. Dezember 1994 war "für die Beklagte bestimmt" im Sinne von § 43 Abs. 1 VwVfG.

2. Dieser Verwaltungsakt ist bestandskräftig geworden. Das Schreiben vom 20. Dezember 1994 des ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt St., stellt nach dessen eigener Auffassung keinen Widerspruch dar.

a) Bei der Auslegung von Anträgen und von bei einer Behörde einzulegenden Rechtsbehelfen sind ebenso wie bei der Auslegung von Prozesshandlungen die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze anzuwenden (§§ 133, 157 BGB). Danach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Maßgeblich für den Inhalt eines Antrages oder Rechtsbehelfs ist daher, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat. Dabei muss sich die Auslegung auf den Schriftsatz in seiner Gesamtheit und das mit ihm erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel beziehen. Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist nach anerkannter Auslegungsregel zu Gunsten des Bürgers davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach der Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen. Dies gilt im Grundsatz auch für anwaltliche Anträge und Rechtsbehelfe, soweit diese auslegungsfähig und -bedürftig sind. Nur die Umdeutung nicht auslegungsfähiger, weil eindeutiger Prozesserklärung von Rechtsanwälten, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeschlossen (vgl. dazu nur BVerwG 12.12.2001, NJW 2002, 1137 ff. m.w.N.).

b) Eine derartige eindeutige Prozesserklärung des früheren Prozessbevollmächtigten der Beklagten liegt hier vor. Denn er selbst hat im Schriftsatz vom 2. Oktober 1997, S. 8, Bl. 80 d.A. ausgeführt:

"Insofern ist auch verständlich, dass die PDS ihren Widerspruch gegen den Bescheid der UK vom 14. Dezember 1994 zurückzog. Die Beklagte war durch den Bescheid der UK nicht beschwert und konnte somit auch keinen Widerspruch einlegen.

Am 14. Dezember 1994 hatte die Beklagte keinerlei Zugriff auf Finanzen des A.-Büros, übte keine Geschäftstätigkeit für das A.-Büro aus, verfügte über keinerlei Unterlagen aus der früheren Geschäftstätigkeit mehr und hatte also weder Veranlassung noch die Möglichkeit, sich dem Bescheid entsprechend zu verhalten. Der UK war bei Erlass dieses Bescheides das bekannt."

Er selbst als derjenige, der das Scheiben vom 20. Dezember 1994 aufsetzte, erklärt also, dass es sich bei dem Schreiben gerade nicht um einen Widerspruch handelt. Dies ist bei der authentischen Interpretation seines Schreibens vom 20. Dezember 1994 vom Landesarbeitsgericht zu beachten.

3. An diesen rechtskräftigen Verwaltungsakt ist das Landesarbeitsgericht wie bei anderen rechtskräftigen Verwaltungsakten, die für einen Rechtsstreit in Bezug auf ein Arbeitsverhältnis vorrangig sind, gebunden (vgl. nur BAG 24.10.1996, BAGE 84, 267 ff. m.w.N.).

4. Eine Aussetzung, die vorliegend gemäß § 148 ZPO beantragt war, kam nicht in Betracht. Sie würde nur der weiteren Verschleppung des Rechtsstreits dienen. Sollte der Verwaltungsakt jedoch im Wege des Verwaltungsgerichtsverfahrens aufgehoben werden, hat die Beklage immer noch die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO (vgl. dazu BAG 17.6.2003 - 2 AZR 245/02 -; BAG 26.9.1991 AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

5. Es besteht auch ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 92 Abs. 1 ZGB-DDR wegen einer nachvertraglichen Pflichtverletzung. Unstreitig hat die Beklagte, obwohl ihre Vollmacht im Innenverhältnis erloschen war, Gelder des "A.-Repräsentationsbüros" abgehoben bzw. diese an Dritte verfügt. Sie hat damit ihre Vermögensbetreuungspflicht, die sie nach ihrer eigenen Einlassung ja als Hauptpflicht hatte, verletzt.

Konkrete Einlassungen bzw. Entkräftungen dieser Pflichtwidrigkeit hat die Beklage im gesamten Verfahren nicht vorgebracht. Gegenüber der unstreitigen Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht hätte es nach dem Beibringungsgrundsatz des Arbeitsgerichtsverfahrens ihr oblegen, vorzutragen, wem genau sie aufgrund welcher Weisung und für welches Geschäft welche Gelder rechtmäßig zugewendet hat. An einem solchen Vortrag fehlt es.

III.

Die Beklagte trägt die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Eine Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, das die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorlagen.

Ende der Entscheidung

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