Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 10.10.2002
Aktenzeichen: 16 Sa 1162/02
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative
BetrAVG § 17 Abs. 3 Satz 1
BetrAVG § 17 Abs. 3 Satz 3
Eine im Arbeitsvertrag enthaltene Versorgungszusage kann aufschiebend bedingt für die Zeit nach Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit erteilt werden.

Die zehnjährige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative BetrAVG beginnt in diesem Fall erst mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

16 Sa 1162/02

Verkündet am 07.11.2002

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 10.10.2002 durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Hein und Frau Erdmann

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. März 2002 - 40 Ca 26662/01 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger auferlegt.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine Versorgungsanwartschaft.

Der am ...... 1958 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 18. November 1991 als Sachbearbeiter/Bauleiter beschäftigt und schied nach einer betriebsbedingten Kündigung mit Datum vom 24. September 2001 zum Ablauf des 31. Dezember 2001 aus - entsprechend einem im vorliegenden Rechtsstreit in erster Instanz geschlossenen Teilvergleich, in dem die Beklagte sich zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 6.000,-- EUR verpflichtet hat.

Im schriftlichen Arbeitsvertrag heißt es u.a.:

"§ 3

Die ersten 6 Monate des Anstellungsverhältnisses gelten als Probezeit. Während dieser Zeit kann der Anstellungsvertrag beiderseits mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden. Danach beträgt die Kündigungsfrist 3 Monate zum Quartalsende. ...

§ 8

Nach Ablauf der Probezeit erteilt Sch. R. Partner Herrn K. eine freiwillige Pensionszusage gemäß den Richtlinien der betrieblichen Sozialordnung. ..."

Die ab 01. Januar 1990 geltende betriebliche Sozialordnung, die von der Beklagten einseitig aufgestellt worden war (ein Betriebsrat existiert nicht), wurde dem Kläger mit dem Arbeitsvertrag ausgehändigt und enthielt, ebenso wie die nachfolgende betriebliche Sozialordnung, die mit Wirkung ab 01. April 1994 an ihre Stelle getreten ist, u.a. folgende Regelungen:

"1. ...

2. Betriebszugehörigkeit

Für die Gewährung verschiedener Sozialleistungen ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit von Bedeutung.

Als Betriebszugehörigkeit wird der Zeitraum ab Eintritt ins Unternehmen gerechnet. ...

4.3. Betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung

Als Beitrag zur Versorgung im Alter ... erhält der Mitarbeiter nach Beendigung der Probezeit eine freiwillige Pensionszusage. Voraussetzung für die Erteilung der Pensionszusage ist ein Dauerarbeitsverhältnis mit einer Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden pro Woche sowie ein Eintrittsalter von unter 50 Jahren.

Die Pensionszusage beinhaltet folgende Leistungen:

...

Die Altersrentenleistung setzt eine ununterbrochene Mindestbebetriebszugehörigkeit von 10 Jahren voraus ...

Nach dem "Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung" behält ein Arbeitnehmer seine Anwartschaft auf Leistungen aus der Pensionszusage auch, wenn sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, sofern er

° zu diesem Zeitpunkt mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und

° entweder die Pensionszusage für ihn mindestens 10 Jahre bestanden hat

° oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückliegt und die Pensionszusage für ihn mindestens 3 Jahre bestanden hat.

Nach Erreichen der vorstehend genannten Wartezeiten hat jeder Mitarbeiter Teilansprüche aus der Versorgungszusage, wenn er vor der Altersgrenze (65. Lebensjahr) aus dem Unternehmen ausscheidet. ..."

Durch Urteil vom 19. März 2002 hat das Arbeitsgericht Berlin antragsgemäß festgestellt, dass der Kläger bei der Beklagten eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung gemäß der betrieblichen Sozialordnung der Beklagten erworben hat.

Der Kläger habe die zehnjährige Wartezeit nach Ziffer 4.3 der Sozialordnung am 18. November 2001 erfüllt, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sogenannte Vorschaltzeiten die Zehnjahresfrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG nicht hinausschieben könnten.

Gegen dieses am 29. Mai 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Juni 2002 eingegangene und am 29. Juli 2002 begründete Berufung der Beklagten.

Sie macht geltend, sowohl nach dem Arbeitsvertrag als auch nach der betrieblichen Sozialordnung sei die zehnjährige Wartefrist erst ab Beendigung der Probezeit am 18. Mai 1992 zu berechnen. Vorschaltzeiten im Sinne einer zeitbezogenen Voraussetzung seien nicht verboten, da das Gesetz die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers gerade nicht habe beeinträchtigen wollen. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien Vorschaltzeiten dann zulässig, wenn dem Arbeitgeber noch ein Entscheidungsspielraum verbleibe, was hier anzunehmen sei, da sowohl der Arbeitsvertrag als auch die Versorgungsordnung von einer "freiwilligen" Pensionszusage sprächen, was zu bedeuten habe, dass die Beklagte auch nach Ablauf der Probezeit noch frei gewesen sei, dem Kläger eine Pensionszusage zu geben oder zu versagen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht sich die Urteilsbegründung zu eigen.

Beide Parteien haben in mündlicher Verhandlung vor der Berufungskammer klargestellt, dass dem Kläger nach Ablauf der Probezeit keine weitere Zusage über die betriebliche Altersversorgung erteilt worden ist, ferner, dass dies auch bei anderen Arbeitnehmern nicht üblich war.

Entscheidungsgründe:

1.

Die Berufung ist begründet. Nach Auffassung der Kammer hat die zehnjährige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 (1. Alternative) BetrAVG mit Ablauf der sechsmonatigen Probezeit am 18. Mai 1992 begonnen und war deshalb mit dem Ausscheiden des Klägers zum 31. Dezember 2001 noch nicht abgelaufen.

1.1

Die Klage scheitert allerdings nicht schon daran, dass der Kläger nach Ablauf der Probezeit keine (weitere) Pensionszusage erhalten hat, wie dies der Wortlaut von § 8 des Arbeitsvertrages und Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 1 der Sozialordnung nahelegt. Da beide Regelwerke keinerlei rechtliche Voraussetzungen für eine derartige weitere Zusage aufgestellt haben und die Beklagte eine solche (weitere) Zusage auch in anderen Fällen nicht erteilt hat, ist davon auszugehen, dass mit den Worten "nach Ablauf der Probezeit erteilt" (§ 8 des Arbeitsvertrages) bzw. "erhält" (Ziffer 4.3 der Sozialordnung) zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Zusage im Arbeitsvertrag bzw. in der Sozialordnung bereits enthalten sein sollte, allerdings aufschiebend bedingt bis zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Probezeit hinaus. Die Regelungen sind dahin zu verstehen, dass die Zusage bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erteilt werde, jedoch erst mit Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das Ende der Probezeit hinaus rechtliche Wirksamkeit erlangen sollte.

1.2

Gegen die Verbindlichkeit dieser bereits mit dem Arbeitsvertragsschluss gegebenen Zusage spricht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der "Freiwilligkeitsvorbehalt" in § 8 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsvertrages bzw. in Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 1 der Sozialordnung. Die Beklagte hat keinerlei tatsächliche Voraussetzungen formuliert (außer der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Probezeit hinaus), die die Verbindlichkeit ihrer Zusage einschränken sollten, und sie hat auch im Prozess nicht vorgetragen, sie habe in einer größeren Anzahl von Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis über die Probezeit hinaus fortgesetzt worden ist und die übrigen in der Sozialordnung formulierten Voraussetzungen eingetreten sind (insbesondere: Wartezeit von 10 Jahren ab Ende der Probezeit, Dauerarbeitsverhältnis mit mindestens 20 Wochenstunden, Eintrittsalter unter 50 Jahren und Mindestalter von 35 Lebensjahren bei Eintritt des Versicherungsfalles), gleichwohl eine Altersversorgung nicht gewährt. Den Hinweis auf die "Freiwilligkeit" der Altersversorgung konnte der Kläger deshalb nur dahin verstehen, dass die Beklagte sich zur Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung (zu Recht) weder gesetzlich noch tariflich verpflichtet sah. Nachdem sie sie aber einmal eingeführt hatte, ist sie an die von ihr in der Sozialordnung aufgestellten und dem Kläger mitgeteilten tatsächlichen Bedingungen rechtlich gebunden und kann sich nicht nach freiem Belieben davon wieder lösen.

1.3

Hat die Beklagte nach Auffassung der Kammer mit hinreichender Deutlichkeit dem Kläger gegenüber zum Ausdruck gebracht (und hat der Kläger dies durch seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag rechtlich verbindlich akzeptiert), dass die zehnjährige Wartefrist für die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft erst mit Ablauf der Probezeit beginnen sollte, handelt es sich hierbei nach Auffassung der Kammer nicht um eine nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG i.V.m. § 134 BGB unwirksame Regelung mit der Konsequenz, dass die Wartefrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative BetrAVG bereits mit Beginn des Arbeitsverhältnisses zu berechnen wäre. Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprung des Bundesarbeitsgerichts, dass sogenannte, in einer Versorgungszusage oder einer betrieblichen Versorgungsordnung enthaltene Vorschaltzeiten die in § 1 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative BetrAVG geregelte zehnjährige Wartefrist für den Eintritt der Unverfallbarkeit einer Versorgungszusage nicht verlängern können, selbst wenn - bei Eingreifen der 2. Alternative - ein späterer Beginn der Unverfallbarkeit nach dem Gesetz möglich wäre; die zehnjährige Wartefrist beginne stets mit der Verabredung der Vorschaltzeit jedenfalls dann, wenn die Verbindlichkeit der Zusage nur vom Zeitablauf und nicht von einer weiteren Entscheidung des Arbeitgebers abhänge (vgl. etwa BAG AP Nr. 3 - 6, 10 zu § 1 BetrAVG Wartezeit). Diese Rechtsprechung hat erhebliche Kritik erfahren (vgl. etwa Gitter in Anm. zu AP Nr. 5 a.a.O. und Blomeyer in Anm. zu AP Nr. 10 a.a.O., ferner Blomeyer/Otto, BetrAVG 2. Aufl. 1997, § 1 Rz. 68 ff.), im wesentlichen mit der Begründung, dass das Gesetz die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, der eine betriebliche Altersversorgung ohne gesetzliche Verpflichtung einführe, nicht einschränke, soweit der Arbeitgeber sich im Rahmen der vom Gesetz selbst aufgeführten Alternativen halte; sie ist aber, soweit ersichtlich, nie aufgegeben worden. Ob diese Kritik allgemein berechtigt ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Kammer ist der Auffassung, dass jedenfalls eine Vorschaltzeit, die mit einer (maximal) sechsmonatigen Probezeit übereinstimmt und die zwölfjährige Frist der 2. Alternative des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG nicht tangiert, rechtlich unbedenklich ist. Dabei soll nicht verkannt werden, dass die Beklagte bei der Vertragsgestaltung zwischen den Parteien zum Ende der Probezeit nicht die Freiheit hatte, einerseits zwar das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, andererseits aber die Wirksamkeit der Versorgungszusage hinauszuschieben, sondern nur diejenige, innerhalb der Probezeit eine (fristgemäße) Kündigung auszusprechen, ohne diese rechtfertigen zu müssen, und dadurch auch die Versorgungszusage im Ergebnis zu Fall zu bringen. Wenn durch diese Gestaltung die gesetzlichen Voraussetzungen in der 2. Alternative (zwölfjährige Betriebszugehörigkeit und dreijähriger Bestand der Versorgungszusage) nicht tangiert werden, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden, sondern legitim und durchaus anders zu beurteilen als eine (willkürliche) Vorschaltzeit von drei oder mehr Jahren. Der Ablauf der Probezeit, insbesondere, wenn die Probezeit mit der sechsmonatigen Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz übereinstimmt, wird von beiden Parteien als erhebliche Zäsur empfunden. Die Kammer mag es nicht beanstanden, wenn ein Arbeitgeber ("freiwillig") übernommene Verpflichtungen der betrieblichen Altersversorgung an den Zeitpunkt anknüpfen will, zu dem seine rechtliche Bindung an den Arbeitnehmer eine qualitative rechtliche Steigerung erfährt. Dagegen kann nach Auffassung der Kammer auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die 2. Alternative des § 1 Abs. 1 Satz 1 Fälle im Auge haben mag, in denen die betriebliche Altersversorgung im fraglichen Unternehmen erst nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eingeführt wird; denn das Gesetz selbst gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die 2. Alternative nur dann und nicht generell gelten soll.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

3.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da, soweit ersichtlich, eine mit einer Probezeit übereinstimmenden Vorschaltzeit noch nicht Gegenstand höhergerichtlicher Rechtsprechung gewesen ist.

Ende der Entscheidung

Zurück