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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: 16 Sa 1388/04
Rechtsgebiete: BUrlG, TVG


Vorschriften:

BUrlG § 2 S. 2
TVG § 12 a Abs. 1
- Zur Frage, ob eine Rentnerin, die Malkurse an Volkshochschulen abhält, als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist;

- zur Frage, ob die Worte "vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" in § 12 a Abs. 1 TVG eigenständige Bedeutung haben.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

16 Sa 1388/04

Verkündet am 07.10.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 07.10.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Hardenberg und Roschakowski

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04. März 2004 - 60 Ca 20757/03 - geändert:

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 204,83 EUR (zweihundertvier 83/100) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 81,56 EUR seit dem 15.08.2003 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus weiteren 118,34 EUR seit 05.08.2004 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus weiteren 4,93 EUR seit 07.10.2004 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem beklagten Land auferlegt.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Urlaubsbezahlung für eine Tätigkeit als Volkshochschuldozentin in freier Mitarbeit, die die Klägerin nach ihrer Auffassung als arbeitnehmerähnliche Person geleistet hat (und zwar im Jahre 2003).

Die am ....1938 geborene Klägerin, von Beruf Malerin, bezieht seit Mitte 1998 auf Grund einer Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse Altersrente, deren Höhe im Jahre 2003 insgesamt 5.457,78 € betrug. Für das Land Berlin ist sie seit vielen Jahren als Volkshochschuldozentin (Zeichenkursleiterin) in freier Mitarbeit tätig, und zwar für die Volkshochschulen T.-Sch. sowie Ch.-. Mit beiden Volkshochschulen schloss sie im Jahr 2003 Verträge für jeweils 2 Kurse für jeweils 2 Semester (Februar bis Mai sowie September bis Dezember) und erhielt dafür Honorare in Höhe von insgesamt 5.968, 99 € brutto, wovon 3.225,62 € auf die Volkshochschule T.-Sch. entfallen. Das Land Berlin gewährt freien Mitarbeitern, die es als arbeitnehmerähnliche Personen ansieht, Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz in der Weise, dass auf die verdienten Honorare 6,35 % Urlaubsentgelt bezahlt werden und der freie Mitarbeiter den Urlaub in der arbeits- bzw. vorlesungsfreien Zeit ohne besondere Anmeldung von sich aus in Natur zu nehmen hat. Auch die beiden hier genannten Volkshochschulen haben an die Klägerin in der Vergangenheit dieses Urlaubsentgelt gezahlt. Erstmals für das Jahr 2003 verweigerte das Bezirksamt T.-Sch. eine solche Zahlung, während das Bezirksamt Ch.-W. an die Klägerin für das 1. Semester 2003 die entsprechende Zahlung noch leistete.

Mit ihrer am 06.08.2003 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten und am 15.08.2003 zugestellten Klage hat die Klägerin die entsprechende Leistung vom Bezirksamt T.-Sch. zunächst für das 1. Semester 2003 (81,56 €) verlangt. In der Berufungsinstanz hat sie die Klage erweitert und verlangt nunmehr das fragliche Urlaubsentgelt, soweit es das Bezirksamt T.-Sch. betrifft, für das gesamte Jahr 2003.

Durch Urteil vom 04.03.2004, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 23 f. d.A.) hat das Arbeitsgericht die Klage mit dem Antrag das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 81,56 € netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab 15.08.2003 zu zahlen, abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung: Die Klägerin sei nicht "vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" (§ 12 a Abs. 1 TVG), da sie ihren Lebensunterhalt einerseits durch ihre Altersrente, andererseits durch die theoretische Möglichkeit der Erlangung einer Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz bestreiten könne und deshalb auf die Honorare der beiden Bezirksämter nicht angewiesen sei.

Gegen dieses am 04.06.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.06.2004 eingegangene und am 02.08.2004 begründete Berufung der Klägerin, die ihre Forderung (mit der am 05.08.2004 zugestellten) Berufungsbegründung zunächst auf 199,90 € und im Termin am 07.10.2004 sodann auf 204,83 € erweitert (was 6,35 % des Gesamthonorars der Volkshochschule T.-Sch. in 2003 entspricht).

Die Klägerin wiederholt (unwidersprochen) ihre Behauptung, dass sie außer der Altersrente und den Honoraren von Seiten des beklagten Landes keine weiteren Einkünfte gehabt hat. Sie macht geltend, bei der Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 12 a TVG müsse ihre Altersrente ohnehin außer Betracht bleiben, da sie die Anwartschaft auf diese Versorgungsleistung durch frühere Erwerbstätigkeit unverfallbar erworben habe und derlei Bezüge bei einer Beurteilung im Rahmen des § 12 a TVG außer Betracht zu bleiben hätten. Selbst wenn man aber dieser (in der Literatur vertretenen) Auffassung nicht folge, sei ihr Status als arbeitnehmerähnliche Person nicht zu verneinen, da die Renteneinkünfte ohnehin geringer seien als die vom beklagten Land gezahlten Honorare.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und das beklagte Land zu verurteilen, an sie 204,83 € nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es verteidigt das Urteil mit Rechtsausführungen, und macht geltend, für die Frage der Arbeitnehmerähnlichkeit könne nicht allein auf die wirtschaftliche Abhängigkeit abgestellt werden; eine solche liege erst dann vor, wenn die Vertragsumstände eine bestimmte Tätigkeit erforderten und dem Tätigen die Möglichkeit der Eigenvorsorge nähmen. Dies sei im Falle der Klägerin nicht einmal während des Semesters so, da hier nur 9 Unterrichtsstunden pro Woche oder 3 Stunden an einem Unterrichtstag angefallen seien. Der Klägerin sei es deshalb ohne weiteres möglich gewesen, selbst in der Vorlesungszeit noch weitere Unterrichtsverpflichtungen einzugehen und dadurch Eigenvorsorge zu betreiben.

Entscheidungsgründe:

1.

Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat nach dem unstreitigen Sachverhalt Anspruch auf Urlaubsentgelt im Umfang der in der Berufungsinstanz in zulässiger Weise (§ 533 ZPO) erweiterten Klage einschließlich Prozesszinsen. Anspruchsgrundlage für die Hauptforderung sind §§ 1, 2 S. 2, 3, 11 BUrlG i. V. m. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot (letzteres zur Berechnung des Anspruchs in Höhe von 6,35 % des gezahlten Honorars), für die Prozesszinsen §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB.

1.1

Nach §§ 1, 2 S. 2 BUrlG haben (auch) arbeitnehmerähnliche Personen in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, und zwar gemäß § 3 BUrlG im Umfang vom 24 Werktagen, deren Vergütung gemäß § 11 BUrlG auf der Grundlage des Durchschnitts der letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn berechnet werden. Da sich bei einem unregelmäßig beschäftigten freien Mitarbeiter sowohl die 24 Werktage des § 3 als auch der Durchschnitt der letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn nach § 11 nur schwer berechnen lassen, hat das beklagte Land seit langem (unstreitig) die Übung entwickelt, den freien Mitarbeitern die Urlaubsnahme außerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit selbst zu überlassen und als Entgelt 6,35 % der vereinbarten Honorare zu zahlen. Daran muss es sich auch gegenüber der Klägerin festhalten lassen, sofern diese im Klagezeitraum als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist.

1.2.

Das ist zu bejahen. Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer davon aus, dass der Begriff der "Arbeitnehmerähnlichkeit" im Sinne des § 2 S. 2 BUrlG sich nicht von demjenigen in § 12 a TVG unterscheidet. Danach sind arbeitnehmerähnliche Personen solche, "die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind, wenn sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und a) überwiegend für eine Person tätig sind oder b) ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht".

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor: Die mit dem Bezirksamt T.-Sch. des beklagten Landes abgeschlossenen Honorarverträge für das Jahr 2003 sind unzweifelhaft Dienstverträge; die Klägerin hatte die geschuldeten Leistungen als Zeichen-/Malkursleiterin auch persönlich und ohne die Mitarbeit von Arbeitnehmern zu erbringen. Sie war ausschließlich für das Land Berlin tätig (Voraussetzung a) und hat jedenfalls mehr als die Hälfte ihres gesamten Einkommens vom beklagten Land bezogen (Voraussetzung b), so dass die Frage keine Rolle spielt, ob Renteneinkünfte insoweit überhaupt von Bedeutung sind (verneinend Wiedemann/Wank TVG 6. Auflage 1999, § 12 a Rn. 75; Däubler/Reinecke, TVG, 2003, § 12 a Rn. 59).

Ob über die genannten Voraussetzungen hinaus der Anforderung "vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" eine eigenständige Bedeutung zukommt, ist umstritten (verneinend Wiedemann/Wank a.a.O. Rn. 34 u. 35; zweifelnd Däubler/Reinecke a.a.O. Rn. 51 bis 53). Das Bundesarbeitsgericht hat in der den Parteien bekannten Entscheidung vom 02.10.1990, 4 AZR 106/90, NZA 1991, 239 den Begriff der "sozialen Schutzbedürftigkeit" im Sinne des § 12 a Abs. 1 Nr. 1 TVG dahin umschrieben, dass das Maß der Abhängigkeit nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreicht haben müsse, wie er allgemein nur in einem Arbeitsverhältnis vorkomme und die geleisteten Dienste nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar seien, wobei eine Bewertung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen sei. Geht man - entgegen den zitierten Literaturstimmen - davon aus, dass es sich hierbei um handhabbare Kriterien handelt, erscheinen sie im Streitfall jedenfalls erfüllt. Wenn es richtig ist, dass für einen Arbeitnehmer typischerweise die Notwendigkeit besteht, seine Arbeitskraft zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz zu verwerten, gilt dies in gleicher Weise für die Klägerin, die von ihren Renteneinkünften (seit Juli 2003: 457,18 € im Monat) schwerlich wird leben können.

Die "soziale Schutzbedürftigkeit" im Sinne der Vorschrift ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin, hätte sie die hiesigen Einkünfte nicht, ab Vollendung ihres 65. Lebensjahres (also ab 04.03.2003) Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beanspruchen könnte (Grundsicherungsgesetz - GSiG v. 26.06.2001, BGBl. I S. 1310, 1335, i.d.F. vom 27.04.2002, BGBl. I S. 1462). Das GSiG verfolgt grundsätzlich denselben Zweck wie die allgemeine Sozialhilfe und unterscheidet sich von dieser im Wesentlichen nur dadurch, dass Unterhaltsrückgriffe auf bestimmte nahe Angehörige eingeschränkt werden (vgl. etwa Münder, NJW 2002, 3661 sowie Klinkhammer, FamRZ 2002, 997). Weshalb eine derartige staatliche, im Verhältnis zur Eigenvorsorge immer noch subsidiäre Fürsorgeleistung die "soziale Schutzbedürftigkeit" im Verhältnis der Vertragsparteien ausschließen soll, ist nicht einzusehen.

Soweit die Beklagte darauf abstellt, die Klägerin habe selbst während der Vorlesungszeit im Semester genügend Zeit, durch anderweitige Verwertung ihrer Arbeitskraft Einkünfte zu erzielen, ist auch dies nach Auffassung der Kammer kein entscheidendes Argument gegen die Bejahung der "sozialen Schutzbedürftigkeit" der Klägerin und ihrer Vergleichbarkeit mit einem Arbeitnehmer. Zum einen ist die vollständige Inanspruchnahme der Arbeitskraft allgemein weder beim Arbeitnehmer noch beim freien Mitarbeiter entscheidendes Kriterium für eine rechtliche Abgrenzung zu anderen Vertragsgestaltungen. Zum anderen ist die Möglichkeit der Klägerin, weitere Einkünfte zu erzielen, etwa durch die Übernahme weiterer Malkurse an weiteren Volkshochschulen, wohl nur theoretischer Natur. Die Klägerin hat in mündlicher Verhandlung angegeben, sie würde gerne weitere Kurse übernehmen, wenn ihr die Gelegenheit dazu gegeben würde. Dass solche Gelegenheiten reell vorhanden sein könnten, ist dem beiderseitigen Sachvortrag nicht zu entnehmen. Die Kammer hält es nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse der bildenden Künste in Berlin auch für gänzlich unwahrscheinlich.

Nach allem ist die Arbeitnehmerähnlichkeit der Klägerin im Verhältnis zum Bezirksamt T.-Sch. des beklagten Landes im Jahre 2003 zu bejahen, so dass ihr das begehrte Urlaubsentgelt zuzusprechen war.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

3.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die Begriffe "vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" in § 12 a Abs. 1 Nr. 1 TVG erscheinen nicht geklärt.

Ende der Entscheidung

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