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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 17 Ta (Kost) 6080/03
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 8
Zur Ermittlung des Wertes eines Verfahrens betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Betriebsrat die vorläufige Unterlassung einer Betriebsänderung begehrt.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

17 Ta (Kost) 6080/03

In dem Beschwerdeverfahren

in dem Wertfestsetzungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 17. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreßler als Vorsitzenden

am 24. Oktober 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juli 2003 - 77 BV 12987/03 - teilweise geändert und der Wert des Verfahrensgegenstandes zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen auf 36.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten haben in dem diesem Beschwerdeverfahren vorausgegangenen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung über die Verpflichtung der Arbeitgeberin gestritten, bis zum Abschluss von Interessenausgleichsverhandlungen die Kündigung von 146 Arbeitsverhältnissen sowie weiterer Verträge zu unterlassen. Das Verfahren wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 23. Mai 2003 beendet.

Das Arbeitsgericht hat den Wert des Verfahrensgegenstandes zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung durch Beschluss vom 21. Juli 2003 auf 12.000,00 EUR festgesetzt.

Gegen diesen ihm am 22. Juli 2003 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. Juli 2003 eingelegte Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, mit der er die Festsetzung eines Verfahrenswertes in Höhe von mindestens 186.000,00 EUR begehrt.

Die Arbeitgeberin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Der Verfahrenswert ist im vorliegenden Fall auf 36.000,00 EUR festzusetzen.

1.

Der Streit der Beteiligten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, Maßnahmen zur Stilllegung des Betriebes vor Abschluss von Interessenausgleichsverhandlungen zu unterlassen, stellt eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit dar, die gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO zu bewerten ist. Der Verfahrenswert ist daher ausgehend von dem Hilfswert von 4.000,00 EUR nach freiem Ermessen zu bestimmen. Dabei kommt es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten an. Es ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Betriebsänderungen einen hohen Stellenwert eingeräumt hat. So ist der Unternehmer gehalten, über die Betriebsänderung - ggf. im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens - zu verhandeln, will er Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 BetrVG entgehen. Andererseits dient der geltende gemachte Anspruch lediglich der Sicherung des genannten Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats, der die Durchführung der Betriebsänderung letztlich nicht verhindern kann. Die Bedeutung der Angelegenheit hängt zudem auch von der Art der Betriebsänderung, der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer und von den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Aufschubs der Betriebsänderung ab. Demgegenüber sind der Schwierigkeitsgrad und der Umfang des anwaltlichen Arbeitsaufwandes für die Wertfestsetzung ohne Belang. Diese Gesichtspunkte können kaum sachgerecht beurteilt werden, da sie sehr von dem subjektiven Kenntnisstand und der Arbeitsweise des jeweils mit der Vertretung beauftragten Rechtsanwalts abhängen; zudem richtet sich der Wert in vermögensrechtlichen Angelegenheiten ebenfalls nicht nach der Art und dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit.

2.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist nach Auffassung der Beschwerdekammer folgende Wertfestsetzung sachgerecht:

Der Bedeutung eines Verfahrens auf vorläufige Untersagung einer Betriebsänderung ist zunächst dadurch Rechnung zu tragen, dass jedenfalls der doppelte Hilfswert des § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO in Ansatz zu bringen ist. Führt eine verzögerte Durchführung der Betriebsänderung zu wirtschaftlichen Belastungen des Unternehmers, z.B. durch einen späteren Ablauf von Kündigungsfristen, so kann dies mit einem weiteren Hilfswert berücksichtigt werden. Um die Anzahl der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer zu erfassen, kann auf die Staffel des § 17 Abs. 1 KSchG bzw. - bei bloßem Personalabbau - auf die des § 112a BetrVG zurückgegriffen werden. Für jede dieser Stufen ist dann der zuvor ermittelte Wert (doppelter oder dreifacher Hilfswert) anzusetzen. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht angemessen, für jeweils sechs Arbeitnehmer einen Hilfswert festzusetzen; dass von einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein müssen, bedeutet nicht, dass bei einer größeren Anzahl betroffener Arbeitnehmer jeweils sechs von ihnen eine zu bewertende Einheit darstellt. Geht es um eine Betriebsstilllegung, rechtfertigt dies in der Regel wegen der Auswirkungen dieser Betriebsänderung - Auflösung der betrieblichen Organisation und letztlich Wegfall aller betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen - eine weitere Erhöhung des Wertes. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, welchen Verdienst die betroffenen Arbeitnehmer erzielen; der Wert des zu sichernden Mitbestimmungsrechts nach § 111 BetrVG hängt nicht von der Vergütung der Arbeitnehmer ab. Auch ist es für die Wertfestsetzung ohne Belang, ob der Antrag Aussicht auf Erfolg hatte, ob die Betriebsänderung unausweichlich war und ob der Betriebsrat sich zuvor mit einer späteren Durchführung der Interessenausgleichsverhandlungen einverstanden erklärt hatte.

3.

Im vorliegenden Fall errechnet sich der Verfahrenswert danach wie folgt: Da ein späterer Ausspruch der Kündigungen zu einer Verlängerung der Kündigungsfristen geführt hätte, sind zunächst drei Hilfswerte zu je 4000,00 EUR anzusetzen. Im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ist die zweite Stufe des § 17 KSchG erreicht und der genannte Wert daher zu verdoppeln. Da der Betrieb stillgelegt werden soll, sind weitere drei Hilfswerte zu je 4.000,00 EUR in Ansatz zu bringen. Dies ergibt einen Gesamtstreitwert von 36.000,00 EUR.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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