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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 01.11.2002
Aktenzeichen: 19 Sa 940/02
Rechtsgebiete: StGB, BGB


Vorschriften:

StGB § 823 Abs. 1
StGB § 823 Abs. 2
StGB § 223
StGB § 185
StGB § 230
BGB § 847
"Mobbing" stammt ebenso wie "Corporate Governance" oder Regeln über Zielvereinbarungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum und ist auf das deutsche Rechtssystem nicht als Anspruchsgrundlage zu übertragen. Vielmehr kommen in derartigen Fällen, in denen dem Arbeitgeber durch fortlaufende Handlungen den Arbeitnehmer kausal schädigende schuldhafte Ehr-, Gesundheits- und Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie aus §§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185, 223, 230 StGB, § 847 BGB in Betracht .

Voraussetzung für alle angesprochenen Anspruchsgrundlagen sind Handlungen, die der Arbeitnehmer bei Bestreiten des Arbeitgebers konkret darlegen und beweisen muss, dadurch kausal verursachte Verletzungen der Rechtsgüter des Arbeitnehmers, ein zurechenbarer Schaden und ein Verschulden des Arbeitgebers, der insbesondere die psychischen Gesundheitsverletzungen des Arbeitnehmers voraussehen können muss.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

19 Sa 940/02

Verkündet am 01.11.2002

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 19. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 01.11.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Preuß und Crantz

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. März 2002 - 40 Ca 5746/01 - abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt wurde,

a) an die Klägerin 3.818,-- EUR brutto nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz

aa) aus 1.391,19 EUR brutto seit 3. Juli 2001,

bb) aus 1.046,84 EUR brutto seit 1. Oktober 2001,

cc) aus 1.381,11 EUR brutto seit 8. Februar 2002 zu zahlen;

b) an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,-- EUR nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;

c) an die Klägerin 47,83 EUR netto nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;

d) sowie festgestellt wurde, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung an einer Depression entsteht.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 40%, die Beklagte 60% bei einem Streitwerrt von 38.159,89 EUR, von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt die Klägerin 75%, die Beklagte 25% bei einem Streitwert von 42.850,93 EUR.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in zweiter Instanz noch um eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung seitens der Beklagten wegen einer behaupteten Verleumdung der Geschäftsführerin durch die Klägerin, um Schadensersatz, Schmerzensgeld, die Feststellung, dass die Beklagte auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen hat, der der Klägerin aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung einer Depression entstanden ist, sowie die Rückzahlung der aufgrund des Urteils erster Instanz an die Klägerin bezahlten Beträge im Wege der Widerklage nach § 717 Abs. 2 ZPO. Rechtskräftig ist die Verurteilung der Beklagten zur Herausnahme von insgesamt sechs Abmahnungen aus der Personalakte der Klägern geworden.

Die am ...... 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die ein privates Seniorenheim in Berlin betreibt und dabei ständig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, seit dem 1. August 1992 als Sekretärin für ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.250,-- DM/1.661,70 EUR auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 1. August 1992 angestellt.

Die Klägerin ist seit 1996 in der Behandlung bei der Ärztin für innere Medizin, Frau B., wegen verschiedener chronischer Erkrankungen. Nach ihrer Behauptung und dem Attest der behandelnden Ärztin Frau B. (vgl. dazu das Attest in Kopie Bl. 64 - 66 d.A.) traten bereits im Herbst 1999 erste Blutdruckanstiege, psychosomatische Symptome und reaktive depressive Symptome aufgrund von Schwierigkeiten im beruflichen Leben auf, die Klägerin sei "gemobbt" worden. Am 9. November 1999 starb der Neffe der Klägerin. Zu einer weiteren Verschlechterung der psychischen Situation sei es nach dem Attest der Ärztin im Herbst 2000 gekommen. Die Klägerin hätte gegenüber der Ärztin einen eingeschüchterten, ängstlichen Eindruck gemacht, die Schlafstörung hätte sich zur Schlaflosigkeit gesteigert, die "Mobbingsituationen" hätten an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Eine durch die Ärztin festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gab es nicht, da die Klägerin dies nach dem Attest der Ärztin nicht wollte.

Am 25. September 2000 starb die Mutter der Klägerin, welche sie bis dahin gepflegt hatte. Am 9. November 2000, dem Jahrestag des Todes ihres Neffen, erlitt die Klägerin einen Weinanfall, so dass ihr Mann sie aus dem Pflegeheim abholen musste.

Am 19. Januar 2001 kam es zu einem Nervenzusammenbruch der Klägerin. Seitdem war sie ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt bis zum 19. Juli 2002.

Bis zum 19. Januar 2001 wies die Klägern nicht auf ihre Krankheit hin. Während der Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin eine Abmahnung vom 13. Februar 2001 wegen der behaupteten Nichterledigung von Schriftverkehr und ferner am 19. Februar 2001 ein Schreiben, mit dem die Klägerin aufgefordert wird, ein Abmahnschreiben, welches die Klägerin aus der Personalakte einer Kollegin entfernt hätte, der Beklagten wieder zur Verfügung zu stellen.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2001 nahm der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu den betreffenden Schreiben Stellung und wies die Beklagte darauf hin, dass die bei der Klägerin aufgetretene Erkrankung auf ein nicht geeignetes Arbeitsklima zurückzuführen sei. Er schilderte diesbezüglich verschiedene Vorkommnisse und wies darauf hin, dass die Geschäftsführerin der Beklagten gegen ihre Fürsorgepflicht verstoße.

Danach erfolgten vier weitere Abmahnungen vom 7. März, 8. März und 15. März (2 x) wegen der Behauptung nicht ordnungsgemäßer Bearbeitung von Schriftverkehr, der Nichtvorlage einer (weiteren) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und unentschuldigten Fehlens.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitverhältnis der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2001 (vgl. dazu das Schreiben in Kopie Bl. 84 d.A.) wegen einer behaupteten Verleumdung bzw. üblen Nachrede der Geschäftsführerin der Beklagten, der die Klägerin im Laufe des bis dahin bereits angelaufenen Rechtsstreits ein systematisches "Mobbing" vorgeworfen hatte.

Auf die Auflage des erstinstanzlichen Gerichts, konkrete Vorfälle des "Mobbings" durch die Geschäftsführerin zu benennen, führte die Klägerin Vorfälle aus dem August 1995 an, eine Beleidigung einer anderen Kollegin Ende August 1999, eine Herabwertung am 21. November 1997, sie wäre "doof" und "blind", ein Zusammenbrüllen der Klägerin am 27. Dezember 2000 als "doof" in Kollegengegenwart, eine rüde Zurechtweisung anlässlich einer Computervorfalles am 28. Dezember 2000 sowie eine negative Bemerkung über Heimbewohner anlässlich der Weihnachtsfeier 1999, wobei die Klägerin dabei die Daten teilweise änderte, nachdem die Beklagte dies bestritten und angeführt hatte, dass die Geschäftsführerin der Beklagten zu den angegebenen Tagen nicht im Betrieb gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Berlin hat Beweis über die Geschehnisse am 27. und 28. Dezember 2000 sowie anlässlich der Weihnachtsfeier 1999 erhoben. Keiner der dort vernommenen Zeugen konnte sich - teilweise auf Nachfrage - noch erinnern, ob die Geschäftsführerin am 27. Dezember und 28. Dezember 2000 im Betrieb gewesen ist, die Gegenzeugin der Beklagten wurde nicht vernommen.

Mit Urteil vom 8. März 2002 hat das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte verurteilt, die fünf Abmahnungen und das als Abmahnung bezeichnete Schreiben vom 19. Februar 2001 aus der Personalakte zu entfernen. Ferner hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin die Differenz zwischen Arbeitsentgelt und Krankengeld in Höhe von 3.818,-- EUR brutto nebst Zinsen sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen. Schließlich hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 47,83 EUR nebst Zinsen für ein ärztliches Attest zu zahlen und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung an einer Depression entsteht. Hinsichtlich der Kündigung hat es festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Juli 2001 weder fristlos noch zum 31. Oktober 2001 beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Klage hinsichtlich des übersteigenden Schmerzensgeldes - die Klägerin hatte es in das Ermessen des Gerichts gestellt, war jedoch von mindestens 30.000,-- DM/15.338,76 EUR ausgegangen - abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behauptungen der Klägerin nach seiner Überzeugung wahr seien, so dass es nicht darauf ankomme, ob sich die Geschehnisse tatsächlich an den betreffenden Tagen abgespielt hätten. Wegen der konkreten sehr ausführlichen Begründung und des Parteivortrags erster Instanz wird auf das Urteil (Bl. 330 - 362 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 23. April 2002 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 21. Mai 2002 eingegangene und am Montag, dem 24. Juni 2002 begründete Berufung der Beklagten, die sich jedoch nicht mehr gegen die Verurteilung zur Herausnahme der sechs Abmahnungen aus der Personalakte richtet. Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin konkrete Vorfälle nach Zeitpunkt, Intensität und Häufigkeit hätte vortragen und beweisen müssen. Dies wäre nach der Beweisaufnahme gerade nicht gelungen. Ferner könne die Klägerin nicht ein Schmerzensgeld verlangen, obwohl sie sich vorher nie zur Wehr gesetzt hätte oder auf eine behauptete ungerechte Behandlung verwiesen hätte. Die Kausalität zwischen Erkrankungen der Klägerin und einem vorwerfbaren Verhalten der Geschäftsführerin der Beklagten sei nicht erkennbar. Da sie zur Abwendung der Zwangsvollstreckung am 24. Mai 2002 den vom Arbeitsgericht Berlin zugesprochenen Betrag von 12.658,65 EUR an die Klägerin inkl. der Zinsen gezahlt hätte, könne sie diesen gemäß § 717 Abs. 2 ZPO im Wege der Widerklage auch im laufenden Prozess wieder zurückfordern.

Die Anschlussberufung der Klägerin sei danach teilweise unbegründet, teilweise bereits unzulässig, soweit sie nunmehr nach Ablauf der Frist des § 524 ZPO erweitert worden sei.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 88. März 2002 - 40 Ca 5746/01 - die Klage insoweit abzuweisen, als die Beklagte verurteilt wurde,

an die Klägerin 3.818 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.391,19 EUR brutto seit dem 3. Juli 2001, aus 1.046,84 EUR brutto seit dem 1. Oktober 2001, aus 1.183,11. EUR brutto seit dem 8. Februar 2002 zu zahlen;

an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;

an die Klägerin 47,83 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2001 zu zahlen;

sowie festgestellt wurde, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der seit dem 19. Januar 2001 eingetretenen Erkrankung an einer Depression entsteht;

dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Juli 2001 weder fristlos beendet worden noch zum 31. Oktober 2001 beendet worden ist.

Widerklagend beantragt sie,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 12.658,65 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2002 zu zahlen

und beantragt schließlich,

die Anschlussberufung der Klägerin auch im Umfang der Klageerweiterung vom 23. Oktober 2002 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen unter Abweisung der Widerklage

und beantragt im Wege der Anschlussberufung,

das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. März 2002 - 40 Ca 5746/01 - im Tenor zu VIII abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 30.000,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 15.338,76 EUR seit dem 3. Juli 2001 und aus weiteren 14.661,24 EUR ab Zustellung des Schriftsatzes vom 23. Oktober 2002 zu zahlen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hat nach der ihr am 28. Juni 2002 zugestellten Berufung am Montag, dem 29. Juli 2002 Anschlussberufung eingelegt. Diese hält sie für zulässig und begründet, da aufgrund der dargestellten Ehr- und Gesundheitsverletzung der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,-- EUR angemessen sei, und bestreitet, dass die mit der Widerklage eingeforderte Summe zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt worden sei.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 24. Juni 2002 (Bl. 390 ff. d.A.) und 7. Oktober 2002 (Bl. 454 ff. d.A.) sowie der Klägerin vom 29. Juni 2002 (Bl. 427 ff. d.A.) und 23. Oktober 2002 (Bl. 461 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A

Berufung der Beklagten

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. März 2002 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, c, Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 222 Abs. 2, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO zulässig, insbesondere fristgemäß und formgerecht eingelegt worden. Im Rahmen der Berufung der Beklagten ist der in zweiter Instanz erhobene Widerklageantrag nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten zwar nicht hinsichtlich der Kündigungsschutzklage, jedoch hinsichtlich des Schmerzensgeldes, des Schadensersatzanspruchs bezüglich der Differenz zwischen Entgelt und Krankengeldzahlung und des ärztlichen Gutachtens sowie der Feststellung weiterer Schadensverantwortlichkeit Erfolg. Die Widerklage nach § 717 Abs. 2 ZPO war abzuweisen.

1. Die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. Juli 2001 wegen einer behaupteten Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung (§§ 185 - 187 StGB) der Geschäftsführerin der Beklagten durch die Klägerin oder auch des damit verbundenen Vertrauensverlustes auf Seiten der Beklagten ist bereits aus zwei Gründen unwirksam:

a) Zum einen können die eben erwähnten Straftaten nur dann Grundlage für einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB und damit für eine außerordentliche Kündigung bzw. für einen verhaltensbedingten Grund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sein, wenn die einzelnen Straftaten vorsätzlich begangen worden sind (vgl. § 15 StGB i.V.m. §§ 185 - 187 StGB).

Die Klägerin hätte also trotz einer nicht vorhandenen "Mobbingsituation" die Geschäftsführerin der Beklagten vorsätzlich eines solchen "Mobbings" bezichtigen müssen. Für einen derartigen vorsätzlichen Plan sieht die Kammer nicht nur keinerlei Anhaltspunkte und auch keinen Vortrag der Beklagten, da diese nur behauptet hat, die Anschuldigungen der Klägerin seien falsch, es sind im Gegenteil nach der Beweisaufnahme durch die erste Instanz und den dort vernommenen Zeugen sowie nach den Attesten der behandelnden Ärzte eher Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass derartige "Mobbingsituationen" vorlagen.

b) Zum zweiten hat die Klägerin Behauptungen, dass derartige Verletzungen von Fürsorgepflichten, Ehre, Gesundheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht durch die Geschäftsführerin der Beklagten vorgelegen hätten, im Rahmen des Prozesses gemacht, um ihre behaupteten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu stützen. Sie hat damit gemäß § 193 StGB im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt.

2. Hinsichtlich der Schadensersatzansprüche und des Schmerzensgeldes (Schmerzensgeld, 3.818,-- EUR Differenz zwischen Krankengeld und Entgelt, gutachterliches ärztliches Attest, Feststellungsanspruch) hat die Berufung der Beklagten Erfolg, da derartige Ansprüche der Klägerin wegen der nicht bewiesenen Einzelhandlungen durch die Geschäftsführerin, der Kausalität zwischen Handlung und Schaden und des Verschuldens der Beklagten bzw. ihrer Geschäftsführerin nicht bestanden.

a) "Mobbing" stammt ebenso wie "Corporate Governance" oder Regeln über Zielvereinbarungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum und ist auf das deutsche Rechtssystem nicht als Anspruchsgrundlage zu übertragen. Vielmehr kommen in derartigen Fällen, in denen dem Arbeitgeber durch fortlaufende Handlungen den Arbeitnehmer kausal schädigende schuldhafte Ehr-, Gesundheits- und Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie aus §§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185, 223, 230 StGB, § 847 BGB in Betracht (vgl. dazu BAG 13.12.2001 - 8 AZR 131/01- EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr. 69).

Voraussetzung für alle angesprochenen Anspruchsgrundlagen sind Handlungen, die der Arbeitnehmer bei Bestreiten des Arbeitgebers konkret darlegen und beweisen muss, dadurch kausal verursachte Verletzungen der Rechtsgüter des Arbeitnehmers, ein zurechenbarer Schaden und ein Verschulden des Arbeitgebers, der insbesondere die psychischen Gesundheitsverletzungen des Arbeitnehmers voraussehen können muss (siehe BAG, a.a.O., zu II 2 e) d.Gr.).

b) An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend:

aa) Sofern die Klägerin vor ihrer Erkrankung bestimmte konkrete Verletzungshandlungen durch die Geschäftsführerin der Beklagen substantiiert geschildert hat, ist sie entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts beweisfällig geblieben. Denn alle vernommenen Zeugen konnten sich an die von der Klägerin benannten Daten nicht erinnern. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte konkret bestritten hatte, dass die Geschäftsführerin an den genannten Tagen überhaupt in Berlin war und dafür ihrerseits einen Zeugen benannt hatte, durfte das Arbeitsgericht die konkret bestrittenen Handlungen pauschal nicht für erwiesen erachten und davon ausgehen, dass sich dies schon so ereignet haben musste. Ansonsten verbliebe dem Beweisgegner keine prozessuale Möglichkeit der Verteidigung, wie die von der Beklagtenseite ihrerseits pauschal bestrittene Behauptung, dass die Geschäftsführerin - wann auch immer - die bestrittenen Handlungen verübt haben sollte, zeigt. Zu Recht hat der Beklagtenvertreter darauf hingewiesen, dass in der umgekehrten Situation der Beweislast für eine Vertragspflicht-verletzung des Arbeitnehmers anlässlich einer Kündigung oder Abmahnung der Arbeitgeber ebenfalls nicht vortragen darf, an einem bestimmten Tag hätte der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung begangen, wenn Zeugen dies in der Beweisaufnahme nur pauschal ("das hat der immer getan") bestätigten.

bb) Sofern die Klägerin der Beklagten nach ihrer Erkrankung am 19. Januar 2001 bestimmte Verletzungshandlungen vorwirft, etwa durch gezielte Abmahnungen, können diese einerseits nicht kausal für die psychische Gesundheitsverletzung der Klägerin vom 19. Januar 2001 geworden sein, zum anderen hat die Beklagte nur ihre vermeintlichenRechte als Arbeitgeberin wahrgenommen, da sie nach ihrer Behauptung während der Krankheit der Klägerin Pflichtwidrigkeiten der Klägerin entdeckte.

cc) Endlich konnte die Beklagte erst ab Zugang des Schreibens durch den Klägervertreter vom 22. Februar 2001 davon ausgehen, dass das Verhalten der Geschäftsführerin bei der Beklagen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führte. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin aber bereits arbeitsunfähig krank, nach ihren Behauptungen und dem ärztlichen Attest von Frau B. aufgrund des "Mobbings" der Geschäftsführerin.

Es kommt damit nicht einmal darauf an, ob die Gesundheitsverletzungen insgesamt kausal durch Verletzungshandlungen der Geschäftsführerin entstanden sind. Auch daran bestehen insofern Zweifel, als die Klägerin unstreitig unter dem Tod ihrer Mutter, die sie neben ihrer Arbeitstätigkeit pflegte, und dem Tod ihres Neffen litt.

3. Die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung von 12.658,65 EUR war abzuweisen, da die Voraussetzungen des einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 717 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen.

a) Denn Voraussetzung für diesen Schadensersatzanspruch ist u.a., dass ein Geldbetrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt worden ist. Wer sich dem Urteil der ersten Instanz nur beugt, aber durch keine auch vorbereitende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wie die Erwirkung der Zwangsvollstreckungsklausel und die Zustellung des Titels dazu bewegt worden ist, leistet nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (vgl. nur BAG 4.4.1989 EzA § 717 BGB Nr. 1, zu II 3 a) d.Gr.; Zöller-Herget, ZPO, 23. Aufl., § 717 Rz. 7 m.w.N.).

b) So liegt es hier. Denn die Beklagte hat trotz des substanziierten Bestreitens der Klägerin nur vorgetragen, dass sie die Überweisung an die Klägerin "lt. Urteil" vorgenommen hat, dies ist damit nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geschehen.

B

Anschlussberufung der Klägerin

I.

Sofern die Klägerin im Rahmen ihrer Anschlussberufung die Klage erweitert hat, indem sie mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2002 nunmehr 30.000,--EUR Schmerzensgeld und nicht mehr ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 15.338,76 EUR fordert, ist die Anschlussberufung unzulässig, da seit der Zustellung der Berufungsbegründung an die Klägerin mehr als ein Monat vergangen war (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

II.

Sofern die Anschlussberufung im Übrigen wegen der abgewiesenen Schmerzensgeldsumme zulässig ist und insbesondere fristgemäß gemäß §§ 222 Abs. 2, 524 ZPO eingelegt worden ist, ist sie unbegründet, da die Klägerin keinen Schmerzensgeldanspruch hat (s.o. unter A II 2 d.Gr.).

C

Kostenentscheidung

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, wobei der Streitwert sich aus zutreffenden Erwägungen der ersten Instanz ergibt. Durch die Rechtskraft bezüglich der fünf Abmahnschreiben und des Schreibens vom 19. Februar 2001 ist der Streitwert verringert, durch die Klageerweiterung bezüglich des Schmerzensgeldes in der zweiten Instanz erhöht worden. Die Widerklage nach § 717 Abs. 2 ZPO betrifft den gleichen Streitgegenstand wie die Zahlungsklage und wirkte nicht streitwerterhöhend, bei der Kostenentscheidung hat die Kammer insofern bei jeweiligem Unterliegen die Kosten geteilt.

D

Keine Revisionszulassung

Die Revisionszulassung kam weder für die Klägerin noch für die Beklagte in Betracht, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorlagen.

Ende der Entscheidung

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