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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 04.05.2005
Aktenzeichen: 3 Ta 884/05
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII, DurchführungsVO


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4
SGB XII § 90 Abs. 2 Ziffer 4
SGB XII § 90 Abs. 2 Ziffer 9
DurchführungsVO § 1
DurchführungsVO § 2
1. Eine durch Prozessvergleich erhaltene Abfindung stellt in Höhe von 10 % ihres Werts grundsätzlich ein einzusetzendes Vermögen dar, das eine Änderung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 120 Abs. 4 ZPO rechtfertigt, wenn es über die sogenannte Schongrenze (§ 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit §§ 90 Abs. 2 Ziffer 9 SGB XII, § 1 Durchführungsverordnung) hinausgeht (ständige Rechtsprechung des LAG Berlin).

2. Verbindlichkeiten, die die bedürftige Partei im Laufe des Rechtsstreits eingeht, sind grundsätzlich nicht vermögensmindernd zu berücksichtigen. Es gilt der Grundsatz des Vorrangs der Ansprüche der Landeskasse gegenüber der Kreditrückzahlung.

3. Davon ist aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Schuldentilgung auf einen Kredit zurückgeht, der zur Anschaffung von Gegenständen - hier ein angemessener Hausrat - aufgenommen worden ist, die gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Ziffer 4 SGB XII nicht zu dem einzusetzenden Vermögen gehören. In diesem Fall können die Verbindlichkeiten auch als besondere Belastungen im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Ziffer 4 ZPO abzugsfähig sein.


Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

3 Ta 884/05

In der Beschwerdesache

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 3. Kammer, durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Baumann am 4. Mai 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. April 2005 - 23 Ca 29353/04 - aufgehoben.

Gründe:

I.

Durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 23. Dezember 2004 ist der Klägerin für ihre Klage in vollem Umfang die Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Durch Prozessvergleich vom 17. Februar 2005 haben die Parteien den Rechtsstreit beendet; darin hat sich die Beklagte verpflichtet, der Klägerin 7.000,-- € als Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG zu zahlen.

Auf Anfrage des Arbeitsgerichts hat die Beklagte unter dem 24. März 2005 mitgeteilt, dass sie der Klägerin im März 2005 insgesamt 9.998,88 € (Restlohn und Abfindung) überwiesen habe. Nach Anhörung der Klägerin hat die Rechtspflegerin durch Beschluss vom 5. April 2005 die Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung vom 23. Dezember 2004 mit der Maßgabe geändert, dass die Klägerin einen Teil der Prozesskosten in einer Rate von 700,-- € zu zahlen hat. Durch die erhaltene Abfindung habe der Klägerin ein Betrag zur Verfügung gestanden, der um 4.400,-- € über das der Klägerin zu belassene Schonvermögen hinausgehe. Damit sei eine erhebliche Verbesserung der Vermögensverhältnisse der Klägerin eingetreten, die die Änderung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 120 Abs. 4 ZPO rechtfertige. Die Begleichung von etwaigen Verbindlichkeiten seitens der Klägerin komme ihr nicht zugute. Dies wäre nur bei einer Notlage im Sinne des § 88 Abs. 2 Ziffer 8 Halbs. 2 BSHG anders, die aber im Falle der Klägerin nicht vorliege.

Gegen diesen der Klägerin am 8. April 2005 zugestellten Beschluss richtet sich ihre beim Arbeitsgericht am 22. April 2005 eingegangene sofortige Beschwerde vom selben Tag, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin macht geltend, sie habe während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten über keine eigene Wohnung verfügt, ihr sei vielmehr seitens der Beklagten ein möbliertes Zimmer in dem Seniorenwohnheim zu Wohnzwecken überlassen worden.

Nach der fristlosen Kündigung seitens der Beklagten habe sie diesen Wohnraum räumen und eine eigene Wohnung anmieten müssen. Sie habe sich deshalb eine dafür notwendige, einfache Möblierung beschaffen müssen. Zur Finanzierung dieser Anschaffungen habe sie in Höhe von insgesamt 5.000,-- € ein Privatdarlehen aufgenommen, das sie nach Erhalt der Abfindung am 7. April 2005 voll zurückgezahlt habe.

II.

1.

Die nach § 11 Abs. 1 RPflegG in Verbindung mit § 11a Abs. 3 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde hat die Klägerin form- und fristgerecht eingelegt (§ 78 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO).

Das Rechtsmittel ist in der Sache auch begründet.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist im Falle der Klägerin keine wesentliche Änderung der Vermögensverhältnisse der Klägerin eingetreten, die es rechtfertigen würde, sie in Abänderung des Beschlusses über die Prozesskostenhilfebewilligung zur teilweisen Kostentragung aus ihrem Vermögen heranzuziehen. Das Beschwerdevorbringen der Klägerin steht den Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss zur Begründung der angeordneten Abänderung der Prozesskostenhilfebewilligung entgegen.

2.

Richtig ist, dass die Partei eine aufgrund des Rechtsstreits erhaltene Abfindung unter Beachtung der vom Arbeitsgericht berücksichtigten sogenannten Schongrenze (§ 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Ziffer 9 SGB XII in Verbindung mit § 1 der Durchführungsverordnung) als Vermögen in Höhe von 10% des Nennwerts der Abfindung gemäß § 115 Abs. 2 ZPO einzusetzen hat. Dies entspricht der vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Berlin. Insoweit hätte die Klägerin in der Tat die Abfindung von 7.000,-- €, da sie über die Schongrenze mit einem Betrag von 4.400,-- € hinausgeht, in Höhe von 10% ihres Werts, also in Höhe von 700,-- €, zur Kostentragung einzusetzen. Dem gegenüber wendet aber die Klägerin zu Recht ein, dies sei in ihrem Falle deswegen anders zu beurteilen, weil sie den Betrag zur Schuldentilgung aufgewandt habe.

Das Beschwerdegericht hat dahingestellt sein lassen können, unter welchen Voraussetzungen der vom Arbeitsgericht erörterte Gesichtspunkt der Notlage (vgl. § 90 Abs. 2 Ziffer 9 SGB XII in Verbindung mit § 2 Durchführungsverordnung) die Partei von der Kostentragungspflicht befreien kann, wenn sie das ihr zugeflossene Vermögen zur Schuldentilgung verwendet. Grundsätzlich kann sie allerdings nicht damit gehört werden, das im Laufe des Rechtsstreits erworbene Vermögen sei von ihr deswegen nicht einzusetzen, weil sie dies zur Begleichung von Verbindlichkeiten benötige, die sie nach Beginn des Rechtsstreits eingegangen sei (vgl. dazu Zöller-Philippi ZPO 25. Aufl. § 120 Rdnr. 25; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann ZPO 63. Aufl. § 120 Rdnr. 21). Es gilt der Grundsatz, wonach Ansprüche der Landeskasse der Kreditrückzahlung durch die Partei vorgehen. Davon ist aber nach einer verbreitet vertretenen Auffassung, der das Beschwerdegericht folgt, dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Verbindlichkeit, die die bedürftige Partei zu tilgen hat, zwecks Anschaffung von Gegenständen eingegangen worden ist, die gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Ziffer 4 SGB XII nicht zu dem einzusetzenden Vermögen gehören (vgl. Zöller-Philippi § 120 Rdnr. 25; OLG Brandenburg MDR 98, 306; OLG Bamberg FamRZ 95, 374 und 95, 1590; abweichend OLG Schleswig JurB 99, 590; OLG Celle JurB 90, 1192 für die Finanzierung des Erwerbs einer Wohnung). Es wäre ein Wertungswiderspruch, den angemessenen Hausrat nicht als einzusetzendes Vermögen zu behandeln, Verbindlichkeiten aber, die aus von der bedürftigen Partei nicht zu vertretenden Gründen zur Beschaffung dieses Hausrats entstanden sind, bei der Beurteilung der Frage, ob sie das Vermögen zur Tragung der Prozesskosten einzusetzen hat, zu ihren Ungunsten nicht zu berücksichtigen.

Im Übrigen gelangt man im vorliegenden Fall zu demselben Ergebnis, wenn man der Auffassung folgt, wonach Verfügungen über das Vermögen durch die Partei dann keine Abänderung gemäß § 120 Ziffer 4 ZPO rechtfertigen, wenn sie als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Ziffer 4 ZPO abzugsfähig sind (vgl. MK-ZPO-Wax 2. Aufl. § 120 Rdnr. 18; Musielak-Fischer ZPO 4. Aufl. § 120 Rdnr. 16; OLG Hamm FamRZ 97, 682). Der sofortige Bedarf an sämtlichen, notwendigen Einrichtungsgegenständen infolge einer unerwartet erforderlichen Anmietung einer Wohnung, bedingt durch eine außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Partei, stellt sich hier durchaus als eine besondere Belastung dar. Hat die bedürftige Partei einen Kredit aufgenommen, um lebenswichtige Anschaffungen - wie vor dem nicht vorhandener Hausrat - zu finanzieren, so sie kann erlangtes Vermögen in Form einer Abfindung ohne Rücksicht auf die sogenannte Schongrenze zur Rückzahlung des Kredits verwenden und dies als besondere Belastung geltend machen (vgl. Zöller-Philippi ZPO § 115 Rdnr. 40 mit weiteren Nachweisen).

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde hat es keinen gesetzlich begründeten Anlass gegeben; insbesondere liegt keine rechtserhebliche Divergenz zur Frage der Befreiung von der Kostentragungspflicht bei Verwendung von erworbenen Vermögen zur Rückzahlung des zwecks Anschaffung von notwendigem Hausrat aufgenommenen Kredits vor.

Ende der Entscheidung

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