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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 1116/04
Rechtsgebiete: GewO


Vorschriften:

GewO § 106 Satz 1
Der Arbeitgeber darf ein einschlägig abgemahntes Betriebsratsmitglied, das außerhalb seiner Arbeitszeit im Betrieb erscheint und Mitarbeiter über eine Stunde lang in Gespräche verwickelt und dadurch von der Arbeit abhält mit der Folge entsprechender Beschwerden in eine andere Abteilung versetzen, auch wenn es dort nur noch in Tagesschicht beschäftigt werden kann und deshalb über 500,-- € brutto monatlich an Zulagen verliert.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1116/04

Verkündet am 24.09.2004

In dem Rechtsstreits

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 24.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Vierthaler und Feiertag

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 07.04.2004 - 44 Ca 29048/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger steht seit dem 01. Mai 1987 als Produktionshandwerker in den Diensten der Beklagten. Er verdiente zuletzt in Wechselschicht rund 4.060,-- € brutto im Monat.

Mit drei Schreiben vom 10. August 2001 (Ablichtung Bl. 44 - 49 d.A.) mahnte die Beklagte den Kläger wegen eigenmächtiger Arbeitsunterbrechung, Nichtbeachtung von Arbeitsanweisungen und Störung des Betriebsfriedens ab. Nach Einholung der Zustimmung des Betriebsrats, dem der Kläger angehört, versetzte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 18. August 2003 (Ablichtung Bl. 6 - 8 d.A.) wegen Störung des Betriebsfriedens ab 01. Oktober 2003 in eine andere Abteilung. Da der Kläger dort nur in der Normalschicht beschäftigt wird, bezieht er seitdem nur noch Lohn in Höhe von 3.530,-- € brutto monatlich und erhält keine Schichtfreitage mehr.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die auf Rückgängigmachung der Versetzungsanweisung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Arbeitsvertrag des Klägers vom 31. Juli 1987 (Ablichtung Bl. 16 f d.A.) enthalte einen ausdrücklichen Versetzungsvorbehalt. Die Versetzung des Klägers sei auch nicht unbillig gewesen. Der Kläger habe nicht bestritten, dass sich seine jeweiligen Vorgesetzten über ihn beschwert hätten. Auch die Tatsache, dass der Kläger an einem Sonntag, obwohl nicht eingeteilt, im Betrieb der Beklagten erschienen sei, um zu überprüfen, ob die Einteilung der Mitarbeiter ordnungsgemäß vor sich gehe, deute darauf hin, dass er von einem ihm nicht zustehenden Überwachungsrecht ausgehe. Ein solches Verhalten sei geeignet, zu Spannungen im Betrieb zu führen. Durch seine Versetzung werde der Kläger nicht von anderen Belegschaftsmitgliedern isoliert und demzufolge nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Bei seiner Umsetzung von der Wechselschicht in die Tagesschicht habe es sich nicht um eine Lohnminderung gehandelt.

Gegen dieses ihm am 03. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. Mai 2004 eingelegte und am 22. Juni 2004 begründete Berufung des Klägers. Er meint, eine Herausnahme aus dem Schichtdienst sei nur aus betriebswirtschaftlichen Gründen zu rechtfertigen. Wegen seiner angeblich beanstandenswerten Führung wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, ihn unter Beibehaltung der Tätigkeit im Schichtdienst in einen anderen Bereich zu versetzen. Als Betriebsrat sei er zudem berechtigt gewesen, auch außerhalb seines Dienstes den Betrieb zu betreten, wenn ihm Unstimmigkeiten bekannt geworden seien. Im Übrigen seien Zuschläge bei der Versetzung von Betriebsratsmitgliedern ohnehin weiter zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass er über den 30. September 2003 hinaus im Bereich Technischer Service/MTA als Produktionshandwerker für die Störungsbeseitigung der Anlagen zu beschäftigen sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, die Konflikte in den verschiedenen Abteilungen hätten jeweils mit Einsatz des Klägers begonnen. Es habe für den Kläger keinen konkreten Grund gegeben, am Morgen des 29. Juni 2003 im Betrieb zu erscheinen. Die Mitarbeiter hätten sich durch seine immer neuen Fragen nicht betriebsrätlich unterstützt, sondern agitiert und bedrängt gefühlt. Im ersten Halbjahr 2003 hätten sich bereits mindestens fünf Mitarbeiter gegenüber ihren Vorgesetzten dahingehend geäußert, dass der Kläger sie mit negativer Stimmungsmache von der Arbeit abhalte. Für einen anderweitigen Einsatz im Schichtdienst gebe es keine geeignete Vakanz.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist unbegründet.

1.1 Der zulässigerweise gemäß §§ 264 Nr. 2, 525 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auf Feststellung eines Teils des Arbeitsverhältnisses der Parteien umgestellte Antrag des Klägers ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.

1.2 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschäftigung im bisherigen Bereich über den 30.September 2003 hinaus. Vielmehr hat ihn die Beklagte mit Schreiben vom 18. August 2003 wirksam in einen anderen Bereich versetzt.

1.2.1 Die Versetzungsbefugnis der Beklagten ergab sich bereits aus § 106 Satz 1 GewO, wonach der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag oder die Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines Tarifvertrags oder eines Gesetzes festgelegt sind. Eine solche Festlegung war für das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht erfolgt. Vielmehr war er nach § 1 Nr. 1 seines Arbeitsvertrags nur "gegenwärtig als Metallhandwerker in Schicht in der Zentralwerkstatt eingesetzt" und war die Beklagte nach § 1 Nr. 2 Arbeitsvertrag berechtigt, ihm andere zumutbare Arbeit im Betrieb zuzuweisen, die seinen durch den beruflichen Werdegang erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht.

Eine solche vorformulierte Regelung hält den Anforderungen des § 307 BGB an eine Inhaltskontrolle stand, insbesondere weicht sie nicht von einer gesetzlichen Regelung ab, sondern entspricht dieser gerade (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und schränkt auch nicht wesentliche Rechte des Arbeitnehmers so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

1.2.2 Die Beklagte hat von ihrem Weisungsrecht ordnungsgemäß Gebrauch gemacht.

1.2.2.1 Die Versetzungsordnung vom 18. August 2003 entspricht billigem Ermessen.

1.2.2.1.1 Es war davon auszugehen, dass der Kläger am Sonntag, dem 29. Juni 2003, Mitarbeiter der Beklagten auf eine Weise und Dauer von der Arbeit abgehalten hat, dass darin eine Verletzung seiner sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB nach Treu und Glauben ergebenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zu sehen war, die gedeihliche Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen nicht zu stören. Gegenüber der detaillierten Schilderung der Beklagten, der Kläger habe seine Kollegen über einen Zeitraum von 1 1/4 Stunden in Gespräche verwickelt und von der Arbeit abgehalten, obwohl diese weder um eine derartige Unterredung gebeten noch ein Interesse daran gezeigt hätten, hat sich der Kläger darauf beschränkt, mangelnde Einlassungsfähigkeit zu rügen. Er hat weder eine angeblich bekannt gewordene Unstimmigkeit bezeichnet noch vorgebracht, dass sich die Gespräche mit Rücksicht auf Nachfragen seiner Kollegen derart lange hingezogen hätten.

1.2.2.1.2 Das Verhalten des Klägers war nicht durch sein Betriebsratsamt gedeckt. Zwar steht dem Betriebsrat aufgrund seiner Überwachungsaufgabe gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch ein Recht auf Zugang zu jedem Arbeitsplatz der Mitarbeiter zu, ohne dass es der Darlegung eines konkreten Verdachts (BAG, Beschluss vom 21.01.1982 - 6 AZR 17/79 - BAGE 37, 348 = AP BetrVG 1972 § 70 Nr. 1 zu III der Gründe) oder der Zustimmung des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 17.01.1989 - 1 AZR 805/87 - AP LPVG NW § 2 Nr. 1 zu II 2 b, cc der Gründe) bedarf. Dieses Recht steht jedoch dem Gremium als solchem zu, das es durch einzelne seiner Mitglieder wahrnehmen lassen kann. Dies schließt es zwar nicht aus, dass ein Betriebsratmitglied, das gezielt von einem Mitarbeiter angesprochen wird, diesen auch spontan an seinem Arbeitsplatz aufsuchen darf, gibt aber nicht jedem Betriebsratsmitglied die Befugnis, nach eigenem Gutdünken die Arbeitsplätze zu kontrollieren. Vorliegend kam noch hinzu, dass der Kläger in einem zeitlichen Umfang trotz mangelndem Interesse der betroffenen Mitarbeiter diese in Gespräche verwickelt hat, dass dies nicht mehr als bloß fehlerhafte Ausübung des Betriebsratsamtes angesehen werden konnte, was allein Konsequenzen nach § 23 Abs. 1 BetrVG hätte nach sich ziehen dürfen.

1.2.2.1.3 Die Reaktion der Beklagten war angesichts dessen, dass der Kläger mit Schreiben vom 10. August 2001 wegen Störung des Betriebsfriedens bereits einschlägig abgemahnt worden war, auch nicht unverhältnismäßig. Auch wenn der Kläger die Berechtigung dieser Abmahnung jetzt pauschal in Abrede gestellt, allerdings auch nur teilweise als unpräzise bezeichnet hat, änderte dies doch nichts daran, dass ihm damit aus einem konkreten Anlass deutlich gemacht worden war, dass die Beklagte es als Pflichtwidrigkeit betrachtete, wenn er Kollegen ständig in einer Weise in Gespräche verwickelte, dass diese sich veranlasst sähen, sich darüber zu beschweren.

1.2.2.1.4 Der mit der Versetzung des Klägers verbundene Wegfall seiner Wechselschichtzulage von über 500,-- € brutto monatlich stellte keine Lohnminderung im technischen Sinne dar, weil zugleich auch die besonderen Erschwernisse entfielen, für die diese Zulage gezahlt wird (vgl. BAG, Urteil vom 07.09.1983 - 5 AZR 259/81 - n.v., zu III 2 der Gründe). Gleiches gilt für die jährlich insgesamt 12 Schichtfreitage.

1.2.2.1.5 Der Kläger hat nicht dargetan, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung im Schichtdienst vorstellt, die ihm die entsprechende Zulage und zusätzliche freie Tage bewahrt hätte. Vielmehr hat die Beklagte insoweit unwidersprochen behauptet, keine entsprechende Vakanz zu haben. Für die Richtigkeit dieser Behauptung sprach auch, dass sich der Betriebsrat insoweit nicht für den Kläger verwendet hat.

1.2.2.1.6 Schließlich hat die Beklagte den Kläger nicht fristlos versetzt, sondern mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende. Damit hat sie ihm hinreichend Gelegenheit gegeben, sich auf den Wegfall der Wechselschichtzulage einzustellen (vgl. Preis, Der Arbeitsvertrag, 2002, II V 70 R 57 zum unmittelbaren Widerruf von Vergütungsbestandteilen).

1.2.2.2 Die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Klägers lag vor.

1.2.3 Der Hinweis des Klägers auf eine Pflicht zur Fortzahlung von Zuschlägen bei Versetzung von Betriebsratsmitgliedern lag neben der Sache. Abgesehen davon, dass eine solche Zahlung nicht Streitgegenstand gewesen ist, kommt sie gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ohnehin nur in Betracht, wenn das Betriebsratsmitglied wegen seiner weiteren Betriebsratstätigkeit eine andere Arbeitsaufgabe übernimmt.

1.3 Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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