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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 03.09.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 1315/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2
Erklärt sich ein Arbeitnehmer zur Rettung des Betriebes seines Arbeitgebers bereit, gegen ein entsprechend geringeres Entgelt verkürzt zu arbeiten, so stellt sein für den Fall einer gleichwohl eintretenden Insolvenz vorgesehener Anspruch auf das volle Entgelt jedenfalls dann keine Masseverbindlichkeit dar, wenn der Insolvenzverwalter von der Befugnis, vom Arbeitnehmer auch wieder die vollzeitige Arbeitsleistung zu verlangen, keinen Gebrauch gemacht hat.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 1315/04

Verkündet am 03.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 03.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Köster und Bräuer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.06.2004 - 18 Ca 17105/03 - dahin geändert, dass die Klage, soweit ihr stattgegeben worden ist, als unzulässig abgewiesen wird.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin stand seit dem 01. September 1998 in Vollzeitbeschäftigung als Sekretärin und Stenotypistin in den Diensten der späteren Insolvenzschuldnerin. Im Januar 1998 vereinbarte sie mit dieser eine "Vertragsänderung" (Abl. Bl. 11 d.A.), wonach ihre wöchentliche Arbeitszeit unter entsprechender Reduzierung des Gehaltsanspruchs auf 24 Stunden herabgesetzt wurde. Weiter hieß es:

"Bei Konkurs, Schließung des BeT.es oder bei beT.sbedingter Kündigung durch den Arbeitgeber ist Frau T. für die letzten 12 Monate - vorbehaltlich einer gesetzlichen Änderung für die Berechnung des Arbeitslosengeldes, in diesem Fall wird der Zeitraum entsprechend angepasst - vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so zu stellen, wie sie ohne diese Teilzeitvereinbarung gestanden hätte, d.h. es besteht voller Gehaltsanspruch.

Soweit möglich, kann für diesen Zeitraum auch die volle Arbeitsleistung verlangt werden, andernfalls werden nur eventuelle Arbeitszeitguthaben, Urlaubsansprüche und Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld angerechnet. Darüber hinaus besteht der volle Entgeltanspruch auch, wenn die Arbeit nicht mehr geleistet werden kann."

Ab Juli 2001 erhielt die Klägerin für 27 Stunden pro Woche ein Monatsgehalt von 2.738,-- DM / 1.399,92 € brutto.

Am 01. März 2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Er kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 10. März 2003 zum 30. Juni 2003 und stellte die Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeit frei.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den Beklagten, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, verurteilt, an die Klägerin 1.754,-- € brutto nebst Verzugszinsen als Gehaltsdifferenz für März bis Juni 2003 und Differenz zum Urlaubsgeld zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei den erhobenen Ansprüchen handele es sich um Masseforderungen und nicht um solche "für" die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Vereinbarung von Januar 1998 sei nicht sittenwidrig, weil sie nicht geeignet sei, die Bundesagentur für Arbeit zu entsprechend höheren Leistungen zu verpflichten. Den Ansprüchen der Klägerin stehe auch nicht die Einrede der Anfechtbarkeit entgegen. Der Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Klägerin bereits 1998 eine drohende Zahlungsunfähigkeit der späteren Insolvenzschuldnerin gekannt habe. Im Übrigen würde durch eine Unwirksamkeit bzw. Anfechtbarkeit der Vereinbarung aus 1998 der hierdurch geänderte ursprüngliche Arbeitsvertrag wieder aufleben, so dass die Klägerin auch hieraus unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs die Vergütung auf der Basis der ursprünglichen Vollzeittätigkeit beanspruchen könnte.

Gegen dieses ihm am 14. Juni 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. Juni eingelegte und zugleich begründete Berufung des Beklagten. Er ist der Ansicht, dass der Klägerin allenfalls noch Insolvenzforderungen zustünden. Der Umfang der oktroyierten Masseverbindlichkeiten dürfe nicht über die gesetzliche Regelung hinaus erweitert werden. Er könne als Insolvenzverwalter nicht weitergehenden Ansprüchen ausgesetzt sein, die gegen die Schuldnerin ohne Insolvenzfall überhaupt nicht bestanden hätten. Die Forderungen seien zudem aufschiebend bedingt durch den Insolvenzfall; solche Forderungen stellten aber ausschließlich Insolvenzverbindlichkeiten dar.

Jedenfalls sei die Klage auch unbegründet. Die Vereinbarung von Januar 1998 sei im Hinblick auf die damit verbundene Schädigung der B. für A. durch Zahlung erhöhten Insolvenzgeldes und der anderen Insolvenzgläubiger sittenwidrig bzw. anfechtbar. Dafür genüge es, dass die Klägerin den Benachteiligungsvorsatz der späteren Insolvenzschuldnerin gekannt habe. Nach Treu und Glauben sei es der Klägerin versagt, sich rückwirkend auf die Nichtigkeit der Änderungsvereinbarung zu berufen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter teilweiser Änderung des angefochtenen Urteils insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint, durch die Reduzierung ihrer Arbeitszeit in Vorleistung gegangen zu sein und damit der späteren Insolvenzschuldnerin Vergütungsaufwendungen erspart zu haben, was zu einer Erhöhung der im Falle der Insolvenz zur Verfügung stehenden Vermögensmasse geführt habe. Die Vereinbarung habe lediglich ihre Absicherung und nicht der Benachteiligung von Insolvenzgläubigern gedient. Jedenfalls sei der Beklagte ihr zum Schadenersatz verpflichtet, weil er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, wieder ihre volle Arbeitsleistung zu verlangen. Stattdessen sei ihre Arbeit von der Chefsekretärin und Prokuristin und einer anderen Mitarbeiterin übernommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist begründet.

Die Klage ist unzulässig, soweit sie nicht bereits erstinstanzlich als unbegründet abgewiesen worden ist.

Bei den von der Klägerin erhobenen Ansprüchen auf Zahlung einer Gehaltsdifferenz für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer Differenz zum Urlaubsgeld für restliche Urlaubstage handelt es sich um keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich um Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, die zunächst zur Insolvenztabelle hätten angemeldet werden müssen.

1.1 Die Ansprüche der Klägerin stammen nicht aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung für die Zeit nach Insolvenzeröffnung erfolgen musste (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Der ursprüngliche Arbeitsvertrag, der eine Vollzeittätigkeit der Klägerin vorgesehen hatte, ist durch die Vereinbarung von Januar 1998 gerade dahin geändert worden, dass Arbeitszeit und Gehalt auf zunächst 24 und später 27 Wochenstunden reduziert wurden.

1.1.1 Die Änderungsvereinbarung von Januar 1996 ist nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Es verstößt nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, dass die spätere Insolvenzschuldnerin das Entgegenkommen der Klägerin in Form einer Arbeitszeitreduzierung ohne Lohnausgleich dadurch honorieren wollte, dass die Klägerin im Falle eines Fehlschlags der Bemühung, den Betrieb zu retten, für die letzten zwölf Monate ihres Arbeitsverhältnisses wieder den vollen Gehaltsanspruch erlangen sollte, auch wenn dem nur noch für die verbleibende Zeit eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstehen könnte. Dass die Beteiligten sich davon auch Auswirkungen auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes der Klägerin versprachen, ist unschädlich, weil sie der Klägerin damit keine weitergehenden Ansprüche gegen die B. für A. verschaffen wollten, als ihr im Falle einer damals sofort eintretenden Arbeitslosigkeit auch zugestanden hätten. Dies gilt auch im Verhältnis zu anderen Gläubigern der späteren Insolvenzschuldnerin. Im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 InsO sind weitere Umstände erforderlich, um ein anfechtbares Rechtsgeschäft auch als sittenwidrig und damit von vornherein nichtig erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 26. Januar 1973 - V ZR 53/71 - NJW 1973, 513 zu 1 der Gründe). Solche Umstände sind vom Beklagten nicht vorgebracht worden.

1.1.2 Die Änderungsvereinbarung von Januar 1996 ist nur so weit gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO anfechtbar, wie sie auf die Begründung einer Erhöhung des Vergütungsanspruchs der Klägerin ohne eine entsprechend erweiterte Arbeitsleistung für die Zeit vor wie nach Insolvenzeröffnung gerichtet war. Dagegen lag für die Zeit ab Insolvenzeröffnung keine Benachteiligung anderer Gläubiger vor, weil der Beklagte bei entsprechendem Bedarf ab diesem Zeitpunkt auch wieder die volle Arbeitsleistung der Klägerin verlangen konnte.

1.2 Der Anspruch der Klägerin aus der Änderungsvereinbarung von Januar 1996 auf Zahlung des vollen Gehalts und der daraus resultierende Anspruch auf ein entsprechend höheres Urlaubsgeld stellen keine Masseverbindlichkeiten dar.

1.2.1 Diese Ansprüche sind keine Verbindlichkeiten aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung insoweit zur Insolvenzmasse verlangt worden ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO). Vielmehr hat die Beklagte die Klägerin sogar im Umfang ihrer auf zuletzt 27 Wochenstunden reduzierten Arbeitszeit freigestellt.

1.2.2 Aufgrund dessen, dass dem Beklagten in der Änderungsvereinbarung lediglich die Befugnis eingeräumt worden war, die volle Arbeitsleistung der Klägerin zu verlangen (sog. verhaltener Anspruch), er davon aber keinen Gebrauch gemacht hat, musste die Klägerin nicht eine vollzeitige Arbeitsleistung erbringen, weshalb auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO insoweit nicht erfüllt sind.

1.3 Die Änderungsvereinbarung war schließlich auch nicht dahin auszulegen, dass der Klägerin bereits für ihre reduzierte Arbeitsleistung im Insolvenzfall wieder ein Entgelt in voller Höhe zustehen sollte. Dagegen spricht die zugleich eingeräumte Befugnis, auch wieder die volle Arbeitsleistung der Klägerin zu verlangen, worauf das Arbeitsgericht Berlin in einer Parallelsache (Urteil vom 26.11.2003 - 9 Ca 14879/03 - zu I b der Gründe) zutreffend hingewiesen hat. Zudem wäre eine gerade für den Insolvenzfall getroffene Vereinbarung über eine Gehaltserhöhung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO anfechtbar, was dem Beklagten eine entsprechende Einrede verliehen hätte, wie sich aus § 146 Abs. 2 InsO ergibt. Ob einer solchen Verbindlichkeit wie einer für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarten Abfindung (dazu BAG, Urteil vom 25.02.1981 - 5 AZR 922/78 - BAGE 35,98 = AP KO § 61 Nr. 11 zu III 2 der Gründe; OLG Schleswig, Urteil vom 10.04.2003 - 5 U 62/02 - ZIP 2003, 856 zu II 3 der Gründe) auch der Charakter einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO abgesprochen werden müsste, wie die Beklagte gemeint hat, erscheint dagegen zweifelhaft.

1.3 Schließlich sind die Ansprüche der Klägerin auch nicht durch eine Handlung des Beklagten begründet worden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Weder hat der Beklagte dadurch, dass er nicht von seiner Befugnis Gebrauch gemacht hat, von der Klägerin wieder eine volle Arbeitsleistung zu verlangen, eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), noch muss er sich analog § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als habe er die Klägerin zur Erbringung ihrer vollen Arbeitsleistung aufgefordert. Dies wäre in Betracht zu ziehen gewesen, wenn die durchgeführte Betriebsstilllegung einen erhöhten Bedarf an einer Beschäftigung der Klägerin mit sich gebracht hätte. Dann hätte der Beklagte nicht damit gehört werden können, dass es für ihn effektiver gewesen sei, die Arbeit der Klägerin von der Chefsekretärin und anderen Mitarbeitern mit erledigen zu lassen. Dies konnte jedoch nicht festgestellt werden. Dass die Klägerin freigestellt und ihre Arbeit anderweit verteilt worden ist, lässt nicht darauf schließen, dass sie in dieser Zeit mit ihren vertragsgemäßen Aufgaben wieder hätte vollzeitig beschäftigt werden können. Dagegen sprach zudem, dass eher weniger Schreibarbeiten angefallen sind, weil aufgrund der bevorstehenden Betriebsstilllegung keine Aufträge mehr angenommen worden sind, worauf der Beklagtenvertreter unwidersprochen hingewiesen hat.

2. Die Klägerin hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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