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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 27.08.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 949/04
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3
KSchG § 3 Abs. 1 Hs. 1
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 7 Hs. 1
ZPO § 130 Nr. 6
ZPO § 253 Abs. 4
ZPO § 519 Abs. 4
Es widerspräche dem rechtsstaatlichen Gebot eines fairen Verfahrens, das Fehlen einer Unterschrift unter Klage- und Berufungsschrift dem Kläger und Berufungskläger zum Nachteil gereichen zu lassen, wenn er diese Schriftsätze jeweils bereits mindestens eine Woche vor Ablauf von Klage- bzw. Berufungsschrift eingereicht hat, ohne dass das Fehlen einer Unterschrift durch das Gericht beanstandet worden ist.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 949/04

Verkündet am 27.08.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 6. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 27.08.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Corts sowie die ehrenamtlichen Richter Janke und Schneider

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.03.2004 - 89 Ca 29327/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ..... 1961 geborene Kläger stand seit dem 11. Februar 2002 als Baumaschinist gegen einen Stundenlohn von zuletzt 12,47 € in den Diensten der Beklagten.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2003 kündigte die Beklagte dem Kläger nach Anhörung des Betriebsrats fristgemäß zum 30. November 2003.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die fristgemäß eingereichte Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich, dass die vorhandene Arbeitsmenge unzureichend sei, um ihre gewerblichen Arbeitnehmer einzusetzen, sodass ihre Entscheidung, durch Beendigung von vier Arbeitsverhältnissen einen schnellstmöglichen Personalabbau herbeizuführen, durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Das Bestreiten des Klägers mit Nichtwissen wirke angesichts der umfangreichen Darlegungen der Beklagten und der geringen Anzahl der Beschäftigten in ihrem Betrieb als unzureichend.

Die Sozialauswahl sei nicht fehlerhaft erfolgt. Es habe sich nicht erschlossen, weshalb sich der Kläger mit einem als Tiefbaufacharbeiter/Vorarbeiter bezeichneten Kollegen für vergleichbar erachte. Gleiches gelte hinsichtlich eines anderthalb Jahre länger beschäftigten Bauwerkers. Schließlich greife auch die Rüge einer unzureichenden Betriebsratsbeteiligung angesichts des umfangreichen Vortrags der Beklagten nicht.

Gegen dieses ihm am 31. März 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. April 2004 eingelegte und am 19. Mai 2004 begründete Berufung des Klägers. Er bestreitet weiterhin die Zahlenangaben der Beklagten zu ihrer Auftragslage. Desgleichen bestreitet er, dass sein als Tiefbaufacharbeiter geführter Kollege überhaupt ein solcher gewesen sei. Dieser sei lediglich mit einem höheren Entgelt als er eingestellt worden, weil dieser im Gegensatz zu ihm aus den westlichen Bundesländern gekommen sei. Auch habe dieser Kollege keine Kolonne als Vorarbeiter angeführt, sondern sei zuletzt als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Deshalb sei auch davon auszugehen, dass dem Betriebsrat insoweit etwas Falsches vorgegaukelt worden sei. Jedenfalls hätte ihm der Arbeitsplatz eines neun Jahre jüngeren, kinderlosen Bauwerkers/Hilfsarbeiters angeboten werden können, zumal dessen Verdienst gleichhoch gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2003 nicht aufgelöst worden sei, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbestehe.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt den Angriffen der Berufung entgegen und verweist darauf, dass sie beiden vom Kläger für sozial weniger schutzbedürftig gehaltenen Arbeitnehmern inzwischen ebenfalls zum 30. April 2004 habe kündigen und nach Kurzarbeit im August und September 2003 auch seit April 2004 wieder Kurzarbeit habe einführen müssen. Dem Betriebsrat habe nichts "vorgegaukelt" werden können; der Vorsitzende sei Bauleiter, die anderen beiden Mitglieder Baumeister bzw. Vorarbeiter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung des Klägers ist als zulässig zu behandeln, obwohl der Schriftzug des Klägervertreters unter der Berufungsschrift auch bei großzügiger Betrachtung nicht mehr als Unterschrift i.S.d. §§ 130 Nr. 6, 519 Abs. 4 ZPO angesehen werden kann, wie durch einen Vergleich mit seinem zusätzlichen Schriftzug unter der Berufungsbegründung noch bestätigt wird. Es wäre indessen mit dem rechtsstaatlichen Gebot eines fairen Verfahrens nicht vereinbar, dies dem Kläger zum Nachteil gereichen zu lassen, weil die Berufungsschrift bereits eine Woche vor Ablauf der Berufungsfrist bei Gericht eingegangen ist, ohne dass dem Klägervertreter durch eine alsbaldige Beanstandung Gelegenheit gegeben worden ist, eine ordnungsgemäße Unterschrift nachzuholen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.04.1988 - 1 BvR 669/87 - BVerfGE 78, 113 = AP GG Art. 2 Nr. 29 zu II der Gründe; HessLAG, Beschluss vom 01.10.1996 - 15 Ta 279/96 - LAGE § 5 KSchG Nr 82 zu II der Gründe). Dass dem Vorsitzenden der Kammer die Berufungsschrift erst nach Eingang der Akte des Arbeitsgerichts nach Ablauf der Berufungsfrist vorgelegt worden ist, änderte daran nichts.

2. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2003 fristgemäß zum 30. November 2003 aufgelöst worden.

2.1 Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG wegen mangelnder sozialer Rechtfertigung rechtsunwirksam.

2.1.1 Dies ergibt sich allerdings nicht bereits gemäß § 7 Hs. 1 KSchG, wonach eine Kündigung als rechtswirksam gilt, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht worden ist. Insoweit verhält es sich genauso wie bei dem Formmangel der Berufungsschrift, weil die gemäß §§ 130 Nr. 6, 253 Abs. 4 ZPO zu unterzeichnende Klageschrift sogar mehr als eine Woche vor Ablauf der Klagefrist nicht ordnungsgemäß unterzeichnet beim Arbeitsgericht eingegangen war.

2.1.2 Die Kündigung der Beklagten ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in ihrem Betrieb über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG).

2.1.2.1 Die Entscheidung des Arbeitgebers, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, gehört zu den sog. unternehmerischen Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit einen entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können. Das Vorliegen einer solchen Entscheidung und der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ist von den Gerichten für Arbeitssachen voll nachzuprüfen (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102 zu II 1 a der Gründe). Darüber hinaus ist eine unternehmerische Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und Dauerhaftigkeit durch entsprechenden Tatsachenvortrag zu verdeutlichen, um dem Gericht im Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG eine Überprüfung zu ermöglichen, ob sie nicht etwa offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101 zu II 2 b der Gründe). Diesen Anforderungen hat die Beklagte genügt.

2.1.2.2 Die Beklagte hat ihre Entscheidung, dauerhaft Personal im Umfang einer Kolonne einzusparen, mit der bereits erstinstanzlich näher dargestellten Auftragslage plausibel gemacht. Auf den genauen betragsmäßigen Umfang der vorliegenden Aufträge kam es dafür nicht an. Entscheidend war vielmehr, dass für die Durchführbarkeit und Dauerhaftigkeit der getroffenen Entscheidung sprach, dass der mit den Gegebenheiten in dem verhältnismäßig kleinen Betrieb der Beklagten vertraute Betriebsart der Kündigung nicht widersprochen hat und dass es in der Folgezeit weder zu Überstunden noch zu Neueinstellungen gekommen ist, sondern sich die Beklagte trotz erneuter Kurzarbeit sogar zum Ausspruch weiterer Kündigungen veranlasst gesehen hat.

2.1.3 Die Kündigung war nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 KSchG unwirksam.

2.1.3.1 Hinsichtlich des unstreitig als Bauwerker/Hilfsarbeiter beschäftigten Arbeitnehmers fehlte es bereits an der erforderlichen Vergleichbarkeit mit dem Kläger. Diese ist nur gegeben, soweit der Arbeitgeber dem entlassenen Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht die Tätigkeit eines weiterbeschäftigten Kollegen übertragen kann (BAG, Urteil vom 0.5.10.1995 - 2 AZR 269/95 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71 zu II 3 d der Gründe). Dies traf für den als Baumaschinisten eingestellten Kläger nicht zu, selbst wenn er keinen höheren Stundenlohn als der zunächst noch weiterbeschäftigte Bauwerker bezogen haben sollte, was nach seinen Angaben in der Klageschrift ohnehin nicht der Fall war.

2.1.3.2 Aber auch mit dem von der Beklagten als Tiefbaufacharbeiter geführten Arbeitnehmer war der Kläger nach seiner eigenen Darstellung nicht vergleichbar. Danach soll dieser nach einer offenbar längeren Krankheit ebenfalls bloß noch als Hilfsarbeiter beschäftigt worden sein. So oder so hätte die Beklagte dem Kläger die Arbeit dieses Arbeitnehmers nicht kraft Direktionsrecht übertragen können.

2.2 Die Kündigung ist nicht analog § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam. Es war nicht nachvollziehbar, wie dem aus einem Bauleiter, einem Baumaschinisten und einem Vorarbeiter bestehenden und deshalb mit den personellen Gegebenheiten im Betrieb der Beklagten bestens vertrauten Betriebsrat hinsichtlich der Stellung eines der übrigen 22 gewerblichen Arbeitnehmer etwas sollte "vorgegaukelt" worden sein können.

3. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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