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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 8 Sa 747/03
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 2
Verwerfung einer unzulässigen Berufung wegen Nichteinhaltung der mit der Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils beginnenden Fünf-Monats-Frist, keine Wiedereinsetzung, wenn weder innerhalb der Vorfrist noch bei der Berufungseinlegung eine Fristenprüfung stattfindet.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

GeschZ. (bitte immer angeben) 8 Sa 747/03

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 8. Kammer, auf die Beratung vom 24. Oktober 2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Albrecht-Glauche als Vorsitzende sowie die ehrenamtliche Richterin Breyer und den ehrenamtlichen Richter Wand beschlossen:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das am 11.Oktober 2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin - 15 Ca 66694/00 - wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

II. Die Revisionsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Anspruch.

Durch das am 11. Oktober 2002 verkündete Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen und den Wert des Streitgegenstandes auf 297.568,73 € festgesetzt. Wegen des erstinstanzlichen Parteivortrags und der Begründung der Klageabweisung wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Die Ausfertigung des Urteils ist dem Kläger in vollständig abgefasster Form mit Rechtsmittelbelehrung am 13. März 2003 zugestellt worden.

Mit dem am Montag, dem 14. April 2003 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums hat der Kläger gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese mit einem am Dienstag, dem 13. Mai 2003 eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums begründet.

Mit dem dem Kläger am 29. August 2003 zugestellten Schriftsatz vom 28. August 2003 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger sowohl die Berufungs- als auch die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt habe.

Mit den am 02. September 2003 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsätzen vom 29. August 2003 hat der Kläger erneut Berufung eingelegt, diese begründet und Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Der Kläger trägt zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der W. Sch. vom 29. August 2003 (Bl. 296 - 297 d. A.) und unter anwaltlicher Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten vor, dass er seine Prozessbevollmächtigte nach Zustellung des Urteils in vollständig abgefasster Form am 13. März 2003 mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt habe. Die Eintragung und Überwachung von Notfristen sei in dem Büro seiner Prozessbevollmächtigten dergestalt organisiert, dass die Anwalts- und Notargehilfin W. Sch. sofort bei Eingang der Akte auf der Urteilsausfertigung die Rechtsmittelfrist handschriftlich vermerke und den Vorgang der weiteren Mitarbeiterin A. St. vorlege. Sodann notiere Frau Sch. die Frist im Fristenkalender und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein. Zur Vorfrist werde der Prozessbevollmächtigte die Sache mit dem auffälligen Vermerk "Fristsache" gesondert vorgelegt. Am Morgen des Fristablauf werde die Sache, wenn sie noch nicht erledigt sei, mit einem auffälligen Aufkleber "heute Fristablauf" in der gleichen Weise vorgelegt. Aus nicht mehr feststellbaren Gründen habe Frau Sch. den Fristablauf für die Berufungseinlegung entsprechend der Zustellung des Urteils am 13. März 2003 mit Montag, dem 14. April 2003 und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den 13. Mai 2003 notiert. Erst durch den Schriftsatz der Gegenseite vom 26. August 2003 habe seine Prozessbevollmächtigte die unzutreffende Fristnotierung festgestellt. Wegen der weiteren Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs wird auf den Schriftsatz vom 29. August 2003 (Bl. 293 - 295 d. A.) Bezug genommen, wegen der Berufungsbegründung wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 29. August 2003 (Bl. 300 - 306 d. A.) verwiesen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist sowie gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Oktober 2002 Az.: 15 Ca 66694/00 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 297.568,78 € zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen,

und

die Berufung als unzulässig zu verwerfen bzw. zurückzuweisen.

Die Beklagte hält Wiedereinsetzungsgründe für weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht und die Wiedereinsetzungsfrist für nicht eingehalten und verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers war gemäß §§ 66 Abs. 2 Satz 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch Beschluss der Kammer als unzulässig zu verwerfen, denn die Berufung ist weder innerhalb der Berufungsfrist eingelegt noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden (1.) und dem Kläger konnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung beider Fristen nicht gewährt werden (2.).

1.

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beginnen die einmonatige Berufungseinlegungs- und die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Berufungseinlegungsfrist endete im Hinblick auf die Verkündung des angefochtenen Urteils am 11. Oktober 2002 mit Ablauf des 11. April 2003 (Freitag), die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 12. Mai 2003 (Montag). Da die Berufungsschrift erst am Montag, dem 14. April 2003 und die Berufungsbegründung am Dienstag, dem 13. Mai 2003 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen sind, hat der Kläger beide Fristen versäumt.

Soweit der Kläger sich auf § 9 Abs. 5 ArbGG beruft, führt dies zu keiner anderen Betrachtungsweise, weil dem Kläger während des Laufs dieser Frist das mit der zutreffenden, auf den Fristbeginn spätestens fünf Monate nach Verkündung des Urteils hinweisenden Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil am 13. März 2003 zugestellt wurde. Es kann somit dahinstehen, ob § 9 Abs. 5 Satz 3, 4 ArbGG durch § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG verdrängt wird.

2.

Wegen der Versäumung beider Fristen konnte dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er mit seinem Antrag vom 29. August 2003 die Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 ZPO gewahrt hat, weil das Hindernis erst mit Zugang des Schriftsatzes der Beklagten vom 28. August 2003 behoben war, so hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, ohne sein Verschulden verhindert gewesen zu sein, die Fristen einzuhalten (§ 233 ZPO), sondern es beruhte auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass dieser sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Die sich aus § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ergebende sechsmonatige Frist zur Berufungseinlegung ist vom Prozessbevollmächtigten zu überwachen (vgl. BGH vom 28.10.1993 - VII ZB 21/93 - NJW 1994, 459), eine solche Pflicht trifft auch den Rechtsanwalt nach Mandatsübernahme, der in eigener Verantwortung die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels zu überprüfen hat (vgl. BGH Beschluss vom 04.04.2000 - VI ZB 3/00 - NJW 2000, 30, 71; BGH Beschluss vom 26.09.2002 - III ZB 44/02 - NJW 2002, 3636).

Es kann vorliegend jedoch dahinstehen, ob es der Prozessbevollmächtigten des Klägers als Organisations- bzw. Überwachungsverschulden anzulasten ist, dass die Mitarbeiterin das Fristende unzutreffend bestimmt hat, weil es etwa keine Anweisung gibt - auch - den wegen der Fünf-Monats-Frist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG erheblichen Verkündungstermin des Urteils zu beachten, jedenfalls hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Versäumung der Frist deswegen verschuldet, weil sie die gebotene Fristenkontrolle persönlich innerhalb der - nach ihren Angaben stets eingehaltenen - Vorfrist unterlassen hatte. Die Vorfrist beträgt nach ihren Angaben eine Woche, so dass der Prozessbevollmächtigten des Klägers die Sache bereits am 7. April 2003 vorgelegt worden sein muss.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das Berufungsgericht anschließt, hat der Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten auf Vorfrist vorgelegt werden. Diese Prüfung muss zwar nicht sofort, sondern kann auch am folgenden Tag vorgenommen werden, darf aber nicht bis zum letzten Tag der Vorfrist zurückgestellt werden, weil die Prüfung dann keinen Sinn mehr machen würde (vgl. BGH Beschluss vom 24.10.2001 - VIII ZB 19/01 - VersR 2002, 1391, m.w.N.). Da die Berufungsfrist erst am Freitag, dem 11. April 2003 ablief, hätte die Prozessbevollmächtigte des Klägers diese Frist sogar noch wahren können, wenn sie die Prüfung erst am fünften Tag der Vorfrist vorgenommen hätte. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat darüber hinaus ihre Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Berechnung des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist spätestens mit Fertigung der Berufungsschrift am 14. April 2003 verletzt (vgl. zur Pflicht zur Fristüberprüfung bei Vorlage der Handakten: BGH Beschluss vom 10.02.1999 - IV ZB 2/99 - RuS 1999, 307), so dass dem Kläger wegen der Versäumung beider Fristen keine Wiedereinsetzung gewährt werden konnte und die Berufung als unzulässig zu verwerfen war.

Soweit der Kläger auf den Beschluss des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshilfe des Bundes vom 27. April 1993 verweist, führt dies zu keiner anderen Betrachtungsweise, da die Aufhebung eines Urteils und die Zurückverweisung ein zulässiges Rechtsmittel voraussetzt, an dem es vorliegend fehlt.

III.

Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

IV.

Für die Zulassung der Revisionsbeschwerde bestand kein gesetzlich begründeter Anlass (§§ 77, 72 Abs. 2 ArbGG).

V.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.



Ende der Entscheidung

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