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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 04.03.2003
Aktenzeichen: 2 TaBV 22/02
Rechtsgebiete: BetrVG, TV


Vorschriften:

BetrVG § 38
TV Nr. 4 d. Deutschen Post AG § 4
1. § 4 d. TV Nr. 4 d. DP AG erlaubt in Abweichung von § 38 BetrVG nur d. vollständige Freistellung von 2 Teilzeitkräften für einen Vollzeitbeschäftigten, d. Teilfreistellung eines Vollbeschäftigten ist unzulässig.

2. Bei Aufteilung einer Vollfreistellung auf mehrere Teilfreistellungen wird das Verhältniswahlrecht verletzt, wenn die Entscheidung über die Teilfreistellungen nicht d. Liste zuerkannt wird, d. d. Vollfreistellung zufallen würde.

3. Bei Aufteilung einer Vollfreistellung auf mehrere Teilfreistellungen hat d. BR einen Beschluss zur Aufteilung der Freistellungen zu fassen.


Landesarbeitsgericht Brandenburg BESCHLUSS

2 TaBV 22/02

In dem Beschlussverfahren

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Brandenburg auf die mündliche Anhörung vom 04. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Dr. R; als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter S und S

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Potsdam vom 26.09.2002 - 3 BV 26/02 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl ihrer freizustellenden Betriebsratsmitglieder und die Verteilung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder auf die beiden zur Wahl stehenden Listen nach dem d'Hondtschen Höchstzahlsystem.

Antragsteller, Beschwerdegegner und Beteiligte zu 1) und 2) sind in den Betriebsrat gewählte Mitglieder der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" und als Teilzeitarbeitskräfte mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden bei der Beteiligten zu 4), der Arbeitgeberin in der Niederlassung Produktion BRIEF B beschäftigt. Antragsgegner und Beschwerdeführer ist der Beteiligte zu 3), der am 08.05.2002 neu gewählte Betriebsrat der Niederlassung Produktion BRIEF B, der aus 17 Mitgliedern besteht, von denen 14 der Liste "ver.di" und 3 der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" angehören. Bei der Arbeitgeberin sind 1.847 Beschäftigte tätig.

Für die Arbeitgeberin gilt der Tarifvertrag Nr. 4 vom 05.10.1995, zuletzt geändert durch Tarifvertrag Nr. 92, in Kraft seit dem 01.03.2002, in dem in § 4 u. a. geregelt ist:

"...

(2) Die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder je Betrieb ist in den Anlagen 7 bis 13 zu diesem Tarifvertrag festgeschrieben.

(3) Bei maximal 50 Betriebsratsgremien kann eine Freistellung durch die Vollfreistellung von zwei Teilkräften realisiert werden, sofern dem nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen. Der Freistellungsumfang der Teilkräfte darf den Freistellungsumfang einer vollbeschäftigten Kraft nicht überschreiten. Die Realisierung dieser Freistellungen erfolgt im Einvernehmen zwischen der Deutschen Post AG und dem Gesamtbetriebsrat.

..."

Nach Anlage 7 dieses Tarifvertrages beträgt die Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder für die. Niederlassung Produktion BRIEF B fünf.

Auf der Sitzung des Betriebsrats am 28.05.2005 fand die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach Top. 15 der Tagesordnung statt. Zuvor fand eine Beratung mit dem Arbeitgeber statt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurden zur Vorbereitung der Wahl zwei Listen eingereicht, eine Vorschlagsliste der "Unabhängigen Arbeitnehmervertreter" mit den Beteiligten zu 1) und 2), sowie die weitere Liste "ver.di" mit fünf vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, u. a. der Betriebsratsvorsitzenden. Die Namen der Kandidaten beider Listen wurden vorgelesen. Über eine etwaige Teilfreistellung von Betriebsratsmitgliedern wurde nicht gesprochen. Die Wahl erfolgte nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren. Von den 17 abgegebenen und gültigen Stimmen entfielen 14 auf die Liste "ver.di" und 3 Stimmen auf die Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter". Nach Aufstellung der durch die Verhältniswahl sich ergebenden Teiler wurden die ersten vier Vollfreistellungen der Liste "ver.di" zugeordnet, eine fünfte Freistellung der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter", hier dem teilzeitbeschäftigten Beteiligten zu 1) zugeordnet und eine sechste Freistellung im Umfang von 18,5 Wochenarbeitsstunden (ein halbe Freistellung) der auf Platz 5 der Liste "ver.di" stehenden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin E M zugeordnet. Nachdem alle gewählten Betriebsratsmitglieder die Wahl angenommen hatten, benachrichtigte die Vorsitzende des Betriebsrats mit Schreiben vom 29.05.2002 die Arbeitgeberin von der Wahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder und bat sie um Realisierung der Teilfreistellungen gem. § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages Nr. 4 (vgl. dazu die Unterlagen zur Wahl, Bl. 42 b. 53 d. A.).

Mit ihrem am 12.06.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrten die Beteiligten zu 1) und 2) die Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Sie meinten, Wirksamkeitsvoraussetzung für die Wahl über die Freistellung in Fällen wie diesen sei ein Beschluss des Betriebsrats über die generelle Verteilung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder, wenn statt der üblichen Vollzeitfreistellungen auch Teilfreistellungen vorgenommen werden sollen. Entgegen der Entscheidung des Betriebsrats hätte auch die zweite hälftige Freistellung auf den weiteren Kandidaten der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter", hier den Beteiligten zu 2) entfallen müssen. Die vom Betriebsrat vorgenommene Verteilung der Freistellungen verstoße gegen die Grundsätze der Verhältniswahl. Durch die Zuordnung einer weiteren hälftigen Freistellung auf die Liste "ver.di" werde der Minderheitenschutz der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" verletzt. Die Minderheitenliste sei nicht entsprechend ihrem Verhältnis der Sitze im Betriebsrat bei der Freistellung repräsentiert.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben beantragt,

festzustellen, dass der Beschluss des Beteiligten zu 3) vom 28.05.2002 über die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder unwirksam ist,

Der Beteiligte zu 3) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er meinte, vor der Verteilung der freizustellenden Plätze sei zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Freistellung erfüllt seien. Beide Kandidaten der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" würden die Voraussetzungen nicht erfüllen. Sie könnten nur teilweise freigestellt werden. Dies sei jedoch gem. § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages Nr. 4 unzulässig, da das dort vorgesehene Einvernehmen zwischen Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber über die Möglichkeit von Teilfreistellungen hier nicht vorgelegen habe. Mithin gehe auch der fünfte Platz für die Freistellung an die Liste "ver.di". Die angeblich fehlende vorherige Beschlussfassung über Teilfreistellungen sei inzidenter mit der Wahl des Beteiligten zu 1) und der weiteren Teilfreistellung der Arbeitnehmerin M von der Liste "ver.di" erfolgt. Überdies ergebe sich aus der Systematik des § 38 BetrVG, dass die Freistellung eine Wahl von Betriebsratsmitgliedern, also von Individuen darstelle und nicht etwa die Zuweisung von Plätzen an eine Liste. Es liege allein in der Kompetenz der vorschlagenden Liste, welche Personen sie zur Freistellung vorschlägt. Die daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen bei Teilfreistellungen habe die vorschlagende Liste zu tragen.

Mit Beschluss vom 13./26.09.2002 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Beschluss des Beteiligten zu 3) vom 28.05.2002 über die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder unwirksam ist und dazu im Wesentlichen ausgeführt, die gem. § 19 BetrVG analog zulässige Wahlanfechtung sei begründet, weil bei der Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen wurde. Es bedürfe einer vorherigen Willensbildung des Betriebsrats über das Ob und den Umfang von Teilfreistellungen, die anstelle oder neben Vollfreistellungen vorgenommen würden. Die Zuweisung der verbleibenden halben Freistellung nach Platz fünf an das vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied der Liste "ver.di" (Bl. 6 d. A.) sei zwar rechnerisch folgerichtig, jedoch wegen der fehlenden vorherigen Einigung des Betriebsrats auf diese Vorgehensweise fehlerhaft. Eine Beschlussfassung durch schlüssiges Verhalten liege nicht vor, eine stillschweigende Willensbildung sei nicht zulässig. Auch § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages Nr. 4 erfasse lediglich die Vollfreistellung von zwei Teilkräften, nicht jedoch den Fall einer teilweisen Freistellung von vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses im Einzelnen Bezug genommen (vgl. Bl. 100 b. 106 d. A.).

Gegen diesen, dem Betriebsrat am 07.10.2002 zugestellten Beschluss hat er Beschwerde eingelegt, die beim Landesarbeitsgericht am 06.11.2002 eingegangen ist. Die Beschwerdebegründung ist beim Landesarbeitsgericht nach Verlängerung der Frist bis zum 07.01.2003 am 03.012003 eingegangen.

Er greift den Beschluss mit Rechtsausführungen an. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht auf eine unterbliebene vorherige Beschlussfassung durch den Betriebsrat abgestellt. Diese sei einerseits gar nicht erforderlich, da im Hinblick auf die Kandidatenaufstellung auf der "ver.di" -Liste offenkundig gewesen sei, dass die weitere Freistellung nur über die Teilfreistellung eines Vollzeitbeschäftigten möglich gewesen sei. Schon aufgrund der Aufstellung der Listen sei das endgültige Ergebnis absehbar gewesen. Andererseits sei eine Beschlussfassung in der Sitzung vom 28.05.2002 ordnungsgemäß durch schlüssiges Verhalten erfolgt.

Der Beteiligte zu 3) beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Potsdam vom 26.09.2002 - 3 BV 26/02 -, zugestellt am 07.10.2002 wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1) und 2) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss unter Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen mit Rechtsausführungen.

Wegen des weiteren Inhalts des Beteiligtenvorbringens in der Beschwerdeinstanz wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie ihre Ausführungen in der mündlichen Anhörung vom 04.03.2003 Bezug genommen. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 4) hat einen Antrag nicht gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist frist- und formgerecht gem. § 87 Abs. 2 i. V. m. § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.

Sie hatte jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht im Ergebnis festgestellt, dass die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom 28.05.2002 unwirksam ist. Mithin war die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

1. Der Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) von der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" ist zulässig.

Gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 1, i. V. m. § 80 ff. ArbGG ist über Streitigkeiten im Rahmen des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG im Beschlussverfahren zu entscheiden. In entsprechender Anwendung von § 19 BetrVG ist eine befristete Wahlanfechtung zulässig und anfechtungsberechtigt jedes Betriebsratsmitglied (Beschl. d. BAG v. 15.01.1992, AP Nr. 10 zu § 26 BetrVG 1972; LAG Düsseldorf, DB 1975, S. 1898). Die Anfechtung ist auch durch die beiden Betriebsratsmitglieder, die Beteiligten zu 1) und 2) fristgerecht gern § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG analog erfolgt.

Gegen die Beteiligung des Betriebsrats und der Arbeitgeberin bestehen keine Bedenken.

Der Antrag ist genügend bestimmt gem. § 253 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Ersichtlich geht es den Antragstellern um die Anfechtung der Wahlentscheidung des Betriebsrats vom 28.05.2002 über die freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Obwohl ausweislich der konkreten Antragsformulierung erster Instanz ein "Beschluss" über die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder angefochten wird, ergibt sich aus der für die Auslegung des Antrags mit heranzuziehenden Antragsbegründung ohne weiteres, dass die Antragsteller die am 28.05.2002 erfolgte Wahlentscheidung des Betriebsrats anfechten wollen und nicht einen vom Betriebsrat ausdrücklich gar nicht gefassten Beschluss. Folge einer festzustellenden Wahlunwirksamkeit wäre daher die Unwirksamkeit der Freistellungsentscheidung des Betriebsrats, um die es den Antragstellern ersichtlich geht.

Dem Antrag fehlt es auch nicht an dem von § 256 ZPO geforderten Feststellungsinteresse. Die Antragsteller wollen mit ihrer Wahlanfechtung die Frage klären, ob die zweite hälftige Freistellung auf die Arbeitnehmerin M aus dem Wahlvorschlag der Liste "ver.di" erfolgen durfte oder ob nicht nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeitswahl diese weitere Freistellung auf den Wahlvorschlag der "Unabhängigen Arbeitnehmervertreter" und damit auf den Beteiligten zu 2) erfolgen musste. Damit steht zwischen den Beteiligten insbesondere die Frage im Streit, welche Wahlvoraussetzungen der Betriebsrat bei der Wahl zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern zu beachten hat, wenn gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wird und nach dem Wahlergebnis die Freistellung sowohl von Vollzeitbeschäftigten als auch Teilzeitbeschäftigten zwingend erforderlich ist. Damit ist in der vorliegenden Konstellation zugleich darüber zu entscheiden, wie nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren die Zuteilung und Vergabe der Freistellungen zu erfolgen hat, wenn auch Teilzeitbeschäftigte mit ihrer jeweiligen individuellen Arbeitszeit voll freigestellt werden müssen. Diese Fragen sind zwischen den Beteiligten im Streit und können durch das vorliegende Beschlussverfahren geklärt werden.

2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht im Ergebnis die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder in der Betriebsratssitzung vom 28.05.2002 für unwirksam erklärt.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Beschwerdekammer sich anschließt, kann die Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG fristgerecht nach Abschluss der Wahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden ist und eine Berichtigung des Wahlergebnisses nicht erfolgte, es sei denn, dass der Fehler auf das Wahlergebnis keinen Einfluss gehabt haben kann (vgl. Beschl. d. BAG v. 25.04.2001, AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; Beschl. v. 11.03.1992, AP Nr. 11 zu § 38 BetrVG 1972).

Die Wahl vom 28.05.2002 zur Freistellung der Betriebsratsmitglieder ist rechtsunwirksam und daher zu Recht von den Antragstellern angefochten worden.

Zum einen verletzt die Wahl wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren, weil es an einem vorherigen Beschluss des Betriebsrats darüber fehlt, wie die insgesamt fünf freizustellenden Betriebsratsmitglieder auf die Listen verteilt werden sollen, wenn, wie hier nach dem Wahlergebnis und den Stimmenverhältnissen im Betriebsrat sowohl die Freistellung von vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern als auch die Freistellung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern zwingend geboten ist. Dies hat auch das Arbeitsgericht zu Recht so entschieden. Des weiteren verstößt die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gegen § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG i. V. m. § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages Nr. 4 vom 05.10.1995, weil nach Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Vorschrift die vollständige Freistellung von zwei Teilzeitkräften als eine (singuläre) Freistellung eines Vollzeitmitarbeiters gilt und diese Freistellung der Liste zufällt, die nach dem Ergebnis der Verhältniswahl und dem Höchstzahlsystem diese Freistellung in Anspruch nehmen kann. Die hälftige Freistellung der Arbeitnehmerin M von der Liste "ver.di" verstößt daher gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht gem. § 38 Abs. 1 BetrVG und berechtigt die Antragsteller zur Anfechtung der Wahl.

Im Einzelnen:

2.2. Die Wahl zur Freistellung der Betriebsratsmitglieder verstößt gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages Nr. 4 vom 05.10.1995.

Gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 kann durch Tarifvertrag eine anderweitige Regelung zur Freistellung der Betriebsratsmitglieder vereinbart werden. Davon hat die Beteiligte zu 4) auch für den hier betroffenen Betrieb gebrauch gemacht. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist in Übereinstimmung mit der allseitigen Rechtsansicht der Beteiligten davon auszugehen, dass dieser Tarifvertrag rechtswirksam zustande gekommen ist und zulässigerweise insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Freistellungsstaffel gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für das Unternehmen anders fasst und für den hier betroffenen Betrieb erhöht. Darüber hinaus enthält § 4 des Tarifvertrages nach Auffassung der Beschwerdekammer eine abschließende Regelung über die Zulässigkeit von Teilfreistellungen und modifiziert zulässigerweise die gesetzliche Regelung in § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.

Gem. § 4 Abs. 1 des Tarifvertrages werden 2002 insgesamt 790 Betriebsratsmitglieder freigestellt. Die Verteilung dieser freigestellten Betriebsratsmitglieder auf die einzelnen Betriebe ist den Anlagen 7 bis 13 gem. § 4 Abs. 2 des Tarifvertrages zu entnehmen. Gem. § 4 Abs. 3 wird für maximal 50 Betriebsratsgremien die Möglichkeit eröffnet, "eine Freistellung durch die Vollfreistellung von zwei Teilkräften" zu realisieren. Dabei darf der Freistellungsumfang der Teilkräfte den Freistellungsumfang einer vollbeschäftigten Kraft nicht überschreiten, § 4 Abs. 3 Satz 2 des Tarifvertrages.

Damit sind die Tarifvertragsparteien, wie der Wortlaut des Tarifvertrages zeigt, vom Regelfall, den auch § 38 Abs. 1 BetrVG voraussetzt, ausgegangen, wonach die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von seiner beruflichen Tätigkeit die vollständige Freistellung einer vollbeschäftigten Kraft bedeutet, vgl. § 4 Abs., 3 Satz 2 des Tarifvertrages. Für den hier betroffenen Betrieb bedeutet dies: Nach Anlage 7 des Tarifvertrages werden fünf Betriebsratsmitglieder freigestellt. Diese fünf Betriebsratsmitglieder zählen zu den insgesamt 790 gem. § 4 Abs. 1 des Tarifvertrages freizustellender Betriebsratsmitglieder. Dabei geht der Tarifvertrag davon aus, dass diese fünf Mitglieder vollbeschäftigte Arbeitnehmer sind, die vollständig von der beruflichen Tätigkeit freigestellt werden. Nur für maximal 50 Betriebsratsgremien kann gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages von dieser generellen Regelung abgewichen werden. Eine Abweichung ist jedoch ausweislich des Wortlauts nur dergestalt möglich, dass die Freistellung im Umfang eines Betriebsratsmitgliedes nur durch die jeweils vollständige Freistellung von zwei Teilkräften ersetzt werden kann. Ersichtlich wollten die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 4 die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder auf eine bestimmte Anzahl begrenzen, offensichtlich auch, um eine - mögliche - hohe Zahl von Teilfreistellungen mit dem damit für das Unternehmen verbundenen organisatorischen Aufwand zu verhindern. Aus Gründen der Einfachheit und der betriebswirtschaftlichen Übersichtlichkeit und um auch Teilzeitbeschäftigten eine Freistellung zu Betriebsratszwecken zu ermöglichen, wurde die Freistellung von Teilkräften auf 50 Betriebsratsgremien beschränkt und hier auf die Möglichkeit, nur eine Freistellung eines Vollzeitbeschäftigten durch die jeweilige volle Freistellung von lediglich zwei Teilkräften zu ersetzen.

Mit der Zuordnung der weiteren hälftigen Freistellung an die Arbeitnehmerin M hat der Betriebsrat bei der Wahl seiner freigestellten Mitglieder gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages verstoßen. Denn die Arbeitnehmerin M ist keine Teilkraft i. S. v. § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages, sondern eine vollbeschäftigte Arbeitnehmerin. Der Tarifvertrag gestattet - zulässigerweise - nicht die Teilfreistellung einer Vollzeitbeschäftigten neben der vollen Freistellung eines (hälftigen) Teilzeitbeschäftigten. Da nach dem Höchstzahlverfahren die ersten vier Freistellungen an die Liste "ver.di" gingen, durfte die noch zu besetzende fünfte Freistellungsposition jedenfalls nicht zwischen einer Teilkraft, hier dem Beteiligten zu 1), und einer Vollzeitkraft, hier der Arbeitnehmerin M, aufgeteilt werden.

2.3. Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 3) entfiel die fünfte Freistellung ausweislich des Ergebnisses der Wahl nach dem korrekt vorgenommenen Höchstzahlverfahren auf die Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter".

Sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift wertet der Tarifvertrag Nr. 4 vom 05.10.1995 in seinem § 4 Abs. 3 die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds grundsätzlich als sogenannte Vollfreistellung eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers. Dementsprechend haben die Beteiligten für die ersten vier Freistellungen bei ihrer Wahl, die auf die Liste "ver.di" entfielen, gehandelt. Nach dem Höchstzahlprinzip ist die fünfte Freistellung - mithin in Form einer vollen Freistellung eines Vollzeitbeschäftigten - auf die Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter entfallen. Da diese Liste keine Vollzeitbeschäftigten enthielt, hätte es den Vertretern dieser Liste oblegen zu entscheiden, wie die Zuteilung der Freistellung zu realisieren wäre. Es liegt in der vorliegenden Fallgestaltung auf der Hand, dass die Zuweisung einer Freistellung im Umfang einer vollbeschäftigten Kraft in Anspruch genommen wird, indem die beiden auf der Liste kandidierenden Teilzeitkräfte sich jeweils mit ihrer individuellen Arbeitszeit vollständig freistellen ließen. Dies gilt schon deswegen, weil eine entsprechende Handhabung durch § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages vom 05.10.1995 ausdrücklich akzeptiert wird.

Die Wahlentscheidung nach dem Höchstzahlverfahren wird missachtet, wenn das Freistellungsvolumen zugunsten einer Seite wie hier in unterschiedlichem Umfang auf beide kandidierenden Listen verteilt wird. Da im vorliegenden Fall gerade keine Persönlichkeitswahl, sondern eine Listenwahl vorgenommen wurde, ist eine gleichmäßige Zuteilung des Freistellungsvolumens unter den Listen unabdingbar. Das Verhältniswahlrecht wird daher verletzt, wenn bei Aufteilung einer Vollfreistellung auf mehrere teilweise Freistellungen diese Teilfreistellungen nicht der Liste zufallen, welcher die Vollfreistellung zufallen würde (ebenso Beschl. d. LAG Nürnberg v. 20.03.1997 - 5 TaBV 22/96 -, ZBVR 1998, S. 8 f.).

Dass die vorgenommene Aufteilung im Übrigen offenkundig fehlerhaft ist, erhellt schon daraus, dass nach Anlage 7 für den hier wahlberechtigten Betrieb nur fünf Betriebsratsmitglieder freigestellt werden dürfen, nicht aber wie hier geschehen, sechs Betriebsratsmitglieder. Dass die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages Nr. 4 nicht vorliegt, wurde bereits festgestellt.

Die Entscheidung der Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" für die vollständige Freistellung von zwei Teilzeitkräften widerspricht auch weder § 4 Abs. 3 Satz 1, noch § 4 Abs. 3 Satz 3 des Tarifvertrages Nr. 4. Denn gemäß Satz 1 von § 4 Abs. 3 des Tarifvertrages Nr. 4 ist die Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" durch die ihr zugewiesene fünfte Stelle der Freistellung grundsätzlich berechtigt, die Freistellung im Umfang einer vollbeschäftigten Arbeitskraft auf die jeweilige Vollfreistellung von zwei Teilkräften zu verteilen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine solche Aufteilung bereits bei insgesamt 50 Betriebsratsgremien des Unternehmens vorgenommen worden wäre. Im Übrigen bedarf die Aufteilung der Freistellung in diesem Sinne lediglich hinsichtlich ihrer Realisierung des Einvernehmens der Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat gem. § 4 Abs. 3 Satz 4 des Tarifvertrages Nr. 4. Damit steht ersichtlich nicht die Wahl selbst und die Entscheidung, ob eine Aufteilung der Freistellung auf Teilkräfte vorgenommen wird, unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. So haben die vorliegende Wahlentscheidung weder das Unternehmen noch der Gesamtbetriebsrat abgelehnt.

2.4. Schließlich verstößt die vorgenommene Wahl vom 28.05.2002, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, gegen das Erfordernis einer vorherigen Willensbildung des Betriebsrats zur vorzunehmenden Aufteilung der Freistellungen. Weder ausdrücklich, noch inzidenter, noch konkludent hat der Betriebsrat hier einen entsprechenden Beschluss gem. § 33 BetrVG gefasst.

Es kann dahingestellt bleiben zu entscheiden, ob der Betriebsrat in einer Wahlangelegenheit auch durch konkludentes, eindeutiges Verhalten einen Beschluss zur Aufteilung der Freistellungen in Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte fassen kann. Denn einen solchen Beschluss hat der Betriebsrat vorliegend nicht getroffen.

Wie das Arbeitsgericht im Einzelnen zu Recht dargelegt hat, lässt der unstreitige Wahlablauf nicht erkennen, dass eine wie auch immer geartete Einigung im Betriebsrat über die Verteilung der Freistellungen erfolgte. Dabei drängte sich eine vorherige Diskussion und Entscheidung darüber, wie die Freistellungen vorzunehmen sein sollte, schon deswegen auf, weil die Liste "Unabhängige Arbeitnehmervertreter" anders als die Liste "ver.di" nur teilzeitbeschäftigte Kandidaten aufgestellt hatte und diese daher nur unter den Voraussetzungen von § 4 Abs. 3 Satz 1 des Tarifvertrages Nr. 4 freigestellt werden durften. Unter diesen Umständen liegt auch entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin in der vorgenommenen Wahlentscheidung kein konkludenter Beschluss über die Art und Weise der vorzunehmenden Freistellungen.

Nach zutreffender Auffassung in der Literatur (vgl. Fitting/Kaiser/Heiter u. a., BetrVG, 21. Aufl., § 38 Rdnr. 13; Löwisch, Betriebsberater, 2001, S. 1743) hat der Betriebsrat vor der eigentlichen Wahl festzulegen, wie die regelmäßigen Freistellungen von Vollzeitbeschäftigten durch vollständige Freistellungen von Teilzeitbeschäftigten im Umfang ihrer Teilzeitbeschäftigung ersetzt werden sollen. Die Notwendigkeit eines solchen Beschlusses ergibt sich schon aus den Konsequenzen einer Aufteilung von Freistellungen für die Arbeit des Betriebsrats und für die Organisation des Betriebes, zu der der Arbeitgeber Einwände nach § 38 Abs. 2 Satz 4 BetrVG zu machen berechtigt ist.

3. Gem. § 92 Abs. 1 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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