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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 03.09.2003
Aktenzeichen: 1 Ta 45/03
Rechtsgebiete: BRAGO, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 11
BRAGO § 121
BRAGO § 123
BRAGO § 124
BRAGO § 124 Abs. 1
BRAGO § 124 Abs. 3
BRAGO § 124 Nr. 4
BRAGO § 128 Abs. 3
BRAGO § 128 Abs. 4
BRAGO § 128 Abs. 5
BRAGO § 130
ZPO §§ 114 ff
ZPO § 120 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 122 Abs. 1
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1
Eine Festsetzung von Differenzgebühren des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gem. § 124 Abs. 1 BRAGO findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht statt, da dort mangels Kostenvorschüssen keine eingezogenen Beträge, die die Gerichtskosten und die Rechtsanwaltsgebühren nach § 123 BRAGO übersteigen, entstehen können.
Landesarbeitsgericht Bremen BESCHLUSS

Aktenzeichen: 1 Ta 45/03

Bremen, den 03.09.2003

In dem Berufungsverfahren

Tenor:

Die zur Beschwerde gewordene Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 04.08.2003 - Az: 5 Ca 5408/02 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache durch rechtskräftiges Anerkenntnisurteil vom 21.11.2002 beendet worden. Am 31.07.2003 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Festsetzung und Erstattung von weiteren Gebühren gemäß § 124 BRAGO in Höhe von € 190,24. Das Arbeitsgericht Bremen lehnte dies durch Beschluss vom 04.08.2003 ab. Mit einem am 06.08.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hiergegen Erinnerung eingelegt. Dieser hat das Arbeitsgericht Bremen durch Beschluss vom 08.08.2003 nicht abgeholfen, sondern sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist der Ansicht, dass eine Festsetzung nach § 124 BRAGO vorzunehmen sei.

Er beantragt,

dem Antrag vom 30.07.2003 auf Festsetzung und der Erstattung der weiteren Vergütung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu entsprechen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zur Beschwerde gewordene Erinnerung ist gemäß den §§ 128 Abs. 3 und 4 BRAGO zulässig, jedoch unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zutreffenderweise die Festsetzung und Erstattung von Differenzgebühren gemäß § 124 BRAGO abgelehnt.

Aus § 124 Abs. 3 BRAGO ergibt sich, dass die weitere Vergütung erst dann festgesetzt wird, wenn das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung oder in sonstiger Weise beendet ist und die von der Partei zu zahlenden Beträge beglichen sind oder eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Partei erfolglos geblieben ist oder aussichtslos erscheint. Die Beendigung des Verfahrens - hier durch Anerkenntnisurteil - als erste Voraussetzung für die Festsetzung einer weiteren Vergütung ist erfüllt. Nicht erfüllt ist hingegen die zweite Voraussetzung, nämlich die Begleichung der von der Partei zu zahlenden Beträge. Die Klägerin hat bisher keine über die verminderten Gebühren gemäß den §§ 121, 123 BRAGO hinausgehenden Zahlungen an die Staatskasse geleistet. Für das Eingreifen der weiteren in § 124 Abs. 3 BRAGO genannten Alternative einer erfolglosen oder aussichtslosen Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Klägerin sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht nur jetzt noch keinen Anspruch auf Festsetzung der weiteren Vergütung, sondern ein derartiger Anspruch besteht nach Auffassung der Beschwerdekammer nach § 124 Abs. 1 BRAGO überhaupt nicht. Die Beschwerdekammer verkennt nicht, dass die überwiegende Rechtsprechung und Lehre die Ansicht vertritt, dass die Festsetzung auch der weiteren Gebühren entsprechend § 124 Abs. 1 BRAGO zulässig und geboten ist (vgl. OLG Nürnberg JurBüro 1989, 370; OLG Zweibrücken FamRZ 1987, 403; LAG Köln Rechtspfleger 1988, 381; OLG Nürnberg JurBüro 1989, 370; OLG Düsseldorf MDR 1989, 362; OLG Oldenburg JurBüro 1990, 232; LAG Hamm NZA-RR 1997, 444; LAG Frankfurt Beschluss v. 29. Februar 2000 Az: 9 Ta 53/00; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., Rdnr 7 zu § 124 BRAGO; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., Rdnr 2 zu § 124 BRAGO). Die Beschwerdekammer hat aber bereits durch Beschluss vom 04.08.1995 Az: 1 Ta 39/95 die von anderen Gerichten zu § 124 Abs. 1 BRAGO vertretene Auffassung geteilt, wonach § 124 Abs. 1 BRAGO keine Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen darstellt, zumindest für das arbeitsgerichtliche Verfahren (vgl. LAG Frankfurt MDR 1986, 1054; LAG Hamm Rechtspfleger 1987, 174; OLG Düsseldorf MDR 1988, 239; LAG Köln LAGE Nr. 8 zu § 120 ZPO; LAG Düsseldorf JurBüro 1989, 970; LAG Hamburg JurBüro 1991, 1098). An dieser Rechtsauffassung hält die Beschwerdekammer auch nach erneuter Überprüfung ebenso wie das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (vgl. Beschluss v. 27. März 2001 Az: 3 Ta 11/01 AnwBl 2002, 665) fest.

Der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt erhält seine gesetzliche Vergütung grundsätzlich gemäß § 121 BRAGO nur aus der Staatskasse in der in § 123 BRAGO geregelten Höhe. § 124 Abs. 1 BRAGO erweitert diesen Anspruch bis zur Höhe der Regelgebühr nach § 11 BRAGO, soweit die von der Landeskasse eingezogenen Beträge den Betrag übersteigen, der zur Deckung des Prozesskostenhilfeaufwandes nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erforderlich ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 124 Abs. 1 BRAGO ist deshalb nur die Verteilung eines durch die Einziehung tatsächlich erzielten Überschusses über den Prozesskostenaufwand nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geregelt, nicht aber wird darin ausdrücklich die Verpflichtung der Landeskasse hierzu oder darüber hinausgehend sogar die Verpflichtung zur Festsetzung der weiteren Vergütung abweichend von § 124 Abs. 3 BRAGO festgelegt. § 124 Abs. 1 BRAGO regelt danach nur die Verteilung eines auf welche Weise auch immer entstandenen Überschusses. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll dieser - jedenfalls solange, wie er nicht die Regelgebühren des Anwalts und die Gerichtskosten übersteigt - nicht an die Partei zurückgezahlt werden, sondern dem beigeordneten Rechtsanwalt zufließen. Dies erscheint logisch, weil der Überschuss der Staatskasse nicht zusteht und durch die tatsächliche Zahlung die hilfsbedürftige Partei gezeigt hat, dass sie zu dieser Zahlung in der Lage ist. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Überschuss nicht gegeben ist, ist daher aus § 124 Abs. 1 BRAGO der Umkehrschluss zu ziehen, dass der beigeordnete Rechtsanwalt nur die gesetzliche Vergütung nach § 123 BRAGO erhält.

Wie das Landesarbeitsgericht Hamburg in seinem bereits zitierten Beschluss vom 16. Mai 1991 Az: 2 Ta 4/91 zutreffend ausgeführt hat, würde eine Verpflichtung des Landes zur Einziehung und Festsetzung der weiteren Vergütung entsprechend § 124 Abs. 1 BRAGO zu einer Umgehung des § 124 Abs. 3 BRAGO führen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann sich im Regelfall kein Überschuss ergeben, weil Vorschüsse von den Parteien nicht eingefordert werden dürfen, so dass nachträgliche sich auf die Gebühren auswirkende Veränderungen (nachträgliche Streitwertminderung z.B.) im Rahmen der Einziehung der von der hilfsbedürftigen Partei zu zahlenden Raten bereits berücksichtigt werden können. Insoweit unterscheidet sich das arbeitsgerichtliche Verfahren vom zivilgerichtlichen Verfahren.

Aus den §§ 114 ff ZPO kann nicht entnommen werden, dass die hilfsbedürftige Partei mit den ihr auferlegten Raten Anwaltsgebühren abzudecken hätte, die über die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren hinausgehen. Wenn in § 120 Abs. 3 Nr. 1 ZPO geregelt ist, dass das Gericht die vorläufige Einstellung der Zahlungen bestimmen soll, wenn abzusehen ist, dass die Zahlungen der Partei "die Kosten" decken, so können darunter nur die Kosten verstanden werden, die infolge der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der Staatskasse zu tragen sind. Das sind nach § 122 Abs. 1 ZPO die Gerichtskosten und die auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei. Da der in § 130 BRAGO geregelte Anspruchsübergang sich der Höhe nach auf den Betrag beschränkt, den der Prozesskostenhilfeanwalt von der Staatskasse beanspruchen kann, handelt es sich bei den angesprochenen Anwaltskosten lediglich um die Gebühren nach § 123 BRAGO. § 120 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann nicht so verstanden werden, dass darin eine Einziehungsbefugnis bzw. eine Einziehungsverpflichtung zugunsten von im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälten geregelt ist. Eine Überbürdung der Durchsetzung des Differenzanspruches auf die Staatskasse wäre verfahrensfremd, da die Staatskasse typischerweise kein Einziehungsorgan für im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Anwälte ist. Solche Ansprüche sind keine auf die Staatskasse "übergegangenen" Ansprüche. Eine etwa entgegenstehende Absicht des Gesetzgebers hat keinen Niederschlag im Gesetz gefunden. Vielmehr spricht der Wortlaut der Vorschriften gegen, nicht für eine Einziehungspflicht der Staatskasse hinsichtlich der Differenzgebühren (vgl. LAG Schleswig-Holstein Beschluss v. 27. März 2001 Az: 3 Ta 11/01 AnwBl 2002, 665).

Im Übrigen würde sich - sofern man eine Einziehungsbefugnis der Staatskasse bejahen würde - eine Ungleichheit im Rahmen des Prozesskostenhilferechts ergeben. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenbestimmung würde nämlich zu einer echten Gebührenermäßigung nach den §§ 121, 123 BRAGO führen, während bei einer Prozesskostenhilfebewilligung auf Ratenbasis dann regelmäßig die maximal zulässigen 48 Monatsraten zu entrichten wären mit der Folge, dass die Prozesskostenhilfebewilligung im Falle des Unterliegens bzw. wegen fehlender Kostenerstattung im erstinstanzlichen Verfahren vor den Arbeitsgerichten letztlich nur einen Stundungseffekt hätte. Dass dies der Wille des Gesetzgebers war, ist im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommen (vgl. LAG Hamm MDR 1987, 258; LAG Hamburg JurBüro 1991, 1098). Da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Raten oder mit Ratenbestimmung von vielen Zufälligkeiten - wie etwa der Darlegung oder Glaubhaftmachung seitens der Partei - abhängt, wäre es unverständlich, wenn sich dies auch auf die Höhe der Gebühren des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalts auswirken könnte.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in dem zitierten Beschluss vom 27. März 2001 Az: 3 Ta 11/01 auf einen weiteren Gesichtspunkt hingewiesen. Bei einer weiteren Beitreibung der Raten bis zur Deckung der Wahlanwaltsgebühren könnte ein der Zielsetzung des Prozesskostenhilferechts widersprechendes Ergebnis entstehen: Zahlt die Partei nach Deckung der Gerichtskosten und der übergegangenen Anwaltsgebühren gemäß § 123 BRAGO die Raten nicht weiter, müsste die Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 4 ZPO aufgehoben werden. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein geht davon aus, dass das Gericht nicht berechtigt ist, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe in einem derartigen Fall aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat zur Begründung darauf hingewiesen, dass die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bewirkt, dass die Landeskasse gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur die Gerichtskosten und die auf sie übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei geltend machen kann. Das Gericht darf dann weitere Raten nicht einfordern. Wenn es aber weitere Kosten nicht mehr einfordern darf, ist es auch nicht berechtigt, die Prozesskostenhilfe wegen Nichtzahlung der nicht mehr einzufordernden Raten aufzuheben. Dieses Ergebnis hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in konsequenter Anwendung seiner Rechtsauffassung zu § 124 BRAGO gefunden. Aber selbst wenn man die von den anderen Gerichten und in der Kommentarliteratur vertretene andere Auffassung aufgrund der sonstigen rechtlichen Regelungen für vertretbar hielte, so zeigt die Regelung des § 124 Nr. 4 ZPO, dass diese Auffassung nicht richtig sein kann. Würde man die Differenzgebühren für von der Staatskasse durch Ratenzahlung einzuziehende Beträge halten, so müsste die Partei lediglich die weitere Ratenzahlung einstellen, um hiervon gegenüber der Staatskasse frei zu werden. Wenn man das Gericht für verpflichtet erachtet, die weiteren Beträge einzuziehen, so muss die Nichtzahlung der weiteren Beträge konsequenterweise auch zu einer Aufhebung der Bewilligung gemäß § 124 Nr. 4 ZPO führen können. In dem Fall würde § 124 Abs. 1 BRAGO leer laufen. Im Gegensatz zu der Auffassung des Beschwerdeführers wird dies durch die von ihm zuletzt zitierte Entwurfsbegründung zu § 124 BRAGO bestätigt. Dort wird auch auf die Möglichkeit einer Aufhebung der Prozesskostenhilfe und einer dann folgenden Beitreibung durch den Rechtsanwalt selbst hingewiesen. Deshalb ist die im Beschluss vom 10.12.1993 vom OLG Karlsruhe Az: 18 WF 64/93 (abgedruckt in FamRZ 1995, 495) zum Ausdruck gekommene Meinung und Begründung weiterhin abzulehnen; sie passt nicht zu den jetzigen Regelungen des Prozesskostenhilferechts und den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.

Nach allem war die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Gemäß § 128 Abs. 5 BRAGO bedurfte es keiner Kostenentscheidung, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.

Die Rechtsbeschwerde war gegen diesen Beschluss nicht zuzulassen (§ 78 ArbGG, § 574 ZPO). Denn die Beschwerde ist bereits deshalb unbegründet, weil die Festsetzung der weiteren Gebühren im vorliegenden Fall - wie ausgeführt - derzeit gemäß § 124 Abs. 3 BRAGO unzulässig ist.

Ende der Entscheidung

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