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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 3 Ta 22/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 4
KSchG § 5
Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage bei längerer krankheitsbedingter Abwesenheit, keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber auch im Inland während einer Krankheit den Aufenthaltsort bekannt zu geben.

1) Das Landesarbeitsgericht Bremen hält diese Auffassung des LAG Niedersachsen (LAGE § 4 KSchG Nr. 48), aus § 5 Abs. 1 EntgeltfortzG folge die Pflicht des Arbeitnehmers bei einer langandauernden Krankheit dem Arbeitgeber auch im Inland den Aufenthaltsort mitzuteilen, für unzutreffend.

Es schließt sich vielmehr der Auffassung des LAG Köln (LAGE § 5 KSchG Nr. 106a) und des LAG Berlin (LAGE § 4 KSchG Nr. 46) an, wonach eine Mitteilungspflicht bzgl. des inländischen Aufenthaltsortes auch bei längeren Erkrankungen nicht besteht.

2) Der Arbeitnehmer, der einem Freund den Auftrag gibt, seinen Briefkasten während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit vom Wohnort zu leeren, aber nur Behördenpost zu öffnen und ihm deren Inhalt am Telefon vorzulesen, alle anderen Briefe aber ungeöffnet in der Wohnung zu sammeln, verletzt seine nach § 5 KSchG ihm zuzumutende Sorgfaltspflicht; den Arbeitnehmer trifft ein Verschulden an der verspäteten Klagerhebung, wenn während seiner Abwesenheit ein Kündigungsschreiben per Einwurfeinschreiben eingeht, dieses dem Briefkasten von einem Beauftragten entnommen aber nicht geöffnet wird und erst nach seiner Rückkehr nach Ablauf der Dreiwochenfrist Klage erhoben wird.


Landesarbeitsgericht Bremen BESCHLUSS

Aktenzeichen: 3 Ta 22/05

In dem Beschwerdeverfahren

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 30.03.2005 - Az.: 1 Ca 1658/04 - wird auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben.

Gründe:

I.

Der Kläger ist seit dem 11.05.1998 bei der Beklagten als Helfer mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalt von ca. € 2.800,-- beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wurde mit Schreiben vom 25.10.2004 von der Beklagten zum 31.01.2005 gekündigt. Das entsprechende Einwurfeinschreiben wurde am 26.10.2004 in den Hausbriefkasten des Klägers durch den Briefträger eingeworfen.

Der Kläger ist seit Beginn des Jahres 2005 arbeitsunfähig erkrankt. Er befand sich vom 02.08.2004 bis einschließlich zum 06.09.2004 zu einer Kur in der Rehaklinik W. , die auf Grund einer Bandscheibenoperation, der der Kläger sich unterziehen musste, erforderlich war.

Nach seinem - von der Beklagten bestrittenen - Vortrag befand sich der Kläger vom 06.09.2004 bis einschließlich zum 09.12.2004 bei Frau H. V. in der H. Straße in Be. zur Pflege, da er auf Grund seiner Schmerzen nicht in der Lage war, seinen Haushalt in B allein zu führen.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe erst am 09.12.2004 das Kündigungsschreiben vom 25.10.2004 vorgefunden. Den Schlüssel zu seiner Wohnung habe die ganze Zeit Herr P. F. F. gehabt. Er habe Herrn F. angewiesen, wenn ein Brief von der Behörde komme, in diesem Fall vom Versorgungsamt, solle er ihn informieren. Dies habe Herr F. bezüglich eines Briefes vom Versorgungsamt vom 15.11.2004 auch getan. Daraufhin habe er ihn gebeten, den Brief sofort an seinen Arzt zu schicken. Auch dies habe Herr F. ausgeführt. Die restliche Post habe er selber bearbeiten wollen, wenn er wieder zu Hause sei. Dass eine Kündigung komme, habe er nicht ahnen können. Herr F. habe die ganze Post auf einem Stapel bei ihm zu Hause gesammelt, wie er ihn auch gebeten habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den Kläger für verpflichtet, während seiner Abwesenheit sicherzustellen, dass ihn an ihn gerichtete Post auch erreichen kann. Darüber hinaus habe die Beklagte ein an den Kläger gerichtetes Schreiben des Versorgungsamts B. am 29.11.2004 erreicht. Dieses Schreiben trage das Datum vom 15.11.2004, so dass der Kläger während dieser Zeit die Möglichkeit gehabt habe, die Post in Empfang zu nehmen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Der erstinstanzliche Beschluss wurde dem Kläger am 1. April 2005 zugestellt. Die sofortige Beschwerde des Klägers ging am 12. April 2005 beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven ein.

2. Die Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg.

a) Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung auch des Bundesarbeitsgerichts ist die Kündigungserklärung dann zugegangen, wenn der Arbeitgeber ein Kündigungsschreiben an die Wohnanschrift des urlaubs-, krankheits- oder kurabwesenden Arbeitnehmers richtet und der Brief in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen wird. Damit ist der Brief mit der Kündigungserklärung derartig in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er unter gewöhnlichen Umständen davon Kenntnis nehmen konnte. Die Abwesenheit hindert weder den Zugang, noch zögert sie ihn bis zur Rückkehr aus dem Urlaub hinaus (vgl. BAG EzA § 130 BGB Nr. 10; LAG Hamm LAGE § 5 KSchG Nr. 23; LAG Berlin LAGE § 130 BGB Nr. 8; KR-Friederich, 7. Aufl., § 4 KSchG Rdziff. 112).

Danach steht fest, dass die Kündigung dem Kläger durch Einwurfeinschreiben am 26.10.2004 zugegangen ist.

b) Nach § 5 KSchG ist auf Antrag des Klägers die Klage nachträglich zuzulassen, wenn der Kläger nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben.

§ 5 Abs. 1 KSchG stellt auf die dem Antragsteller zuzumutende Sorgfaltspflicht ab. Zu berücksichtigen sind die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers. Den Arbeitnehmer darf demnach kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung treffen. Da alle ihm zuzumutende Sorgfalt beachtet haben muss, darf ihm noch nicht einmal leichte Fahrlässigkeit vorwerfbar sein (vgl. LAG Berlin LAGE § 5 KSchG Nr. 13; APS-Ascheid, 2. Aufl., § 5 KSchG Rdziff. 10; KR-Friederich a.a.O., Rdziff. 13). Bei der Beurteilung der Frage des Verschuldens kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer, die nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt beachtet hat. Es ist demnach der konkret betroffene Arbeitnehmer in seiner ganz individuellen Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten zu beurteilen. Es gilt ein subjektiver Maßstab (vgl. Berkowsky NZA 1997, Seite 352 (354); APS-Ascheid, a.a.O., Rdziff. 10; KR-Friederich a.a.O., Rdziff. 12).

aa) Die Kammer folgt zwar grundsätzlich nicht dem LAG Niedersachsen, das in der Entscheidung vom 8. November 2002 - 5 Ta 257/02 = LAGE § 4 KSchG Nr. 48 - festgestellt hat, dass ein Arbeitnehmer, der nach Urlaubsende krankheitsbedingt nicht in seine Wohnung zurückkehren kann, Vorkehrungen zu treffen hat, dass ihm dort zugegangene Post nachgeschickt wird. Die Auffassung des LAG Niedersachsen aus § 5 Abs. 1 EntgeltfortzG folge die Pflicht des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber neben der Arbeitsunfähigkeit sowie deren Dauer auch den Aufenthaltsort unverzüglich mitzuteilen und diese Nebenpflicht gelte uneingeschränkt auch für eine Ortsabwesenheit, wie aus § 5 Abs. 2 EntgeltfortzG deutlich werde, hält die erkennende Kammer für nicht überzeugend. Diese Auffassung verkennt, dass die Pflicht des Arbeitnehmers, der sich im Ausland aufhält, dem Arbeitgeber u. a. den Aufenthaltsort mitzuteilen, einen völlig anderen Zweck hat und lediglich für die im Gesetz ausdrücklich genannten Fall, nämlich eines Aufenthalts im Ausland, die Meldepflicht vorgeschrieben wurde. Die Einführung dieser Meldepflicht im Ausland erklärt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Fall "Paletta". Der EuGH hat auf Grund seiner Interpretation des Gemeinschaftsrechts von den deutschen Arbeitsgerichten verlangt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eines ausländischen Arztes grundsätzlich zu akzeptieren. Es verwies in der Entscheidung AP Nr. 18 EWG-Verordnung Nr. 574/72 Nr. 1 allerdings darauf, dass Arbeitgeber gemäß Artikel 18 V der EWG-Verordnung Nr. 574/72 den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer vor Ort vom Arzt ihres Vertrauen untersuchen lassen könnten. Diese Möglichkeit war nach früher geltendem Recht praktisch nicht möglich, weil der Arbeitgeber nicht wusste und auch nicht zwangsweise in Erfahrung bringen konnte, wo sich der Arbeitnehmer aufhält. Der Bundesgesetzgeber hielt sich danach an die Empfehlung des EuGH durch nationale oder gemeinschaftliche Kodifikationmaßnahmen die Beurteilungslage des Arbeitgebers zu verbessern (vgl. zum Ganzen ErfK-Dörner, 5. Aufl., § 5 EfzG, Rdziff. 50). Die Verpflichtung des Arbeitnehmers besteht deshalb nur im Ausland (argumentum e contrario). Für das Inland hat der Gesetzgeber gerade keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, seinen Aufenthaltsort dem Arbeitgeber bei Krankheit anzugeben, normiert. Aus dieser speziellen - auf dem Fall "Parletta" beruhenden - Gesetzesänderung eine allgemeine Verpflichtung des Arbeitnehmers abzuleiten, dem Arbeitgeber grundsätzlich, also auch im Inland, bei Krankheit seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben, hält die erkennende Kammer für unzulässig. Im Gegenteil, mit dem LAG Köln (LAGE § 5 KSchG Nr. 106 a) und dem LAG Berlin (LAGE § 4 KSchG Nr. 46) ist auch die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Bremen der Auffassung, dass der Arbeitnehmer verreisen, seinen Aufenthalt frei wählen kann, wenn er länger arbeitsunfähig erkrankt ist, da er seine Arbeitsleistung nicht zu erbringen hat und sich deshalb jedenfalls aus Gründen des Arbeitsverhältnisses nicht am Wohnort aufzuhalten hat und seine Anschrift nicht dem Arbeitgeber angeben muss.

bb) Wenn die Kammer im vorliegenden Fall, dennoch den Kläger für verpflichtet hielt, für die Möglichkeit der Kenntnisnahme aller ihm zugehender Post zu sorgen, so sind für diese Auffassung die Umstände des Einzelfalles Ausschlag gebend.

Der Kläger hat nämlich nach seinem eigenen Vortrag Vorkehrungen zur Kenntnisnahme von Postsendungen getroffen, die dazu führen, dass die Kammer nicht davon ausgehen kann, dass den Kläger kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung trifft.

Der Kläger hat einem Freund den Auftrag gegeben, seinen Briefkasten zu leeren und einen Teil seiner Post, "die Post einer Behörde im grauen Umschlag", aufzumachen und ihm am Telefon vorzulesen, damit Anweisungen zur Einleitung weiterer erfoderlicher Maßnahmen gegeben werden konnten. Der Kläger wusste also, dass es wichtige Post gab, deren Bearbeitung keinen Aufschub duldete und er rechnete mit solcher Post. Der Kläger war, wenn er subjektiv in der Lage war zu erkennen, dass ihn wichtige Post erreichen konnte, auch verpflichtet dafür zu sorgen, dass alle Briefe, die nicht erkennbar nur Werbung o.ä. enthielten, ihm mitgeteilt wurden. Der Kläger musste sich zumindest am Telefon von seinem Freund, der den Briefkasten leerte, die Absenderangaben mitteilen lassen, um dann weitere Anweisungen zum Aufmachen der Briefe, zum Nachsenden etc. geben zu können. Die selektiven Vorkehrungen, die der Kläger vorgenommen hat, um nur bestimmte, eng eingegrenzte Post telefonisch bearbeiten zu können, bedeuten eine schuldhafte Verhinderung der Kenntnisnahme des Zugangs einer Kündigung und damit an einer rechtzeitigen Klageerhebung. Der Arbeitnehmer, der einen Dritten beauftragt den Briefkasten zu leeren und ihm bestimmte Briefe von Behörden vorzulesen, muss in gleichem Umfange Vorkehrungen dafür treffen, dass ihm bei langer Krankheit auch Briefe des Arbeitgebers - in diesem Fall sogar noch ein Einschreibebrief - erreichen. Wenn schon Vorsorge getroffen wird, dass wichtige Briefe den abwesenden Arbeitnehmer erreichen, muss diese Vorsorge umfassend getroffen werden. Eine selektive Auswahl ist schuldhaft. Ein Grund für eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist in diesem Fall nicht gegeben.

Nach allem war die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.

Bremen, den 30.06.2005

Ende der Entscheidung

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