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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.06.2000
Aktenzeichen: 4 Sa 535/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611 Befristung
Beschäftigt ein Arbeitgeber über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren einen Arbeitnehmer mit neun aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen, hat dies die Unwirksamkeit des letzten befristeten Arbeitsvertrages zur Folge, wenn der in dem letzten befristeten Arbeitsvertrag angegebene Befristungsgrund - hier: prognostizierte Rückkehr eines beurlaubten Angestellten auf seinen Arbeitsplatz - bei Ablauf der Befristung nicht eintritt. In diesem Falle ist es dem Arbeitgeber verwehrt, eine unbefristete Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter Hinweis auf andere, bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages nicht vorliegende Gründe zu verweigern.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 535/00

Verkündet am: 21.06.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Peter als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Glombik und den ehrenamtlichen Richter Wiese für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 10.02.2000 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin (51 Jahre alt) ist beim beklagten Land (im Versorgungsamt E.ss) seit dem 01.11.1979 als Verwaltungsangestellte tätig.

Bis zum 30.06.1989 betrug die Arbeitszeit der Klägerin die Hälfte der im BAT bestimmten wöchentlichen Arbeitszeit.

Seit dem 01.07.1989 wurde die Arbeitszeit der Klägerin ­ durch 9 aufeinanderfolgende befristete Verträge ­ auf Vollzeit aufgestockt.

Der letzte befristete Vertrag wurde für den Zeitraum vom 01.04.1998 bis zum 02.04.2000 geschlossen (vgl. Bl. 24 f. d. A.). Als Befristungsgrund wurde angegeben:

Aushilfsangestellte zur Vertretung bzw. mittelbaren Vertretung auf der Stelle der gemäß § 15 b I BAT beurlaubten Angestellten G.rimbe.

Mit Schreiben vom 12.11.1999 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass zum 02.04.2000 die Vollzeittätigkeit beendet und die Klägerin wieder in die (unbefristete) Teilzeittätigkeit einrücken würde.

Vorausgegangen war, dass auf Wunsch der Klägerin der hälftige unbefristete Arbeitsvertrag vom 02.11.1979 mit Wirkung vom 01.07.1989 jeweils um befristete Arbeitsverträge mit der weiteren Hälfte der tariflichen Arbeitszeit aus unterschiedlichen Sachgründen für die Befristung ergänzt worden war.

Das beklagte Land hat die Ablehnung einer Weiterbeschäftigung der Klägerin damit begründet, dass es früher tatsächlich möglich und rechtlich zulässig war, befristete Arbeitsverträge oder befristete Teilzusatzverträge bei entsprechenden Vertretungsmöglichkeiten zu verlängern, dies nunmehr seit 1999 aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht mehr zulässig sei, da aufgrund der Neuordnung der Versorgungsverwaltung des Landes N.ordrhein-Westfale ca. 800 Planstellen mit sogenannten KW-Vermerken (künftig wegfallend) versehen worden seien. Dies sei auch sachlich gerechtfertigt, da der Arbeitsanfall in der Versorgungsverwaltung zurückgegangen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß Arbeitsvertrag vom 23.01.1998 über den 02.04.2000 hinaus zu unveränderten Bedingungen unbefristet fortbesteht.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Mit der zulässigen Berufung verfolgt das beklagte Land das Ziel der Klageabweisung weiter und weist in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hin, dass die vom Arbeitsgericht gegebene Begründung nicht der Rechtsprechung des 7. Senats entspreche. Entscheidend sei, dass bei Abschluss des zuletzt befristeten Arbeitsvertrages ein Sachgrund bestanden habe und nunmehr aus den dargelegten Gründen eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht mehr möglich sei.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts vom 10.02.2000 abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen und hilfsweise, das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin zu den Bedingungen des letzten Anstellungsvertrages vom 23.01.1989 wieder einzustellen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil erster Instanz und weist darauf hin, das zumindest ein Wiedereinstellungsanspruch gerechtfertigt sei.

Das beklagte Land beantragt,

auch insoweit den Antrag zurückzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des beklagten Landes ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage entsprochen.

Dabei lässt die Kammer dahinstehen, ob der Auffassung des Arbeitsgerichts im Hinblick auf die Entscheidung des 7. Senats (AP Nr. 124 Zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag), wonach eine Befristung zur Vertretung in den Fällen sachwidrig sein kann, in denen sich dem Arbeitgeber nach dem objektiven Geschehensablauf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hätten erhebliche Zweifel daran aufdringen müssen, ob der zu vertretende Mitarbeiter seine Tätigkeit überhaupt oder in unverändertem Umfange wieder aufnehmen wird, gefolgt werden kann. Zwar haben vorliegend unstreitig anlässlich der letzten Befristung des Arbeitsvertrages keine Gespräche zwischen der Klägerin und dem beklagten Land darüber stattgefunden, aufgrund welcher Umstände eine Rückkehr der zu Vertretenden nach Ablauf des Endes des befristeten Arbeitsvertrages zu erwarten gewesen ist. Jedoch werden solche Gespräche nach Überzeugung der Kammer letztlich erfolglos bleiben, da der Arbeitnehmer überhaupt nicht weiß, wie sich seine persönliche Lebenssituation bei Ablauf der Befristung darstellen wird, so dass unter diesem Gesichtspunkt gerade keine erheblichen Zweifel im Sinne der Rechtsprechung bestehen dürfen.

Vorliegend erweist sich jedoch die Klage deshalb als begründet, weil nach Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles die Berufung des beklagten Landes auf das Ende der Befristung gerade angesichts der Vielzahl befristet abgeschlossener Arbeitsverträge in der Vergangenheit sich als rechtsmissbräuchlich erweist.

Im Einzelnen beruht diese Wertung der Kammer auf folgenden Erwägungen:

1. Ausgangspunkt ist, dass durch die Rechtsprechung des 7. Senats im öffentlichen Dienst der Abschluss befristeter Arbeitsverträge praktisch zum Regelfall erhoben werden kann und der vom 7. Senat herausgestellte Grundsatz (statt aller Urteil vom 24.09.1997 ­ 7 AZR 694/96 ­), wonach mit zunehmender Dauer der Beschäftigung bei dem selben Arbeitgeber die Anforderungen an den Sachgrund steigen, in der Praxis sich als Lehrformel erweist, da er ohne Auswirkungen ist: Ein Arbeitnehmer wird, wie vorliegend dargelegt, in der Regel gar nicht abschätzen können, ob seine Rückkehr bei Ablauf des befristeten Arbeitsvertrages zu erwarten ist, so dass unter diesem Gesichtspunkt letztlich eine Prognose nicht gestellt und nicht verlässlich abgeklärt werden kann.

Berücksichtigt man weiterhin, dass nach der Rechtsprechung des 7. Senats (vgl. etwa Urteil vom 24.09.1997 a. a. O.) die aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer zugewiesene Stelle nicht einer vorübergehend freien Planstelle oder einem Planstellenteil konkret entsprechen muss, hat dies zwangsläufig zur Folge, dass damit im öffentlichen Dienst die Befristung zum Regelfall werden kann, weil es letztlich aufgrund der Vielzahl von Vertretungsfällen stets irgendwelche vorübergehend nicht besetzte Planstellen" geben wird, die als Befristungsgrund für den jeweiligen konkret abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrag herhalten.

2. Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, den jeweiligen Umständen des Einzelfalles dadurch Rechnung zu tragen, dass die Berufung auf den zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrag daraufhin überprüft wird, ob sie im Hinblick auf den vereinbarten Sachgrund angesichts der Vielzahl der abgeschlossenen Arbeitsverträge in der Vergangenheit sich als rechtsmissbräuchlich erweist, um auf diese Weise einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des befristet angestellten Arbeitnehmers einerseits und dem Interesse des Arbeitgebers an dem Abschluss befristeter Arbeitsverträge andererseits zu erzielen.

a) Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Vielzahl von Entscheidungen herausgestellt, dass die Berufung auf den Fristablauf in bestimmten Fällen rechtsmissbräuchlich sein kann. So stellt es etwa eine unzulässige Rechtsausübung danach dar (vgl. BAG EzA Nr. 5 zu § 620 BGB) wenn in dem Falle, in dem ein Arbeitnehmer zur Probe befristet eingestellt wird, der Arbeitgeber sich auf den Ablauf der Probezeit nur deshalb beruft, weil im Laufe der Probezeit eine Schwangerschaft eingetreten ist. Allgemein wird in Fallgestaltungen, in denen ein Arbeitgeber trotz Erfüllung der von ihm selbst gesetzten Voraussetzungen die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses mit dem betreffenden befristet eingestellten Arbeitnehmer ablehnt, ein Rechtmissbrauch angenommen (vgl. dazu die Fälle BAG EzA Nr. 116 und Nr. 133 zu § 620 BGB). Letztlich erscheint als tragender Grund dieser Rechtsprechung die Selbstbindung des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber gibt dadurch, dass er einen bestimmten Grund für die von ihm vereinbarte Befristung angibt, dem Arbeitnehmer gegenüber unmissverständlich zu erkennen (§ 133 BGB) und weckt demgemäss eine entsprechende rechtlich begründete Erwartung des Arbeitnehmers, bei Nichtvorliegen des angegebenen Grundes oder bei Erfüllung der vom Arbeitgeber festgelegten Voraussetzungen unbefristet eingestellt bzw. weiterbeschäftigt zu werden. Denn anderenfalls hätte der Arbeitgeber die Befristung objektiv funktionswidrig verwandt. Diese Überlegungen gelten aber erst recht in den Fällen, in denen nach der Rechtsprechung des 7. Senats die Anforderungen an den Sachgrund der Befristung aufgrund einer mit zunehmender Dauer der arbeitsvertraglichen Beziehungen wachsenden Abhängigkeit und Sozialschutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers steigen.

Gerade in solchen Fällen muss daher der Gedanke der Selbstbindung des Arbeitgebers besondere Bedeutung gewinnen, will man nicht aus den Augen verlieren, dass letztlich der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages nach der Rechtsordnung die Ausnahme von dem Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge ist.

b) Überträgt man diese Überlegungen auf den vorliegenden Streitfall, ist herauszustellen, dass das beklagte Land durch den zuletzt abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrag zu erkennen gegeben hat, die Klägerin wäre unbefristet eingestellt worden, wenn bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages bekannt gewesen wäre, dass der Stelleninhaber, der vertreten wird, nicht zurückkehren würde. Tritt aber nun gerade dieser Fall ein, ist es dem beklagten Land verwehrt, sich nunmehr auf einen anderen Grund, nämlich darauf zu berufen, der befristete Arbeitnehmer könne deshalb nicht weiterbeschäftigt werden, weil nunmehr das beklagte Land zur Reduzierung von Stellen aus betrieblichen Gründen gezwungen ist.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet wird vorliegend das Rechtsinstitut der Befristung objektiv funktionswidrig und damit rechtsmissbräuchlich verwandt, wenn das beklagte Land einerseits Arbeitnehmer befristet zur Vertretung anderer Arbeitnehmer einstellt unter Zuordnung auf eine zwangsläufig stets freie, weil vorrübergehend nicht besetzte Planstelle irgendeines anderen Arbeitnehmers in einem anderen Bereich, dann aber zugleich andererseits, besteht der Vertretungsfall weiter, eine Weiterbeschäftigung aus anderen Gründen ablehnt und damit im Ergebnis die Befristung missbraucht, um ­ unabhängig von dem angegebenen Sachgrund der Befristung selbst ­ das Eingehen unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse zu verhindern. Dies muss jedenfalls in den Fällen gelten, in denen ­ wie vorliegend ­ durch eine Vielzahl befristeter Arbeitsverträge das Vertrauen des Arbeitnehmers geweckt wurde, im Falle der Nichtrückkehr des Stelleninhabers unbefristet weiterbeschäftigt zu werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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