Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.06.2000
Aktenzeichen: 5 Sa 591/00
Rechtsgebiete: BGB, EFZG


Vorschriften:

BGB § 611
EFZG § 4 a
Zu den Sondervergütungen im Sinne des § 4 a EFZG gehören regelmäßig auch quartalsweise gezahlte Anwesenheitsprämien.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 5 Sa 591/00

Verkündet am: 29.06.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29.06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Göttling als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Rieger und den ehrenamtlichen Richter Ballast für Recht erkannt:

Tenor:

1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 29.02.2000 - 8 Ca 5641/99 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 361,32 brutto nebst 4 % Zinsen von jeweils DM 180,66 brutto seit dem 16.05.1999 und 16.11.1999 zu zahlen. 2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. 3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, eine dem Kläger in Aussicht gestellte Sonderprämie vollständig nicht zur Auszahlung zu bringen.

Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 20.11.1995 seit dem 20.11.1995 bei der Beklagten als Werkstatthelfer beschäftigt. Die Beklagte zahlt allen Arbeitnehmern seit mehreren Jahren eine freiwillige Sonderprämie von DM 500,-- pro Quartal, wenn sie im vorhergehenden Quartal uneingeschränkte Arbeitsleistungen erbracht haben. Bei unentschuldigter Abwesenheit oder unentschuldigten Arbeitsunfähigkeitszeiten entfällt die Sonderprämie und wird auch nicht anteilig gezahlt.

Im Jahre 1999 war der Kläger vom 16.02. bis 15.05.1999 sieben Tage und im Zeitraum vom 16.08. bis 15.11.1999 erneut sieben Tage arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte ihm deshalb die zum 15.05. bzw. 14.11.1999 fällige Sonderprämie von jeweils DM 500,-- nicht.

Mit seiner am 23.12.1999 beim Arbeitsgericht Wuppertal anhängig gemachten Klage hat der Kläger die Zahlung von insgesamt DM 361,32 brutto geltend gemacht.

Er hat die Auffassung vertreten, bei der von der Beklagten versprochenen Prämie handele es sich um eine Sondervergütung im Sinne des § 4 a EFZG, die aus Anlass von Arbeitsunfähigkeitszeiten nur in dem dort vorgesehen Umfang gekürzt werden könnte. Der Kläger hat hieraus für die beiden Krankheitsperioden eine Nachzahlung in der zwischen den Parteien unstreitigen Höhe von jeweils DM 180,66 brutto errechnet und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 361,32 brutto zu zahlen zuzüglich 4 % Zinsen von jeweils DM 180,66 seit dem 16.05. und 16.11.1999.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, bei der von ihr freiwillig gewährten Prämie handele es sich gerade nicht um eine im Krankheitsfall kürzbare Sondervergütung. Vielmehr sei das uneingeschränkte Erbringen der Arbeitsleistung Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung der Prämie überhaupt; eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen im Sinne des § 4 a EFZG liege nicht vor.

Mit Urteil vom 29.02.2000 hat die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Wuppertal - 8 Ca 5641/99 - die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die von der Beklagten gezahlte Prämie falle nicht in den Anwendungsbereich des § 4 a EFZG. Sie werde nämlich vom Arbeitgeber auf völlig freiwilliger Basis gezahlt und solle die nicht durch Krankheit unterbrochene Anwesenheit der Arbeitnehmer belohnen. Würde man auch hier eine Kürzung nur im Rahmen des § 4 a EFZG zulassen, würde letztlich der Zweck der freiwilligen Leistung mit der Folge verfehlt, dass wohl alle Mitarbeiter zukünftig auf die Prämie zu verzichten hätten.

Der Kläger hat gegen das ihm am 31.03.2000 zugestellte Urteil mit einem am 20.04.2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 18.05.2000 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er wiederholt im Wesentlichen seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und meint auch weiterhin, dass § 4 a EFZG anzuwenden sei, da Zweck der Prämie erkennbar die Verringerung von Fehlzeiten wäre.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 361,32 DM brutto zu zahlen, zzgl. 4 % Zinsen von jeweils 180,66 DM seit dem 16.05. und 16.11.1999.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus der ersten Instanz. Sie verweist vor allem auf den freiwilligen Charakter der Sonderprämie und ihre damit verbundene Berechtigung, die Prämienentstehungsvoraussetzungen jederzeit zu ändern oder aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft, wegen der ausdrücklichen Zulassung im erstinstanzlichen Urteil auch zulässig sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).

II.

Auch in der Sache selbst hatte das Rechtsmittel Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien und der Zusage der Beklagten, quartalsmäßig eine Sonderprämie auszuzahlen, Anspruch auf Zahlung von jeweils DM 180,66 brutto. Die Beklagte war verpflichtet, am 15.05. bzw. 14.11.1999 die genannten Beträge als Restprämie auszuzahlen, weil eine vollständige Kürzung wegen § 4 a EFZG nicht möglich gewesen ist.

1. Nach der vorgenannten Norm ist eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Allerdings darf die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit 1/4 des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten. Die Voraussetzungen, die § 4 a EFZG zur Beschränkung der Kürzungsmöglichkeiten vorsieht, sind auch bei Auszahlung der von der Beklagten versprochenen Anwesenheitsprämie zu beachten. Dies ergibt eine umfassende Auslegung der zum 01.10.1996 neu in das Entgeltfortzahlungsgesetz aufgenommenen Vorschrift.

2. Bei der Auslegung von Gesetzen ist zunächst vom Gesetzeswortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Beim nicht eindeutigen Gesetzeswortlaut ist der wirkliche Wille des Gesetzgebers mitzuberücksichtigen, soweit er in den gesetzlichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den gesetzlichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen des Gesetzgebers liefert und nur so Sinn und Zweck der Gesetzesnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, gegebenenfalls auch die praktische Gesetzesübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Gesetzesauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. etwa: BAG, Urteil vom 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 - BB 2000, 311; BAG, Urteil vom 14.04.1999 - 4 AZR 189/98 - n. v.).

2.1 Bereits der zunächst zu berücksichtigende Gesetzeswortlaut ist eindeutig und schließt eine Anwendung auf die von der Beklagten gezahlte Anwesenheitsprämie jedenfalls nicht aus. § 4 a EFZG definiert den Begriff der Sondervergütung dahingehend, dass es sich um eine Leistung handelt, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt. Es entspricht allgemeiner Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass hiermit alle zusätzlichen Leistungen gemeint sind, die sich nicht als ein Äquivalent zur eigentlichen Arbeitsleistung darstellen (vgl. statt aller: Kaiser/Dunkl/ Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl., § 4 a, Rz. 8, m. w. N.).

Dabei spielt es keine Rolle, dass die Anwesenheitsprämie der Beklagten quartalsmäßig insgesamt viermal im Jahr erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um Zusatzzahlungen zum eigentlichen Arbeitsentgelt handelt, so dass auch mehrere Einmalzahlungen im Laufe eines Jahres möglich sind (Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 4. Aufl., § 4 a, Rz. 14; Hanau, RdA 1997, 205).

2.2 Die Systematik und der Sachzusammenhang, in denen sich § 4 a EFZG befindet, nötigt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. § 4 Abs. 1 EFZG, der die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts regelt, stellt zunächst auf das Arbeitsentgelt ab, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehen würde. § 4 Abs. 1 a EFZG differenziert dann weiter und verbietet zum Beispiel die Berücksichtigung von Überstundenentgelt und sonstigem Aufwendungsersatz. Wenn dann in § 4 a EFZG zusätzlich gezahlte Sondervergütungen angesprochen werden, so belegt dies die Absicht des Gesetzgebers, den Begriff der Sondervergütung umfassend darzustellen. Anderenfalls hätte er, wie etwa in § 4 Abs. 1 a EFZG, konkretere Bezeichnungen gewählt und nicht auf den weiten Begriff der Sondervergütung abgestellt.

2.3 Vor allem Sinn und Zweck der Gesetzesvorschrift sprechen gegen die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung, der sich das Arbeitsgericht angeschlossen hat.

Bereits vor Einführung des § 4 a EFZG war in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - wenn auch mit differenzierter Begründung und Ausgestaltung - anerkannt, dass eine Kürzung von Anwesenheitsprämien in angemessenem Umfang zulässig sein musste. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt betont, dass es der Zweck einer Anwesenheitsprämie sei, dem Arbeitnehmer einen Anreiz zu bieten, die Zahl seiner - berechtigten oder unberechtigten - Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten, indem jeder Fehltag zum Verlust eines Teils der Sonderzahlung führt (BAG, Urteil vom 26.10.1994 - 10 AZR 482/93 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; BAG, Urteil vom 15.02.1990 - 6 AZR 381/88 - AP Nr. 15 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; vgl. auch: BAG, Urteil vom 05.08.1992 - 10 AZR 88/90 - AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation und BAG, Urteil vom 12.05.1993 - 10 AZR 528/91 - AP Nr. 156 zu § 611 BGB Gratifikation).

Gerade diese Anreizfunktion hat aber auch nach Darstellung der Beklagten die von ihr gewährte Prämie, die sie quartalsmäßig zur Auszahlung brachte. Sie sollte zu einer Verminderung der Krankheitszeiten führen und verfolgte damit genau das Ziel, dass der seit dem 01.10.1996 geltenden gesetzlichen Regelung in § 4 a EFZG zugrunde liegt. Dabei kann es nach Auffassung der erkennenden Kammer keine Rolle spielen, ob eine zugesagte Prämie entsprechend vertraglicher Vereinbarungen gekürzt wird oder gar nicht erst zur Auszahlung gelangt. Auch im letzteren Fall kommt es dem die Prämie versprechenden Arbeitgeber erkennbar darauf an, die Krankheitsquote im Betrieb zu senken und die Arbeitnehmer zu belohnen, die möglichst wenig oder gar nicht arbeitsunfähig erkranken (so auch: Schmitt, a. a. O., Rz. 15; Giesen, RdA 1997, 193; a. A.; Bauer/Lindemann, BB 1996, Beilage 17, Seite 8 f).

2.4 In diesem Zusammenhang muss auch die Entstehungsgeschichte des § 4 a EFZG herangezogen werden, die das bisher gefundene Auslegungsergebnis noch unterstreicht.

Es ist bereits oben darauf hingewiesen worden, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch vor der Einführung des § 4 a EFZG möglich und zulässig war, Anwesenheitsprämien zu vereinbaren, die im Krankheitsfalle in beschränktem Maße gekürzt werden konnten (BAG, Urteil vom 26.10.1994, a. a. O.). Wenn der Gesetzgeber in Ansehung dieser, vom Grundsatz her gefestigten Rechtsprechung Veranlassung sah, auf deren Basis gesetzliche Regeln und Voraussetzungen festzulegen, so war er hierdurch erkennbar bestrebt, die bis dahin geltende Rechtslage zu übernehmen und abzusichern. Das Gesetz verfolgte damit in erster Linie den Zweck, noch bestehende Unklarheiten in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu beseitigen und durch die Festlegung der Höhe der Kürzungsmöglichkeiten für Rechtssicherheit zu sorgen (Schmitt, a. a. O., Rz. 13, m. w. N.). Gerade dieser zuletzt angesprochene Aspekt belegt deshalb deutlich, dass der Begriff Sondervergütung in § 4 a EFZG auch Anwesenheitsprämien der von der Beklagten gezahlten Art umfassen sollte, zumal gerade sie in der bis dahin gültigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte als kürzbar bezeichnet worden waren.

2.5 Steht demnach fest, dass die vom Kläger begehrte Anwesenheitsprämie gekürzt werden durfte, allerdings nur in dem sich aus § 4 a Satz 2 EFZG ergebenden Umfang, so kann die Beklagte dem schließlich nicht entgegenhalten, dass der mit der Zahlung verfolgte Zweck verfehlt werde. Der Beklagten wie auch dem Arbeitsgericht ist zwar einzuräumen, dass bei vollständiger Kürzung der Prämie der Anreiz für die Arbeitnehmer, Fehltage zu vermeiden, erheblich größer wird. Andererseits ist aber festzuhalten, dass eine auch nur quotenmäßige Kürzung, die den Vorgaben des § 4 a Satz 2 EFZG folgt, genauso sachgerecht, zweckorientiert und praktisch brauchbar bleibt. Jeder Arbeitnehmer, der wegen eines berechtigten oder unberechtigten Fehltags finanzielle Nachteile erleidet, wird sich auch zukünftig überlegen, ob er dem Anreiz der vollständigen Prämienauszahlung folgt oder die für ihn negativen Konsequenzen akzeptiert. Mit anderen Worten: Sinn und Zweck der Anwesenheitsprämie der Beklagten werden auch bei Anwendung des § 4 a EFZG nicht negiert und bieten auch weiterhin die durchaus vernünftige Möglichkeit, den Krankenstand bei der Beklagten in einem angemessenen Rahmen zu halten.

3. Die vom Kläger vorgenommene Berechnung der ihm zustehenden Restprämie ist von der Beklagten nicht substantiiert bestritten worden, so dass die Höhe des Klageanspruchs letztlich unstreitig ist, § 138 Abs. 3 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück