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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: 10 Sa 1321/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Spricht ein Arbeitnehmer über einen in der ehemaligen DDR geborenen und dort lebenden Vorgesetzten von einer "Scheiß Stasimentalität", sind diese Worte an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Denn mit dem Hinweis auf eine "Stasimentalität" wird eine nicht hinnehmbare Verbindung zu den menschenverachtenden Methoden des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hergestellt; der betroffene Vorgesetzte wird mit diesem Wort ganz erheblich in seiner Ehre beeinträchtigt. Allerdings ist es abwegig, das Wort "Scheiß" mit dem Wort "Arschloch" gleichzusetzen; spricht der Arbeitnehmer von "Scheiß Stasimentalität", bringt er drastisch zum Ausdruck, dass er die "Stasimentalität" als besonders zu verachtende Verhaltensweise ansieht.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 1321/06

Verkündet am 05. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 05.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Beseler als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Kaulmann und den ehrenamtlichen Richter Hansen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 14.09.2006 - 4 Ca 1047/06 - und der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im zweiten Rechtszug über die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung der Beklagten vom 29.05.2006. Die Beklagte begründet ihre Kündigung in der Berufungsinstanz im Wesentlichen nur noch mit dem Vorwurf, der Kläger habe im Frühjahr 2006 gegenüber der Mitarbeiterin U. von « Scheiß Stasimentalität » gesprochen und damit die im Gebiet der ehemaligen DDR geborenen und dort lebenden Geschäftsführer der Beklagten gemeint. Wegen des weiteren Sach- und Streitgegenstandes wird auf den Tatbestand des von der Beklagten mit ihrer Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Oberhausen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers und seine Klage auf Weiterbeschäftigung stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung. Sie meint, die Kündigung sei rechtens, zumal der Kläger mit seinem Wort "Scheiß" eine sog. derb emotionale Abwertung wie das Wort "Arschloch" ausgedrückt habe und der Hinweis auf eine "Stasimentalität" für die Geschäftsführer der Beklagten eine grobe Entgleisung dargestellt habe.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, und stellt hilfsweise den Antrag, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung und den Hilfsantrag zurückzuweisen. Er verteidigt die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts und stellt entschieden in Abrede, sich in der von der Beklagten behaupteten Weise geäußert zu haben.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben; wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 05.03.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden. Der Auflösungsantrag konnte ebenfalls keinen Erfolg haben.

I.

Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.05.2006 ist unbegründet.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass nur unter engen Voraussetzungen die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtens ist. Die Kammer verweist auf die zutreffenden Ausführungen und macht sie sich ausdrücklich zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Auch ist anerkannt (vgl. statt aller BAG Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98, juris), dass Beleidigungen durch den Arbeitnehmer, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den betroffenen Arbeitgeber bedeuten, als Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis an sich zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet sind; der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG ) berufen; entsprechendes gilt für bewusst wahrheitswidrig aufgestellte ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, etwa wenn sie den Tatbestand einer üblen Nachrede ausfüllen (vgl. z.B. BAG Urteil vom 26.05.1977 - 2 AZR 632/76, BAGE 29, 195, BAG Urteil vom 06.02.1997 - 2 AZR 38/96, RzK I 6a Nr. 146 zu II 1 c der Gründe m.w.N; BAG Urteil vom 21. 01.1999 - 2 AZR 665/98, AP BGB § 626 Nr. 151 = EzA BGB § 626 nF Nr. 178 zu II 2 der Gründe). Dies beruht darauf, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen schützt ( BVerfG Urteil vom 10.10.1995 - 1 BvR 1476/91 u.a., BVerfGE 93, 266; BVerfG Urteil vom 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96, BVerfGE 99, 185 ), und dass dieses Grundrecht im übrigen nicht schrankenlos gewährt, sondern insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt ist und in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden muss (BVerfG Urteil vom 10.10.1995 a.a.O.).

2. Da die Beklagte ihre Berufung ausschließlich damit begründet hat, der Kläger habe ihre Geschäftsführer mit dem Hinweis auf "Scheiß Stasimentalität" schwer beleidigt, brauchte die Kammer nicht zu entscheiden, ob auch das von der Beklagten im ersten Rechtszug zusätzlich vorgetragene Verhalten des Klägers für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung ausgereicht hätte.

a) Der Kläger hat sich grob fehlverhalten, indem er gegenüber der Mitarbeiterin U. von "Scheiß Stasimentalität" oder jedenfalls von "Stasimentalität" sprach und damit jedenfalls die Beschäftigten und möglicherweise auch die Geschäftsführer der Beklagten meinte. Dass sich der Kläger in dieser Weise im Frühjahr 2006 geäußert hat, steht auf Grund der Aussage der Zeugin U. zur Überzeugung der Kammer fest. An der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen hat die Kammer nicht geringsten Bedenken. Danach hat der Kläger im Rahmen der Auseinandersetzung über eine Fehlbuchung erregt von "Stasimentalität" oder sogar von "Scheiß Stasimentalität" gesprochen. Mit dem Hinweis auf eine "Stasimentalität" wird eine nicht hinnehmbare Verbindung zu den menschenverachtenden Methoden des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hergestellt; der betroffene Vorgesetzte oder Mitarbeiter wird mit diesem Wort ganz erheblich in seiner Ehre beeinträchtigt. Allerdings ist es abwegig, das Wort "Scheiß" mit dem Wort "Arschloch" gleichzusetzen; sollte der Kläger von "Scheiß Stasimentalität" gesprochen haben, brachte er drastisch zum Ausdruck, dass er die "Stasimentalität" als besonders zu verachtende Verhaltensweise ansieht.

Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Kläger tatsächlich die Geschäftsführer der Beklagten in dieser Weise bezeichnete hatte. Da es zu einer Falschbuchung gekommen war und der Kläger darauf hinwies, dass "die in E." besonders sorgfältig sind, könnte der Kläger auch die dort tätigen Beschäftigten mit diesen nicht hinnehmbaren Worten belegt haben.

b) Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass die Worte "Scheiß Stasimentalität" an sich für eine fristlose Kündigung ausreichen, weil der Kläger damit die Geschäftsführer in untragbarer Weise beleidigte und ihre Ehre grob verletzte, indem er deren Verhalten und Denkweise ("Mentalität") mit dem des früheren Staatssicherheitsdienstes verglich, rechtfertigte dieses Verhalten auf Grund der Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien, § 626 Abs. 1 BGB, nicht die fristlose Kündigung.

aa) Bei den Umständen des Einzelfalles ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger dazu neigt, seine Beherrschung zu verlieren und herumzubrüllen, wie die Zeugin U. überzeugend und nachvollziehbar bekundete. Dass in einer Situation, die ein Vorgesetzter nicht beherrscht und in der er andere anbrüllt, sich im Ton vergreift und ausfallend wird, ist nicht ungewöhnlich; der Arbeitgeber kann darauf mit einer Abmahnung reagieren.

Hinzu kommt, dass selbst die Zeugin U. diesem Vorfall, bei dem der Kläger von "Scheiß Stasimentalität" oder nur von "Stasimentalität" sprach, keine besondere Bedeutung beimaß, wie sie in der Zeugenaussage überzeugend bekundete. Vielmehr hat sie die Beklagte von diesem Ereignis erst unterrichtet, als sie von der Beklagten im Zusammenhang mit einem anderen Vorfall um weiteres Fehlverhalten befragt wurde. Die Kammer hat den Eindruck, dass die Beklagte gleichsam nach anderen Fehlleistungen des Klägers forschte, um sich von ihm trennen zu können.

Außerdem muss festgestellt werden, dass der Kläger die nach der Darstellung der Beklagten ehrverletzenden Äußerungen in einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin getan hat und der Kläger nicht zwingend davon ausgehen konnte, dass diese Wort dann an die Geschäftführer weitergemeldet werden. Allerdings handelte es sich nicht um ein vertrauliches Gespräch. Zwar können Treffen unter Kollegen nach Dienstschluss in einer Gaststätte je nach Lage des Falles als vertraulich anzusehen sein (vgl. BAG Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98, juris). Dies trifft jedoch nicht für jedes Treffen nach Dienstschluss zu (vgl. etwa BAG Urteil 06.02.1997 a.a.O. zu II 1 c der Gründe, für eine Geburtstagsfeier im Beisein des überwiegenden Teils der Belegschaft). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden (BAG Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98, juris; LAG Köln Urteil vom 16.01.1998 - 11 Sa 146/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64)

Andererseits kann nicht übersehen werden, dass der Kläger ohne ausreichenden Anlass in Rage geraten ist und in diesem Zusammenhang die unverzeihlichen Worte gefallen sind. Denn bei der Falschbuchung eine Kaufs kann es dem Mitarbeiter nicht angelastet werden, wenn er den Kunden nicht namentlich nennt; eine solche Forderung eines Vorgesetzten ist abwegig und zeigt, dass der Kläger jedenfalls in diesem Fall nicht die gebotene Einsicht hatte.

Schließlich kann nicht außer Betracht gelassen werden, dass der Kläger im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits seit fast 14 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war und er vor Zugang der Kündigung niemals in vergleichbarer Weise wie im Frühjahr 2006 aufgefallen und deshalb abgemahnt worden war.

bb) Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Umstände des Einzelfalles und der Interessen beider Parteien muss die Kündigung als unwirksam angesehen werden. Der Kläger hat erkennbar in einer Situation, die er selbst nicht bewältigte, unüberlegt gehandelt und sich zu der nicht unerheblichen Ehrverletzung hinreißen lassen. Die Beklagte hätte jedoch die Situation, in der die beleidigenden Worte gefallen sind, bei ihrer Kündigungsentscheidung berücksichtigen müssen. Es stellt nämlich einen erheblichen Unterschied dar, ob ein Mitarbeiter im erregten Zustand sich abfällig über Vorgesetzte äußert, oder ob er dies überlegt und gezielt tut. Sie hätte das nicht verzeihliche Verhalten des Klägers zum Anlass nehmen können, ihn abzumahnen, und ihm dabei nur nicht seine Worte von der "Scheiß Stasimentalität" oder "Stasimentalität", sondern auch sein sonstiges Verhalten, das von einem Arbeitgeber bei einem Vorgesetzten nicht hingenommen zu werden braucht, vorzuhalten und auf künftiges gesetzeskonformes und fürsorgliches Verhalten zu drängen. Die fristlose Kündigung verstößt gegen das Übermaßverbot und ist damit unwirksam. Allerdings verschweigt die Kammer nicht, dass der Kläger sein Verhalten grundsätzlich zu überprüfen hat; es geht nicht an, dass er andere Mitarbeiter, selbst wenn sich diese fehlverhalten haben, anbrüllt, wie die hierzu vernommene Zeugin U. überzeugend bekundete.

3. Die zunächst hilfsweise ausgesprochene Kündigung, die noch Gegenstand des ersten Rechtszuges war, ist in der Berufung nicht mehr angefallen; hinzu kommt, dass der Kläger nach § 15 KSchG als ehemaliges Betriebsratsmitglied nachwirkenden Kündigungsschutz hat und nur fristlos gekündigt werden konnte.

4. Da die fristlose Kündigung unwirksam ist, kann der Kläger seine Weiterbeschäftigung verlangen. Dieses wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.

II.

Soweit die Beklagte im zweitinstanzlichen Kammertermin trotz gerichtlichen Hinweises den Antrag gestellt hat, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, ist dieser nach §§ 13 Abs. 1, 9 Abs. 1 KSchG unbegründet. Der Arbeitgeber kann einen Auflösungsantrag nur bei einer ordentlichen und nicht - wie hier - bei einer fristlosen Kündigung stellen.

Da die Berufung unbegründet ist, waren dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens nach § 97 ArbGG aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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