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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.05.1998
Aktenzeichen: 10 Sa 392/98
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 4 Abs. 5 Arbeitsvertrag
1. Gewährt der Arbeitgeber tarifliche Leistungen unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit an sämtliche Arbeitnehmer kraft betrieblicher Übung, so haben die nicht organisierten Arbeitnehmer nach Ablauf des gekündigten Tarifvertrages im Nachwirkungszeitraum des § 4 Abs. 5 TVG Anspruch auf Weitergeltung kraft betrieblicher Übung (wie LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.1997 - 2 (14) Sa 997/97).

2. Wird der Arbeitnehmer, der kraft betrieblicher Übung Anspruch aus einem Tarifvertrag erworben hat, von einer BGB-Gesellschaft (hier: Arbeitsgemeinschaft im Baugewerbe) übernommen, hat er auch gegenüber deren Gesellschaftern Anspruch auf die tariflichen Leistungen im Nachwirkungszeitraum.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäfts-Nr.: 10 Sa 392/98

Verkündet am : 18.05.1998

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18.05.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Beseler als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Schumacher und den ehrenamtlichen Richter Overhage für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 16.01.1998 - 5 Ca 1240/97 - wird kostenfällig als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Restbeträge des 13. Monatsentgelts für das Jahr 1996,

Der Kläger steht seit 1984 in einem (Stamm)-Arbeitsverhältnis zu der Beklagten zu 2) als gewerblicher Arbeitnehmer. Er ist nicht kraft Gewerkschaftszugehörigkeit tarifgebunden. In der Vergangenheit wurde er wiederholt zu verschiedenen Arbeitsgemeinschaften des Baugewerbes (nachfolgend: ARGE) abgeordnet.

Vom 2.1.1994 bis zum 7.11.1997 war der Kläger abgeordnet zur ARGE Rheintunnel M.eideri, einer BGB-Gesellschaft, deren Gesellschafter die Beklagten sind. Diese ARGE ist nicht kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden.

Auf das Stammarbeitsverhältnis zur Beklagten zu 2) sowie auch das Arbeitsverhältnis zur ARGERfindet der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) Anwendung.

Unabhängig davon, ob der Kläger bei seinem Stammarbeitgeber oder in einer ARGE beschäftigt war, hat er in der Vergangenheit immer mit dem Novembergehalt eine Sonderzuwendung nach Maßgabe des nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommen im Baugewerbe in der jeweiligen Fassung erhalten. Denn bei der Beklagten zu 2) besteht die betriebliche Übung, daß allen Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf ihre Tarifbindung das 13. Monatseinkommen gezahlt wird.

Zum 31.10.1996 ist der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe gekündigt und im Mai 1997 ein neuer Tarifvertrag geschlossen worden, der jedoch keine Regelung für das 13. Monatseinkommen des Jahres 1996 vorsieht.

Mit Rücksicht darauf zahlten die Beklagten an den Kläger im November 1996 nur 2/3 der sich aus der zum 31.10.1996 beendeten tariflichen Regelung.

Der Kläger hat den Restbetrag mit der Begründung geltend gemacht, er habe auch gegenüber der ARGE Anspruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.674,94 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 16.01.1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, daß sich der Kläger mangels Tarifbindung beider Parteien nicht auf § 4 Abs. 5 TVG berufen könne.

Das Arbeitsgericht Duisburg hat durch Urteil vom 16.1.1998 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagten seien auch im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrages verpflichtet, den durch eine betriebliche Übung entstandenen Anspruch auf Gewährung der Tarifleistung zu erfüllen. Im übrigen seien die Beklagten mit der Abordnung des Klägers vom Stammbetrieb an die ARGE an die Leistungen aus dem Stammarbeitsverhältnis individualrechtlich gebunden. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

Die Beklagten haben gegen das ihnen am 11.2.1998 zugestellte Urteil mit einem beim Landesarbeitsgericht am 10.3.1998 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren beim Landesarbeitsgericht am 14.4.1998 (Dienstag nach Ostern) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagten meinen, bei einem aufgrund einer betrieblichen Übung in das Arbeitsverhältnis eingegangenen Tarifvertrag finde § 4 Abs. 5 TVG keine Anwendung. Denn der durch eine betriebliche Übung gebundene Arbeitgeber müsse nur die bisherige Verhaltensweise aufrechterhalten. Auf jeden Fall folge bei einer Abordnung an eine ARGE aus § 9 Nr. 2. 1 Satz 3 BRTV, daß nur die tariflichen Ansprüche fortgelten würden und weitergehende Ansprüche einer ausdrücklichen Absprache bedürften.

Während die Beklagten die Abweisung der Klage beantragt haben, verteidigt der Kläger die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden.

I.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß dem Kläger gegenüber seinem Stammarbeitgeber, die Beklagte zu 2), aufgrund einer betrieblichen Übung ein Anspruch auf die Tarifleistungen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe in der jeweils gültigen Fassung zustand. Denn dieser Stammarbeitgeber hatte allen Mitarbeitern ohne Rücksicht auf ihre Organisationzugehörigkeit die Leistungen nach diesem Tarifwerk ohne Vorbehalt gewährt, so daß nach Treu und Glauben sowie aller Begleitumstände der Kläger aus diesem gegenüber allen Mitarbeitern gezeigten Verhalten nur den Schluß ziehen kann, daß der Stamm-arbeitgeber ihm diese Leistungen auf Dauer gewähren wollte. Der Stammarbeitgeber hätte bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch nach dem 31.10.1996 trotz der Beendigung des Tarifvertrages über die Sonderzuwendung diese in voller Höhe zahlen müssen.

1. Da den bei diesem Stammarbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmern der Anspruch auf die Zahlung eines 13. Monatseinkommens trotz der Kündigung des Tarifvertrages zum 31.10.1996 für das Jahr kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) in voller Höhe zusteht, hätte der Kläger bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) dieser gegenüber das volle Weihnachtsgeld auch im Nachwirkungszeitraum verlangen können.

a. Die ausdrückliche Vereinbarung, es gelte für das Arbeitsverhältnis ein bestimmter Tarifvertrag, ist auch für den Fall anzuwenden, daß der Tarifvertrag nur nachwirkt (BAG Urteil vom 29.1.1975 ­ 4 AZR 218/74 ­ AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG Beschluß vom 27.1.1987 ­ 1 ABR 66/85 ­ EzA § 99 BetrVG 1972 Nr. 55; LAG Düsseldorf Urteil vom 6.11.1997 ­ 2(14) Sa 997/97 ­ n.v.). Denn die Parteien wollen mit dieser Vertragsklausel nur widerspiegeln, was ansonsten tarifrechtlich gilt oder nach Ablauf des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG weitergilt.

b. Bei einer aufgrund betrieblicher Übung in das Arbeitsverhältnis eingegangenen tariflichen Regelung gelten die gleichen Rechtsgrundsätze. Da nämlich bei einer betrieblichen Übung der Arbeitsvertrag konkludent um diese betriebliche Regelung ergänzt wird, ist sie mit einer ausdrücklichen individualrechtlichen Vereinbarung, in der namentlich ein bestimmter Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis verbindlich verabredet wird, gleichzusetzen. In beiden Fällen bringt der Arbeitgeber durch sein Verhalten zum Ausdruck, daß der Tarifvertrag auch nach seiner Beendigung nachwirkend für das Arbeitsverhältnis fortgelten soll.

2. Wenn die Beklagten insbesondere im Kammertermin vorgetragen haben, die vom Stammarbeitgeber geschaffene betriebliche Übung sei nicht dahin zu verstehen, daß auch im Nachwirkungszeitraum die in Bezug genommene Tarifregelung fortbestehen soll, übersehen sie, daß mit der betrieblichen Übung auf Geltung des Tarifvertrages auch für die nichtorganisierten Arbeitnehmer der Arbeitgeber die gewerkschaftlich organisierten mit den nichttarifgebundenen Arbeitnehmern gleichstellen will. Der Zweck der auch durch betriebliche Übung geschaffenen vertraglichen Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge besteht nämlich regelmäßig in der vertraglichen Zusammenfassung derjenigen Arbeitsbedingungen, die für die tarifgebundenen Arbeitnehmer kraft Tarifvertrages (§ 3 Abs. 1 TVG) in dem Betrieb gelten. Somit ist die vertragliche Bezugnahme, selbst wenn sie aufgrund einer betrieblichen Übung Eingang in das Arbeitsverhältnis gefunden hat, als Gleichstellungsabrede anzusehen (BAG Urteil vom 29.1.1991 ­ 3 AZR 44/90 ­ EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6). Mit dem Wesen einer solchen Gleichstellungsabrede ist es jedoch nicht zu vereinbaren, wenn die nichttarifgebundenen Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag auf- grund einer betrieblichen Übung auf ein Tarifwerk Bezug nimmt, im Fall der Nachwirkung des Tarifvertrages mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern nicht gleichgestellt werden.

II.

Die zwischen dem Kläger und seinem Stammarbeitgeber bestandene betriebliche Ü- bung, wonach er Anspruch auf die Sonderzuwendung nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommen im Baugewerbe hatten und die auch im Nachwirkungszeitraum dieses Tarifvertrages fortwirkte, gilt auch zwischen den Parteien. Die Beklagten müssen deshalb an den Kläger den verlangten Restbetrag des 13. Monatseinkommens gesamtschuldnerisch (§§ 421,427,431 BGB) zahlen.

1. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, daß als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren nicht § 9 Ziff. 2.1.Satz 3 BRTV heranzuziehen ist. Denn nach dieser Bestimmung hat der Arbeitnehmer während der Dauer der Zugehörigkeit zur ARGE gegen die ARGE die tariflichen Ansprüche, die ihm gegenüber dem Stammbetrieb zustehen würden. Da der Kläger kraft Gewerkschaftszugehörigkeit nicht tarifgebunden ist, hätte er nach dieser Tarifbestimmung keinen Anspruch auf Leistungen, die nicht im einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag geregelt, sondern nur bei beiderseitiger Tarifbindung kraft Gesetzes gelten. Der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe, der zum 31.10.1996 gekündigt wurde, ist nicht allgemeinverbindlich.

2. Die Kammer vermag sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, aus § 9 Ziff. 2.1 Satz 3 BRTV sei zu folgern, für die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer müßten die nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifbestimmungen ausdrücklich vereinbart werden. Doch § 9 Ziff. 2.1. Satz 3 BRTV will nur den Fortbestand tariflicher Ansprüche bei der ARGE sicherstellen, ohne damit die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich weitergehender Ansprüche einzuschränken. Ist ein Arbeitnehmer nicht tarifgebunden, kann er mithin die nicht in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag geregelten Tarifleistungen aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung auch von der ARGE verlangen.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Kammer brauchte nicht zu entscheiden, ob dem Kläger der eingeklagte Restbetrag gemäß § 612 Abs. 2 BGB zusteht. Hierfür spricht, daß die Parteien keine Vereinbarungen über den Vertragsinhalt getroffen und die Beklagte zu 2) vor dem Wechsel des Klägers zur ARGE auch nicht ihre Verpflichtungen nach § 9 Ziff. 1.3. BRTV erfüllt hat. Entscheidend ist vielmehr, daß ein Arbeitnehmer durch den Wechsel zu einer ARGE in der Regel stillschweigend zum Ausdruck bringt, zu den gleichen Arbeitsbedingungen wie bisher bei seinem neuen Arbeitgeber weiterarbeiten zu wollen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist er ­ selbstverständlich ­ bereit, die Arbeit bei der ARGE aufzunehmen und seiner Freistellung beim alten Arbeitgeber zuzustimmen. Andererseits macht der neue Arbeitgeber, die ARGE, durch die vorbehaltslose Übernahme des Arbeitnehmers konkludent deutlich, den Arbeitnehmer nur zu seinen alten Bedingungen einstellen zu wollen. Mangels anderer Anhaltspunkte muß deshalb davon ausgegangen werden, daß der von der ARGE eingestellte Arbeitnehmer zu den gleichen Arbeitsbedingungen wie bisher beschäftigt werden soll.

Wurde aber der Kläger von den Beklagten nur entsprechend der Vereinbarung mit seinem Stammarbeitgeber eingestellt, sind sie auch an die im Stammbetrieb bereits bei Übernahme des Arbeitnehmers bestandene betriebliche Übung gebunden.

3. Die Beklagten haben dem Kläger in der Vergangenheit das tarifliche 13. Monatseinkommen, auf das kraft betrieblicher Übung bereits beim Stammarbeitgeber Anspruch bestand, bis 1995 in voller Höhe gewährt und auch damit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie sich an die durch betriebliche Übung stillschweigend vereinbarte Vertragsregelung, es gelte auch für den nicht tarifgebundenen Kläger der Tarifvertrag über das 13. Monatseinkommen, gebunden sieht. Da aber diese betriebliche Übung ­ wie aufgezeigt ­ auch für den Fall der Nachwirkung des in Bezug genommenen Tarifvertrages gilt, müssen die Beklagten nunmehr den Restbetrag an den Kläger in gleicher Weise leisten, wie sie ihn gemäß § 9 Ziff. 2.1 Satz 3 BRTV, § 4 Abs. 5 TVG an tarifgebundene Arbeitnehmer zahlen muß.

III.

Wegen des Zinsausspruchs verweist die Kammer auch auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts und macht sie sich nach § 543 ZPO zu eigen.

Da nach alledem die Berufung keinen Erfolg haben konnte, war sie mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG) die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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