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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.01.2007
Aktenzeichen: 10 Sa 827/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 616 Abs. 2
BGB § 626 Abs. 2
ZPO § 384 Nr. 2
BetrVG § 102 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 02.06.2006 13 Ca 261/06 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im zweiten Rechtszug über die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung der Beklagten vom 23.12.2005.

Der Kläger ist seit dem 01.10.1984 bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Bis zum Jahreswechsel 1988 war er Bauleiter, danach Oberbauleiter. Seit dem 01.03.1999 ist er als Geschäftsstellenleiter im Bereich der Niederlassung Düsseldorf zu einem durchschnittlichen Jahresbruttogehalt von zuletzt 120.272,26 € tätig gewesen. Der Kläger ist verheiratet und gegenüber drei Kindern unterhaltspflichtig.

Ist ein Bauauftrag akquiriert, erstellt der Projektleiter Oberbauleiter oder Projektleiter das Leistungsverzeichnis für den Subunternehmer. Das Leistungsverzeichnis geht sodann an die Dienstleistungsabteilung Beschaffung . Der zuständige Einkäufer legt mit dem Projektleiter den Bieterkreis fest und fordert die Subunternehmer zu Angeboten auf. Danach verhandelt der Projektleiter mit dem Mitarbeiter Beschaffung die Verträge. Nach Zuschlag werden von dem Entscheider (Projektleiter, Oberbauleiter oder Bauleiter) in Verbindung mit der Abteilung Beschaffung die Subunternehmerverträge ausgearbeitet und eigenständig unterschrieben. Der Geschäftsstellenleiter, der nach seinem Anforderungsprofil u.a. für seinen Bereich in Abstimmung mit seiner Geschäftsleitung Leistung und Ergebnis plant (so: Kurzbeschreibung der Kompetenzen unterhalb der Geschäftsleitungsebene einer Niederlassung Bl. 231 der Beiakte), der Niederlassungsleiter oder ein anderer zuschlagsberechtigte Person unterzeichnet sodann den Subunternehmervertrag mit. Dem Geschäftsstellenleiter obliegt es nicht, Rechnungen zu überprüfen. Für Nachunternehmerrechnungen sind der Geschäftsstellenleiter sowie der Geschäftsstellenkaufmann und für Lieferantenrechnungen mit Bestellung und Abschlagsrechnungen von Nachunternehmer der Projektleiter bzw. Herr Faust zuständig. Für Nachträge über 10.000 € bedarf es der Freigabe der Projekt- und Geschäftsstellenleitung. Die Zuschlagserteilung erfolgt durch die Abteilung Beschaffung. Nach dem Managementhandbuch der Beklagten kennt der Geschäftsstellenleiter alle Meilensteine der Projekte, wird stets über den Status der Baustellen informiert und reagiert vorausschauend . Dem Kläger war u.a. der Projektleiter X. unterstellt.

Im Jahr 2004 erlangte die Beklagte Kenntnis darüber, dass an die Firma F. Bau GmbH, Geschäftsführer O. L., die in dem Zeitraum 1997 bis 2001 häufig von der Beklagten beauftragt worden war, Zahlungen aufgrund von Scheinrechnungen über rund 580.000 € insbesondere in Bezug auf das von der Geschäftsstelle Düsseldorf (technischer Geschäftsstellenleiter war der Kläger) durchgeführte Bauprojekt Kunstpalastmuseum in Düsseldorf - geleistet worden waren; hierzu wurde der Kläger am 02.06.2004 angehört. Der Geschäftsführer L. erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung vom 15.11.2004, zu dem ihn die Beklagte durch notarielle Urkunde durch Zahlung von weiteren 380.000 € veranlasst hatte, Grundlage der Zahlungen seien Steuernachzahlungsverpflichtungen gewesen, die sich u.a. darauf ergeben hätten, dass die F. Bau GmbH im Rahmen von Auftragebern der Beklagten in illegaler Weise ausländische Arbeitnehmer beschäftigt habe. Da eine Mithaftung der Beklagten nicht habe ausgeschlossen werden können, sei seitens von Herrn X. eine finanzielle Unterstützung zur Begleichung der Steuernachzahlungsverpflichtungen gewährt und deshalb für laufende Baustellen der Beklagten Scheinrechnungen geschrieben worden. Außerdem legte L. in der eidesstattlichen Versicherung dar, dass aus den bezahlten Scheinrechnungen auch zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten Barbeträge ohne Rechtsgrund erhalten hätten oder private Bauleistungen für Mitarbeiter der Beklagten und z. B. für eine Mehrfamilienhaus des Präsidenten der Architektenkammer Düsseldorf bezahlt worden seien.

Im Jahr 2002 errichtete die Beklagte auf der N. Straße in Düsseldorf ein Bauwerk. Diesem Bauvorhaben lag ein Start-Audit zugrunde (Bl. 331 ff GA). Im Rahmen der Abwicklung dieser Baustelle beglich die Beklagte Rechnungen der Firma M.-Bau GmbH, deren Geschäftsführer der Bruder des L. war, und zwar für Stahlbeton-, Mauerwerks-, Maurer- und Trockenbauarbeiten in Höhe von über 1,2 Millionen €. Wie im zweiten Rechtszug nach Vernehmung des Zeugen N. unstreitig wurde, wurden auf dieser Baustelle für die Rohbauarbeiten 40 bis 45 Mitarbeiter der Beklagten eingesetzt. Der Zuschlag für den Auftrag zur Ausführung von Stahlbeton- und Mauerwerksarbeiten vom 13.09.2002 sowie der Nachtrag vom 18.11.2002 hatte neben dem Einkäufer sowie dem zuständigen Bauleiter der Kläger unterschrieben. Die weiteren Aufträge sowie alle Zahlungsanweisungen wurden nicht vom Kläger unterzeichnet. Bereits am 11.10.2002 hatte das Richtfest für dieses Bauwerk stattgefunden. Nach einem im zweiten Rechtszug vorgelegten Entwurf eines Revisionsberichtes (Bl. 438 ff), Stand 21.02.2006 hatte die Firma M.-Bau GmbH u.a. auf der Baustelle N. Straße in Düsseldorf keine Leistungen erbracht und Scheinrechnungen erstellt.

Nach der Darstellung der Beklagten soll der Kläger im Rahmen des Bauvorhabens S. den Mitarbeiter I. aufgefordert haben, eine fingierte Rechnung über Bautrocknungsarbeiten in Höhe von 50 TDM zu Lasten der Beklagen zu buchen.

Die Beklagte hörte den in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat in einer außerordentlichen Betriebsratssitzung am 22.12.2005 zu einer fristlosen, hilfsweisen fristgemäßen Kündigung schriftlich an. Die Beklagte machte in diesem Anhörungsschreiben deutlich, dass sie die fristlose Kündigung nur auf die Fälle N. Straße und S. stützt. Sie verwies auf die nach ihrem Vortrag vorliegenden Scheinrechnungen des Firma M. Bau GmbH und führte weiter aus:

Herr L. musste aufgrund seiner unternehmerischen Aufgabe als Geschäftsstellenleiter mit Ergebnisverantwortung von dieser Vorgehensweise Kenntnis haben und war daher an der Schadensverursachung maßgeblich beteiligt. Auf welche Weise das so erlangte Geld verwendet wurde, ist im Hinblick auf den bei I. Construction AG eingetretenen Schaden unerheblich.

Nach Zustimmung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 22.12.2005 fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam; weder liege ein Kündigungsgrund vor, noch habe die Beklagte die Frist des § 616 Abs. 2 BGB eingehalten; schließlich sei auch die Betriebsratsanhörung fehlerhaft.

Der Kläger hat bestritten, dass den Rechnungen der Firmen F. Bau GMBH und M.-Bau GmbH keine Leistungen zugrunde gelegen hätten. Jedenfalls habe er davon keine Kenntnis gehabt. Bei der Unterzeichnung der Aufträge für die Firma M.-Bau GmbH habe er sich auf die Richtigkeit der von seinen Mitarbeitern erstellten Aufträge verlassen und diese lediglich mitunterzeichnet. Da bereits im Jahr 2004 umfassende Gespräche mit L. geführt worden seien, hätte die Beklagte die Unstimmigkeiten mit der gebotenen Eile aufklären müssen. Im Rahmen der Betriebsratsanhörung seien die Verdachtsmomente einschließlich der ihn, den Kläger, entlastenden Umstände dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 22.12.2005, zugegangen am 23.12.2005, nicht aufgelöst worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht.

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen, d.h. zu den Bedingungen des Anstellungsvertrages vom 28.08.2000 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 04.04.2001 als Geschäftsstellenleiter der Niederlassung Düsseldorf weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet:

Der Kläger habe Kenntnis davon gehabt, dass die Firma M.-Bau GmbH auf der Baustelle N. Straße keine Leistungen erbracht habe. Die Beteiligung des Klägers ergebe sich u.a. daraus, dass der Projektleiter X. die Schlussrechnung für die Zahlung an diese Firma unterzeichnet habe, obwohl der Kläger diese Schlussrechnung hätte unterschreiben müssen. Zudem habe das Richtfest für diese Bauvorhaben stattgefunden, obwohl erst kurz zuvor und sogar Wochen danach noch Aufträge erteilt worden seien. Was die Zahlung S. betreffe, habe der Kläger gegenüber I. behauptet, eine Vereinbarung mit L. sei notwendig und eine solche Vereinbarung gebe es. Was die Frist des § 626 Abs. 2 BGB betreffe, sei erstmals bei dem Treffen am 16..11.2005 mit L. das Bauvorhaben N. Straße erwähnt worden. Erst danach habe sie den Sachverhalt weiter aufklären können.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut am 25.01.2006 fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 02.06.2006 die fristlose Kündigung vom 23.12.2005 für unwirksam erklärt und die Beschäftigungsklage des Klägers abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, der Kläger, der den Auftrag Stahlbeton/Mauerwerksarbeiten für das Bauvorhaben N. Straße erteilte, müsse beweisen, dass er nicht gewusst habe, dass es sich um einen fingierten Auftrag gehandelt habe, zumal dem Auftrag das Verhandlungsprotokoll und die Leistungsbeschreibung beigelegen habe. Zudem habe das Arbeitsgericht nicht beachtet, dass für das Bauvorhaben N. Straße ein Start-Audit erstellt worden sei und der Kläger an der Anschlussbesprechung dieses Audits teilgenommen haben, in der die Entscheidung Rohbau mit eigenem Personal kommuniziert worden sei. Wegen dieser Umstände habe der Kläger von dem Charakter des Scheinauftrags gewusst.

Der frühere Projektleiter X. habe in einem Schadensersatzverfahren vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf vorgetragen, in der Niederlassung Düsseldorf habe es mehrere Mitarbeiter gegeben, die sich an der Generierung von Zahlungen für die Brüder L. und ihre Unternehmen beteiligt hätten; zu diesem Problemlöserteam habe auch der Kläger gehört.

Dem Betriebsrat habe sie alle Verdachtsmomente vorgetragen.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Antrag. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren umfassenden Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 13.11.2006 (Bl. 511 ff GA) und 22.01.2207 (Bl. 562 GA) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis richtig entschieden.

I.

Die fristlose Kündigung ist als sog. Tatkündigung unwirksam.

1. Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer fristlosen Kündigung behauptet, der Kläger habe gewusst, dass die Firma M. Bau GmbH für nicht erbrachte Leistungen Scheinrechnungen erstellt hatte, und in Kenntnis solcher Rechnungen seien Rechnungsbeträge gezahlt worden, hat die Beklagte ihren Vortrag nicht beweisen können.

a) Aufgrund der im zweiten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Firma M.-Bau GmbH bei dem Bauvorhaben N. Straße jedenfalls bei den Stahlbeton- und Mauerwerksarbeiten nicht eingesetzt worden war. Dieses haben die hierzu vernommenen Zeugen P., G. und C., die alle auf dieser Baustelle eingesetzt waren, übereinstimmend bekundet. Zudem wird ihre Aussage dadurch bestätigt, dass die Arbeitsstunden der auf der Baustelle eingesetzten 40 Mitarbeiter der Beklagten später auch abgerechnet wurden. Die Aussagen dieser Zeugen sind in sich stimmig und widerspruchsfrei. An der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen hat die Kammer nicht die geringsten Bedenken.

b) Weiterhin steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Abschlussbesprechung des Start-Audits am 21.02.2002 der Kläger anwesend war und er deshalb wusste, dass für das Bauvorhaben N. Straße rund 40 Mitarbeiter der Beklagten eingesetzt werden sollten. Dieses steht fest aufgrund der Aussage des Zeugen N.. In seiner Aussage konnte sich der Zeuge auf das Protokoll für dieses Start-Audit stützen, in dem der Kläger als Teilnehmer genannt ist. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der einen überzeugenden Eindruck hinterließ, hatte die Kammer nicht die geringsten Bedenken. Es überzeugt deshalb der Vortrag des Klägers im ersten Rechtszug nicht, wenn er zunächst in Abrede stellte, dass überhaupt eigene Mitarbeiter der Beklagten auf dieser Baustelle eingesetzt waren.

c) Die Beklagte nennt als weiteres Indiz dafür, dass der Kläger von den Scheinaufträgen der Firma M.-Bau GmbH wusste und damit an den strafbaren Handlungen dieser Firma beteiligt war, den Umstand, dass

- der Kläger den Auftrag unterzeichnet hat,

- das Richtfest für dieses Bauvorhaben erst kurz vor der Auftragsvergabe lag,

- ein Nachtragsauftrag erst nach dem Richtfest von ihm unterzeichnet wurde und

- der Kläger die Schlussrechnung gebotswidrig nicht unterzeichnet hat.

Dieser Vortrag überzeugt nicht.

aa) Allein die Unterzeichnung von Aufträgen an die Firma M.-Bau GmbH besagt noch nicht, dass dem Kläger bei Unterzeichnung der Aufträge bewusst war, dass es sich hierbei um Scheinaufträge handelt und tatsächlich eigene Mitarbeiter gemäß den Feststellungen im Start-Audit die Stahlbeton- und Mauerwerksarbeiten erledigen.

(1) Als Geschäftsstellenleiter hatte der Kläger die Geschäftsstelle zu führen. Ihm waren mehrere qualifizierte Projektleiter unterstellt, die die Nachunternehmeraufträge vorzubereiten, selbst zu unterzeichnen und dem Kläger zur Mitunterschrift vorlegen mussten, was sie es auch bei der Beauftragung der Firma M.-Bau GmbH gemacht hatten.

(2) Sicherlich wäre es Aufgabe es Kläger gewesen, den Auftrag, den er unterzeichnete, auch durchzulesen oder zumindest zu überfliegen. Denn sonst hätte die Beklagte den Kläger nicht zur Mitunterzeichnung benötigt. Möglicherweise wäre des dem Kläger dann aufgefallen, dass die in Auftrag gegebenen Arbeiten von eigenen Mitarbeitern erledigt werden; er wäre dann möglicherweise auch eingeschritten. Allein die Tatsache jedoch, dass der Kläger mehrere Aufträge unterzeichnet hat, besagt noch nicht, dass er seiner selbstverständlichen Pflicht auch nachgekommen ist. Gerade im hektischen Berufsalltag unterzeichnen schon mal mehr oder wenig häufig Geschäftsstellen- und Niederlassungsleiter sowie Mitglieder von Unternehmensvorständen Unterlagen, die sie vor ihrer Unterzeichnung nicht noch einmal durchlesen, weil sie sich auf ihre Mitarbeiter verlassen, verlassen können und müssen. Es wäre in vielen Situationen geradezu lebensfremd, von einem Mitunterzeichner die volle Prüfung des zu unterzeichnenden Schriftstückes dann zu verlangen, wenn sie von qualifizierten Mitarbeitern erstellt und auch unterzeichnet wurden. Es ist deshalb wenig praxisnah, einem Mitarbeiter nur deshalb einen strafrechtlichen Vorwurf oder den Vorwurf einer groben Pflichtverletzung zu machen, weil er die von seinen qualifizierten Mitarbeitern gefertigten Unterlagen nicht vorher durchgelesen hat. Hinzu kommt, dass die dem Kläger unterstellten Mitarbeiter Fachleute waren und voll anerkannt wurden, wie der hierzu vernommene Zeuge N. überzeugend bekundete.

(3) Schließlich kann allein aus dem Umstand, dass es auch die Aufgabe des Klägers war, alle Meilensteine der Projekte zu kennen , nicht gefolgert werden, dass er dieser Pflicht nachgekommen ist und deshalb von Scheinaufträgen an die Firma M.-Bau GmbH wusste. Soweit nämlich die Beklagte dem Kläger in diesem Zusammenhang vorwirft, er habe die Aufgabe gehabt, sich über den Status der Baustellen zu informieren müssen, hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der Kläger dieser Pflicht auch nachgekommen ist, die Baustelle aufgesucht und dabei festgestellt hat, dass die Firma M.-Bau GmbH entgegen dem erteilten Auftrag überhaupt nicht tätig war.

bb) Die Ausführungen der Berufung zum Richtfest helfen der Beklagten auch nicht weiter. Auch hier gilt, dass sich der Kläger auf die Richtigkeit der ihm von den Mitarbeitern zur Niederschrift vorgelegten Nachunternehmeraufträge verlassen durfte, mag er die Aufträge auch vor der Unterzeichnung pflichtwidrig nicht nochmals jedenfalls kursorisch geprüft haben.

cc) Es ist unerheblich und begründet nicht die Kenntnis des Klägers von den Scheinrechnungen, dass er die Schlussrechnung nicht unterzeichnet hat. Wie im zweitinstanzlichen Kammertermin festgestellt wurde, gibt es bei der Beklagten keine Weisung, dass eine Rechnung, die von dem Geschäftsstellenleiter nicht unterzeichnet wurde, nicht beglichen wird. Erst eine solche Weisung wäre eine ausreichende Sicherheit dafür, dass Schlussrechnungen nur dann beglichen werden, wenn sie von dem zuständigen Geschäftsstellenleiter unterzeichnet wurden. Aus welchen Gründen die Schlussrechnung nicht vom Kläger unterzeichnet wurde, ist zudem nach vier Jahren nicht mehr festzustellen.

dd) Schließlich ist der Vortrag der Beklagten rechtsirrig, der Kläger müsse beweisen, er habe bei Unterzeichnung der Aufträge an die Firma M.-Bau GmbH nicht gewusst, dass es sich um einen Scheinauftrag gehandelt habe. Denn so die Berufung - wer einen Scheinauftrag erteile, habe nach der Lebenserfahrung regelmäßig auch subjektive Kenntnis von diesem Umstand. Abgesehen davon, dass der Kammer eine solche Lebenserfahrung nicht bekannt ist, trägt die Beklagte die Beweislast für das Vorliegen eines fristlosen Kündigungsgrundes und damit von der Kenntnis des Klägers von dem Scheinauftrag. Hier eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast annehmen zu wollen, ist abwegig.

d) Ein Indiz dafür, dass der Kläger von dem Scheinauftrag an die Firma M.-Bau GmbH wusste, würde vorliegen, wenn der Kläger Mitglied des von dem ehemaligen Projektleiter X. in dem Schadensersatzprozess der Beklagten gegen den Kläger und X. genannten Problemlöserteams gewesen wäre, der Kläger mithin gemeinsam mit anderen Mitarbeitern nach Wegen suchte, den Brüdern L. Barmittel zukommen zu lassen. Dieses Indiz konnte die Beklagte jedoch nicht beweisen. Der hierzu als Zeuge benannte ehemalige Projektleiter X. hat in der Beweisaufnahme in zulässiger Weise die Aussage verweigert, § 384 Nr. 2 ZPO, würde doch seine Aussage die Gefahr nach sich ziehen, wegen einer Straftat verfolgt zu werden.

2. Was den Fall S. betrifft, hat die Beklagte nicht vorgetragen, wann der Kläger den Mitarbeiter I. aufgefordert hat, eine fingierte Rechnung über Bautrocknungsarbeiten in Höhe von 50 TDM zu Lasten der Beklagen zu buchen. Trotzdem hat die erkennende Kammer versucht, diesen Sachverhalt näher aufzuklären; der Zeuge hat jedoch in zulässiger Weise, § 384 Nr. 2 ZPO, die Aussage verweigert. Die Beklagte hat deshalb ihren Tatvorwurf nicht beweisen können.

3. Die mögliche Beteiligung des Klägers beim Bauvorhaben Kunstpalastmuseum hat die Beklagte nicht zum Gegenstand der fristlosen Kündigung gemacht.

II.

Die fristlose Kündigung ist auch nicht als Verdachtskündigung rechtens.

1. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Demgegenüber kann eine Verdachtskündigung gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rechtsprechung des BAG vgl. nur BAG Urteil vom 10.02.2005 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1058; BAG Urteil vom 26.09.200202 - 2 AZR 424/01, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; BAG Urteil vom 06.12. 2001 - 2 AZR 496/00,- AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11. Daraus folgt: Allein aus dem Umstand, dass die Tat nicht nachgewiesen ist, kann das Gericht nicht entnehmen, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für den dringenden Verdacht bestehen. Entscheidend ist vielmehr, ob die den Verdacht begründenden Indizien zutreffen, also entweder unstreitig sind oder vom Arbeitgeber bewiesen werden. Es kommt nicht darauf an, ob der Tatvorwurf erwiesen ist, sondern darauf, ob die vom Arbeitgeber zur Begründung des Verdachts vorgetragenen Tatsachen einerseits den Verdacht rechtfertigen (Rechtsfrage, Schlüssigkeit des Vortrags) und, falls ja, ob sie tatsächlich zutreffen (Tatsachenfrage, Beweiserhebung und Beweiswürdigung).

2. Die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen sind, soweit sie bewiesen sind, nicht so gewichtig, dass sich den dringenden Verdacht begründen, der Kläger habe von den Scheinaufträgen an die Firma M.-Bau GmbH gewusst und sich damit an einer strafbaren Handlung oder einer groben Pflichtverletzung zulasten der Beklagten beteiligt. Für die Beklagte spricht allein die Tatsache, dass der Kläger mehrere Aufträge an die Firma M.-Bau GmbH unterzeichnet hat, obwohl er wusste, dass die Rohbauarbeiten von eigenen Mitarbeitern durchgeführt wurden. Gegen den für eine Verdachtskündigung notwendigen dringenden Verdacht spricht der Umstand, dass er lediglich die entsprechenden Aufträge unterzeichnet hat und er sich wie dargestellt grundsätzlich auf die ihm unterstellten, fachlich hoch qualifizierten Mitarbeitern verlassen durfte, wenn ihm auch vorgehalten werden muss, er hätte bei der Mitunterzeichnung größere Sorgfalt walten lassen müssen. Neben den weiteren Tatsachen - Datum des Richtfestes und Nichtunterzeichnung der Schlussrechnung gibt es keine weiteren gegen den Kläger sprechenden Umstände, die auf einen dringenden Tatverdacht der Beteiligung an einer strafbaren Handlung oder einer groben Pflichtverletzung zulasten der Beklagten schließen lassen. Wenn auch die Kammer nicht davon überzeugt ist, dass der Kläger eine völlig weiße Weste hat, reichen die wenigen Indizien nicht dazu, dass von einem dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung oder anderer schwerer Pflichtverletzungen gesprochen werden kann. Die von der Beklagten benannten Zeugen X. und I. waren zudem letztlich für die Beklagte keine Hilfe.

III.

Die fristlose Kündigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung bei der Erfüllung der vom Kläger obliegenden Aufgaben gerechtfertigt. Es wurde bereits dargestellt, dass der Kläger bei der Mitunterzeichnung der Aufträge die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat. Er durfte sich zwar darauf verlassen, dass seine Mitarbeiter die Nachunternehmeraufträge für die Firma M.-Bau GmbH ordnungsgemäß erstellt hatten. Bei sorgfältiger Bearbeitung hätte er die Aufträge vor der Unterzeichnung jedenfalls überfliegen müssen, bevor er sie unterzeichnete. Zudem hat der Kläger entgegen dem Pflichtenkatalog offenkundig keinen Überblick über die Baustelle N. Straße; er wusste nicht, welche Nachunternehmer auf dem Baugelände tatsächlich eingesetzt waren. Bevor die Beklagte den Kläger aber deshalb kündigte, hätte sie ihn abmahnen müssen. Denn nach dem ultima-ratio-Grundsatz hätte der Kündigung zumindest eine erfolglose Abmahnung vorausgehen müssen. Dass eine Abmahnung keinen Erfolg versprochen hätte oder die Pflichtverletzungen des Klägers so schwer wögen, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber von vornherein als ausgeschlossen hätte erscheinen müssen, ist nicht erkennbar (vgl. hierzu BAG 16.09.2004 2 AZR 406/03, NZA 2005, 459; BAG Urteil vom 18.051994 - 2 AZR 626/93, AP BPersVG § 108 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 31; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 402). Es handelt sich vielmehr um eine typische Pflichtverletzung, wie sie immer wieder in der Hektik des Berufsalltags vorkommt.

IV.

Es sprechen gute Gründe dafür, dass die Kündigung zudem nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam ist. Die Kammer vermag nicht die Auffassung des Arbeitsgerichts zu teilen, dass die Kündigung deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte nicht dem Betriebsrat mitgeteilt hat, wofür die Beträge aus den Scheinrechnungen der Firma F. Bau GmbH erstellt wurden. Auch wenn die Beklagte von diesen Beträgen letztlich profitierte, wurden nicht berechtigte Rechnungen zulasten von Bauherrn erstellt. Möglicherweise ist die Betriebsratsanörung deshalb nicht rechtens, weil die Beklagte in der schriftlichen Anhörung noch von einer Tatkündigung ausgeht und für eine Verdachtskündigung die Verdachtsmomente in der schriftlichen Anhörung nicht genannt sind. Soweit die Beklagte im Kammertermin am 22.01.2007 vortrug, sie habe dem Betriebsrat auch die Verdachtsmomente mitgeteilt, fehle zumindest in der mündlichen Verhandlung eine nähere Erläuterung, auf welche konkreten Verdachtsgründe sie gegenüber dem Betriebsrat die fristlose Kündigung gestützt hat. Die Kammer sah davon ab, der Beklagten Gelegenheit zu geben, diese Verdachtsmomente, die sie dem Betriebsrat genannt hat, näher aufzulisten, weil bereits aus anderen Gründen die fristlose Kündigung vom 23.12.2005 unwirksam ist.

Ob einer der späteren Kündigungen rechtens ist, brauchte die Kammer nicht zu entscheiden; diese Kündigungen sind nicht im zweiten Rechtszug angefallen.

V.

Die Kammer sieht sich aufgrund der Diskussion in der letzten mündlichen Verhandlung am 22.01.2007 zu der Bemerkung veranlasst, dass es jedenfalls merkwürdig ist, dass L. in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 15.11.2004 behauptet, aus den bezahlten Scheinrechnungen der Firma F.-Bau GmbH hätten zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten Barbeträge oder Bauleistungen ohne Rechtsgrund erhalten und es seien auch private Bauleistungen an Außenstehende erfolgt, und der anwesende Vorstand der Beklagten und die Rechtsvertreter nicht wussten, ob die Beklagte inzwischen Maßnahmen gegen diese Beschäftigten oder Dritte erhoben hat. Es besteht der Eindruck, dass Unregelmäßigkeiten unter der Decke gehalten oder unter den Teppich gekehrt werden sollen. Es ist deshalb lebensnah, dass in einem solchen Fall der Kläger, der nach seinem Vortrag keine Leistungen erhalten haben will, jegliche eigene Schuld von sich weist und auf das eigene Verhalten der Beklagten hinweist.

Da nach alledem die Berufung keinen Erfolg haben konnte, war sie mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG hat noch von einer Entscheidung im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG abgewichen wird. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Ende der Entscheidung

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