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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 11 Sa 611/07
Rechtsgebiete: KSchG, HwO


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
HwO § 1 Abs. 1 Satz 1
HwO § 7 Abs. 1 Satz 1
HwO § 8 Abs. 1
HwO § 8 Abs. 3
1. Es bleibt unentschieden, ob nur dann eine offensichtlich unsachliche unternehmerische Entscheidung, die zu einer sozialwidrigen betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG führt, vorliegt, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm das betroffene Arbeitsverhältnis unmittelbar erfasst (so z. B. BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 108).

2. Jedenfalls dann, wenn sich der Arbeitgeber bei der Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung gesetzestreu verhalten will, hierfür aber nicht alles unternimmt, z. B. Unterlassen einer rechtzeitigen Antragstellung nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 HwO, ist die betriebsbedingte Kündigung auch dann gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG unwirksam, wenn der Schutzzweck der verletzten Gesetzesnorm das betroffene Arbeitsverhältnis nicht unmittelbar erfasst.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 Sa 611/07

Verkündet am 20. September 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 20.09.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Vossen als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Howahrde und den ehrenamtlichen Richter Schölzke

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.02.2007 - 12 Ca 4159/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der 56-jährige, verheiratete Kläger, Vater eines Kindes, ist seit dem 15.08.1986 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin aufgrund eines an diesem Tag geschlossenen Arbeitsvertrages als Zahntechnikermeister gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von zuletzt 1.533,88 € bei 21 Wochenstunden tätig. Die Beklagte betreibt ein Dentallabor, das seit dem 11.11.1986 in der Handwerksrolle der Handwerkskammer Düsseldorf eingetragen ist. Bei der Beklagten sind circa 20 Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Geschäftsführer der Beklagten trafen am 23.06.2006 die Entscheidung, die Tätigkeiten, die der Kläger bisher ausgeführt hatte, künftig selbst zu übernehmen. Deshalb kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 27.06.2006 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2006. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 04.07.2006 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen, der Beklagten am 10.07.2006 zugestellten Klage.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht:

Sein Arbeitsplatz sei zum 31.12.2006 nicht entfallen. Er habe im Einzelnen folgende Arbeiten für die Beklagte erledigt: Kundenbetreuung, Fahrerdisposition, Materialbestellung, Lehrlingsausbildung, Betreuung und Anleitung der Angestellten, Zahntechnik, Arbeitssicherheitsfragen, Anfertigung von Kostenvoranschlägen und Abrechnung, Rechnungskontrolle und aushilfsweise zahntechnische Leistungen. In den vergangenen Jahren sei dabei erhebliche Mehrarbeit angefallen: 67,07 Überstunden in 2002; 46,44 Überstunden in 2003; 99,59 Überstunden in 2004; 99,22 Überstunden in 2005; 11,40 Überstunden in 2006. Das von der Beklagten verwendete Zeiterfassungssystem arbeite fehlerhaft. Er sei arbeitstäglich von 6.30 Uhr bis 12.30 Uhr bei der Beklagten tätig gewesen. Die Mitarbeiterin T., die insbesondere im Verwaltungsbereich beschäftigt sei, erbringe ihre Arbeitsleistung täglich an ca. 12 Stunden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2006 nicht zum 31.12.2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend:

Aufgrund der Gesundheitsreform sei seit Ende 2004 ein erheblicher Auftrags- und damit verbundener Umsatzrückgang zu verzeichnen. Das Arbeitsvolumen habe sich von 2004 auf 2005 um 22,5 % Umsatzstücke und damit korrespondierend um rund 20 % der Zeitwerte vermindert. 2005 habe deshalb Kurzarbeit durchgeführt werden müssen. Auch 2006 habe sich die Auftragslage nicht verbessert. Der Verwaltungsaufwand habe sich um rund 20 % vermindert. Die arbeitsvertraglich vereinbarten 21 Wochenstunden sei der Kläger nicht für sie tätig geworden. Tatsächlich sei er nach eigenem Gutdünken in den Betriebsräumen erschienen und habe sich geweigert, am Zeiterfassungssystem teilzunehmen. Sie schätze seine reinen Anwesenheitszeiten in ihrem Betrieb auf maximal 15 Wochenstunden. Aufgrund der Reduktion des Verwaltungsaufwandes um 20 % sei es ihren beiden Gesellschaftern - Geschäftsführern - unproblematisch möglich, die verbleibenden 12 Wochenarbeitsstunden zu übernehmen. Der Kläger habe seit 15 Jahren keine Kunden mehr betreut. Die Disposition von Fahrern habe er ausschließlich als Urlaubsvertretung für Frau T. durchgeführt. Materialbestellungen seien maximal ein- bis zweimal monatlich erforderlich gewesen. Die Zahntechniker seien von ihren Geschäftsführern betreut und angeleitet worden ebenso seien Kostenvoranschläge und Abrechnungen sowie die Rechnungskontrolle von diesen durchgeführt worden. Auch zahntechnische Leistungen habe der Kläger in den letzten fünf Jahren nicht mehr erbracht.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 16.02.2007 verkündeten Urteil der Klage stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die von der Beklagten unter dem 27.06.2006 ausgesprochene Kündigung sei nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG rechtsunwirksam, da sie in Ermangelung dringender betrieblicher Erfordernisse nicht sozial gerechtfertigt sei (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Eine hinzunehmende Unternehmerentscheidung liege vor, wenn der Arbeitgeber sich entschließe, auf Dauer mit weniger Arbeitnehmer zu arbeiten, sofern das gleichzeitig mit einer entsprechenden organisatorischen Maßnahme in Bezug auf die Arbeitsmenge verbunden sei. Wolle der Arbeitgeber in einem solchen Fall kündigen, habe er das Vorliegen der Verdichtungslage substantiiert darzulegen. Das sei der Beklagten nicht gelungen. Der von ihr in erster Linie geltend gemachte Wegfall der Hierarchieebene "Meister" setze kündigungsrechtlich zum einen die Feststellung der Arbeitsmenge zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs voraus und zum anderen die Umverteilung und/oder den Wegfall von Tätigkeiten. Hierfür sei es u. a. nicht ausreichend, wenn die Beklagte ausführe, dass die Tätigkeit des Klägers zunächst im Wesentlichen in der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben und der Anleitung von Auszubildenden bestanden habe, handwerklich der Kläger jedoch nur sehr geringfügige Leistungen erbracht und sich später darauf beschränkt habe, die Einlassungen des Klägers zu seinen Tätigkeiten zu bestreiten bzw. als unsubstantiiert zurückzuweisen. Erst recht reiche es vor dem Hintergrund der Darlegungs- und Beweislast nicht aus, dass die Beklagte behauptet habe, der Kläger habe keineswegs 21 Stunden in der Woche für sie gearbeitet, sondern sei nach eigenem Gutdünken in den Betriebsräumen der Beklagten erschienen und sie schätze die Anwesenheitszeiten des Klägers im Betrieb auf maximal 15 Wochenstunden.

Gegen das ihr am 12.03.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem bei Gericht am 12.04.2007 eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem hier am 14.05.2007 (Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend:

Zu Unrecht vertrete die Vorinstanz die Auffassung, dass die Kündigung nicht durch betriebliche Erfordernisse i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt gewesen sei. Bei der Streichung der Hierarchieebene des (alleinigen) Meisters handele es sich um einen innerbetrieblichen Umstand, der eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermöge. Denn die Aufgaben, die der Kläger bisher wahrgenommen habe, würden künftig von ihren Geschäftsführern übernommen, so dass keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gegeben sei. Dies sei ihren beiden Geschäftsführern auch unproblematisch möglich. Von den mit dem Kläger wöchentlich vereinbarten 21 Stunden hätten ihre beiden Geschäftsführer jeweils einen zusätzlichen Aufwand von 10,5 Stunden. Dies sei angesichts des um 20 % geringer gewordenen Arbeitsvolumens unproblematisch zu leisten. Dies gelte erst recht, wenn man von der Anwesenheitszeit des Klägers von allenfalls 15 Stunden in der Woche ausginge. Dann würden beide Geschäftsführer 7,5 Stunden wöchentlich zusätzlich übernehmen. Da hier eine Arbeitsverdichtung auf andere Arbeitnehmer nicht gewollt sei, hätte sie entgegen der Ansicht der Vorinstanz keine näheren Ausführungen zur Umverteilung machen müssen. Der zuständige Sachbearbeiter bei der Handwerkskammer Düsseldorf habe ihrem Geschäftsführer N. U. im Mai/Juni 2006 erklärt, dass eine Beantragung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO für ihn unproblematisch sei. Er habe ihr signalisiert, dass eine Ausnahmebewilligung auf jeden Fall erteilt würde. Im Hinblick darauf, dass ihr Geschäftsführer N. U. das 45. Lebensjahr erst Anfang Januar 2007 vollendet habe, habe dieser die Ausführungen der Handwerkskammer dahingehend verstanden, dass ein entsprechender Antrag auch erst zeitgleich mit dem tatsächlichen Ausscheiden des Klägers erfolgen solle. Tatsächlich habe sie den Antrag auf Sondergenehmigung zur Führung eines Handwerksbetriebes am 28.12.2006 gestellt. Die hierzu erforderlichen ergänzenden Unterlagen habe sie der Handwerkskammer Düsseldorf am 15.02.2007 vorgelegt. Mit Bescheid vom 30.04.2007 habe die Handwerkskammer Düsseldorf - unstreitig - ihr eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle gemäß § 8 HwO erteilt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des am 16.02.2007 verkündeten und am 12.03.2007 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 12 Ca 4159/06 - abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend geltend:

Das Arbeitsgericht habe zu Recht festgestellt, dass die Beklagte nähere Ausführungen zur Umverteilung der Arbeit hätte machen müssen. Die Geschäftsführer der Beklagten hätten auch noch andere Tätigkeiten, als seine seit dem 01.01.2007 übernehmen müssen, nämlich diejenigen, die Herr X. zuvor in ihrem zum 31.12.2006 eingestellten I. Betrieb habe erledigen müssen. Verstoße eine Unternehmerentscheidung gegen Gesetzesrecht, wie hier gegen § 8 HwO, führe dies zur offenbaren Unsachlichkeit und damit Unbeachtlichkeit einer Unternehmerentscheidung.

Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG) ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG) begründet worden.

B.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat die Vorinstanz jedenfalls im Ergebnis der Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) des Klägers stattgegeben, weil die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.06.2006 gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam ist und deshalb das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 31.12.2006 aufgelöst worden ist.

I. Eine ordentliche Kündigung ist u. a. gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers entgegenstehen, bedingt ist. Betriebliche Erfordernisse i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Ursachen (z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) ergeben (st. Rspr., z. B. BAG 24.08.2006 - 8 AZR 317/05 - EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 60; BAG 18.10.2006 - 2 AZR 435/05 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 151). Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (st. Rspr., z. B. BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 108). Im Rahmen des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist nicht zu prüfen, ob ein bestimmter Arbeitsplatz weggefallen ist, sondern ob, und in welchem Umfang das Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer entfallen ist (st. Rspr., z. B. BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 108). Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (st. Rspr., z. B. BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - a. a. O.).

II. Die Geschäftsführer der Beklagten haben am 23.06.2006 die Entscheidung getroffen, die Tätigkeiten, die der Kläger bisher ausgeführt hatte, künftig selbst zu übernehmen. Hierbei handelt es sich um eine innerbetriebliche Unternehmerentscheidung (vgl. BAG 22.03.1990 - 2 AZR 144/89 - RzK I 5 C Nr. 36 nur Ls.). Dahinstehen bleiben kann, ob die Beklagte auch dann, wenn die bisher von dem gekündigten Arbeitnehmer erledigten Arbeiten nicht auf andere Arbeitnehmer, sondern, wie im Streitfall, auf ihre Geschäftsführer übertragen werden, nachvollziehbar darlegen muss, dass sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit neben ihren bisherigen Arbeiten weitere Aufgaben erfüllen können (vgl. APS/Kiel, 3. Aufl. 2007, § 1 KSchG Rz. 545) und ob der Beklagten dies durch ihr Vorbringen in diesem Rechtsstreit gelungen ist. Denn jedenfalls war die von der Beklagten am 23.06.2006 getroffene innerbetriebliche Unternehmerentscheidung offenbar unsachlich.

1. Offenbar unsachlich können z. B. Unternehmerentscheidungen sein, die unmittelbar oder mittelbar gegen Gesetze oder Verträge verstoßen, ihrer Umgehung dienen, oder die sich nur unter Verstoß gegen Gesetzes- bzw. Tarifrecht, gegen betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben bzw. gegen Gesellschaftsverträge oder Satzungen realisieren lassen (BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - a. a. O.; vgl. auch BAG 26.09.2002 - 2 AZR 636/01 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 124; BAG 22.04.2004 - 2 AZR 385/03 - EzA § 2 KSchG Nr. 50 KR/Etzel, 8. Aufl. 2007, § 1 KSchG Rz. 523; APS/Kiel, 3. Aufl. 2007, § 1 KSchG Rz. 467a m. w. N.). Allerdings wird in der Rechtsprechung teilweise nur dann eine offensichtliche unsachliche unternehmerische Entscheidung angenommen, wenn der Schutzweck der verletzten Norm das betroffene Arbeitsverhältnis unmittelbar erfasst (BAG 17.06.1999 - 2 AZR 456/98 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 103; BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - a. a. O.). In jedem Fall findet nicht nur eine eingeschränkte Missbrauchskontrolle, sondern eine Rechtskontrolle durch die Arbeitsgerichte statt (BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99 - a. a. O.).

2. Im Streitfall hat die Beklagte ab dem 01.01.2007 gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO verstoßen. Danach muss der Inhaber eines Betriebs, der ein zulassungspflichtiges Handwerk betreibt, in der Handwerksrolle eingetragen sein. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HwO wird als Inhaber eines Betriebs eines zulassungspflichtigen Handwerks eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle mit dem zu betreibenden Handwerk oder einem mit diesem verwandten Handwerk erfüllt. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger unstreitig bis zum 31.12.2006. Er war der Betriebsleiter der Beklagten und hatte in dem von den Beklagten betriebenen Handwerk (Zahntechniker) die Meisterprüfung bestanden.

3. Nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Betrieb der Beklagten infolge der von ihr zum 31.12.2006 ausgesprochenen Kündigung durfte diese ihr Dentallabor nur mit einer Ausnahmebewilligung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HwO weiterführen. Denn seit dem 01.01.2007 fehlte jemand, der die Meisterprüfung bestanden hatte (vgl. § 7 Abs. 1a HwO). Die Ausnahmebewilligung wird gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 HwO auf Antrag des Gewerbetreibenden von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer zu den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 des § 8 HwO und des § 1 Abs. 2 HwO erteilt. Im Streitfall hat die Handwerkskammer Düsseldorf der Beklagten erst mit Bescheid vom 30.04.2007 eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle mit dem Zahntechniker-Handwerk erteilt.

4. Allerdings ist der Beklagten zuzugestehen, dass ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 HwO vordergründig nicht unmittelbar den Schutz des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfasst. Der Gesetzgeber hat die Zulassung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks von dem Nachweis beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten abhängig gemacht, um im Interesse der gesamten Wirtschaft den hohen Leistungsstand und die Leistungsfähigkeit der Handwerkerschaft zu erhalten. Gleichzeitig wollte er die sachgerechte Ausbildung des Nachwuchses für das Handwerk wie auch für die übrige gewerbliche Wirtschaft sicherstellen. In der Einführung des Befähigungsnachweises und der Eintragung in die Handwerksrolle sah er ein geeignetes und notwendiges Mittel zur Erreichung dieses Ziels (BVerfG 17.07.1961 - 1 BvL 44/55 - BVerfGE 13, 97, 107 ff. mit umfangreichen Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte der Handwerksordnung; BGH 22.09.1983 - VII ZR 43/83 - BGHZ 88, 240, 244). Dagegen kam es nicht darauf an, Gefahren für die Gesamtheit oder den Einzelnen aus einer unsachgemäßen Berufsausübung abzuwenden. Maßgebend war vielmehr das Interesse an der Erhaltung und Förderung eines gesunden, leistungsfähigen Handwerksstandes als Ganzes (BVerfG 17.07.1961 - 1 BvL 44/55 - BVerfGE 13, 97, 110).

5. Danach würde, wenn man der Meinung folgt, die Rechtskontrolle der unternehmerischen Entscheidung würde sich auf die Verletzung des Schutzzwecks der Norm, gegen die der Arbeitgeber verstoßen hat, beschränken, die von der Beklagten 23.06.2006 getroffene innerbetriebliche unternehmerische Entscheidung nicht unter das Verdikt der offenbaren Unsachlichkeit fallen. Allerdings muss im Streitfall nicht entschieden werden, ob die in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorzunehmende Rechtskontrolle der unternehmerischen Entscheidung derart eingeschränkt ist. Die Beklagte kann sich nämlich nach Auffassung der Kammer im Streitfall nicht darauf berufen, die Rechtskontrolle ihrer am 23.06.2006 getroffenen Unternehmerentscheidung würde nicht zur Sozialwidrigkeit der streitbefangenen Kündigung (vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG) führen, weil der Schutzzweck der §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1 HwO nicht unmittelbar das Arbeitsverhältnis der Parteien ergreifen würde.

a) Die Beklagte hat sich bei der von ihr getroffenen Unternehmerentscheidung, was die zeitliche Umsetzung betrifft, selbst gebunden, hat diese Selbstbindung aber tatsächlich nicht vollzogen und damit ein § 242 BGB widersprechendes Verhalten gezeigt. Wie aus ihrem Schreiben vom 27.06.2006 an die Handwerkskammer Düsseldorf in Verbindung mit ihrem Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 30.07.2007 hervorgeht, wollte die Beklagte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, der für ihre Wirksamkeit nach § 1 Abs. 1 KSchG maßgeblich ist (z. B. BAG 27.02.1997 - 2 AZR 160/96 - EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1; vgl. auch BAG 12.04.2002 - 2 AZR 256/01 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; BAG 22.09.2005 - 2 AZR 365/04 - juris), ihr Dental-Labor nach dem Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers am 31.12.2006 entsprechend den Vorschriften der Handwerksordnung fortführen. Hierzu wäre aber, wie erwähnt, ab dem 01.01.2007 eine Ausnahmebewilligung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 HwO erforderlich gewesen. Ob diese ohne weiteres gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 HwO zum 01.01.2007 erteilt worden wäre, hätte die Beklagte den notwendigen Antrag (vgl. § 8 Abs. 1 HwO) rechtzeitig gestellt, ist unerheblich. Allein entscheidend ist, dass die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung oder unmittelbar danach nicht alles nach dem Gesetz erforderliche unternommen hat, damit die Ausnahmebewilligung, obwohl sie sich entsprechend den Vorschriften der HwO nach dem Ausscheiden des Klägers verhalten wollte, am 01.01.2007 vorlag.

b) Soweit die Beklagte die angebliche (verspätete) Antragstellung Ende Dezember 2006 mit einem Missverständnis aufgrund einer Auskunft der Handwerkskammer Düsseldorf erklären will, ist unerheblich. Insofern hätte sie sich vor Umsetzung ihrer am 23.06.2006 getroffenen Unternehmerentscheidung bei einer hierfür zuständigen Stelle Rechtsrat einholen müssen. Hierfür wäre auch genügend Zeit gewesen, da die Beklagte erstinstanzlich selbst einräumt (vgl. Schriftsatz vom 08.02.2007, Seite 5) "zugegebenermaßen lange mit ihrer dann am 23.06.2006 getroffenen unternehmerischen Entscheidung gewartet" zu haben.

6. Wegen dieser von der Beklagten bis Juni 2006 gezeigten Geduld dürfte es auch an der Dringlichkeit i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, was die streitbefangene Kündigung betrifft, fehlen. Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, warum ausgerechnet bereits am 27.06.2006 (Kündigungsausspruch) zum 01.01.2007 die am 23.06.2006 getroffene Entscheidung, künftig durch ihre Geschäftsführer die bisher vom Kläger erledigten Arbeiten ausführen zu lassen, in die Tat umgesetzt werden sollte, ohne gleichzeitig durch eine entsprechende rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen, dass eine Ausnahmebewilligung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HwO auch tatsächlich am 01.01.2007 vorlag.

C.

Die Kosten der Berufung waren gemäß § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG der Beklagten aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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