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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: 11 Sa 615/05
Rechtsgebiete: GG, BG-AT, Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3 Satz 1
BG-AT § 15 a (i. d. F. bis zum 31.12.2002)
BG-AT § 47
Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT § 1 Nr. 1
Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT § 2
1. Trotz praktischer Ähnlichkeit mit dem gesetzlichen Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG) handelt es sich bei einem tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeitverkürzungs-Tag (AZV-Tag) um eine besondere Arbeitszeit und nicht um eine Urlaubsregelung, so dass die Inanspruchnahme eines AZV-Tages nicht als Inanspruchnahme eines Urlaubstages behandelt werden kann (vgl. auch OVG Münster 04.08.2004 - 6 A 619/04 -).

2. Das schutzwürdige Vertrauen eines Arbeitnehmers in den Fortbestand eines tarifvertraglichen Rechts entfällt nicht bereits dadurch, dass dieses Recht innerhalb des Geltungsbereichs eines anderen Tarifvertrages rückwirkend gestrichen wurde. Dies gilt wegen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG selbst dann, wenn es einer jahrzehntelangen Gepflogenheit der Tarifvertragsparteien entspricht, die Änderungen des anderen Tarifvertrages mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zu übernehmen.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.03.2005 5 Ca 8638/04 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand: Der am 11.08.1946 geborene Kläger ist seit dem 23.02.1970 bei der Beklagten als Programmierer zuletzt mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 4.000 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrages (BG-AT) Anwendung. Dieser Tarifvertrag wird vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. einerseits, sowie dem Verband der Angestellten der gesetzlichen Unfallversicherung und der Gewerkschaft ver.di andererseits abgeschlossen. § 15a BG-AT in seiner jedenfalls bis zum 31.12.2002 gültigen Fassung sah vor, dass jedem Arbeitnehmer pro Jahr Anspruch auf einen Arbeitszeitverkürzungstag (AZV-Tag) zusteht. Der BG-AT entspricht im Wesentlichen dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Jedoch sind die beiden Tarifverträge nicht völlig inhaltsgleich. So wird im Rahmen der Geltung des BG-AT ein Jubiläumsgeld gezahlt, welches im BAT bereits vor geraumer Zeit gestrichen wurde. Änderungen des BAT werden seit Jahrzehnten jedenfalls meistens mit zeitlicher Verzögerung in den BG-AT übernommen. Im Jahr 2003 wurden die Vergütungstarifverträge des BAT von der Arbeitgeberseite fristgerecht zum Ablauf des 31.12.2003 gekündigt. Gleichzeitig kündigte der HVBG den Vergütungstarifvertrag zum BG-AT. Im Januar 2003 wurde der BAT geändert. Dabei wurde unter anderem der bis dahin geregelte AZV-Tag ersatzlos rückwirkend zum 01.01.2003 gestrichen und die Tariflöhne wurden rückwirkend zum 01.01.2003 erhöht. Am 10.01.2003 wurde die Änderung des BAT öffentlich in den Medien mitgeteilt, wobei streitig ist, ob bzw. in welchem Umfang dabei gerade die Streichung des AZV-Tages besondere Erwähnung fand. Am 17.01.2003 wollte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Geburtstag besuchen. Zu diesem Zweck nahm er den AZV-Tag für das Jahr 2003, nachdem er dies zuvor auf dem für ihn vorgesehenen Urlaubsschein für das Jahr 2003 vermerkt hatte. Am 01.09.2003 unterzeichneten die zuständigen Tarifparteien den auf den 31.01.2003 datierten Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT. In diesem wurde durch § 1 Nr. 1, § 2 der in § 15a BG-AT vorgesehene AZV-Tag rückwirkend zum 01.01.2003 gestrichen. Mit Schreiben vom 02.10.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass alle AZV-Tage, welche nach dem 09.01.2003 bewilligt worden seien, umgewandelt werden müssten. Die Beklagte forderte den Kläger zugleich auf, mitzuteilen, ob der von ihm in Anspruch genommene AZV-Tag durch einen Abzug vom Gleitzeitkonto ausgeglichen oder auf seinen Erholungsurlaub der Jahre 2003 und 2004 angerechnet werden sollte. Diesem Ansinnen widersprach der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2003. Nachdem die Beklagte ihn mit Schreiben vom 22.04.2004 erneut aufgefordert hatte, mitzuteilen, welche Art von Umwandlung erfolgen solle, teilte sie ihm per E-Mail vom 24.06.2004 mit, dass der AZV-Tag in einen Urlaubstag umgewandelt und sein Urlaubsschein entsprechend geändert worden sei. Dabei zog die Beklagte dem Kläger einen Urlaubstag für das Jahr 2004 ab. Mit seiner am 17.11.2004 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Gewährung eines zusätzlichen Urlaubstages für das Jahr 2004. Der Kläger hat die Auffassung vertreten: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihm für den ihm bereits genehmigten und von ihm am 17.01.2003 in Anspruch genommenen AZV-Tag einen Urlaubstag abzuziehen. Insbesondere berechtige auch der Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT die Beklagte nicht hierzu. Denn ein bereits genehmigter und in Anspruch genommener AZV-Tag könne nicht durch eine nachträgliche rückwirkende Änderung des Tarifvertrages gestrichen werden. Eine solche Art der Rückwirkung sei unzulässig. Der Kläger hat behauptet: Der von ihm beantragte AZV-Tag sei ihm in der Weise gewährt worden, dass er diesen rechtzeitig, d.h. jedenfalls eine Woche vor dem 17.01.2005, auf dem für ihn vorgesehenen Urlaubsschein, welcher sich im Vorzimmer des Abteilungsleiters C. befunden habe, eingetragen und den Schein sodann wieder im Vorzimmer abgegeben habe. Was sodann mit dem Schein geschehen sei, könne er nicht sagen. Jedenfalls sei es in der Abteilung, in der er arbeite nicht üblich, dass dem Arbeitnehmer der Urlaubsschein erneut vorgelegt werde. Vielmehr sei es so, dass der Arbeitnehmer immer wenn er keine negative Rückmeldung erhalte, davon ausgehen könne, dass der beantragte Urlaub gewährt worden sei. Die auf dem Urlaubsschein-Vordruck vorgesehene Unterschrift des Abteilungsleiters sei für die Urlaubsgewährung nicht konstitutiv. Dies folge bereits daraus, dass der Urlaubsschein dem Arbeitnehmer nach der Urlaubsbeantragung nicht vorgelegt werde, er also nicht überprüfen könne, ob der Abteilungsleiter den Urlaub abgezeichnet habe oder nicht. Darüber hinaus sei es in den vergangenen Jahren nicht vorgekommen, dass ihm - dem Kläger - ein beantragter Urlaubstag nicht gewährt worden sei. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm für das Jahr 2004 einen zusätzlichen Urlaubstag zu gewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Kläger habe den AZV-Tag am 17.01.2003 eigenmächtig in Anspruch genommen. Es fehle bereits ein Genehmigungsvermerk des Abteilungsleiters für den vom Kläger am 17.01.2003 in Anspruch genommenen AZV-Tag. Die Umwandlung des AZV-Tages in einen Urlaubstag durch sie sei auch zu Recht erfolgt. Es liege kein Fall einer unzulässigen Rückwirkung vor. Der Kläger habe nämlich jedenfalls seit der Bekanntgabe des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst in Presse, Funk und Fernsehen am 10.01.2003 nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihm für das Jahr 2003 ein AZV-Tag zustehe. Da die Änderungen des BAT regelmäßig auch auf den BG-AT übertragen worden seien, habe er ab diesem Zeitpunkt damit rechnen müssen, dass auch im Geltungsbereich des BG-AT der AZV-Tag rückwirkend zum 01.01.2003 gestrichen werde. Der Kläger dürfe, insbesondere da er aktives Mitglied der Gewerkschaft ver.di sei, auch Kenntnis von den Änderungen des BAT und der geplanten Übernahme dieser Änderungen auf den BG-AT und der damit einhergehenden rückwirkenden Streichung des AZV-Tages gehabt haben. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die rückwirkende Änderung des BG-AT (Streichung des in § 15a a.F. vorgesehenen AZV-Tages) zum 01.01.2003 berechtige die Beklage nicht, den vom Kläger in Anspruch genommenen AZV-Tag in einen Urlaubstag umzuwandeln. Diese Änderung stelle nämlich eine unzulässige echte Rückwirkung dar, soweit dadurch bereits beantragte und gewährte AZV-Tage nachträglich aberkannt würden. Auch habe der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2003 auf den Bestand der Rechtslage vertrauen dürfen. Insbesondere habe er nicht zwingend damit rechnen müssen, dass die im Januar 2003 vereinbarte Abschaffung des AZV-Tages für den BG-AT automatisch übernommen werde. Einer solchen Annahme stehe bereits die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie entgegen. Es komme nicht darauf an, ob dem Kläger der AZV-Tag gewährt worden bzw. genehmigt worden sei. In der tatsächlichen Inanspruchnahme eines nicht genehmigten AZV-Tages könne zwar möglicherweise eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten zu erblicken sein. Sie würde aber ohnehin keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs darstellen. Gegen das ihr am 06.04.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 03.05.2005 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 07.06.2005 eingereichtem Schriftsatz begründet. Die Beklagte macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im wesentlichen geltend: Bereits im Dezember 2002 habe der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. den tarifschließenden Gewerkschaften mitgeteilt, es sei beabsichtigt, die in der Tarifrunde 2003 für den öffentlichen Dienst erzielten Ergebnisse entsprechend der jahrzehntelangen Gepflogenheit auch für die gewerblichen Berufsgenossenschaften zu übernehmen. Der Kläger habe am 16.01.2003 den AZV-Tag für den 17.01.2003 auf dem für ihn bestimmten Urlaubsbogen eingetragen und sich am selben Tag für den 17.03.2003 als AZV mit einem Soll von 7:42 Stunden am Gleitzeitterminal ausgebucht. Gerade die Eile , mit welcher er den AZV-Tag für 2003 in Anspruch genommen habe, zeige, dass er mit einem Wegfall dieses Tages gerechnet habe. Für den Besuch des Geburtstages am 17.01.2003 hätte schließlich ein Urlaubstag in Anspruch genommen werden können. Die Streichung des AZV-Tages sei das Opfer, welches die Gewerkschaften für die Tariflohnerhöhungen erbracht hätten. Der Kläger sei zu Unrecht doppelt begünstigt, wenn er einerseits im Jahr 2003 den AZV-Tag habe in Anspruch nehmen können und andererseits zugleich für das gesamte Jahr 2003 den erhöhten Tariflohn erhalten habe. Der vorliegende Fall sei auch nicht als abgeschlossener Fall zu qualifizieren, da der Kläger den AZV-Tag nach dem 09.01.2003, also dem Tag der Bekanntgabe des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst, in Anspruch genommen habe. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. März 2005 5 Ca 8638/04 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Entscheidungsgründe: A. Die Berufung der Beklagten, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Düsseldorf der Klage stattgegeben. Die Beklagte ist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BG-AT verpflichtet, den dem Kläger gegenwärtig für 2004 noch zustehenden Urlaub um einen Tag zu erhöhen, da sie nicht berechtigt war, für den am 17.01.2003 in Anspruch genommenen AZV-Tag einen Urlaubstag für 2004 abzuziehen. Eine solche Berechtigung ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt der Erfüllung des Urlaubsanspruchs von einem Tag am 17.01.2003. Der Kläger hat für den 17.01.2003 unstreitig keinen Urlaub beantragt und auch keinen Urlaub in Anspruch genommen. Die Beklagte war darüberhinaus jedenfalls am 24.06.2004 nicht (mehr) berechtigt, den vom Kläger im Januar 2003 in Anspruch genommenen AZV-Tag in einen Urlaubstag umzuwandeln bzw. mit einem solchen zu verrechnen. Ein solcher Anspruch auf Umwandlung oder Verrechnung wäre nämlich jedenfalls mit Ablauf des 30.04.2004 erloschen. Denn der Jahresurlaub als solcher stellt einen in sich abgeschlossenen Anspruchstatbestand dar, welcher im vorliegenden Fall jedenfalls mit Ablauf des 30.04.2004 endgültig abgeschlossen war. Dies ergibt sich anhand der Regelung des § 47 Abs. 7 Unterabs. 2 BG-AT. Danach verfällt der Urlaub, der nicht spätestens innerhalb des Urlaubsjahres, welches gem. § 47 Abs. 1 Satz 2 BG-AT dem Kalenderjahr entspricht, oder gem. § 47 Abs. 7 Unterabs. 2 Satz 1 BG-AT bis zum 30.04. des folgenden Urlaubsjahres angetreten ist, wenn nicht einer der in § 47 Abs. 1 S. 3, 4 BG-AT genannten Ausnahmetatbestände vorliegt. Ein solcher Ausnahmetatbestand ist im vorliegenden Fall weder dargetan noch ersichtlich. Überdies stellt die Inanspruchnahme eines AZV-Tages durch den Kläger gerade keine Inanspruchnahme von Urlaub dar. Denn bei einem tarifvertraglich vorgesehenen AZV-Tag handelt es sich trotz praktischer Ähnlichkeiten mit Erholungsurlaub um eine besondere Arbeitszeitregelung und eben nicht um eine Urlaubsregelung (vgl. insoweit zur Parallelproblematik im Beamtenrecht OVG NRW v. 04.08.2004 6 A 619/04). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt berechtigt war, ihrerseits nachträglich ohne einen Antrag des Klägers dessen Urlaub einseitig festzusetzen, was zumindest fraglich erscheint (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Ein Anspruch der Beklagten auf Umwandlung des AZV-Tages in bzw. auf Verrechnung mit einem Urlaubstag ergibt sich selbst dann nicht, falls der Kläger den AZV-Tag eigenmächtig in Anspruch genommen haben sollte. Dies mag eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellen. Diese Frage kann jedoch im vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen, da dies jedenfalls nicht die Rechtsfolge der Erfüllung eines Urlaubstages auslösen oder die Beklagte aus einem anderen Grund berechtigen würde, dem Kläger einen Urlaubstag abzuziehen. Eine Berechtigung der Beklagten zur Umwandlung des vom Kläger bereits genommenen AZV-Tages in einen Urlaubstag ergibt sich auch nicht aus dem BG-AT in der Fassung des Ergänzungstarifvertrages Nr. 101 vom 31.01.2003. Soweit dieser Tarifvertrag solche AZV-Tage, die vor seinem Abschluss bereits gewährt wurden, nachträglich aberkennt, ist er unwirksam. Eine rückwirkende Aberkennung bereits in Anspruch genommener AZV-Tage greift nachträglich in einen in der Vergangenheit liegenden und bereits abgeschlossenen Sachverhalt ein. Dabei handelt es sich um einen Fall sog. echter Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung verstößt gegen das in Art. 20 GG verankerte Gebot der Rechtsstaatlichkeit, zu dessen besonderen Bestandteilen die Rechtssicherheit gehört (BVerfG v. 23.11.1999 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, 239, v. 15.10.1996 1 BvL 44, 48/92 - BVerfGE 95, 64, Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. Art. 20 Rdnr. 28). Aufgrund dieses verfassungsrechtlichen Verbots ist eine sog. echte Rückwirkung nicht nur bei Gesetzen, sondern auch bei Tarifverträgen grundsätzlich unzulässig, wenn nicht ein Ausnahmetatbestand vorliegt. Dem vorliegenden Fall liegt eine solche Konstellation echter Rückwirkung zugrunde. Der Kläger nahm den AZV-Tag am 17.01.2003 in Anspruch. An diesem Tag war der Ergänzungstarifvertrag Nr. 101 zum BG-AT noch nicht abgeschlossen, vielmehr entfaltete jene Fassung des BG-AT Nachwirkung, welche zum 31.12.2002 gekündigt worden war. Der Ergänzungstarifvertrag zum BG-AT wurde nämlich erst am 01.09.2003 von allen Tarifpartnern unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt aber lag bereits ein abgeschlossener Sachverhalt vor, da der Kläger den AZV-Tag für das Jahr 2003 bereits in Anspruch genommen hatte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen abgeschlossenen Sachverhalt handelt, ist der Zeitpunkt, zu dem die Rückwirkung in Kraft gesetzt wird, hier also der 01.09.2003. Keinesfalls kann als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt der 09. oder 10.01.2003 zugrundegelegt werden. Denn es kommt nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Änderungen des BAT bekannt gegeben wurden, sondern es ist allein auf die Änderung des BG-AT abzustellen. Es widerspräche nämlich der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Tarifautonomie, wenn man annähme, die Änderung des BAT wirke sich gleichsam automatisch auch auf den BG-AT aus. Daran würde es auch nichts ändern, wenn es was überdies bestritten ist einer jahrzehntelangen Gepflogenheit entspräche, dass die den BG-AT abschließenden Tarifpartner die Änderungen des BAT stets mit einiger zeitlicher Verzögerung übernommen haben. Denn selbst wenn dies jahrzehntelang so praktiziert worden sein sollte, hätten sich die Tarifpartner des BG-AT dadurch nicht ihrer Tarifautonomie begeben. Es stünde ihnen nach wie vor in jeder Tarifrunde erneut frei, von der jahrzehntelangen Gepflogenheit abzuweichen und von den Änderungen des BAT abweichende Änderungen zu vereinbaren. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst kann deshalb keinen anderen Umstand , der das schutzwürdige Vertrauen in den Fortbestand der Tarifnorm beseitigen könnte, i. S. d. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 17.05.2000 4 AZR 216/99 - NZA 2000, 1297 ff.) darstellen. Die Tatsache, dass es sich bei der tarifvertraglichen Grundlage für den AZV-Tag, nämlich bei § 15a BG-AT, um einen lediglich nachwirkenden Tarifvertrag gehandelt hat, vermag im vorliegenden Fall nicht zur Zulässigkeit einer echten Rückwirkung zu führen. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteile v. 23.11.1994 4 AZR 879/93, NZA 1995, 844 ff.; v. 09.09.1999 4 AZR 661/98, NZA 2000, 223 ff.), derzufolge auch wohlerworbene tarifvertragliche Rechte , deren Grundlage ein nur nachwirkender Tarifvertrag ist, nachträglich rückwirkend durch für die Tarifunterworfenen ungünstigere tarifvertragliche Regelungen ersetzt werden können, ermöglicht es nicht, solche, bereits in der Vergangenheit vollständig abgeschlossene Sachverhalte nachträglich neu zu bewerten. Die zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O.) bezieht sich nämlich ausdrücklich auf noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen (BAG, a.a.O.). Hieraus kann keinesfalls gefolgert werden, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lasse in Widerspruch zu Art. 20 GG echte Rückwirkung auch in solchen Fällen zu, in denen keine der anerkannten Ausnahmen vom Verbot echter Rückwirkung vorliege, nämlich Fälle, in denen kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bestehen kann, Fälle, in denen überragende Belange des Gemeinwohls eine Rückwirkung gebieten oder Fälle, in denen dem durch die Rückwirkung Benachteiligten lediglich unerheblicher Schaden droht. Ein solcher anerkannter Ausnahmetatbestand, aufgrund dessen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig wäre, ist im vorliegenden Fall jedoch nicht einschlägig. Insbesondere ist es nicht so, dass der Kläger, als er den AZV-Tag am 17.01.2003 in Anspruch nahm, nicht mehr auf den Bestand der Regelung des § 15a BG-AT a.F. vertrauen durfte. Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger am 10.01.2003 oder am 17.01.2003 bekannt war, dass im Geltungsbereich des BAT der AZV-Tag rückwirkend zum 01.01.2003 gestrichen worden war. Denn selbst wenn ihm dies bekannt gewesen sein sollte, musste er nicht erwarten oder damit rechnen, dass der AZV-Tag für das Jahr 2003 gleichsam zwingend auch im Geltungsbereich des BG-AT (rückwirkend) gestrichen werden würde. Dabei ist es ohne Relevanz, ob der Kläger gewerkschaftlich besonders aktiv ist. Wäre dies tatsächlich der Fall, so bedeutet dies eben gerade nicht zwingend, dass der Kläger mit einem (rückwirkenden) Wegfall des AZV-Tages auch im Geltungsbereich des BG-AT rechnen musste. Ebenso gut könnte er geglaubt haben, seine Gewerkschaft könne im Geltungsbereich des BG-AT eben ein für die Arbeitnehmer günstigeres Verhandlungsergebnis erzielen als im Geltungsbereich des BAT (Erhöhung des Tariflohns völlig ohne oder jedenfalls ohne rückwirkenden Wegfall des AZV-Tages). Überdies verstieße wie oben bereits aufgezeigt die Annahme, der Kläger habe deshalb mit einem (rückwirkenden) Wegfall des AZV-Tages rechnen müssen, weil es was überdies bestritten ist einer jahrzehntelangen Gepflogenheit entspreche, dass die Änderungen des BAG für die gewerblichen Berufsgenossenschaften übernommen würden, gegen die verfassungsrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie. Zudem hat die Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass die Änderungen des BAT von den den BG-AT abschließenden Tarifpartnern regelmäßig mit zeitlicher Verzögerung übernommen würden. Vor diesem Hintergrund musste der Kläger, selbst wenn ihm der rückwirkende Wegfall des AZV-Tages im Geltungsbereich des BAT bekannt gewesen sein sollte, nicht damit rechnen, dass der AZV-Tag auch im Geltungsbereich des BG-AT bereits rückwirkend zum 01.01.2003 in Wegfall geraten würde; ebenso gut hätten die Tarifpartner auch insoweit eine zeitliche Verzögerung vereinbaren können. Dies wäre auch dergestalt möglich gewesen, dass der ablösende Tarifvertrag dennoch hätte nahtlos an den vorherigen anschließen können. Denn die Tarifvertragsparteien hätten für das Jahr 2003 auch eine gestaffelte Lohnerhöhung unter (teilweiser) Beibehaltung des AZV-Tages vereinbaren können. Ebenfalls unerheblich ist es, ob der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. im Dezember 2002 den tarifschließenden Gewerkschaften mitgeteilt hat, dass beabsichtigt sei, die in der Tarifrunde 2003 für den öffentlichen Dienst erzielten Ergebnisse auch für die gewerblichen Berufsgenossenschaften zu übernehmen. Hierbei würde es sich lediglich um eine einseitige Erklärung eines Tarifpartners handeln. Eine solche aber genügt nicht, das schutzwürdige Vertrauen der Tarifunterworfenen in den Fortbestand der Tarifnorm zu erschüttern. Sie kann ebenso wenig wie der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst als Umstand gewertet werden, der das Vertrauen in den Fortbestand der Tarifnorm beseitigen könnte. Denn eine solche Sichtweise würde wie bereits aufgezeigt jedenfalls die für den Geltungsbereich des BG-AT zuständigen Gewerkschaften in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie verletzen. Würde man eine jahrzehntelange Gepflogenheit in Verbindung mit dem Willen einer Tarifvertragspartei, diese fortzuführen, genügen lassen, so hieße dies eine völlige Außerachtlassung eines etwaigen gegenläufigen Interesses der anderen Tarifvertragspartei, die möglicherweise gerade in dieser Tarifrunde eine andere Vorgehensweise beabsichtigt, beispielsweise weil sie sich aus welchen Gründen auch immer für diese Tarifrunde besondere Erfolgsaussichten verspricht. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, ob der Kläger den AZV-Tag mit besonderer Eile in Anspruch genommen hat. Denn wenn der Kläger damit gerechnet haben sollte, dass der AZV-Tag möglicherweise in Wegfall geraten werde, so musste er nicht mit einer echten Rückwirkung rechnen. Es kann nämlich vom Kläger nicht erwartet werden, dass er den Abschluss einer gegen das verfassungsrechtliche Verbot echter Rückwirkung verstoßenden tarifvertraglichen Regelung antizipiert. Der Kläger mag mit einem Wegfall des AZV-Tages für die Zukunft gerechnet haben. Dann aber war es aus seiner Sicht nur sinnvoll, den AZV-Tag schnellstmöglich noch in Anspruch zu nehmen. Es gibt kein Gesetz und keinen sonstigen Grund, weshalb ein von einer Rechtsnorm Begünstigter gehindert sein soll, die Begünstigung noch kurz vor deren Wegfall in Anspruch zu nehmen. Schließlich steht die Tatsache, dass der Kläger im Jahr 2003 gleichsam doppelt begünstigt wurde, nämlich durch die auf den 01.01.2003 zurückwirkende Erhöhung des Tariflohns bei gleichzeitiger Inanspruchnahme des nach dem Willen der Tarifpartner zum 01.01.2003 wegfallenden AZV-Tages, seinem Begehren nicht entgegen. Dies ist die zwingende Konsequenz, wenn ein Tarifvertrag rückwirkend sowohl Vor- als auch Nachteile für die tarifunterworfenen Arbeitnehmer vorsieht und es sich bei der Rückwirkung hinsichtlich der nachteiligen Regelung um einen Fall unzulässiger echter Rückwirkung handelt. Diese Konsequenz ergibt sich in allen Konstellationen unzulässiger Rückwirkung, in denen die Änderung für die Betroffenen sowohl Vor- als auch Nachteile hat. Man stelle sich etwa eine Regelung im Steuerrecht vor, die rückwirkend sowohl eine Senkung des Steuersatzes als auch einen Wegfall von Abschreibungsmöglichkeiten vorsieht. Verstößt der Wegfall der Abschreibungsmöglichkeit gegen das Verbot echter Rückwirkung, so ist der betroffene Bürger eben in dem einen Jahr doppelt begünstigt: Zum einen muss er lediglich den niedrigeren Steuersatz zahlen, zum anderen darf er die Abschreibungsmöglichkeit dennoch in Anspruch nehmen. B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG. Die Kammer hat der Sache grundsätzliche Bedeutung zugemessen und die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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