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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: 11 TaBV 105/08
Rechtsgebiete: BetrVG, SprAuG


Vorschriften:

BetrVG § 3
BetrVG § 3 Abs. 3
BetrVG § 3 Abs. 3 Satz 1
BetrVG § 21 a
BetrVG § 21 a Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 21 a Abs. 2
BetrVG § 21 a Abs. 2 Satz 1
BetrVG § 27 Abs. 2 Satz 2
BetrVG § 36
BetrVG § 118 Abs. 2
SprAuG § 20 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.06.2008 - 6 BV 58/08 - abgeändert:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für den Beteiligten zu 1) zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, welcher von zwei Betriebsräten nach einer Umstrukturierung fortbesteht.

Der Antragsteller ist der neunköpfige Betriebsrat eines Betriebes in S.. Dieser Betrieb mit rund 260 wahlberechtigten Arbeitnehmern gehörte bis zum 31.03.2008 zur T. Systems Integration AG (T. SI AG). Dieses Unternehmen wurde auf der Grundlage eines Verschmelzungsvertrages auf die Beteiligte zu 2) übertragen, die ihrerseits über einen Standort in S. mit rund 340 wahlberechtigten Arbeitnehmern verfügt. Beide Betriebe, die räumlich vier Kilometer voneinander entfernt liegen, waren bis zum 31.03.2008 bereits eng miteinander verbunden. Die personelle Leitung erfolgte für den Betrieb der T. SI AG in der Vergangenheit durch den dortigen Personalleiter T., der alle Standorte der T. SI AG in Mitbestimmungsfragen betreute. Mit der Verschmelzung wird die Leitung, wie für den zweiten Standort in S. auch, durch die Zentrale in X. ausgeübt.

Die Beteiligte zu 2) verfügt über einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat, nämlich den Beteiligten zu 3), der aus 23 Mitgliedern besteht. Dieser Betriebsrat wurde am 08.12.2006 gewählt. Der Wahl ging eine Abstimmung der Belegschaft voraus zur Frage, ob ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gewählt werden soll. Diese Abstimmung ergab eine deutliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen für einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat. Es stimmte jedoch nicht mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Belegschaft dafür.

Mit seinem zunächst beim Arbeitsgericht Mannheim anhängig gemachten Begehren, das sich durch Beschluss vom 24.04.2008 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Düsseldorf verwiesen hat, verlangt der Antragsteller zuletzt die Feststellung, dass er am Standort S. der Beteiligten zu 2) ein Übergangsmandat i. S. des § 21 a BetrVG habe.

Der Antragsteller hat im Wesentlichen geltend gemacht:

Die Wahl zum unternehmenseinheitlichen Betriebsrat bei der Beteiligten zu 2) sei nichtig gewesen. Deshalb könne nur er als wirksam konstituierter Betriebsrat das Mandat für die Belegschaft in S. in Form eines Übergangsmandats gemäß § 21 a BetrVG wahrnehmen.

Der Antragsteller hat beantragt

festzustellen, dass er am Standort S. der Beteiligten zu 2) ein Übergangsmandat im Sinne des § 21 a BetrVG hat.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, selbst dann, wenn die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nicht vorgelegen hätten, wäre dieser Fehler nicht so wesentlich und offensichtlich gewesen, dass er zur Nichtigkeit der Wahl des Beteiligten zu 3) hätte führen können.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 12.06.2008 dem Antrag des Antragstellers stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die von § 21 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Voraussetzung für die Entstehung eines Übergangsmandates geforderte Zusammenfassung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile zu einem Betrieb sei durch die Integration des Standortes der T. SI AG in den Betrieb der Beteiligten zu 2) erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) sei die Entstehung eines Übergangsmandates zu Gunsten des Antragstellers nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine Eingliederung in den eigenen Standort erfolgt sei, der mit dem Beteiligten zu 3) bereits über einen Betriebsrat verfügt habe. Zwar sei von einer Eingliederung auszugehen. Jedoch verfüge der aufnehmende Standort in S. nicht über einen wirksam errichteten Betriebsrat. Denn die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats gemäß § 3 Abs. 3 BetrVG sei nicht erfüllt gewesen. Die Arbeitnehmer hätten die Errichtung eines solchen Betriebsrats mit "Stimmenmehrheit", d. h. mit der Stimmenmehrheit aller Arbeitnehmer des Unternehmens, beschließen müssen. Diese sei jedoch nicht erreicht worden. Dieser Mangel führe, da er offensichtlich sei, zur Nichtigkeit der Wahl. Der Entstehung eines Übergangsmandates zu Gunsten des Antragstellers gemäß § 21 a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 21 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 BetrVG stehe nicht entgegen, dass § 21 a BetrVG dahingehend reduzierend auszulegen sei, dass im Fall der Integration eines Betriebes in einen bereits bestehenden betriebsratslosen Betrieb kein Übergangsmandat entstehe.

Gegen den den Beteiligten zu 2) und 3) am 09.07.2008 zugestellten Beschluss des ersten Rechtszuges haben beide Beteiligten mit einem am 18.06.2008 (Beteiligte zu 2) bzw. am 23.07.2008 (Beteiligter zu 3) eingereichten Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem hier am 29.07.2008 (Beteiligte zu 2) bzw. am 13.08.2008 (Beteiligter zu 3) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beteiligten zu 2) und 3) machen unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend:

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz folge nicht aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, dass es sich bei der dort genannten "Stimmenmehrheit" um die Mehrheit der Stimmen der Arbeitnehmer des Unternehmens handeln müsse. Vielmehr ergebe sich, dass die Mehrheit der Stimmen sich nur auf die abgegebenen Stimmen beziehen könne. Dies folge auch aus der systematischen Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Der Gesetzgeber stelle in Fällen, in denen er die Mehrheit der Mitglieder eines Wahl- bzw. Abstimmungskörpers für erforderlich halte, wie z. B. in § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG und in § 36 BetrVG, dies durch eine entsprechende sprachliche Gestaltung klar. Aber selbst wenn man der Vorinstanz folge und in § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Mehrheit der Stimmen der Arbeitnehmer des Unternehmens verlange, könne vorliegend nicht von einer Nichtigkeit der Wahl des Beteiligten zu 3) ausgegangen werden. Solange keine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu vorliege und in der Literatur verschiedene Auffassungen über das gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erforderliche Quorum vertreten würden, könne nicht von einem groben und offensichtlichen Verstoß gegen wesentliche gesetzliche Wahlregeln ausgegangen werden. Auch soweit es die Vorinstanz aufgrund eines Vergleiches mit der Situation des Vorliegens der Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 BetrVG für fraglich halte, ob bei einem Verstoß gegen § 3 BetrVG nur offensichtliche Fehler über die Anfechtungsfrist (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) hinaus berücksichtigt werden könnten, könne ihr nicht gefolgt werden. Der Grund dafür, dass das Bundesarbeitsgericht bei einer Betriebsratswahl in einem Betrieb, der nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht unter den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes falle, nicht von einem offensichtlichen Fehler für das Vorliegen der Nichtigkeit dieser Wahl ausgehe, beruhe dies auf schwierigen verfassungsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften.

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 6 BV 58/08 - vom 12.06.2008 abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt in erster Linie den angefochtenen Beschluss und führt unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus:

Zu Recht habe das Arbeitsgericht angenommen, dass § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG von der Stimmenmehrheit der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer ausgehe. Dies folge auch aus den Gesetzesmaterialien. So heiße es in der Begründung zur Novellierung des BetrVG 2001 in der BT-Drucks. 14/5741, Seite 34 zur beabsichtigten Neuregelung des § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ausdrücklich: "... hierfür ist ein entsprechender Mehrheitsbeschluss der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erforderlich." Zutreffend sei das Arbeitsgericht auch von der Nichtigkeit der Wahl des Beteiligten zu 3) ausgegangen. Es habe bereits an den Voraussetzungen zur Einleitung der Wahl gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, nämlich der erforderlichen Stimmenmehrheit der im Unternehmen der Beteiligten zu 2) beschäftigten Arbeitnehmer, gefehlt. Der Vergleich der Vorinstanz mit der Betriebsratswahl in einer karitativen oder erzieherischen Einrichtung einer Religionsgemeinschaft sei korrekt. Im Übrigen sei fraglich, ob es sich vorliegend überhaupt um eine Zusammenfassung von Betrieben i. S. des § 21 a Abs. 2 BetrVG handele, da die Verschmelzung nichts an den tatsächlichen betrieblichen Strukturen in S. geändert habe.

Wegen des sonstigen Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird ausdrücklich auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.

II. Die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3), gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, sind begründet. Denn entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass zu Gunsten des Antragstellers kein Übergangsmandat nach § 21 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG besteht.

1. Zunächst geht die Kammer mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass es mit Wirkung zum 01.04.2008 zu einer Zusammenfassung der in S. angesiedelten Betriebe der T. SI AG und der Beteiligten zu 2) i. S. von § 21 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gekommen ist. Hierfür maßgeblich ist, dass die beiden S. Betriebe, die auch schon zuvor eng verzahnt waren, seit dem 01.04.2008 von einer einheitlichen Leitungsmacht in personellen und sozialen Angelegenheiten, die von der Zentrale der Beteiligten zu 2) in X. ausgeübt wird, geführt werden. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass am Standort S. die betrieblichen Strukturen nach Behauptung des Beteiligten zu 1) nach dem 01.04.2008 wie zuvor weiter bestehen.

2. Die Vorinstanz hat auch richtig erkannt, dass gemäß § 21 a Abs. 1 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 21 a Abs. 2 Satz 2 BetrVG kein Übergangsmandat für einen Betriebsrat entstehen kann, wenn Betriebe zu einem Betrieb zusammengefasst werden, in dem bereits ein wirksam gewählter Betriebsrat besteht. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist diese Fallgestaltung jedoch vorliegend gegeben.

a) Anders als das Arbeitsgericht ist die Kammer der Auffassung, dass die bei der Beteiligten zu 2) am 11.09.2006 stattgefundene Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, nämlich des Beteiligten zu 3), nicht gegen zwingendes Recht verstieß. Zwar wird im Schrifttum - zumeist ohne nähere Begründung - die Auffassung vertreten, dass für den Beschluss, die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durchzuführen, die absolute Stimmenmehrheit aller Arbeitnehmer des Unternehmens erforderlich sei (z. B. ErfK/Eisemann, 9. Aufl. 2008, § 3 BetrVG Rz. 10; Fitting u. a., BetrVG, 24. Aufl. 2008, § 3 Rz. 95; GK-Kraft, BetrVG, 7. Aufl. 2008, § 3 Rz. 34; Richardi/Richardi, BetrVG, 11. Aufl. 2008, § 3 Rz. 88; ebenso ArbG Darmstadt 06.08.2008 - 1 BV 5/08 - unveröff.). Gestützt wird diese Auffassung durch die Begründung des "Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reformgesetz)" vom 02.04.2001 (BT-Drucks. 14/5741, S. 34), wo es zu § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG heißt: "... hierfür ist ein entsprechender Mehrheitsbeschluss der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erforderlich". Das Erfordernis einer derartigen qualifizierten Stimmenmehrheit hat jedoch in § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nach Auffassung der Kammer keinen Ausdruck gefunden und kann deshalb nicht zu seiner Auslegung herangezogen werden (vgl. nur BVerfG 17.05.1960 - 2 BvL 11/59, 11/60 - BVerfGE 11, 126, 130). Denn immer dann, wenn der Gesetzgeber des BetrVG zur Ermittlung der Stimmenmehrheit nicht die Stimmen der an einem Beschluss teilnehmenden Personen, sondern diese anhand der dem Gremium angehörenden Personen, die den Beschluss fassen sollen, verlangt, bringt er dies deutlich zum Ausdruck. Dies ist sowohl in § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als auch in § 36 BetrVG, in denen es jeweils um eine Beschlussfassung des Betriebsrats geht, der Fall. In § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG fehlt dagegen ein derartiger Hinweis. Hätte der Gesetzgeber auch in dieser Vorschrift eine qualifizierte Stimmenmehrheit verlangt, hätte er dies ausdrücklich zum Ausdruck bringen müssen. Dies ist jedoch gerade nicht geschehen. Die absolute Mehrheit aller dem Unternehmen angehörigen Arbeitnehmer ist, übrigens auch anders als bei der Bildung des Unternehmenssprecherausschusses, für die § 20 Abs. 1 SprAuG die Mehrheit der leitenden Angestellten des Unternehmens verlangt, nicht erforderlich (Löwisch/L., BetrVG, 5. Aufl. 2002, § 3 Rz. 24; i. Erg. ebenso ArbG Dresden 19.06.2008 - 5 BV 25/08 - unveröff.).

b) Letztlich kann jedoch der Meinungsstreit über die Auslegung des Begriffs "Stimmenmehrheit" in § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dahinstehen. Denn selbst wenn man mit der Vorinstanz im Anschluss an die h. M. in der Literatur in der vorgenannten Vorschrift eine qualifizierte Stimmenmehrheit verlangen würde und der damit am 11.09.2006 im Unternehmen der Beteiligten zu 2) gefasste Beschluss, einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat zu errichten, rechtswidrig gewesen wäre, folgt daraus noch nicht die Nichtigkeit der nachfolgenden Wahl des Beteiligten zu 3) am 08.12.2006. Da diese Wahl nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Zwei-Wochen-Frist (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht angefochten worden ist (vgl. § 19 Abs. 1 BetrVG) kann ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nur noch über eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 11.09.2006 geltend gemacht werden.

aa) Eine Betriebsratswahl ist nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht (st. Rspr., z. B. BAG 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 1 m. w. N.). Wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden (BAG 10.06.1983 - 6 ABR 50/82 - EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 19). Voraussetzung dafür ist, dass der Mangel offenkundig und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss "den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen" (BAG 17.01.1978 - 1 ABR 71/76 - EzA § 1 BetrVG 1972 Nr. 1; BAG 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 1).

bb) Zu Gunsten des Beteiligten zu 1) unterstellt, § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG würde für den Beschluss, einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat zu errichten, die Stimmenmehrheit der in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer verlangen, kann ein Verstoß hiergegen nicht als derart offenkundig angesehen werden, dass die nachfolgende Betriebsratswahl "den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen" würde. Zum einen beträfe dieser Verstoß nicht die Wahl selbst, sondern allenfalls ihre Grundlage. Zum anderen kann die etwa unzutreffende Auslegung einer Norm des BetrVG, solange hierzu keine gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt und die in der Literatur hierzu vertretene Mindermeinung zumindest vertretbar ist, keinesfalls als "offenkundiger" Mangel angesehen werden.

cc) Dem Beteiligten zu 1) verhilft auch der erstinstanzliche Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 118 Abs. 2 BetrVG nicht zur Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 08.12.2006.

(1.) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Betriebsratswahl auch dann nichtig, wenn sie in einem Betrieb durchgeführt wird, der nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht unter den Geltungsbereich des BetrVG fällt, weil es sich um eine karitative und erzieherische Einrichtung einer Religionsgemeinschaft handelt (BAG 09.02.1982 - 1 ABR 36/80 - AP Nr. 24 zu § 118 BetrVG 1972 m. w. N.). Denn insoweit fehlt es von vornherein an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl (BAG 29.04.1998 - 7 ABR 42/97 - AP Nr. 58 zu § 50 BetrVG 1972). Das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes ist zwar in aller Regel nicht offenkundig. Dies hat jedoch einen besonderen, mit der vorliegenden Fallkonstellation nicht vergleichbaren Grund. Denn mit der Herausnahme der Kirchen und ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen trägt das BetrVG den durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften Rechnung. Danach können die Kirchen und ihre Einrichtungen ihre Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten. Dieses Recht erstreckt sich auch auf rechtlich selbstständige Vereinigungen und ihren Einrichtungen, die nach Zweck oder Aufgabenstellung entsprechend dem kirchlichen Selbstverständnis dazu berufen sind, den weltbezogenen Auftrag der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (BAG 30.04.1997 - 7 ABR 60/95 - AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG 1972 m. w. N.). Diese Beurteilung erfordert regelmäßig die Beantwortung schwieriger verfassungsrechtlicher Fragestellungen und eine Bewertung derjenigen Merkmale, aus denen sich ein Mindestmaß an kirchlicher Einflussmöglichkeit ergibt, die den Ausschluss des BetrVG zur Folge hat.

(2.) Da die Frage, welche "Stimmenmehrheit" in § 3 Abs. 3 Satz 1 BetrVG keinerlei verfassungsrechtlichen Hintergrund hat, bleibt es dabei, dass nur ein offenkundiger Mangel im oben dargestellten Sinne zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 08.12.2006 hätte führen können. Ein solcher lag aber gerade, wie dargestellt, nicht vor.

III. Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Rechtsbeschwerde für den Antragsteller zugelassen (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).

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