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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 12 Sa 1086/02
Rechtsgebiete: TVG, SGB V, BAT, TV-V, BVO Ang NRW


Vorschriften:

TVG § 1
SGB V § 9
SGB V § 257
BAT § 1 a
BAT § 40
TV-V § 21
TV-V § 22
BVO Ang NRW § 1
Die ersatzlose Ablösung des § 40 BAT durch den TV-V verstößt jedenfalls dann gegen den Vertrauens- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn es dem bisher beihilfeberechtigten Angestellten aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen verwehrt ist, sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern und der Arbeitgeberzuschuss nach § 257 SGB V nur zu einem Bruchteil die Beiträge für die nunmehr erforderliche private Vollversicherung abdeckt.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 Sa 1086/02

Verkündet am: 18.12.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18.12.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Märzke und den ehrenamtlichen Richter Frauenschlager

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 26.07.2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger über den 01.04.2002 hinaus für die Dauer des Arbeitsverhältnisses Beihilfeleistungen nach dem Beihilferecht für Angestellte im Land Nordrhein-Westfalen zu gewähren.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte nach der Ablösung des BAT durch den TV-V verpflichtet bleibt, dem Kläger Beihilfeleistungen nach der BVO Ang NW zu gewähren.

Der Kläger ist seit dem 01.09.1983 bei der Beklagten, einem in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betriebenen kommunalen Versorgungsunternehmen, angestellt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 01.09.1983 finden der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils geltenden Fassung oder die an seine Stelle tretenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Nach § 7 gelten für die Beitragsleistungen zu Sozialversicherung die gesetzlichen Vorschriften. § 9 verlangt für Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrages sowie für Nebenabreden die Schriftform. Seit dem 01.10.2001 besteht Tarifgebundenheit auch des Klägers.

Die Beklagte gewährte nach Maßgabe des § 3 des Gesetzes über die Anwendung beamten- und besoldungsrechtlicher Vorschriften auf nichtbeamtete Angehörige des öffentlichen Dienstes (AbubesVG NW) vom 06.10.1987 (GV NRW S. 342) und der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen an Angestellte, Arbeiter und Auszubildende (BVO Ang NW) vom 09.04.1965 (GV NRW S. 108) in der jeweiligen Fassung den beihilfeberechtigten Angestellten Beihilfeleistungen.

Der Kläger erhielt von Beginn des Arbeitsverhältnisses an Beihilfe. Wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze unterfiel und unterfällt er nicht der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht. Von der anfänglich nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO gegebenen Möglichkeit, sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu versichern und den Arbeitgeberzuschuss nach § 405 RVO jetzt: § 257 SGB V) zu erhalten, hatte der Kläger abgesehen. Die Beklagte erteilte ihm unter dem 10.01.1984 folgende Bescheinigung: "... Er hat Anspruch auf Beihilfe nach dem Beihilferecht für das Land NRW. Herr v. S. ist nicht krankenversicherungspflichtig. Ein Zuschuß zu seinem privaten Krankenversicherungsbeitrag wird nicht gezahlt."

Am 05.10.2000 schlössen die Tarifvertragsparteien mit Wirkung ab 01.04.2002 den Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V). Außerdem wurde durch den mit 76. Änd.-TV zum BAT vom 29.06.2001 eingefügten § 1 a BAT bestimmt, dass der TV-V, soweit er in Betrieben für Arbeitnehmer gelte, den BAT ersetzt.

Seit dem 01.04.2002 gewährt die Beklagte dem Kläger, dessen Beihilfesatz zuletzt 70 % betrug, keine Beihilfe mehr. Sie zahlt seither an ihn als Zuschuss zur privaten Krankenversicherung monatlich Euro 227,81. Dem Kläger ist die freiwillige Versicherung in der GKV gemäß § 9 SGB V verschlossen, weil er nicht die erforderlichen Vorversicherungszeiten in der GKV aufweisen kann; er war vor seiner Einstellung bei der Beklagten Berufssoldat gewesen. Zum 01.04.2002 ist er von der privaten Zusatzversicherung (30 %) für sich, seine Ehefrau und seine zwei Kinder in die private Vollversicherung gewechselt. Der Monatsbeitrag für die Vollsicherung belauft sich auf Euro 1.160,00.

Mit der vor dem Arbeitsgericht Oberhausen erhobenen Klage will der Kläger die Beklagte verpflichtet wissen, Beihilfe nach dem Beihilferecht des Landes Nordrhein-Westfalen zu gewähren, und beruft sich dafür auf eine mit der Bescheinigung vom 10.01.1984 bestätigte einzelvertragliche Abrede.

Die Beklagte bestreitet eine solche Abrede. Die Bescheinigung, die inhaltlich der damals im Unternehmen geltenden Regelung entsprochen habe, habe der Kläger offenbar zur Vorlage bei seiner Krankenkasse benötigt. Die Beklagte ist der Auffassung, dass, indem seit dem 01.04.2002 der BAT und damit die Verweisungsnorm des § 40 BAT auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung mehr finde, ein Anspruch des Klägers auf Beihilfe entfallen sei.

Durch Urteil vom 26.07.2002 hat das Arbeitsgericht Oberhausen der Klage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil an.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz seinen Klageantrag dahingehend klargestellt, dass festgestellt werde, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn über den 01.04.2002 hinaus für die Dauer des Arbeitsverhältnisses Beihilfeleistungen nach dem Beihilferecht für Angestellte im Land Nordrhein-Westfalen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 26.07.2002 abzuändern und die Klage auch mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Klage ist nach Maßgabe des neu gefassten Klageantrags begründet. Die Berufung der Beklagten hat daher keinen Erfolg.

1. Die Beklagte ist nicht einzelvertraglich verpflichtet, dem Kläger "beamtengleich" Beihilfe nach dem Beihilferecht für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen, insbes. der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (BVO NW) vom 27.03.1975 (GV NW S. 108) zu gewähren.

a) Dem Kläger wurde nach seinem Vortrag bei der Einstellung die Möglichkeit aufgezeigt, entweder Beihilfe zu beanspruchen und daneben sich privat zu versichern oder (freiwillig) der GKV beizutreten und dann den Arbeitgeberzuschuss zu erhalten; im Einvernehmen mit der Beklagten habe er daraufhin die Beihilfe gewählt.

Unabhängig davon, dass es dem Vortrag an näherer Substantiierung fehlt und der angebotene Zeugenbeweis auf die Einholung eines zivilprozessual unzulässigen Ausforschungsbeweises hinausläuft, ergibt sich aus dem vom Kläger geschilderten Geschehen gerade und nur, dass die Parteien die nach § 1 BVO Ang NW für den Kläger mögliche Alternative zwischen freiwilliger Versicherung in der GKV oder Inanspruchnahme von Beihilfe erörterten. Mit der vom Kläger getroffenen Wahl der Beihilfe trafen die Parteien daher keine den Arbeitsvertrag vom 01.09.1983 ergänzende Vereinbarung, sondern setzten die von § 2 des Vertrages umfasste Anwendung des § 40 BAT und dessen Verweisung auf die BVO Ang NW als die "bei dem Arbeitgeber geltende Bestimmung" um.

b) Die Bescheinigung der Beklagten vom 10.01.1984 führt zu demselben Befund. Die Äußerung, dass der Kläger Anspruch auf Beihilfe nach dem Beihilferecht für das Land NRW habe, wird verbunden mit der weiteren Erklärung, dass der Kläger nicht krankenversicherungspflichtig sei und ein Zuschuss zu seinem privaten Krankenversicherungsbeitrag nicht gezahlt werde.

Damit zielt die Bescheinigung auf die Darstellung der Voraussetzungen für eine private Zusatzversicherung (§1 BVO Ang NW a.F., § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO, § 405 Abs. 2 RVO i.d.F.v. 28.12.1976 (BGBI. l, 3874)) ab. Zu dem "Beihilferecht für das Land NRW" gehört nicht nur die Beihilfenverordnung (BVO NW) vom 27.03.1975, sondern ebenso § 3 AbubesVG NW und die BVO Ang NW. Hätten die Parteien entgegen dem Arbeitsvertrag gewollt, dem Kläger beihilferechtlich eine beamtengleiche Rechtsposition einzuräumen, hätten sie dies deutlicher zum Ausdruck bringen müssen. Zudem hätte es nahe gelegen, einer solchen Abrede die Schriftform nach § 9 des Arbeitsvertrages i.V.m. § 127, § 126 BGB zu geben.

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte dem Kläger tatsächlich Beihilfe nach der BVO NW und nicht nach der BVO Ang NW gewährte, sind nicht ersichtlich und werden - auch nach dem gerichtlichen Hinweis vom 26.11.2002 - vom Kläger nicht vorgetragen.

d) Schließlich hat der Kläger selbst in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht, dass er aufgrund Abrede mit der Beklagten beihilferechtlich "beamtengleich" zu behandeln sei, und sein Begehren, Beihilfeleistungen nach dem landesrechtlichen Beihilferecht für Angestellte, i.e. nach der BVO Ang NW, zu erhalten, durch den neu formulierten Klageantrag klargestellt.

2. Der Kläger hält freilich an der Auffassung fest, dass die Beklagte sich über die im Arbeitsvertrag vom 01.09.1983 niedergelegten Vereinbarungen hinaus einzelvertraglich verpflichtet habe, an ihn die Beihilfeleistungen nach dem Beihilferecht für Angestellte im Land Nordrhein-Westfalen weiterzugewähren. Die Auffassung ist fehlsam. Das gesamte Erklärungsverhalten der Beklagten, insbesondere die Handhabung der Beihilfegewährung und die Bescheinigung vom 10.01.1984, lässt keine andere Schlussfolgerung zu, als dass sie - erkennbar für den Kläger - lediglich Vorgaben des Arbeitsvertrages, namentlich der Verweisung in § 2 auf § 40 Satz 1 BAT, entsprechen wollte.

Aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisungklausel und der nach § 40 Satz 1 BAT gebotenen Anwendung der "bei dem Arbeitgeber geltenden Bestimmungen" war die Beklagte veranlasst, gegenüber dem Kläger die BVO Ang NW als bei ihr geltende Beihilferegelung anzuwenden. Mit der Bescheinigung vom 10.01.1984 und den vom Kläger geschilderten Begleitumständen ihres Zustandekommens trug die Beklagte, wie bereits ausgeführt, dieser Ausgangslage Rechnung. Für die Annahme einer neben dem schriftlichen Arbeitsvertrag getroffenen einzelvertraglichen Abrede bleibt danach kein Raum. Mit der dem Kläger zugestandenen Beihilfegewährung befolgte die Beklagte die Verweisungsklausel des Arbeitsvertrages, der mit dem Inhalt des § 40 BAT die BVO Ang NW als die "bei dem Arbeitgeber geltende Bestimmung" zum Verweisungsobjekt hatte. Jedenfalls ist kein anderer, weitergehender Verpflichtungswille der Beklagten ersichtlich.

Ein solcher Verpflichtungswille ergibt sich auch nicht aus einer zwischenzeitlich verordnungswidrigen Handhabung der Beklagten. Bis zur Neufassung des § 3 Abs. 1 S. 1 BVO Ang NW durch die VO vom 16.12.1999 (GV NRW S. 672) stand privat versicherten Angestellten, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei waren, Beihilfe nicht zu, wenn sie dem Grunde nach einen Anspruch auf Beitragszuschuss nach § 257 SGB V hatten. Durch Urteil vom 08.10.1998 (AP Nr. 2 zu § 257 SGB V) erkannte das BSG, dass der Angestellte auf den Zuschuss nicht wirksam einseitig verzichten kann. Nach Abs. 2 Nr. 1 des § 257 SGB V i.d.F. von Art 1 Nr. 139 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 hatte die Beklagte den Zuschuss zu leisten. Auch war eine nach § 32 SGB I möglicherweise zulässige Vereinbarung über den Verzicht auf den Beitragszuschuss unter gleichzeitiger Zusage einer höheren Beihilfe nicht zwischen den Parteien getroffen worden: Der Kläger erhielt nur den ihm nach der BVO Ang NW zustehenden Beihilfesatz. Erst mit der Neufassung des § 3 Abs. 1 S. 1 BVO Ang NW vom 16.12.1999 ist ein Beihilfeanspruch der privat Versicherten, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei sind, (wieder) begründet worden, wenn sie den ihnen zustehenden Zuschuss nach § 257 SGB V nicht bei ihrem Arbeitgeber geltend gemacht haben bzw. tatsächlich nicht erhalten.

Der Umstand, dass - bis zur Neufassung des § 3 Abs. 1 S. 1 BVO Ang NW - die Gewährung von Beihilfeleistungen im Hinblick darauf, dass der Kläger keinen Zuschuss nach § 257 SGB V erhielt, verordnungs- und also tarifwidrig war, löste keinen Anspruch des Klägers kraft betrieblicher Übung aus. Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muss grundsätzlich davon ausgehen, dass ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist (BAG, Urteil vom 11.10.1995, 5 AZR 802/94, AP Nr. 48 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 b, Urteil vom 29.05.2002, 5 AZR 370/01, ZTR 02, 544, zu IM 1, 3). Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass - für den Kläger erkennbar - die Beklagte ohnehin bis zur Veröffentlichung des BSG-Urteils vom 08.10.1998 (a.a.O.) und auch danach bis zur Klärung der Rechtslage durch die Neufassung der BVO Ang NW vom 16.12.1999 (vgl. Clemens/Scheuring, BAT, § 40 Erl. 3.6) rechtsirrtümlich handelte. Jedenfalls konnte der Klägern nicht darauf vertrauen, die verordnungswidrige Handhabung sei Vertragsinhalt geworden und werde unbefristet und ungeachtet der tariflichen Verweisung in § 40 BAT BVO Ang NW als die "bei dem Arbeitgeber jeweils geltende Bestimmung" fortgeführt.

3. Der Anspruch des Klägers auf Beihilfeleistungen ergibt sich indessen unmittelbar aus der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen und über die tarifliche Verweisungsnorm des § 40 S. 1 BAT anzuwendenden BVO Ang NW.

a) Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 25.10.2001, 6 AZR 560/00, EzBAT Nr. 20 zu § 40 BAT, zu l, Urteil vom 15.07.1993, 6 AZR 401/92, ZTR 93, 509, zu I 1, Urteil vom 18.01.1983, 3 AZR 520/80, AP Nr. 2 zu § 40 BAT, zu 1 a) bezieht sich § 40 BAT als reine Verweisungsnorm auf bereits vorhandene Beihilferegelungen des tarifgebundenen Arbeitgebers, ergreift jedoch nicht gleichzeitig auch die beamtenrechtlichen Grundvorschriften über die Beihilfe. Qualifiziert man danach den Beihilfeanspruch als einen vertraglichen Anspruch, der "durch Tarifvertrag ... begründet" wurde (vgl. BAG, Urteil vom 16.08.1988, 3 AZR 183/87, AP Nr. 29 zu § 5 BetrAVG, zu 1 2 c) oder der - inhaltlich durch § 40 BAT bestimmt - aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot oder kraft betrieblicher Übung begründet wurde, kann der Arbeitgeber den einmal begründeten vertraglichen Anspruch des Angestellten auf Teilhabe an der bei ihm vorhandenen Beihilferegelung nicht dadurch beseitigen, dass er diese Regelung aufgibt. Die Aufgabe der betrieblichen Regelung wird lediglich für danach begründete Arbeitsverhältnisse relevant (vgl. BAG, Urteil vom 25.10.2001, 6 AZR 560/00, EzBAT Nr. 20 zu § 40 BAT, zu II 2 c). Wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn die BVO Ang NW selbst aufgehoben würde, bedarf hier keiner Klärung (vgl. BAG, Urteil vom 05.09.2002, 9 AZR 355/01, z.V.v., zu A II 2 b aa (3), (4)). Die BVO Ang NW gilt weiter.

b) Ebensowenig führt die Prämisse, dass der Beihilfeanspruch grundsätzlich durch Tarifvertrag verschlechtert oder abgelöst werden könne, im Streitfall zu einem für die Beklagte günstigen Ergebnis.

(1) Allerdings statuiert der TV-V weder unmittelbar noch mittels einer Verweisungsvorschrift einen Beihilfeanspruch. Mit der in § 22 TV-V getroffenen Übergangsregelung sind die weitergeltenden Tarifbestimmungen des BAT und der den BAT ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge abschließend katalogisiert. § 40 BAT wird hierbei ebenso wenig erwähnt wie etwa § 1 des zum 30.09.1970 gekündigten Bh-TV. Nichts anderes ergibt sich aus § 21 TV-V mit den dort benannten und neben dem TV-V anzuwendenden Tarifverträgen.

Die Tarifvertragsparteien bezweckten die Ablösung des BAT durch den TV-V zum 01.04.2002. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus § 1 a BAT und dem eindeutigen, in § 21, § 22 TV-V manifestierten Regelungszweck des TV-V, den bisher geltenden BAT durch ein neues, umfassend und abschließend konzipiertes Tarifwerk für rechtlich selbständige, der VKA angehörende Versorgungsbetriebe zu ersetzen. Das Inkrafttreten des TV-V lässt daher nach der erkennbaren Intention der Tarifvertragsparteien die bisher durch § 40 BAT gewährleistete Teilhabe der Angestellten an den bei dem Versorgungsunternehmen geltenden Beihilfevorschriften entfallen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit, vom Geltungsbereich des TV-V erfasst. Auch ist der TV-V ein i.S.v. § 2 des Arbeitsvertrages vom 01.09.1983 den BAT ersetzender Tarifvertrag.

(2) Die Tarifvertragsparteien können Tarifnormen sowohl zu Gunsten als auch zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer ändern. Es gilt das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel). Verschlechternde Tarifverträge sind von den Gerichten nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz, gegen zwingendes Gesetzesrecht, gegen die guten Sitten oder gegen tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (BAG, Urteil vom 16.11.2000, 6 AZR 353/99, EzBAT Nr. 14 zu TV Fleischbeschauerpersonal außerhalb off. Schlachthöfe, zu 3 d cc (1), BAG, Urteil vom 18.01.1996, 6 AZR 223/95, n.v., zu II 3, BAG, Urteil vom 16.05.1995, 3 AZR 535/94, AP Nr. 14 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip, zu II 2 b, BAG, Urteil vom 30.03.1995, 6 AZR 694/94, AP Nr. 33 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1, BAG, Urteil vom 24.08.1993, 3 AZR 313/93, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B II 2). Unter diesem Aspekt müssen Tarifänderungen dem Gleichheitsgrundsatz genügen (BAG, Urteil vom 31.01.2002, 6 AZR 36/01, EzA Nr. 95 zu Art. 3 GG = ZTR 02, 478, zu II 3 a) und dürfen nicht dem Vertrauensgrundsatz (BAG, Urteil vom 10.10.1989, 3 AZR 200/88, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Vorruhestand, zu II 3 d, vgl. BAG, Urteil vom 30.03.1995, a.a.O., zu II 2 b, BAG, Urteil vom 20.04.1999, 1 AZR 631/98, AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II 3 c bb) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuwider laufen (BAG, Urteil vom 18.01.1996, 6 AZR 196/95, n.v., zu II 3, BAG, Urteil 10.10.1989, a.a.O., zu II 3 e).

(3) Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für die Änderung von Beihilfeleistungen, wobei zwischen der Änderung von Beihilfevorschriften durch den Gesetz- und Verordnungsgeber einerseits und der Änderung der tariflichen Verweisungsnorm andererseits zu unterscheiden ist.

(aa) Die Verschlechterung von Beihilferegelungen durch den Gesetz- und Verordnungsgeber müssen beihilfeberechtigte Arbeitnehmer im allgemeinen hinnehmen. Dies ergibt sich daraus, dass das Beihilferecht für Arbeitnehmer dem Beihilferecht für Beamte nachfolgt und daher Arbeitnehmer keine Besserstellung gegenüber den von Änderungen der Beihilfevorschriften betroffenen Beamten verlangen, sondern nicht mehr als ihre "Gleichstellung" erwarten können (vgl. BAG, Urteil vom 15.02.1990, 6 AZR 383/88, EzBAT Nr. 6 zu § 40 BAT = ZTR 1990, 432, zu II 2 c, BAG, Urteil vom 04.08.1988, 6 AZR 10/86, AP Nr. 3 zu § 40 BAT, zu II 3 a, LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2000, EzBAT Nr. 18 zu § 40 BAT, a.E.).

(bb) Geht es um die Änderung der tariflichen Verweisungsnorm, ist für den Vertrauensschutz danach zu unterscheiden, ob eine echte oder eine unechte Rückwirkung vorliegt.

Eine unzulässige echte Rückwirkung liegt im Streitfall nicht vor, denn die tarifliche Ablösung des § 40 BAT greift nicht in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein, sondern betrifft nur die Beseitigung künftig neu entstehender Beihilfeleistungen.

Der Fall der unechten Rückwirkung von Rechtsnormen erfordert eine Abwägung des Vertrauens des Einzelnen mit der Bedeutung des mit der rechtlichen Regelung verfolgten Anliegens (BAG, Urteil vom 18.01.1996, a.a.O.). Der Arbeitnehmer kann zwar grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass tarifvertraglich vereinbarte Beihilfeleistungen auf Dauer in dem bisherigen Umfang beibehalten werden und sich nicht verschlechtern (BAG, Urteil vom 18.01.1996, a.a.O.). Ziel der Ablösung des § 40 BAT war jedoch die künftige Einstellung jedweder Beihilfeleistungen des Arbeitgebers. Dies bedeutet für die betroffenen Arbeitnehmer eben nicht nur die Verschlechterung, sondern den gänzlichen Verlust von Beihilfeansprüchen.

(cc) Eine Tarifänderung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie nur einen - wenn auch bedeutsamen - Teil der Beihilfeleistungen entfallen lässt, jedoch nicht der Anspruch auf Beihilfe gänzlich beseitigt wird und - insgesamt gesehen - der Anspruch auf Beihilfe der anspruchsberechtigten Personen, wenn auch im geminderten Umfang, bestehen bleibt (BAG, Urteil vom 18.01.1996, a.a.O., vgl. BAG, Urteil vom 05.12.1995, 3 AZR 226/95, n.v., zu B I 3 e bb (3)).

(4) Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist folgende Ausgangslage zu berücksichtigen:

Bis zu 31.03.2002 stand dem Kläger Beihilfe mit dem Beihilfesatz von 70 % zu. Aus dem verbleibenden Versicherungsbedarf (30 %) ergaben sich die Beiträge einer privaten Zusatzversicherung. Die ersatzlose Ablösung des § 40 BAT bedeutet für ihn, dass der Abschluss einer sämtliche Aufwendungen weitestgehend abdeckenden privaten Krankenversicherung erforderlich wurde. Der daraus resultierende Beitrag für die Vollversicherung wird lediglich zu ca. 1/5 durch den geleisteten Zuschuss nach § 257 SGB V kompensiert. Damit wird der Kläger - auch in Ansehung des Umstandes, dass die Leistungen der Beihilfe und der privaten Krankenversicherung von den Leistungen der GKV abweichen - erheblich schlechter gestellt als Angestellte, die freiwillig in der GKV versichert sind bzw. zum 01.04.2002 der GKV beitreten konnten. Der Kläger konnte die Nachteile nicht vermeiden. Bei Vertragsschluss und in der Folgezeit durfte er auf die Anwendung der bei der Beklagten geltenden Beihilfevorschriften vertrauen. Seine Entscheidung, die Beihilfe (mit privater Zusatzversicherung) und nicht die freiwillige Versicherung in der GKV (mit Arbeitgeberzuschuss nach § 405 RVO bzw. § 257 SGB V) zu wählen, war legitim. Sie entsprach der durch § 40 BAT i.V.m. § 1 BVO Ang NW eröffneten Rechtslage und wurde von der Beklagten, wie die Bescheinigung vom 10.01.1984 belegt, akzeptiert.

Es mag sein, dass der Kläger und andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Situation aufgrund des Abschlusses des TV-V vom 05.10.2000 mit dem Wegfall der Beihilfe ab 01.04.2002 rechnen mussten und daher Veranlassung hatten, die Möglichkeit der freiwilligen Krankenversicherung in der GKV wahrzunehmen (vgl. BAG, Urteil vom 17.05.2000, 4 AZR 216/99, AP Nr. 19 zu § 1 TVG Rückwirkung, zu I 2 b). Dem Kläger war indessen allein aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen diese Möglichkeit versperrt.

(5) Es kann dahin stehen, ob die Ablösung des § 40 BAT durch den TV-V für die Gruppe des Klägers, der allein aus Rechtsgründen und nicht aus von ihr zu vertretenden Umständen die freiwillige Versicherung in der GKV verwehrt ist, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt und insoweit unwirksam ist (vgl. BAG, Urteil vom 31.01.2002, a.a.O., zu II 2 b). Immerhin wird diese Gruppe gegenüber den Arbeitnehmern, denen die freiwillige Versicherung in der GKV möglich ist, deutlich benachteiligt. Auch gibt nicht schon die Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien die sozialversicherungsrechtlich unterschiedlichen Konsequenzen nicht berücksichtigt haben oder nicht berücksichtigen wollten, einen Sachgrund für die Ungleichbehandlung her. Unter der Prämisse, das der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wurde, steht dem Kläger ein "Verschaffungsanspruch" zu (BAG, Urteil vom 31.01.2002, a.a.O., zu II 4 b, vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2001, 3 AZR 689/00, AP Nr. 230 zu § 613a BGB, zu B II 2 b). Da es aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen ausscheidet, ihm die freiwillige Versicherung in der GKV zu verschaffen, kann der Anspruch nach Lage der Dinge nur darauf gehen, dass die Beklagte dem Kläger über den 01.04.2002 hinaus Beihilfe nach der BVO Ang NW in der jeweils geltenden Fassung gewährt.

Auf diese Konsequenz haben sich im übrigen beide Parteien praktisch eingestellt. So hat der Kläger mit seinem privaten Versicherungsträger die Rückabwicklung der Vollversicherung sowohl hinsichtlich der geleisteten Beiträge als auch der erstatteten Aufwendungen für den Fall vereinbart, dass er ab dem 01.04.2002 von der Beklagten Beihilfe erhält. Der Beklagten ist dies bekannt. Sie hat auch nicht eingewandt, dass die rückwirkende Aufnahme der Beihilfeleistungen ihr unmöglich oder unzumutbar sei.

Jedenfalls haben die Tarifvertragsparteien mit der ersatzlosen Ablösung des § 40 BAT gegen den Vertrauens- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Denn die Gruppe des Klägers durfte darauf vertrauen, dass ihr weiterhin Beihilfe nach der BVO Ang NW gewährt wurde. Indem ihnen einerseits der Anspruch auf Beihilfe gänzlich genommen und andererseits auf jeglichen Ausgleich für die Kostenbelastung aus der erforderlichen privaten Vollversicherung verzichtet wurde, stellt sich die Tarifänderung als unverhältnismäßig dar, auch wenn ihr tendenzielles Ziel, die Personalverwaltung zu vereinheitlichen und zu vereinfachen und die Krankheitsvorsorge von beamtenrechtlichen Residuen zu lösen, nicht zu beanstanden ist.

In diesem Zusammenhang ist der Einwand der Beklagten, dass die Beihilfeberechtigung von Angestellten des öffentlichen im Gegensatz zur Beihilfeberechtigung von Beamten mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und also mit Eintritt des Rentenfalls ohnehin erlösche, nicht zielführend. Denn es geht vorliegend um den Schutz von Vertrauen im Arbeitsverhältnis und um dem Schutz vor unverhältnismäßigen Nachteilen. Im übrigen ist der am 19.08.1950 geborene Kläger von der Erreichung der Altersgrenze weit entfernt.

(6) War die Ablösung des § 40 BAT durch den TV-V hinsichtlich der streitgegenständlichen Konstellation nichtig, steht dem Kläger weiterhin Beihilfe nach der BVO Ang NW zu. Dabei kommt es nicht darauf an, ob infolge des Inkrafttretens des TV-V die BVO Ang NW keine bei dem Arbeitgeber geltende Bestimmung mehr ist. Denn es stellt- bezogen auf den Beihilfeanspruch - eine unzulässige petitio principil dar, wenn die im TV-V vorgenommene Ablösung des BAT und der über tarifliche Verweisungsnormen hergestellten Arbeitsbedingungen einerseits, nämlich hinsichtlich § 40 BAT, unwirksam wäre, hingegen andererseits, nämlich hinsichtlich der in Bezug genommenen Beihilferegelung, deren wirksame Beseitigung zur Folge hätte.

Anzumerken ist, dass der Befund, dass die Ablösung des BAT durch den TV-V teilweise, nämlich hinsichtlich der streitgegenständlichen Konstellation des § 40 BAT, unwirksam ist, keineswegs zur Konsequenz hat, dass die Ablösung insgesamt unwirksam ist. Vielmehr enthält der gültige Teil der Tarifänderung eine sinnvolle in sich geschlossene Regelung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Ablösung des BAT durch den TV-V auch dann vorgenommen hätten, wenn sie die vorliegende Teilnichtigkeit erkannt hätten.

Die Feststellung, dass dem Kläger nach § 40 BAT i.V.m. der BVO Ang NW weiterhin Beihilfe zusteht, impliziert keinen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Tarifautonomie. Zum einen geht es nicht um die den Gerichten grundsätzlich verwehrte Schließung einer bewussten Tariflücke, sondern um die bloße Ermittlung der sich aus einen teilnichtigen Tarifablösung ergebenden Rechtsfolgen. Zum anderen bleibt es den Tarifvertragsparteien unbenommen, die den TV-V nachzubessern und § 40 BAT künftig durch eine Regelung zu ersetzen, die nicht gegen das Grundgesetz, gegen zwingendes Gesetzesrecht, gegen die guten Sitten oder gegen tragende Grundsätze des Arbeitsrechts, namentlich den Vertrauens- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

II. Die Kosten der Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, so dass gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision gegen das Urteil zuzulassen ist.

Ende der Entscheidung

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