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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 31.01.2001
Aktenzeichen: 12 Sa 1501/00
Rechtsgebiete: GG, SGB VI, MTV f. d. Bordpers. d. Hapag Lloyd Fluggesellschaft mbH


Vorschriften:

GG Art. 12
SGB VI § 620
SGB VI § 41
MTV f. d. Bordpers. d. Hapag Lloyd Fluggesellschaft mbH § 27 Nr. 4
Die in § 27 Abs. 2 MTV Nr. 4 für das Bordpersonal der Hapag Lloyd geregelte Altersgrenze von 55 Jahren (mit einer Verlängerungsmöglichkeit von max. 2 Jahren) für das Kabinenpersonal ist mit der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit (art. 12 Abs. 1 GG) nicht vereinbar und daher unzulässig.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 Sa 1501/00

Verkündet am: 31.01.2001

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Hennecke und den ehrenamtlichen Richter Ollesch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.08.2000 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer tariflichen Altersgrenzenregelung für Kabinenpersonal in Passagierflugzeugen.

Die am 18. März 1945 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 1972 als Stewardess bei der beklagten Luftfahrtgesellschaft bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit und kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme die für die Beklagte geltenden Haustarifverträge , namentlich der Manteltarifvertrag Nr. 4 für das Bordpersonal der H.apag Lloy Fluggesellschaft mbH ( nachfolgend: MTV-Bordpersonal HF ), Anwendung.

§ 27 MTV-Bordpersonal HF i. d. F. v. 08.11.1998 bestimmt wörtlich:

(1) Das Arbeitsverhältnis des Cockpitpersonals endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Jahres, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. Es kann im gegenseitigen Einvernehmen auch vor dem 60. Lebensjahr, aber nicht vor Vollendung des 55. Lebensjahres beendet werden. .... (2) Das Arbeitsverhältnis des Kabinenpersonals endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, grundsätzlich mit Ablauf des Monats, in dem das 55. Lebensjahr vollendet wird. Die Mitarbeiter erhalten die Möglichkeit, das Beschäftigungsverhältnis zweimal bis max. zur Vollendung des 57. Lebensjahres zu verlängern. Diese Verlängerung erfolgt grundsätzlich in Teilzeit nach den üblichen Modellen. HF wird ab Erreichen der tarifvertraglichen Altersgrenze eine angemessene Weiterbeschäftigung am Boden anbieten, wenn dem keine wichtigen persönlichen Gründe des Arbeitnehmers oder betriebliche Gründe von HF entgegenstehen. In diesem Fall kann jedoch aus der vorangegangenen Tätigkeit als Bordpersonal kein Anspruch auf Fortzahlung der bis dahin gezahlten Bezüge abgeleitet werden.

Nach dem Tarifvertrag Nr. 2 Versorgung und Versicherungen für das Bordpersonal vom 15.1o.1998 hat das Kabinenpersonal bei Ausscheiden wegen Erreichens der tariflichen Altergrenze einen Anspruch wahlweise auf Abfindung oder auf Übergangsversorgung.

Im Dezember 1999 verlangte die Klägerin vergeblich von der Beklagten die Fortsetzung des Vollzeitarbeitsverhältnisses über die Vollendung des 55. Lebensjahres hinaus. Unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Klärung ihrer Meinungsverschiedenheit und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" kamen die Parteien über die auf längstens zwei Jahre befristete Beschäftigung der Klägerin in Monatsteilzeit für die Zeit ab dem 1. April 2000 überein.

Mit der im März 2000 vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der tariflichen Altersgrenzenregelung geltend gemacht. Sie sieht hierin eine unzulässige Einschränkung des Grundrechtes aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie eine Benachteiligung des Kabinenpersonals gegenüber dem Cockpitpersonal, das bis zum 60. Lebensjahr beschäftigt werde.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31.03.2000 hinaus als Vollzeitarbeitsverhältnis fortbesteht und nicht aufgrund einer tariflichen Altersgrenze gemäß § 27 II des Manteltarifvertrages Nr. 4 für das Bodenpersonal der H.apag-Lloy Fluggesellschaft mbH in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 06. November 1998 vor Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin aufgelöst werden kann.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die Altersgrenzenregelung und geht hiernach von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien aus. Das Arbeitsverhältnis der Kabinenmitarbeiter sei - so trägt die Beklagte vor - tariflich nicht als Lebensarbeitsverhältnis, sondern mit Rücksicht auf die berufsspezifischen Belastungen und den persönlichen, psychischen und familiären Stress als Lebensabschnittsarbeitsverhältnis ausgestaltet worden. Im Gegensatz zum Cockpitpersonal müsse das Kabinenpersonal schwere körperliche Arbeiten verrichten, nämlich Passagieren behilflich sein, Gepäck unter Sitzen und in Ablagefächern verstauen, schwere Trollys mit Essen und Getränken durch die Gänge schieben und die Passagiere bewirten. Dabei habe das Kabinenpersonal die Passagiere stets höflich und zuvorkommend zu behandeln. In Gefahrensituationen und Notfällen trage das Kabinenpersonal eine sehr hohe Verantwortung. Bei einer Notlandung müsse es die Bergerrolle" übernehmen und u.a. durch aktive körperliche Hilfe die Passagiere über Notrutschen von Bord bringen. Ein altersbedingter Leistungsabfall oder Ausfallerscheinungen würde gerade in Notfallsituationen die Sicherheit erheblich gefährden.

Die Klägerin hält entgegen, dass sie als Kabinenmitarbeiterin an den Flight-Safety- Schulungen teilnehmen und sich alle zwei Jahre der fliegerärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung stellen müsse.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 9. August 2000 der Klage stattgegeben. Mit form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil an. Sie will weiter die Klage abgewiesen wissen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Altersgrenzenregelung in § 27 Abs. 2 MTV-Bordpersonal HF mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und daher unwirksam ist und also das Vollzeitarbeitsverhältnis der Parteien nicht am 31. März 2000 geendet hat, sondern bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin fortbesteht. Die gegen das erstinstanzliche Urteil erhobenen Einwände der Beklagten greifen nicht durch.

I.

Mit der fristgerecht erhobenen Feststellungsklage (§ 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG) wird zur gerichtlichen Entscheidung gestellt, ob das Arbeitsverhältnis rechtswirksam auf das vollendete 55. Lebensjahr der Klägerin befristet worden ist und ob es im Falle unwirksamer Befristung bis zur Vollendung des 6o. Lebensjahres fortbesteht. Das Feststellungsinteresse der Klägerin entfällt nicht wegen des befristet für den Zeitraum vom 1. April 2000 bis 31. März 2002 vereinbarten Teilzeitarbeitsverhältnisses. Die Parteien sind übereinstimmend das Teilzeitarbeitsverhältnis unter dem Vorbehalt der streitgegenständlichen Befristungskontrolle des Vollzeitarbeitsverhältnisses eingegangen. Damit hängen vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits die Rechte und Pflichten für die Vergangenheit, i. c. für die Zeit ab dem 1. April 2000, und für die Zukunft ab.

II.

Die auf Vollendung des 55. Lebensjahres der Klägerin vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses ist unwirksam.

1. Das Arbeitsgericht hat die Altersgrenzenregelung in § 27 Abs. 2 MTV Bordpersonal HF an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen und für unvereinbar mit der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit erachtet.

Mit seinem Ausgangspunkt ist das Arbeitsgericht der Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts gefolgt (BAG, Urteil vom 25.02.1998, 7 AZR 61/96, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt, zu 3 b der Gründe, Urteil vom 11.03.1998, 7 AZR 700/96, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt, zu III 2, vgl. Schmidt, FS- Dieterich, S. 594 ff.). Danach ist die Tarifkontrolle gleichermaßen wie die Vertragskontrolle an dem durch die gesetzlichen Kündigungsvorschriften konkretisierten Maß des Arbeitsplatzschutzes auszurichten. Das Ergebnis der tariflichen Befristungskontrolle indiziert infolgedessen die Angemessenheit bzw. Unangemessenheit der einzelvertraglichen Bezugnahme auf die Tarifregelung.

Die Kammer pflichtet der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei (LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.01.1991, LAGE Nr. 1 zu § 620 BGB Altersgrenze). Auch wenn man die unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien an Art. 12 GG verneint und die tarifliche Rechtsetzungsmacht aus Art. 9 Abs. 3 GG anerkennt, bleiben die Gerichte gehalten, die Arbeitsvertragsparteien als Grundrechtsträger nach Maßgabe der Wertentscheidungen der Grundrechte mittelbar davor zu schützen, dass ihre Grundrechte durch privatautonome Regelungen unverhältnismäßig beschränkt werden (BAG, Urteil vom 04.04.00, 3 AZR 729/98, z. V. v., zu III 2, Urteil vom 27.01.00, 6 AZR 471/98, EzA Nr. 22 zu § 4 TVG Rundfunk, zu II 1 c aa; Schmidt, a. a. O., Schliemann, FS-Hanau, 577/582 ff., RGRK/Dörner, 12. Aufl., § 620 BGB Rz. 8 (131), MünchArbR/Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 259 Rz. 33, MünchArbR/Wank, § 116 Rz. 110, KR-Lipke, 5. Aufl., § 620 BGB Rz. 29 ff., 190 f.). Zum einen ist es gefestigte Erfahrung der Gerichte, dass Tarifverträge keine Gewähr für einen Mindestschutz von Grundrechtspositionen der tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien bieten. Zum anderen würde ­ mit unzuträglichen Konsequenzen in der Praxis ­ die Annahme einer grundrechtsfreien Tarifmacht wegen der mitgliedschaftlichen Legitimation allein die beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien treffen und in den Fällen der Allgemeinverbindlicherklärung oder der einzelvertraglich vereinbarten Bezugnahme versagen.

Die Streitfrage, ob die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages bzw. aus Art. 3 Abs. 1 GG einer Grundrechtsbindung unterliegen ( BAG, Urteil 30.08.2000, 4 AZR 563/99, z. V. v., Urteil vom 26.04.00, 4 AZR 177/99, z. V. v., zu II 4), stellt sich im Streitfall nicht und braucht daher nicht geklärt zu werden. Ebenso wenig ist darauf einzugehen, ob die Wirksamkeit der tariflichen Altersgrenzenregelung die Angemessenheit einer einzelvertraglichen Verweisungsklausel nur bei globaler oder auch bei partieller Inbezugnahme indiziert: Der Arbeitsvertrag der Parteien verweist global auf die Haustarifverträge der Beklagten.

2. a) Indem eine Altersgrenzenregelung in den arbeitsplatzbezogenen Bestandsschutz eingreift, bedarf sie zu ihrer Rechtswirksamkeit eines an Art. 12 Abs. 1 GG und seiner gesetzlichen Konkretisierungen ( § 41 Abs. 4 SGB IV, § 1 KSchG ) orientierten Sachgrundes. Der Sachgrund ergibt sich aus einem bestimmten, singulären oder normtypischen Sachverhalt und seiner Bewertung, dass das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes zurückzutreten hat hinter den berechtigten Belangen des Arbeitgebers oder der Allgemeinheit an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Voraussetzungen liegen für eine Altersgrenzenregelung vor, wenn einerseits die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers infolge altersbedingten Abbaus und überdurchschnittlicher physischer und psychischer Belastungen im bisherigen Berufsleben nicht mehr gewährleistet ist und das Risiko von Ausfallerscheinungen und Fehlreaktionen steigt, andererseits die Tätigkeit zum Schutz von Leben und Gesundheit anvertrauter Dritter oder von hohen Sachwerten die besondere, unverminderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers erfordert. Unter diesen Prämissen dürfen Tarifvertragsparteien an den typischerweise gegebenen Sachverhalt anknüpfen und generell eine Altersgrenze für die betroffenen Berufsgruppe statuieren. Ihre Regelung ist dann nicht deshalb zu beanstanden, weil sie in Einzelfällen zu Härten führt BAG, Urteil vom 12.o2.1992, 7 AZR 100/92, AP Nr. 5 zu § 620 BGB Altersgrenze).

b) Gemessen an diesen Vorgaben ist die Altersgrenze von 55 Jahren für Kabinenpersonal nicht zu rechtfertigen.

(1) Aus dem altersbedingten Nachlassen des Leistungsvermögens von Kabinenmitgliedern resultieren keine signifikanten Risiken für Leben und Gesundheit der übrigen Crew-Mitglieder und der Flugpassagiere und für das Flugzeug. Dieser Befund gilt zunächst für die Haupttätigkeit des Kabinenpersonals, die Betreuung und Bedienung der Fluggäste. Mit dem Hinweis, dass einzelne Fluggästen körperlicher Hilfestellung bedürfen, Gepäck zu verstauen ist, Trollys zu bewegen sowie Essen und Getränke auszugeben sind, benennt die Beklagte gewöhnliche Arbeitsaufgaben von Servicekräften, z.B. auch auf Schiffen, in Zügen, Bussen oder im Gaststätten- und Hotelgewerbe, hingegen keine zum Schutz der Passagiere vor besonderen Risiken gestellte Anforderungen an das Kabinenpersonal. Insoweit geht es um Serviceleistungen, die ­ ebenso wie höfliches und zuvorkommendes Auftreten gegenüber den Gästen ­ von einem älteren Arbeitnehmer genau so gut erbracht werden können wie von einem jüngeren Arbeitnehmer. Körperlich schwerere Arbeiten fallen zudem nur gelegentlich an, wobei der Stewardess, falls zu schwach oder zu klein (z. B. für das Verstauen von schwerem Gepäck in Ablagefächern über den Sitzen), Kollegen oder Fluggäste helfen können und werden.

In Gefahren- und Notsituationen fällt den Kabinenmitarbeitern eine gesteigerte Verantwortung für Leib und Leben der Passagiere zu. Dabei kann die Durchführung von Rettungsmaßnahmen bei Notlandungen ihnen womöglich körperlichen Einsatz abfordern. Indessen ist weder ersichtlich, dass der Mitarbeiter zur Bewältigung von notwendigen Rettungsmaßnahmen über eine besondere Physis verfügen muss, noch ist feststellbar, dass sich an der Altersgrenze von 55 Jahren typischerweise scheidet, ob die präsumierten physischen Fähigkeiten ausreichen oder nicht. Insoweit liegen die Dinge nicht anders als in vielen anderen Bereichen des Arbeitslebens, insbes. im Sanitäts- und Rettungswesen, in Kranken- oder in Pflegeanstalten, in denen ebenfalls von Mitarbeitern in Notsituationen höhere Belastbarkeit und entsprechender körperlicher Einsatz erwartet wird. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass ohnehin die Kabinenmitarbeiter ihre gesundheitliche Belastbarkeit in der fliegerärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung (alle zwei Jahre) nachweisen und an Flight-Safety-Schulungen teilnehmen müssen. Ansonsten werden ihnen in Notsituationen primär die kompetente Kenntnis der gebotenen Maßnahmen, Fertigkeit und Geschick sowie schnelles und gleichzeitig besonnenes Handeln abverlangt. Die Erfüllung dieser Anforderungen hängt nicht vom Alter des Kabinenmitgliedes ab. Schließlich ist bei allem nicht zu übersehen, dass Notfallsituationen derart selten vorkommen, dass sie es kaum rechtfertigen, den (Fort-)Bestand des Arbeitsverhältnisses von einer bestimmten körperlichen Konstitution abhängig zu machen.

(2) Die äußeren Arbeitsbedingungen für das Bordpersonal sind belastend (Höhenstrahlung, Druckunterschiede, Temperaturschwankungen, trockene Luft, Schichtdienst, ggf. ungewohnte Wach- und Schlafintervalle, Jetlag), aber deswegen ­ gemessen an anderen Berufstätigkeiten, z.B. im Krankenhausbereich, - nicht außergewöhnlich. Daher trägt der Aspekt des physischen und psychischen Verschleißes nicht die Annahme, dass die Leistungsfähigkeit des Kabinenpersonals mit zunehmenden Alter derart abbaut, dass es den Tätigkeitsanforderungen nicht mehr zu genügen vermag. Die Altersgrenze von 55 oder ­ im Falle der Verlängerung - von 57 Jahren ist umso weniger erklärbar, als das Cockpitpersonal den selben äußeren Arbeitsumständen ausgesetzt ist, aber gemäß § 27 Abs. 1 MTV-Bordpersonal HF noch mit 60 Jahren fliegen darf.

Soweit sich die Beklagte auf medizinische Erfahrungswerte beruft, nach denen das Bordpersonal überdurchschnittlichen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sei, lässt sie es an der Vorlage aktueller, repräsentativer und empirisch gesicherter Untersuchungen fehlen. Darüber hinaus reicht allein die Annahme, dass die Belastungen des Kabinenpersonals überdurchschnittlich" sind, nicht aus, um die Altersgrenze von 55 bzw. 57 Jahren zu rechtfertigen.

(3) Mit der Bewertung, das Arbeitsverhältnis des Kabinenpersonals sei tarifvertraglich nicht als Lebensarbeitsverhältnis, sondern als Lebensabschnittsarbeitsverhältnis ausgestaltet, stellt die Beklagte keinen Sachgrund dar. Vielmehr reklamiert sie hiermit die Gültigkeit frei vereinbarter Altersgrenzen. Dies läuft dem Schutzzweck des Art. 12 Abs. 1 GG und der gesetzlichen Kündigungsschutzvorschriften zuwider. Zudem ist die Bewertung der Beklagten unzutreffend, denn in der tariflichen Normierung eines Anspruchs auf Abfindung oder Übergangsversorgung wird die ­ der Realität des Arbeitslebens entsprechende ­ Vorstellung der Tarifvertragsparteien deutlich, dass mit Erreichen der Altersgrenze nicht nur ein beruflicher Abschnitt, sondern die Berufstätigkeit überhaupt endet.

(3) Dem Arbeitgeber mag daran gelegen sein, der Altersgrenze eine Personalsteuerungsfunktion zukommen zu lassen, um für den Betrieb, die Geschäftstätigkeit sowie die Repräsentation des Unternehmens Vorteile zu generieren, die mit einer jüngeren Altersstruktur des Kabinenpersonals verbunden zu sein pflegen. Die Beklagte trägt, obwohl selbst Tarifvertragspartei, hierzu allerdings nicht näher vor. Das dargestellte Interesse des Arbeitgebers wäre im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und auf den vom Gesetzgeber durch § 41 Abs. 4 SGB IV konkretisierten arbeitsplatzbezogenen Bestandsschutz auch nicht schutzwürdig (Schmidt, a.a.O., 596, GK/Backhaus, § 620 BGB Rz. 306, ErfK/Müller-Glöge, 2. Aufl., § 620 BGB Rz.93).

c) Abfindung und Übergangsversorgung stellen keinen Ausgleich für den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Die Arbeitstätigkeit steht als eine Form ausgeübter beruflicher Selbstbestimmung unter grundrechtlichem Schutz. Ihre erzwungene Beendigung bedarf einer an diesem Schutzzweck ausgerichteten Sachgrundes. Die Gewährung eines finanziellen Ausgleichs ersetzt nicht den Sachgrund, sondern kann bei einem an sich gegebenen Sachgrund nur die Verhältnismäßigkeit der daran anknüpfenden Beendigungs- und Versorgungsnormen bestärken.

Die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis als Teilzeittätigkeit bis zum 57. Lebensjahr fortzuführen (§ 27 Abs. 2 Satz 2 und 3 MTV-Bordpersonal HF), ändert aufgrund der Dauer - 2 Jahre - und des Umfangs - Teilzeit - nichts an der gegebenen bzw. verbleibenden Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Gleiches gilt für die etwaige Weiterbeschäftigung am Boden. Abgesehen davon, dass dem gegroundeten Mitarbeiter Verdiensteinbußen entstehen können (Satz 5), entfällt die Angebotspflicht der Beklagten bei entgegen stehenden betrieblichen Gründen (Satz 4). Im Streitfall macht die Beklagte selbst nicht geltend, der Klägerin bei Erreichen der tariflichen Altersgrenze eine Weiterbeschäftigung am Boden angeboten zu haben.

3. Das Ergebnis der Befristungskontrolle entspricht der bisherigen Rechtsprechung zu tariflichen Altersgrenzen für Cockpitpersonal (BAG, 25.o2.1998, a.a.O., 11.o3.1998, a.a.O.). Danach sind eine Altersgrenze von 60 Jahren und eine niedrigere Altersgrenze nur bei entsprechendem Verlängerungsanspruch des Arbeitnehmers zulässig. An Piloten werden besondere Leistungsanforderungen gestellt. Nur eine einzelne Fehlleistung kann gravierende, tragische Folgen für das ganze Flugzeug haben. Die Erwägungen, mit denen für sie die Altersgrenze von 60 Jahren gerechtfertigt wird (vgl. BAG, Urteil vom 12.o2.1992, a.a.O.), sind auf das Kabinenpersonal nicht übertragbar, das durch individuelle Ausfallerscheinungen und Fehlreaktionen bei der Arbeit weit weniger Gefahren für Leben und Gesundheit der Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie für das Flugzeug heraufbeschwört. Damit lässt die Argumentation zum Cockpitpersonal eher Raum für die Annahme, dass eine tarifliche Altersgrenze für Kabinenpersonal nicht gerechtfertigt ist (Wank, a.a.O.). Dafür spricht auch die Praxis, denn insbesondere amerikanische Fluggesellschaften und auch europäische Fluggesellschaften wie die F.inna beschäftigen in der Kabine Mitarbeiter weit über deren 60. Lebensjahr hinaus. Anzumerken ist, dass für die Piloten-Altersgrenze auf § 41 Abs. 1 Satz 2 LuftBO verwiesen wurde, diese Bestimmung jedoch durch die Verordnung zur Änderung luftrechtlicher Vorschriften über Anforderungen an den Betrieb der Luftfahrzeuge vom 29.o7.1998 obsolet geworden ist (vgl. Hessisches LAG, Urteil vom o4.o3.1999, NZA- RR 99, 429) und der unter Einschränkungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres verlängerbare Einsatz von Piloten ansteht (JAR-FCL 1.060).

4. Der Streitfall erfordert freilich keine Klärung, ob für Kabinenpersonal eine tarifliche Altersgrenze von 60 Jahren unzulässig ist und nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB IV die gesetzliche Altersgrenze gilt. Die Klägerin begehrt mit der Klage lediglich als die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Die Berechtigung ihres begrenzten Verlangens wird unterstützt durch die bei anderen deutschen Luftgesellschaften geltenden Altersgrenzen für Kabinenpersonal (§ 19 MTV Nr. 1 Kabinenpersonal L.ufthan, § 23 MTV-Nr. 2 Bordpersonal L.-City-Line, § 47 MTV Nr. 6 Bordpersonal Lt., § 19 MTV Bordpersonal C.ond).

III.

Die Kosten der Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ( § 72 a Abs. 1 ) ArbGG, so dass die Kammer die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen hat.

Ende der Entscheidung

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