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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 12 Sa 1583/03
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrAVG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 60
ArbGG § 66
BetrAVG § 517
BetrAVG § 520
BetrAVG § 547 Nr. 6
ZPO § 2
Wird ein arbeitsgerichtliches Urteil vom Vorsitzenden erst mehr als fünf Monate nach der Verkündung unterzeichnet, ist wegen des abnehmenden instanzrichterlichen Erinnerungsvermögens nicht gewährleistet, dass die schriftlichen Urteilsgründe die Verhandlungs- und Beratungsergebnisse zutreffend wiedergeben (vgl. BVerfG <1. Senat>, Beschluss vom 15.09.2003, NZA 2003, 1355). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Vorsitzende zwischenzeitlich in den Ruhestand getreten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.06.1990, NJW 1991, 1192). Es liegt ein Urteil ohne Gründe vor, gegen das nach Ablauf der Fünfmonatsfrist innerhalb von einem Monat Berufung eingelegt werden muss. Für die Berufungsbegründung reicht der Hinweis auf die fehlende bzw. verspätete Urteilszustellung aus. Einer Zurückverweisung der Sache wegen Verfahrensmangels steht § 68 ArbGG entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat selbst die vollständige Sachaufklärung vorzunehmen (BAG, Urteil vom 13.09.1995, 2 AZR 855/94, AP Nr. 12 zu § 66 ArbGG 1979, BAG, Beschluss vom 24.04.1996, 5 AZN 970/95, AP Nr. 2 zu § 68 ArbGG 1979 Sächs. LAG, Urteil vom 10.10.1999, NZA-RR 2000, 609).
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 1583/03

Verkündet am 21. Januar 2004

In Sachen

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21.01.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Faber und die ehrenamtliche Richterin Franken

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.154,96 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 20.03.2003 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit April 2003 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von € 552,14 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A. Die Parteien streiten um die Höhe einer betrieblichen Altersrente.

Der am 24.09.1940 geborene Kläger, Dipl.-Finanzwirt, wechselte zum 01.03.1970 aus einem Beamtenverhältnis in der Finanzverwaltung in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. In dem notariellem Anstellungsvertrag vom 03.02.1970 ist die Befristung des Anstellungsverhältnisses auf den Ablauf des Kalenderjahres vorgesehen, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollendet (Ziffer 2 Abs. 2). Weiter bestimmt der Vertrag:

"4.

Das Anfangsgehalt wird so festgesetzt, dass der Unterschiedsbetrag zwischen seinen jetzigen Nettobezügen bei der Finanzverwaltung und den Nettobezügen bei der Firma L. S. mindestens 250,00 DM, in Buchstaben: Zweihundertfünfzig Deutsche Mark, monatlich beträgt. Stichtag für die Berechnung ist der Zeitpunkt des Eintretens. Die Bezahlung erfolgt monatlich nachträglich.

5.

Die Versorgung wird so geregelt, dass sie unter Berücksichtigung der Ansprüche aus der Angestelltenversicherung fünfundsiebzig vom Hundert der Endbezüge als Steuerrat entspricht. Die Differenz wird durch den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages durch die Firma L. S. abgefangen, der eventuell später jeweils angepasst werden muss.

Die Hinterbliebenenbezüge (Witwen- und Waisenrente) regeln sich unter den gleichen Voraussetzungen und sollen sechzig vom Hundert der Gesamtbezüge nicht überschreiten..

Mit Anstellungsvertrag vom 07.06.1982 - der Kläger war inzwischen kaufmännischer Leiter der Beklagten - lösten die Parteien den Vertrag vom 03.02.1970 ab. In dem Vertrag heißt es u.a.

"§ 4 Versorgung"

"Für die Altersversorgung und im Falle der Invalidität kommt Herr X. ab dem Tag des Inkrafttretens dieses Vertrages selber auf. Die bis zum 31.12.1981 erdienten Rentenansprüche aus der Pensionszusage seitens der Firma R. bleiben Herrn X. erhalten."

...

"§ 9 Sonstiges"

"... Sollten in Zukunft Ruhegeldvereinbarungen Bestandteil des Tarifvertrages (scil. der chemischen Industrie) werden, finden diese auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Fa. R. und Herrn X. keine Anwendung."

Am 28.09.1992 vereinbarten die Parteien die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1992. Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages lautet:

"Die zum 31.12.1981 erdienten Rentenansprüche lt. § 4 des Anstellungsvertrages vom 7.6.1982 werden dem Mitarbeiter zum Zeitpunkt seines Ausscheidens gesondert von der Firma mitgeteilt."

Mit Schreiben vom 23.11.1992, vom Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet und vom Kläger paraphiert, beauftragte die Beklagte die I./I.-M. GmbH damit, die zum 31.12.1981 erdienten Rentenansprüche des Klägers "bindend festzustellen". Unter dem 08.12.1992 verfasste die Firma H. eine Berechnung, wonach "die Anwartschaft auf Altersruhegeld somit DM 1.333,19 betrage". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom selben Tag dem Kläger Folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr X.,

gemäß § 2 Abs. 6 BetrAVG in Verbindung mit § 4 des Anstellungsvertrages vom 07.06.1982 teilen wir Ihnen mit, dass die von Ihnen erdienten Rentenansprüche auf Altersruhegeld DM 1.333,19 monatlich betragen. Die Hinterbliebenenbezüge bemessen sich auf maximal 60 % dieses Betrages.

Wird die Rente auf Grund gesetzlicher Bestimmungen vor Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt, so vermindert sie sich um 0,5 % für jeden vollen Kalendermonat, für den sie vor Vollendung des 65. Lebensjahres einsetzt."

Seit dem 01.08.2002 nimmt der schwerbehinderte Kläger vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch. Die Beklagte zahlt gemäß einer Berechnung vom 16.09.2002 seither an ihn eine betriebliche Altersrente in Höhe von monatlich Euro 282,81.

Der Kläger hat mit der im März 2003 vor dem Arbeitsgericht Wuppertal erhobenen Klage die Zahlung einer monatlichen Altersrente von Euro 681,64 (= DM 1.333,19) begehrt und beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum August 2002 bis einschließlich März 2003 € 3.190,64 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung (19.03.2003) zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab April 2003 monatlich vorschüssig € 681,64 Betriebsrente zu zahlen.

Durch Urteil vom 11.06.2003 hat das Arbeitsgericht (5. Kammer) der Klage stattgegeben. Im August 2003 ist der Vorsitzende der 5. Kammer in den Ruhestand getreten. Am 17.11.2003 hat er das abgefasste Urteil zur Geschäftsstelle gegeben, am 20.11.2003 hat er es unterzeichnet. Am 21.11.2003 ist es der Beklagten zugestellt worden.

Die Beklagte hat am 27.10.2003 gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese - nach gerichtlicher Fristverlängerung bis zum 12.12.2003 - am 01.12.2003 begründet. Sie überlässt dem Berufungsgericht zu überprüfen, ob ein Richter im Ruhestand noch Urteile absetzen und unterschreiben dürfe, und greift im Übrigen das Urteil mit rechtlichen Ausführungen an. Die Beklagte beantragt die Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 11.06.2003 und die Abweisung der Klage.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Die Kammer hat in der Verhandlung am 21.01.2003 die Parteien eingehend zu den Begleitumständen des Vertrages vom 07.06.1982 (§ 4), des Aufhebungsvertrages vom 28.09.1992 (Ziffer 6) sowie der Schreiben vom 23.11.1992 und vom 08.12.1992 befragt. Der Kläger hat - unwidersprochen - vorgetragen, dass mit Ziffer 5 des notariellen Anstellungsvertrages vom 03.02.1970 der von ihm zur Voraussetzung für den Wechsel zur Beklagten gemachten beamtenmäßigen Altersversorgung Rechnung getragen worden sei. Zur Deckung der Differenz zwischen 75 % der Endbezüge als Steuerrat und der gesetzlichen Rentenversicherung habe die Beklagte eine Versicherung abgeschlossen. Nachdem Anfang der 80er Jahre sich die Versicherung bereits über die Abdeckung eines monatlichen Differenzbetrages von DM 1.340,00 verhalten habe, habe der Wirtschaftsprüfer der Beklagten, auf den sich die Beklagte stets verlassen habe, zur Vermeidung künftig steigender Versicherungskosten der Beklagten angeregt, es bei der Gewährleistung der bis zum 31.12.1981 erdienten Rentenansprüche durch die Beklagte zu belassen und künftig die weitere Altersvorsorge dem Kläger zu überantworten. Mit dieser Maßgabe seien in § 4 des Vertrages vom 07.06.1982 die "erdienten Rentenansprüchen aus der Pensionszusage" fixiert worden. Hiermit habe folgerichtig und betragsmäßig die Berechnung des Wirtschaftsprüfers vom 08.12.1992 überein gestimmt. Den Beteiligten sei es, wie im Schreiben vom 23.11.1992 niedergelegt, explizit um die "bindende" Feststellung der Rentenansprüche gegangen, um künftigen Ungewissheiten und Streitigkeiten zu begegnen.

Die Anregung des Gerichts, den Geschäftsführer ebenfalls zu den Vorgängen zu befragen, ist beklagtenseitig in der Verhandlung nicht aufgenommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen verwiesen.

B. Die zulässige Berufung hat in der Sache nur zum Teil Erfolg.

I. Die Berufung ist zulässig.

Zwar ist das von einem bereits in den Ruhestand getretenen Kammervorsitzenden abgefasste und unterzeichnete Urteil ein "Urteil ohne Gründe" (§ 547 Nr. 6 ZPO ). Es kann als "Scheinurteil" jedoch von der beschwerten Partei mit dem normalen Rechtsmittel angegriffen werden (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., vor § 511, Rz. 36, § 517 Rz. 2). Allerdings setzt unabhängig davon, ob und wann ein solches "Scheinurteil" zugestellt wird, gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG (§ 517, § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO) spätestens fünf Monate nach der Urteilsverkündung der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist und der zweimonatigen Begründungsfrist ein.

Für den Streitfall kann dahin stehen, ob anstelle des Vorsitzenden der älteste ehrenamtliche Richter das Urteil unterschreiben könnte (abl. Schütz, GK-ArbGG, § 60 Rz. 32). Das Urteil vom 11.06.2003 ist nicht vom ältesten ehrenamtlichen Richter, sondern vom Vorsitzenden als "Richter am Arbeitsgericht i. R." am 20.11.2003 unterzeichnet worden. Da die Fünfmonatsfrist abgelaufen war, kam die Nachholung der Unterzeichnung durch den ehrenamtlichen Richter ohnehin nicht mehr in Betracht.

Die Beklagte hat am 27.10.2003 gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Berufungseinlegung vor Urteilszustellung ist zulässig (Kammerurteil vom 21.01.2004, 12 Sa 1188/03, n.v.). Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht, nämlich im 6. Monat nach Verkündung und innerhalb der gerichtlich bis zum 12.12.2003 verlängerten Begründungsfrist, am 01.12.2003 begründet. Sie hat sich im Übrigen mit den Gründen des ihr am 21.11.2003 zugestellten Urteils im Einzelnen auseinander gesetzt. Dessen hätte es nicht bedurft. Denn für die Berufungsbegründung gegen ein verspätetes Scheinurteil reicht der Hinweis auf die verspätete Zustellung und auf die Unterzeichnung durch einen Ruheständler aus (vgl. Vossen, GK-ArbGG, § 68 Rz. 7, m.w.N).

II. Die Sache kann wegen der Mangelhaftigkeit des Urteils nicht an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden.

Einer Zurückweisung steht § 68 ArbGG entgegen.

1. Das verspätete Urteil und das Scheinurteil stehen einem nicht abgesetzten und nicht unterzeichneten Urteil gleich. Damit liegt, wenn man das Merkmal "eines Mangels im Verfahren" nicht rabulistisch interpretiert, ein Verfahrensmangel des Arbeitsgerichts vor. Mithin verbietet § 68 ArbGG die Zurückweisung der Sache. Das Berufungsgericht hat selbst die vollständige Sachaufklärung vorzunehmen (BAG, Urteil vom 13.09.1995, 2 AZR 855/94, AP Nr. 12 zu § 66 ArbGG 1979 BAG, Beschluss vom 24.04.1996, 5 AZN 970/95, AP Nr. 2 zu § 68 ArbGG 1979 Sächsisches LAG, Urteil vom 10.10.1999, 2 Sa 265/99, NZA-RR 2000, 609).

Es war bis zur ZPO-Reform anerkannt, dass § 68 ArbGG die Zurückverweisung der Sache wegen eines Verfahrensmangels nach § 539 ZPO a.F., nicht jedoch wegen eines Falles nach § 538 ZPO a.F. ausschloss. Inwieweit diese Auffassung zu revidieren ist, nachdem die §§ 539, 540 ZPO a. F. in § 538 ZPO integriert sind, bedarf hier keiner Klärung. Selbst wenn man annähme, dass § 68 ArbGG nunmehr nicht die Zurückverweisung wegen eines "wesentlichen Verfahrensmangels" i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausschließt, "darf" das Berufungsgericht die Sache nur zurückverweisen, wenn (1) aufgrund des Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist und (2) eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor. Eine Beweisaufnahme war nicht erforderlich. Die Beklagte hat sich mit Rechtshinweisen zu dem Urteilsmangel begnügt, indessen nicht, auch nicht konkludent, die Zurückverweisung der Sache beantragt. Auch ansonsten hat die Kammer keinen Anlass gesehen, die Sache zurückzuverweisen.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 15.09.2003 (NZA 2003, 1355) ein landesarbeitsgerichtliches Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde und dessen vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben wurden, mit der Begründung aufgehoben, dass ein solches Urteil keine geeignete Grundlage für das Bundesarbeitsgericht sei, das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen zu überprüfen. Es hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Diese Argumentation lässt sich nicht auf Berufungen gegen nicht oder verspätet zugestellte Urteile von Arbeitsgerichten übertragen. § 68 ArbGG, der dem arbeitsgerichtsgesetzlichen Beschleunigungsgebot eine besondere Ausprägung gegeben hat, verbietet die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren. Nach der Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 17.02.2003, 5 AZB 37/02, AP Nr. 6 zu § 68 ArbGG 1979) kann das Landesarbeitsgericht als Tatsacheninstanz selbst gemäß § 139 Abs. 1 ZPO selbst Hinweise geben und auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken, wenn es eine weitere Sachaufklärung oder Klarstellungen für erforderlich hält. Da es weder erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen und Entscheidungsgründe noch i.S.v. § 67 Abs. 1 ArbGG zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel gibt, ist der Anspruch der Parteien, namentlich des Rechtsmittelklägers, auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sich nach dem "Urteil ohne Gründe" das Landesarbeitsgericht auf die Berufung hin originär und abschließend in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit der Streitsache befasst.

3. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist anzumerken: Auch wenn im vorliegenden Fall das am 11.06.2003 verkündete Urteil erst mehr als fünf Monate nach der Verkündung und dazu von einem bereits in den Ruhestand getretenen Richter abgesetzt und unterzeichnet worden ist, ergibt sich aus dem Urteilsinhalt mitnichten ein "abnehmendes richterliches Erinnerungsvermögen" (vgl. aber BAG, Urteil vom 08.06.2000, 2 AZR 584/99, AP Nr. 21 zu § 66 ArbGG 1979, im Anschluss an GmSOGB, Beschluss vom 27.04.1993, AP Nr. 21 zu § 551 ZPO).

III. Die Berufung ist überwiegend unbegründet.

1. Der Kläger hat Anspruch auf die zuerkannte Altersrente aufgrund des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses der Beklagten. Die Beklagte ist aufgrund des Anerkenntnisses mit der Einwendung ausgeschlossen, dem Kläger stehe nur eine Altersrente von monatlich Euro 282,81 gemäß der Berechnung vom 18.08.2002 zu.

a) Das bestätigende sogenannte deklaratorische (= kausale) Schuldanerkenntnis bezweckt, das Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Punkten dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien zu entziehen und es insoweit endgültig festzulegen. Es ähnelt damit dem Vergleich (BAG, Urteil vom 15.12.1999, 10 AZR 881/98, n.v.). Das Schuldanerkenntnis setzt (zumindest) eine Ungewissheit der Parteien über das Bestehen einer Schuld oder über einzelne rechtliche Punkte voraus. Dies war der Fall. Den Parteien war im Herbst 2002, als sie die Vertragsauflösung vereinbarten, die Höhe der "bis zum 31.12.1981 erdienten Rentenansprüche" unbekannt.

b) Den Parteien ging es nicht nur darum, dem Kläger Klarheit über die Berechnungsgrundlagen und Höhe der zu erwartenden Betriebsrente zu verschaffen und ihm Gelegenheit zu geben, eine Meinungsverschiedenheit noch vor Eintritt des Versorgungsfalles durch eine Klage auf Feststellung des Inhalts und der Höhe der Versorgungsanwartschaft zu bereinigen. Vielmehr war den Parteien angelegen, die Rentenansprüche verbindlich festzustellen.

(11) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 08.11.1983, 3 AZR 511/81, AP Nr. 3 zu § 2 BetrAVG, Urteil vom 09.12.1997, 3 AZR 695/96, AP Nr. 27 zu § 2 BetrAVG, Urteil vom 22.01.2002, 3 AZR 554/00, AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung), der die Kammer folgt, ist die Auskunft nach § 2 Abs. 6 BetrAVG weder ein abstraktes noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, sondern eine bloße Wissenserklärung. Daher spricht, wenn der Arbeitgeber Auskunft mit dem Inhalt nach § 2 Abs. 6 BetrAVG erteilt, eine Vermutung dagegen, dass er ein Schuldanerkenntnis abgibt. Vorliegend kommt hinzu, dass zum einen die Beklagte in ihrem Schreiben vom 08.12.2002 ausdrücklich auf § 2 Abs. 6 BetrAVG verweist und zum anderen Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages vom 28.09.1992 über die Statuierung einer Mitteilungspflicht nicht hinausgeht.

(22) Gleichwohl erschöpft sich das Schreiben vom 08.12.1992 nicht in einer Wissenserklärung. Mit dem Schreiben wurde nämlich die Berechnung der Fa. H. vom 08.12.1992 übernommen, die ihrerseits gemäß der schriftlichen Auftragerteilung vom 23.11.1992 die "bindende Feststellung" der Rentenansprüche des Klägers sein sollte. Indem der Geschäftsführer der Beklagten das Schreiben vom 23.11.1992 unterzeichnete und der Kläger es paraphierte, steht fest, dass die Parteien darüber einig waren, dass durch die dem Wirtschaftsprüfer der Beklagten übertragene Berechnung der Rentenanspruch verbindlich festgelegt werden sollte. Dieser Regelungswille entspricht im Übrigen auch dem Gesamtinhalt des Aufhebungsvertrages, namentlich der Ausgleichsklausel in Ziffer 5: Danach war den Parteien erkennbar daran gelegen, sämtliche Ansprüche zu erfassen, zu regeln und dergestalt festzulegen, dass für spätere Meinungsverschiedenheiten kein Raum mehr blieb.

(33) Der letzte Absatz des Schreibens der Beklagten vom 08.12.1992 spricht ebenfalls dafür, dass als monatliche Altersrente der Betrag von DM 1.333,19 anerkannt wurde. Denn aus dem Hinweis, dass der zuvor angegebene Betrag bei vorgezogener Altersrente um mtl. 0,5 % gekürzt werde, und aus der Tatsache, dass weitere Leistungseinschränkungen oder Vorbehalte nicht gemacht wurden, durfte der Kläger rückschließen, dass ihm bei Vollendung des 65. Lebensjahres eine betriebliche Altersrente von DM 1.333,19 zugestanden war.

(44) Schließlich räumt die Beklagte ein, dass die Parteien ursprünglich den Willen hatten, den Kläger versorgungsmäßig so zu stellen, als würde er als Steuerrat in Pension gehen (Schriftsatz vom 27.11.2004, Seite 4). Dies wird durch die Vereinbarung in Ziffer 5 des notariellen Anstellungsvertrages vom 03.02.1970 bestätigt und folgt auch aus den schriftsätzlichen und mündlichen Darlegungen des Klägers. Insoweit ging es darum, die Konsequenzen einer untypischen "Pensionszusage" und des am 07.06.1982 vereinbarten Ausstiegs zu bewältigen. Legt man weiter das zugestandene (§ 138 Abs. 3 ZPO) Vorbringen des Klägers zu den Gegebenheiten und Regelungsabsichten im Vertrag vom 07.06.1982 zugrunde, liegt die Berechnung vom 08.12.1992 auf der Linie der damaligen Versorgungsabsprache, nämlich - zum Stand 1981 - die Versorgungslücke zwischen der gesetzlichen Rente und 75 % der Endbezüge als Steuerrat bei Inanspruchnahme der Altersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres auszufüllen. Insoweit indiziert die kontinuierliche Beteiligung des Wirtschaftsprüfers der Beklagten am Versorgungsausstieg 1982 und an der Berechnung im Dezember 1992 die Feststellung (§ 286 ZPO), dass der ermittelte Rentenbetrag von DM 1.333,19 monatlich als richtig angesehen und daher als verbindlich anerkannt wurde.

2. Im erstinstanzlichen Urteil wird die Auffassung vertreten, dass nach der Vereinbarung der Parteien die Fa. H. als Schiedsgutachter fungieren sollte. Da die Beklagte mit der Berufung nicht geltend macht, dass die Bestimmung der Fa. H. offenbar unbillig i.S.v. § 319 Abs. 1 S. 1 BGB gewesen sei, führt die Annahme einer Schiedsgutachterabrede zu dem selben Ergebnis wie die Annahme eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses.

3. Die vorgezogene Betriebsrente ist um 19 % (0,5 % x 38 Monate) zu kürzen.

Dies wird von der Beklagten zu Recht mit der Berufung eingewandt.

Stellt man auf das Schreiben der Beklagten vom 08.12.1992 ab, ergibt sich die Kürzung aus der Erklärung im letzten Absatz.

Unabhängig hiervon würde sich jedenfalls die Kürzung als untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag aus dem Umstand rechtfertigen, dass die Altersversorgungszusage im Anstellungsvertrag vom 03.02.1970 auf die Vollendung des 65. Lebensjahres bezogen war. Damit bedarf es eines Ausgleichs für den wahrscheinlichen, früheren und längeren Bezug der Betriebsrente (vgl. BAG, Urteil vom 24.07.2001, 3 AZR 567/00, AP Nr. 27 zu § 6 BetrAVG).

4. Dem Kläger stehen Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten zu, § 291, § 288 BGB. Die Verzinsungspflicht beginnt entsprechend § 187 Abs. 1 BGB mit Beginn des Tages, der dem Tag folgt, an dem das maßgebliche Ereignis (= Zustellung der Klage) eintrat.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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