Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.04.2005
Aktenzeichen: 12 Sa 219/05
Rechtsgebiete: BGB, TVG, NachwG


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 280
BGB § 286
BGB § 615
TVG § 4
TVG § 8
NachwG § 2
Zur Schadensverteilung nach § 254 BGB, wenn einerseits der Arbeitgeber weder die gesetzliche Nachweispflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG erfüllt noch dem Arbeitnehmer einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit den notwendigen Angaben (§ 2 Abs. 4 NachwG) ausgehändigt hat und andererseits der anwaltlich beratene Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb der tariflichen Ausschlussfristen (i. c. aufgrund Unkenntnis der Existenz bzw. Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages) versäumt hat.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 219/05

Verkündet am 20. April 2005

In Sachen

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Pielen und den ehrenamtlichen Richter Voßen

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.01.2005 und Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 15.100,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins aus jeweils 1.000,00 € ab 16.09.2003, 16.10.2003, 17.11.2003, 16.12.2003, 16.01.2004, 16.02.2004, 16.03.2004, 16.04.2004, 17.05.2004, 16.06.2004 und aus jeweils 1.700,00 € ab 16.07.2004, 16.08.2004 und 16.09.2004 zu zahlen.

Die Kosten erster Instanz tragen der Kläger zu 4/9 und die Beklagte zu 5/9, die Kosten des Berufungsverfahrens der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt an eine Kündigung anschließende Annahmeverzugsansprüche. Die Beklagte wendet im wesentlichen den tariflichen Verfall der Ansprüche ein.

Der Kläger wurde am 03.01.2002 als Glasreiniger von der Beklagten, die sich einige Jahre in S. als Inhaberin eines Gebäudereinigungsbetrieb betätigte und zu einem Monatslohn von Euro bis zu zwei Arbeitnehmer beschäftigte, 1.700,00 brutto eingestellt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk, insbesondere der Rahmentarifvertrag, waren im Betrieb der Beklagten nicht ausgelegt. Die Parteien wussten nichts von deren Existenz.

Nachdem die Beklagte unter Berufung auf ein Kündigungsschreiben vom 16.07.2003 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend machte, reichte der anwaltlich vertretene Kläger, der den Zugang der Kündigung bestritt, im August 2003 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Essen (Geschäftsnummer 4 Ca 4088/03) gegen die Beklagte ein. Durch Urteil vom 18.03.2004 gab das Arbeitsgericht der Bestandsschutzklage statt. Die hiergegen eingelegte Berufung nahm die Beklagte am 06.07.04 zurück.

Mit der am 14.09.2004 eingereichten und am 18.09.2004 zugestellten Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung des Verzugslohns für die Zeit von Juli 2003 bis August 2004 in Anspruch genommen und den Gesamtforderungsbetrag auf Euro 27.200,00 brutto beziffert. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Düsseldorf hat das Gericht in der Güteverhandlung, zu der die Beklagte nicht erschienen ist, den anwaltlich vertretenen Kläger auf die Ausschlussfristen des RTV- Gebäudereinigerhandwerk und die Möglichkeit eines unechten Versäumnisurteils hingewiesen. Durch Urteil vom 17.01.2005 hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass dahin stehen könne, ob die Ansprüche tariflich verfallen seien, weil die Aktivlegitimation des Klägers zweifelhaft sei, nachdem er in der Verhandlung erklärt habe, (mittlerweile) Arbeitslosengeld zu beziehen, und insoweit seine Ansprüche gemäß § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen seien.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung ermäßigt der Kläger seine Forderung auf Euro 22.100,00 brutto (13 Monate [01.08.2003 bis 31.08.2004] x Euro 1.700,00) und begründet seine Aktivlegitimation mit der - unter dem 22./ 23.03.2005 seitens der Bundesagentur für Arbeit erfolgten - Rückabtretung der auf diese übergegangenen (Erstattungs-)Ansprüche.

Er beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.01.2005 die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 22.100,00 nebst fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.08.2003, 01.09.2003, 01.10.2003, 01.12.2003, 01.01.2004, 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004, 01.006.2004, 01.07.2004 und 01.08.2004 aus jeweils 1.700,00 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Mit der Berufung verfolgt der Kläger die Zahlungsklage in Höhe von Euro 22.100,00 brutto weiter. Nachdem der Kläger in erster Instanz den Lohn für 14 Monate (einschließlich Juli 2003) verlangt und die Gesamtforderung im Klageantrag mit Euro 27.200,00 und in der Klagebegründung mit Euro 20.400,00 angegeben hat, greift er das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts in Höhe von Euro 22.100,00 brutto an. Dieser Betrag ergibt sich aus dem 13-monatigen Anspruchszeitraum (01.08.2003 bis 31.08.2008) und dem Monatslohn (Euro 1.700,00). Der Aktivlegitimation des Klägers steht nicht der zeitweise Bezug von Arbeitslosengeld entgegen. Die Bundesagentur für Arbeit hat den Kläger ermächtigt, die auf sie übergegangenen Ansprüche einzuklagen und für sie einzuziehen. Die Absprache vom 22./23.03.2005 ist als Inkassozession (§ 398 BGB) zu verstehen. Der Kläger ist nicht, wie die Beklagte meint, nach § 67 Abs. 2 ArbGG und auch nicht nach § 67 Abs. 3 ArbGG daran gehindert, die "Rückabtretung" als Angriffsmittel im Berufungsverfahren vorzubringen. Unabhängig davon, dass es erstinstanzlich an einer Fristsetzung (Abs. 2) und - soweit ersichtlich - auch an dem gerichtlichen Hinweis fehlt, dass die Klage wegen Bedenken gegen die Aktivlegitimation für unbegründet erachtet werde (Abs. 3), wird durch die Zulassung der nunmehr vorgebrachten "Rückabtretung" die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert (§ 67 Abs. 2 bis 4 ArbGG, § 530, § 296 ZPO).

II. Dem Kläger steht nach § 611, § 615 Satz 1, § 296 BGB für die Monate Juni bis August 2004 Verzugslohn in Höhe von Euro 5.100,00 brutto zu. Der Anspruch ist nicht nach § 23 RTV-Gebäudereinigung vom 16.08.2000 und nach § 22 RTV-Gebäudereinigung vom 04.10.2003 verfallen. Demgegenüber ist der für die Monate August 2003 bis Mai 2004 ebenfalls entstandene Verzugslohnanspruch in Höhe von insgesamt 17.000,00 Euro brutto zwar tariflich verfallen.

Die Beklagte schuldet jedoch aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (§ 280 Abs. 2, § 286 Abs.1, Abs. 2 Nr. 1, § 249 BGB) dem Kläger Naturalrestitution für den verfallenen Anspruch. Dabei ist, weil der Kläger den Anspruchsverfall mitverschuldet hat, gemäß § 254 BGB eine Schadensquotelung geboten. Diese hat in der Weise zu erfolgen, dass die Beklagte Euro 10.000,00 brutto zu zahlen hat und in Höhe von Euro 7000,00 brutto die Klage als unbegründet abzuweisen ist.

Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Die Beklagte befand sich ab dem 01.08.2004 in Annahmeverzug, indem sie dem Kläger keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellte, sondern - zu Unrecht - die Beendigung des Arbeitsverhältnisses reklamierte. Abgesehen davon, dass es bei dieser Sachlage eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer nicht bedarf (BAG, Urteil vom 07.11. 2002, 2 AZR 650/00, AP Nr. 98 zu § 615 BGB Urteil vom 25.11.1992, 7 AZR 191/92 AP Nr. 150 zu § 620 BGB), hat der Kläger durch das anwaltliche Schreiben vom 24.07.03 und die Erhebung der Bestandsschutzklage seinen grundsätzlichen Arbeitsleistungswillen bezeugt.

2. Der Annahmeverzug hat zumindest bis zum 31.08.2004 fortbestanden. Der Streit über die Wirksamkeit der Kündigung vom 16.07.2003 hatte nicht etwa die anwaltlich vertretene Beklagte veranlasst, durch eine Nachkündigung das Arbeitsverhältnis aufzulösen, um den Verzugszeitraum zu begrenzen.

3. Die Verzugslohnansprüche für Juni, Juli und August 2004 sind nicht gemäß § 22 RTV-Gebäudereinigung vom 04.10.2003 verfallen. Die Vorschrift normiert eine zweistufige Ausschlussfrist. Gleich lautend mit der Vorläufernorm (§ 23 RTV-Gebäudereinigung vom 16.08.2000) bestimmt sie wörtlich:

"Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

Hiernach hängt der Verfall von Forderungen zunächst vom Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit ab. Grundsätzlich werden Verzugslohnansprüche ebenso fällig, wie wenn die Dienste tatsächlich geleistet worden wären. Nach § 8 Ziffer 2 RTV-Gebäudereinigung vom 04.10.2003 (und vom 16.08.2000) tritt die Fälligkeit bei monatlich abzurechenden Lohnansprüchen spätestens zum 15. des folgenden Monats ein. Daher wurden die Verzugslohnansprüche des Klägers für Juni 2004 am 15.07.2004, für Juli am 16.08.2004 und für August am 15.09.2004 fällig.

Die im September 2004 erhobene Zahlungsklage wahrt allemal für die Juli- und August-Ansprüche die tarifliche Ausschlussfrist. Sie ist außerdem fristwahrend für den Juni-Anspruch. Die Klagezustellung (18.09.2004) kommt zwar zu spät für die Einhaltung der (am 15.09.2004 abgelaufenen) Frist zur schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs. Nach der dominierenden BAG-Rechtsprechung (Urteil vom 05.11.2003, 5 AZR 562/02, AP Nr. 106 zu § 615 BGB, Urteil vom 13.02.2003, 8 AZR 236/02, AP Nr. 244 zu § 613a BGB), der die Kammer entgegen abweichender Judikate des 9. Senats (BAG, Urteil vom 24.08.1999, 9 AZR 804/98, AP Nr. 1 zu § 615 BGB Anrechnung; vgl. Urteil vom 12.12.2000, 9 AZR 1/00, AP Nr. 154 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, Urteil vom 11.12.2001, 9 AZR 510/00, EzA Nr. 145 zu § 4 TVG Ausschlussfristen) folgt, enthält indessen die Kündigungsschutzklage die (in der ersten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist geforderte) schriftliche Geltendmachung jener Entgelt- und Entgeltfortzahlungsansprüche, die vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, soweit hierüber im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens zu entscheiden ist. In dem Antrag des Arbeitgebers auf Abweisung der Bestandsschutzklage liegt alsdann die (die gerichtliche Geltendmachungsfrist - zweite Stufe - auslösende formlose) "Ablehnung" der Ansprüche auf Annahmeverzugslohn. Soweit mit der Bestandsschutzklage "vorfristig" künftige Verzugslohnansprüche geltend gemacht und mit dem Klageabweisungsantrag abgelehnt werden, beginnt die Frist für die gerichtliche Geltendmachung (zweite Stufe) nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs (BAG v. 13.02.2003, a.a.O.).

In diesem Licht lag in der Kündigungsschutzklage die schriftliche Geltendmachung des Verzugslohnanspruchs für Juni 2004, denn dieser Anspruch hing noch vom Ausgang des - erst im Juli 2004 abgeschlossenen - Kündigungsschutzverfahrens ab. Vor der Fälligkeit des Anspruchs (15.07.2004) wurde die Zweimonatsfrist für die gerichtliche Geltendmachung nicht in Lauf gesetzt. Die am 14.09.2004 eingereichte Zahlungsklage wahrt diese Frist, § 167 ZPO.

4. Die Verzugslohnansprüche des Klägers bis einschließlich Mai 2004 sind tariflich verfallen.

a) Der RTV-Gebäudereinigerhandwerk findet nach seinem persönlichen, fachlichen und räumlichen Geltungsbereich auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Dies gilt, weil die maßgeblichen Vorschriften unverändert geblieben sind, gleichermaßen für die Fassung vom 16.08.2000 wie für die Fassung vom 04.10.2003. Die Tarifnormen erfassten aufgrund der erfolgten Allgemeinverbindlichkeitserklärungen die tarifungebundenen Parteien, § 5 Abs. 4 TVG. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sind ordnungsgemäß veröffentlicht worden (BAnz 2004, Nr. 100 vom 29.05.2004, BAnz 2004, Nr. 66 vom 03.04.2004). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. 09.1991, AP Nr. 27 zu § 5 TVG, Beschluss vom 24. Mai 1977, AP Nr. 15 zu § 5 TVG) "ist das Verfahren mit dem Rechtsstaatsgebot noch vereinbar". Wohl müsse der Gesetzgeber "prüfen, welche Verbesserungen der Publizitätsvorschriften möglich und angezeigt sind, damit den berechtigten Bedürfnissen der Praxis mehr als bisher entsprochen werden kann." Danach wird der Gesetzgeber geprüft haben, die Defizite der gesetzlichen Bekanntmachung (§ 5 Abs. 7 TVG i.V.m. §11 DVO-TVG, § 8, § 6 TVG i.V.m. § 16 DVO) bzw. die in der Praxis für die normunterworfenen Arbeitsvertragsparteien bestehenden Informationsprobleme etwa dadurch abzubauen, dass per Gesetz die Veröffentlichung der geltenden Tarifverträge auf einer allgemein und kostenfrei zugänglichen, durch eine bekannte Adresse einfach erreichbaren Internet- Plattform vorgeschrieben wird. Wenn der Gesetzgeber bisher keinen Handlungsbedarf gesehen hat, mag dies weniger wegen möglicher die Tarifvertragsparteien belastenden Publizierungsfolgen, sondern primär deshalb geschehen sein, weil Allgemeinverbindlichkeitserklärungen ebenso wie "Tarifverträge heute über das Internet leicht zu beschaffen" sind (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.07. 2002, NZA-RR 2003, 30). Können mithin der durchschnittliche Arbeitnehmer und Arbeitgeber ebenso wie Rechtsanwälte und andere Beteiligte des Arbeits- und Rechtslebens sich unschwierig informieren und die aktuellen und vollständigen Tariftexte downloaden, sind die Publizitätsbedürfnisse der Praxis befriedigt. Der Kläger erhebt daher gegen das Veröffentlichungsverfahren auch keine Bedenken aus Art. 20 Abs. 3 GG.

b) Die Anwendung einer tariflichen Ausschlussfrist wird weder durch einen Verstoß gegen die Auslegungspflicht nach § 8 TVG (BAG, Urteil vom 23.01.2002, 4 AZR 56/01, AP Nr. 5 zu § 2 NachwG) noch durch den bloßen Verstoß die aus § 2 Abs. 1 NachwG folgende Verpflichtung ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 17.04.2002, 5 AZR 89/01, AP Nr. 6 zu § 2 NachwG, Urteil vom 29.05.2002, 5 AZR 105/01, EzA Nr. 4 zu § 2 NachwG, Urteil vom 05.11. 2003, 5 AZR 676/02, AP Nr. 7 zu § 2 NachwG). Ebensowenig steht der Geltung der Ausschlussfrist entgegen, dass nach § 24 Nr. 2 RTV-Gebäudereinigung vom 16.08.2000 (§ 23 Nr. 2 RTV-Gebäudereinigung vom 04.10.2003) "der Arbeitgeber verpflichtet ist, diesen Tarifvertrag auszuhändigen oder an geeigneter Stelle in seinem Betrieb auszulegen." Indem die Tarifvorschrift eine "Durchführungspflicht" statuiert, spricht bereits wenig dafür, dass die Aushändigungspflicht, mit der die aus der Ordnungsvorschrift des § 8 TVG übernommene Auslegungspflicht erweitert wird, vom einzelnen Arbeitnehmer eingefordert werden und ihm die Pflichtverletzung des Arbeitgebers den Anspruch auf Schadensersatz geben kann. Jedenfalls ist daraus, dass die Vorschrift Pflichtverstöße mit keinen Sanktionen belegt (vgl. BAG, Urteil vom 11.11.1998, 5 AZR 63/98, NZA 1999, 60), zu folgern, dass nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien die Anwendung der Tarifbestimmungen und damit auch der Ausschlussfristen nicht von der Aushändigung des Tarifvertrages abhängt.

5. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die tariflich verfallenen Verzugslohnansprüche Schadensersatz. Sie war nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG verpflichtet, spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Kläger auszuhändigen. In die Niederschrift war zumindest ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge aufzunehmen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden waren (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG). Hierzu gehörte der RTV-Gebäudereinigung. Die Nachweispflicht bestand unabhängig von der Allgemeinverbindlichkeit und der Aufforderung durch den Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 05.11.2003, 5 AZR 676/02, AP Nr. 7 zu § 2 NachwG). Die Beklagte erfüllte weder die gesetzliche Nachweispflicht, noch händigte sie dem Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit den notwendigen Angaben aus (§ 2 Abs. 4 NachwG). Verstößt der Arbeitgeber gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG, ist nach der höchstrichterlichen Spruchpraxis (BAG vom 05.11.2003, a.a.O.) zu vermuten, dass der Arbeitnehmer die tarifliche Ausschlussfrist beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrags hingewiesen worden wäre. Die Vermutung besteht auch im Streitfall, denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer unwidersprochen vorgetragen, dass er den RTV-Gebäudereinigung und dessen Ausschlussfristen nicht gekannt habe. Sein Vortrag ist plausibel, die Kammer erachtet ihn für wahr (§ 286 ZPO). Es gibt weder in seinem Verhalten noch in den Umständen der betrieblichen Tätigkeit oder in dem Kenntnisstand der Beklagten (auch ihr war - dies hat sie in der Verhandlung genauso überzeugend wie der Kläger erklärt - die Existenz und Verbindlichkeit von Tarifverträgen unbekannt) Anhaltspunkte dafür, dass ihm der Tarifvertrag oder dessen Ausschlussfristen bekannt waren.

Damit hat die Beklagte dem Kläger für den verfallenen Verzugslohnanspruch Schadensersatzanspruch, gerichtet auf Naturalrestitution (§ 249 BGB), zu leisten.

6. Der Kläger hat die Entstehung des Schadens mitverschuldet. Insoweit ist ihm nach § 278 BGB das Mitverschulden seines Rechtsanwalts zuzurechnen. Das Mitverschulden des Klägers führt nicht zum Wegfall, sondern zur Minderung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, § 254 BGB. Dabei ist nach dem Gewicht der beiderseitigen Pflichtverletzungen und des beiderseitigen Verschuldens der Schaden (Euro 17.000 brutto) zu 10/17 von der Beklagten und zu 7/17 vom Kläger selbst zu tragen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 29.05.2002, 5 AZR 105/01, EzA Nr. 4 zu § 2 NachwG) ist, wenn der Rechtsanwalt des Arbeitnehmers weiß, dass auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung findet, unter dem Gesichtspunkt des überwiegenden Mitverschuldens ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen. Nach Auswertung des Akteninhalts und den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer davon überzeugt, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers zwar wussten, dass ihr Mandant bei einem Betrieb des Gebäudereinigerhandwerks beschäftigt war, dass sie jedoch die Existenz des RTV-Gebäudereinigung und dessen Geltung nach § 5 Abs. 4 TVG nicht erkannten. Darauf wurden sie nämlich weder durch den Kläger noch durch die Gegenseite, sondern erstmals durch das Arbeitsgericht hingewiesen. Ihre Unkenntnis vom Tarifinhalt dokumentiert sich darin, dass sie die rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung der Verzugslohnansprüche unterließen und nach dem gerichtlichen Hinweis das Arbeitsgericht um Übersendung des erwähnten Tarifvertrages baten. Außerdem wird die Unkenntnis inzidenter durch den Vortrag zugestanden, dass zum einen die Beklagte den Tarifvertrag nicht dem Kläger bekannt gegeben habe und zum anderen die Rechtskraft des Kündigungsschutzverfahrens abgewartet worden sei. Mit diesem Vortrag werden Einwände gegen den tariflichen Anspruchsverfall gerade deshalb formuliert, um nachteilige Konsequenzen aus der Unkenntnis der Tarifgeltung und Nichteinhaltung der Ausschlussfristen abzuwehren.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben fahrlässig (§ 276 BGB) übersehen, dass der RTV-Gebäudereinigung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar war. Ihnen war, wie ausgeführt, der Gegenstand der Betriebstätigkeit der Beklagten von Anfang an bekannt. Ansonsten hätten sie ihn durch Befragung des eigenen Mandanten in Erfahrung bringen müssen und können. Danach mussten sie sich über das anwendbare Recht informieren. Wären sie ihrer Informationsobliegenheit nachgekommen, hätten sie erkannt, dass im Gebäudereinigerhandwerk allgemeinverbindliche Rahmentarifverträge mit Ausschlussfristen existieren. Der entsprechend beratene Kläger hätte die Fristen einhalten müssen und eingehalten.

Wenn die Beklagte ihre gesetzlichen Arbeitgeber-Pflichten nach § 2 NachwG nicht kannte und gegenüber dem Kläger missachtete, trifft sie gleichfalls der Vorwurf der Fahrlässigkeit. Sie hat sich unternehmerisch im Gebäudereinigerhandwerk betätigt, ohne für sie unmittelbar maßgebendes Arbeitsrecht zur Kenntnis zu nehmen und zu beachten. Die Leichtfertigkeit der Beklagten hat für die Kammer denselben Verschuldensgrad wie die Handlungsweise der klägerischen Prozessbevollmächtigten.

Ausschlaggebend für die Schadensverteilung ist das höhere Gewicht der Pflichtverletzung der Beklagten (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 254 Rz. 60). Zwar ist ein Arbeitnehmer nicht von der Obliegenheit freizustellen, sich selbst über seine Rechte und Pflichten und damit auch über die mögliche Geltung von Tarifverträgen einschließlich tariflicher Ausschlussfristen zu informieren. Vorliegend geht es jedoch um einen Verstoß gegen § 2 NachwG. Damit muss der Zweck des Nachweisgesetzes, der Zielsetzung der Nachweisrichtlinie 91/533 EWG v. 14.10.1991, den Arbeitnehmer vor Unkenntnis seiner Rechte zu schützen, Geltung zu verschaffen, in den Vordergrund auch bei der Behandlung von Haftungsfällen treten. Unter diesem Aspekt ist der Pflichtverstoß des Arbeitgebers im Rahmen des § 254 BGB von größerem Gewicht. Im Streitfall hat die Beklagte sich auch nicht mit anderweitigen Informationen (z.B. Auslegung und Aushändigung des Tarifvertrages oder sonstigen Hinweisen auf die Tarifregelungen in Aushängen, Rundschreiben, Lohnabrechnungen o.ä.) entlasten können. Wollte man demgegenüber aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer einen anwaltlichen Vertreter hatte, ein überwiegendes Mitverschulden ableiten, würde dem Arbeitgeber entgegen dem Schutzzweck des § 2 NachwG ein nachträglicher Erfolg dadurch zuteil werden, dass er weitestgehend aus seiner Haftung entlassen wird. In diesem Zusammenhang hat die Überlegung, ob die Arbeitsvertragsparteien ihre Rechtsvertreter in Regress nehmen können, etwa für verfallene Verzugslohnansprüche (auf Seiten des Arbeitnehmers), oder die Abwehr solcher Ansprüche durch Nachkündigung o.ä. (auf Seiten des Arbeitgebers), keine Rolle zu spielen (vgl.Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254 Rz. 55, Palandt/Heinrichs, § 254 Rz. 63).

7. Die auf die zuerkannte Hauptforderung (jeweils Euro 1000,00 brutto [August 2003 bis Mai 2004], jeweils Euro 1700,00 [Juni bis August 2004]) entfallende Zinsforderung ist insoweit begründet, als sich die Beklagte gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1, § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 8 Ziffer 2 RTV-Gebäudereinigung jeweils seit dem 16. des Folgemonats, abweichend 17.11.2003 und 17.05.2004 (§ 193 BGB), in Verzug befindet (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.2000, 5 AZR 365/99, AP Nr. 7 zu § 4 MuSchG 1968). Der Zinssatz beträgt nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 247 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Der "BGB-Basiszinssatz" beträgt ab 01.07.2003 1,22 %, ab 01.01.2004 1,14 %, ab 01.07.2004, 1,13 %, ab 01.01.2005 1,21%..

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, und für beide Parteien die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück